Sie waren alle beim Arzt

 In FEATURED, Ludwig Schumann, Politik (Inland)

Sich von schwarzem Personal pflegen lassen? Nie und nimmer! Dann lieber weiter weißer Pflegenotstand! (Bildquelle: http://www.gruppomissionariomerano.it)

Was in den Medien nicht vorkommt, gibt es eigentlich gar nicht, zum Beispiel afrikanische Krankenpfleger, die – obwohl im deutschen Gesundheitswesen dringend gebraucht – gnadenlos abgeschoben werden. Was die Medien dagegen fleißig hypen, muss von enormer Bedeutung sein. Wer hätte z.B. in jüngster Zeit nicht von Sigmar Gabriels Tochter und Martin Schulz Schwester gehört, deren Wirken die bundesdeutsche Parteienlandschaft mächtig durcheinander gewirbelt hat. Journalismus ist in unseren Zeiten zum großen Teil auch ein gezieltes Ablenkungsmanöver – um die wirklich wichtigen Themen zu verstecken (z.B. die geplante massive Erhöhung des Wehretats, die die Großkoalitionäre im Schatten des asozialdemokratischen Königsdramas unauffällig durchgewunken haben). Und auch was politische Entscheidungen für die Menschen „unten“ bedeuten, darüber gleiten eingebettete Medien gern großzügig hinweg. Ludwig Schumann, der „langsame Leser“, beleuchtet auch hier wieder gewitzt einige dunkle Flecken auf der politischen Landkarte . (Ludwig Schumann)

Ich würde Ihnen gern von Galsan Tschinag erzählen, diesem wunderbaren Häuptling der Tuwa, eines turkstämmigen Stammes in der Mongolei, diesem obersten Schamanen seines Volkes und diesem „Glücksfall für die deutsche Literatur“ (DIE ZEIT). Aber das muss noch warten. Ich las kürzlich bei der „tagesschau online“ diese Sätze: „Herr Abebe ist ein höflicher Herr. Wenn er mit erkennbar fränkischem Dialekt Deutsch spricht, drückt er sich gewählt aus. Er sagt Dinge wie: ‚Sie befinden sich hier im afrikanischen Calais’. Und: ‚Deutschland möchte, dass wir Äthiopier gehen. Wir sind Dublin-Fälle und Sklaven unserer Fingerabdrücke. Wo sollen wir hingehen?’ Herr Abebe sitzt zwischen Müll und zehn bis zwölf weiteren Migranten und Flüchtlingen auf Holzstumpen im Schlamm am Rande eines Waldes von Calais. Die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt. Die Kälte kriecht unter jede Schicht Stoff. Mal regnet es, mal schneit es. Das kleine Feuer wärmt die Gruppe um Herrn Abebe.

Man kann sich Herrn Abebe, Mitte 30, Anfang 40, geboren und aufgewachsen in Äthiopien, besser als Krankenpfleger vorstellen, was er auch bis vor kurzem in Bayern war. Sieben Jahre hat er dort gelebt. Dann kamen die Ablehnung des Asylgesuchs, nachdem er durch alle Instanzen hindurch war. Jetzt könne er nur noch nach Großbritannien. Dort gelte Dublin nicht.“ Ach, wird jetzt mancher Leser denken, ist er wieder bei seinem Lieblingsthema. Und abschalten. Was geht mich fremdes Leid an? Aber, lieber Leser, hier geht es auch um eigenes Leid. Schon mal im Krankenhaus gewesen? Auf der Station, auf der ich kürzlich lag, gab es drei Schwestern und einen Pfleger in der Tagschicht. Die hatten straff zu rennen. Für dieses oder jenes Wort über die rein dienstlichen Geschichten hinaus ist da einfach keine Zeit. Das tut dem Patienten nicht gut und das tut dem Pflegepersonal auch nicht gut. Das führt zu Stress. Ganz übel, wenn dann eine Operation ins Haus steht. Soweit würden Sie doch mitgehen, oder? Was war Herr Abebe? Seit sieben Jahren Krankenpfleger. Wer hat da wem ins Gehirn geschissen, Menschen abzuschieben, die wir dringend brauchten? Der hat Geld verdienst, Steuern bezahlt und wird abgeschoben. Man müsste dem Beamten, der das veranlasst hat, zunächst das Bundesverdienstkreuz aushändigen für seine Aufmerksamkeit und ihn anschließend auf dem Rathausplatz enthaupten für seine Dummheit. Und da habe ich ihm in meiner grenzenlosen Weitherzigkeit die verdiente Folter erspart, die er Herrn Abebe nicht erspart hat, denn Calais ist Folter.

Ich würde gern darüber schreiben, dass man, nachdem man die Nachricht auf dem Tisch hatte, sofort Maßnahmen eingeleitet hätte, ihn zurückzuholen. Das kann ich leider nicht. Noch schlimmer ist, die künftige Bundesregierung macht mir keinerlei Hoffnung, dass sich so etwas nicht wiederholen wird. Mit einem Herrn Seehofer an der Spitze des Innenministeriums, diesem abgewrackten bayrischen Landesherren, der die AfD rechts überholen will, bin ich mir sehr sicher, dass „der Neger“ sehen muss, wo er bleibt. Vielleicht kann er sich ja von seinem Busenfreund Orban beraten lassen, wie man eine Mauer baut. Unsere Fachleute dafür hat er ja verpasst. Er hätte deren Know-how wunderbar gebrauchen können, halt nur andersherum. Was in unsere Richtung konzipiert war, hätte nun nach außen stehen müssen.

Dass die Splitterpartei Deutschlands, die sogenannte „SPD“, sich zerlegt, wundert mich nicht mehr. Ich meine, auf eins konnte man sich in der Splitterpartei immer verlassen: Statt ihre Klientel im Blick zu haben, wird emsig beraten, wie man den nächsten Parteichef im Regen stehen lassen kann. Das hat auch fast immer geklappt. Da gibt es eine große Tradition, die man hüten muss. Jungspund Kevin Kühnert übt das fleißig. Der Wunsch von Martin Schulz, keine Personaldebatten jetzt mehr führen, ist zu kurz gesprungen. Das hätte man möglicherweise haben können, wenn man im gleichen Atemzug gewagt hätte, Gabriel in seinem Amt zu belassen. Das muss sich Frau Nahles erst überlegen. So aber kommt keine Ruhe in die Partei.

Anders aber wahrscheinlich auch nicht, weil die Groko-Gegner ihren Tunnelblick lediglich auf die eigene Partei zu richten vermögen. Ich befürchte, dass man so einen Strohkopf wie Kühnert irgendwann an der Parteispitze erleben muss. Glücklicherweise wird die Splitterpartei dann nichts mehr zu sagen haben und damit beschäftigt sein, bei der nächsten Wahl die Fünf-Prozent-Hürde nicht aus dem Blick zu verlieren. Wobei ich da auch nicht mehr sagen kann, ob ihr der Blick darauf noch etwas nützt. Aber eine Vision für die Zukunft? Woher kommen die 25 000 Grundschullehrer, die wir zusätzlich brauchten? Der Stundenausfall wird sicher über die digitalen Tafeln geregelt, die den Schülern auch nicht helfen werden, lesen und schreiben zu lernen. Guckt Euch in den Grundschulen doch mal die Schreibfähigkeit der nächsten Generation an, Ihr ministeriellen Sesselfurzer! Wobei ich, obgleich ich eigentlich weniger den Verschwörungstheoretikern zugeneigt bin, mittlerweise auch davon ausgehe, dass mit diesem Nichtzurkenntnisnehmenwollen der einsetzenden Volksverdummung die kontinuierliche Bildungsarbeit der neoliberalistischen Wirtschaftseliten steckt, die in der Anhäufung ihres kriminell erworbenen Reichtums nicht gestört werden möchten. Wir haben künftig, so wir sie bekommen, eine Bundesregierung, die diesem Komplott widerstandslos Handlungsfreiheit gibt. Denn was da als Bildungspaket verkauft wird, ist letztlich eine Mogelpackung. Mal ganz davon abgesehen, dass man endlich mal anfangen sollte, so elementare Dinge wie Schultoiletten in Ordnung zu bringen, dass Schüler ihren Scheiß wieder ordentlich los werden können, ohne die Krätze zu kriegen.

Die CDU nölt über den Verlust „wichtiger Ministerien“. Solange sie das Landwirtschaftsministerium mit der Heiligen Einfalt besetzen muss, ich rede von Frau Klöckner, hat sie auch nicht mehr verdient. In den nächsten fünf Jahren wäre in der Landwirtschaft ein revolutionärer Umbruch nötig. Wie kann ich da ein Mädchen mit zwei großen Ohren hinsetzen, die das eine den Bauernverbänden hinhält, die das noch immer nicht begreifen wollen, und das andere der Ernährungsindustrie? Wenn die EU die Förderung von der Fläche auf die Produkte umlenkt, wer hat dann gegen den Willen ihrer falsch beratenden Lobby-Verbände, die außer der Frechheit der Macht nur mit einer Armseligkeit im Denken sich brüsten können, die deutschen Bauern darauf eingestimmt? Oder sind sich diese alle so sicher, dass der Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, der Ire Phil Hogan, seine angedachten Visionen nicht realisiert? Ich wäre mir da nicht so sicher. Das ist ein Ire!

Aber, wie gesagt, für Deutschland kein Thema. Die Klimaveränderung muss warten. Die Splitterpartei braucht die Kohlekumpels und die Autoindustrie Streicheleinheiten. Mutter Natur, da wirst du doch Einsicht zeigen. Guck mal, der Trump glaubt auch nicht, dass du so schlimm bist. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird mit dem „Mief der Umverteilung“ belegt. Das will doch niemand. Nein, das will auch niemand. Aber aus welchem Grund dürfen Arbeitsplätze durch Roboter ersetzt werden, ohne dass für diesen Arbeitsplatz  der vom Roboter erarbeitete Arbeitgeberanteil für die Sozialabgaben weiter an den Staat abgeführt wird? Der Arbeitsplatz blieb doch erhalten. Er wurde nur anders besetzt.

Ich will es auf den Punkt bringen: Auch in der neuen Bundesregierung, in welcher Gestalt sie auch kommt, bleibt der Arbeitnehmer Freiwild und der Hartz-IV-Empfänger wird zum Untertan erzogen. Es geht nicht um ein bisschen mehr Gerechtigkeit. Es geht ums Ganze! Das ist nicht angekommen.

Außenpolitisch sehe ich in dieser Regierung auch keinen Willen zu einem europäischen Aufbruch, der dringend nötig wäre. So dringend nötig wie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Wer hinter den europäischen Standards zurückbleiben will, soll das auch tun dürfen, fällt aber dann aus der Mitbestimmung bestimmter Themen und Ziele. Das kann man doch verabreden. Und stellt endlich die Russland-Politik in einen europäischen Kontext. Wir werden im 27. Jahrhundert noch keinen Konsens mit Russland haben, wenn wir meinen, dass die Vorbedingung die Rückgabe der Krim ist. Manchmal hilft einfach Realismus ideologischen Fehlentscheidungen auf die Sprünge – und man muss nicht jede praktikable Sicht der Dinge der AfD überlassen. Zu diesem Thema gehörte jetzt auch wieder die Problematik um Herrn Abebe, der auf so einfache Weise deutlich macht, dass wir uns selber schaden, wenn wir in Punkto Einwanderung der AfD am Arsche riechen.

Woher denn nun der Titel stammt? Na Altkanzler Schmidt, der „Oberlehrer der Deutschen“, verwies einst darauf: „Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen.“ Die Groko-Verhandler waren beim Arzt. Ach ja, das fehlt ja auch noch: Im übrigen sage ich, dass die demokratisch erfolgte Wahl einer Partei noch kein Ausweis dafür ist, dass diese Partei auch demokratische Inhalte verfolgt. Was im Bundestag täglich bewiesen wird.

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