SPD – Kompromisspartei für Anspruchslose

 In FEATURED, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

Wer noch den Namen “Schulz” im Ohr hat, muss sich wenigstens kaum umgewöhnen.

Als „gefühlter Sieger“ im Asylstreit mit (und zwischen) den Unionsparteien wurde die SPD von Teilen der Presse gefeiert. Ebenso oft wurde Horst Seehofer als „Verlierer“ abgekanzelt, verspottet und zum Rücktritt aufgefordert. Diese auf Personen fokussierte Königsdramen-Dramaturgie verschleiert jedoch, dass Europa in den letzten Wochen – wieder einmal – einen Riesenschritt in Richtung Flüchtlingsbekämpfung und Hilfevermeidung gemacht hat. Würden die „Sozialdemokraten“ wenigstens versuchen, das Land halb so penetrant in eine soziale und humane Richtung zu ziehen, wie es von der CSU derzeit in die Gegenrichtung gedrückt wird – es wäre einiges gewonnen. Aber die SPD begnügt sich. Und auch wenn sich immer weniger Menschen mit ihr begnügen wollen, ist eine realistische Machtalternative derzeit noch in weiter Ferne. (Roland Rottenfußer)

Die SPD hat sich in den letzten Jahren zur eigentlichen Schwesterpartei der CDU entwickelt, nachdem die CSU eher ihre tiefe Seelenverwandtschaft mit der AfD pflegte. Die „Genossen“ geben sich staatstragend und ausgleichend, wo klare Kante und manchmal auch ein „Eklat“ notwendig wäre, weil die Unviecher um Horst Seehofer mittlerweile wirklich unerträglich sind. Während des Unions-Sommertheaters haben sich Nahles & Co. weggeduckt – wohl in der Hoffnung, als geringeres Übel im Rahmen einer Negativauswahl Wählerstimmen zu gewinnen. Bescheidenheit ist eben eine Zier.

Immer wieder lesen wir in den Medien, die SPD müsse grundlegend etwas ändern, um nicht in die Bedeutungslosigkeit abzusinken. Das Problem ist: Kaum ein Journalist weiß zu sagen, in welche Richtung es gehen müsste. Weiterwursteln, über die Runden kommen, ohne den nahe liegenden Linksruck nach dem Vorbild von Jeremy Corbyn vollziehen zu „müssen“ – das ist die Devise. Nur beim Raffen von Ministerposten hatte die Anspruchslosigkeit dieser Partei ihre Grenzen, und vielleicht wäre uns ein Innenminister Seehofer erspart geblieben, hätten die Genossen um Ex-Chef Schulz nicht partout nach dem Finanzministerium gegiert – auch dies übrigens ein Symptom für die überragende Bedeutung des Finanziellen in unserem Land.

Die verweigerte Alternative

Die SPD kann und will keine ernsthafte Alternative zur Politik der Union entwickeln, weil sie in Kern an dasselbe glaubt wie Angela Merkel: Transatlantische Kriegs- und Spannungspolitik, den Ausbau des Sicherheits- und Überwachungsstaats, „aktivierende“ Sozialpolitik, die den Arbeitslosen demütigt, um den Arbeitenden unter Druck zu setzen, „Freihandel“ im Dienst der Konzerne usw. Der SPD ist der Erfolg des gemeinsamen neoliberalen Gesamtprojekts allemal wichtiger, als es die ohnehin immer mehr verschwimmenden Unterschiede zur Union sind. Deshalb wäre für die „Sozialdemokratische“ Partei ein Zusammengehen mit wirklicher Sozialdemokratie, wie sie die Linke vertritt, auch undenkbar; nicht aber eine Allianz mit der rechtskonservativen, menschenrechtsvergessenen CSU.

Die SPD versteht sich als Abdämpferin zu offensichtlicher Grausamkeiten, indem sie z.B. die Aufenthaltsdauer von Flüchtlingen in „Transitzonen“ begrenzt. Sie schleift die allzu spitzen Ecken und Kanten der Unions-Flüchtlingspolitik ein wenig ab. Dadurch erscheint das, was in seinem Wesen noch immer inhuman ist, etwas „eingängiger“. So kann man unfassbare Härten für tausende von Menschen dem immer noch teilweise humanitätsromantischen Wählervolk besser verkaufen. Was ist schon dagegen einzuwenden, ein paar Flüchtlinge 48 Stunden einzusperren – vor allem, wenn es nicht einen selber betrifft? Zwar drohen den Abgeschobenen danach weit längere Internierungzeiten, jedoch dann ja zum Glück außer Sichtweite, z.B. in Griechenland oder Italien.

Wie es wirklich in Flüchtlingslagern zugeht

Was es in einer südeuropäischen Kulturnation bedeutet, als Flüchtling anzulanden, zeigte unlängst der Dokumentarfilm „Eldorado“ von Markus Imhoof. Hier ein paar Impressionen aus der Rezension, die ich vor einigen Monaten über den Film schrieb:

Ein Höhe- oder Tiefpunkt des Films sind die „Wohnanlagen“ illegal arbeitender Flüchtlinge in Südtalien, Slums eigentlich, die an die schlimmsten Regionen der so genannten Dritten Welt erinnern, heruntergekommene, lichtlose Baracken von bedrückender Ausstrahlung. In einem quälenden Wartestand zwischen den Welten gefangen, sind viele Ankömmlinge auf Einkünfte aus illegaler Arbeit angewiesen. Und ihr „Gastgeberland“ empfängt sie mit gnadenloser Ausbeutung.

Dank dieser Fremdarbeiter zum Schnäppchenpreis „floriert die italienische Wirtschaft.“ Die Mafia organisiert die Schwarzarbeit, der Staat lässt dies zu und bietet keine Alternative. Wer arbeiten will, muss sich in das mafiöse System fügen. Es enthüllt sich ein Vorgang, der nicht nur aufs höchste abstoßend ist, sondern auch absurde Züge trägt. Mit ausbeuterischer Arbeit werden in Italien Tomaten angebaut. Diese werden in Dosen nach Afrika verschickt. Dort kann es passieren, dass Verwandte der in Europa angekommenen Sklaven-Flüchtlinge die Dosen kaufen, was wiederum den nicht konkurrenzfähige heimischen Tomaten-Anbau ruiniert.

Markus Imhoofs Film kommt das große Verdienst zu, den Finger auf eine schwärende Wunde der – wie sie selbst sich nennt – „freien Welt“ zu legen. Er leuchtet in dunkle Ecken unseres „sauberen“ Kontinents, in die selbst politisch relativ bewusste Menschen nur selten zu blicken wagen. „Eldorado“ zeigt, wie der Traum vom „Gelobten Land“ an einer bitteren Realität zerplatzt, wie sich das vermeintliche Paradies in ein Fegefeuer verwandelt, für manche gar in eine Hölle. Auf die Träume Not leidender Menschen hat der Menschenrechts-Weltmeister Europa oft keine andere Antwort als das, was der kapitalistische Westen offenbar am besten kann: Ausbeutung, gestützt durch autoritäre Repression.

Welche Grundsätze?

So kommt es zwischen dem „good cop“ SPD und dem „bad cop“ CSU zu einer perfiden Arbeitsteilung: Wo die Union auf ihrer Pilgerfahrt nach ganz rechts zwei Schritte vorwärts geht, geht die SPD einen zurück – und möchte, dass man sie dazu beglückwünscht. Eine solche „Reformpartei“ kämpft vielleicht darum, dass die Käfige von Speiseschweinen künftig um 10 Quadratzentimeter größer sind müssen als bisher; niemals würde sie aber die Massentierhaltung oder gar den Fleischkonsum als solches in Frage stellen. Die SPD stellt überhaupt nichts „grundsätzlich“ in Frage, denn von welchen Grundsätzen sollte sie da auch ausgehen?

Verständlicherweise weiß eine solche Politik niemanden so richtig zu begeistern, nicht einmal die SPD-Führung selbst. Deshalb war in der Zeit seit Gerhard Schröder bei den Genossen statt „Machtgier“ geradezu eine Flucht vor der Macht zu beobachten. Die „Sozialdemokratie“ verschliss eine halbe Fußballmannschaft von Vorsitzenden und rasch verglühenden Shooting-Stars: Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Martin Schulz (beide nur Kanzlerkandidaten) sowie Olaf Scholz (nur kommissarisch Vorsitzender). Diesen sieben politischen Zwergen gesellt sich nun als Schneewittchen Andrea Nahles bei – gefangen im gläsernen Sarg neoliberaler „Realpolitik“.

Die beiden relativ gesehen prägnantesten Politiker in dieser Riege – Schulz und Gabriel – hat die Führungsclique in letzten Februar quasi auf einen Schlag entsorgt. Entfesselt wettern die beiden nun gegen die Regierungspolitik und tun damit, was sie schon viel früher hätten tun müssen. Schulz etwa bezeichnete die Unios-Kombattanten als „Durchgeknallte“. Diese politisch Einäugigen wurden kurzerhand durch noch glattere, handhabbarere Blinde ersetzt: den Chorknaben Heiko Maas, Eisenherz Scholz und Andrea Nahles. Über deren Mangel an Esprit und politischen Mut wird auch die Tatsache, dass sie als weibliche Vorsitzende ein Novum in der SPD-Geschichte darstellt, nicht lange hinwegtäuschen können.

Diese „Hoffnungsträger“ sind zum Verzweifeln

Alle „Hoffnungsträger“ der SPD in den letzten Jahren waren Leute, die schon seit der Schröder-Ära sattsam bekannt waren. Man hat eben nach und nach die zweite, dritte und vierte Wahl nach vorne geschoben. Kein frisches Talent vom Format des jungen Lafontaine rückte nach. Die Generation Hartz IV versucht sich über die Runden zu retten, ohne ihr lieb gewonnenes Menschenverarmungswerkzeug Hartz IV  je ernsthaft in Frage zu stellen. Auch wenn Nahles und Scholz mal nicht mehr wollen, ist Zukunftshoffnung Fehlanzeige. Allenfalls würde der Nachfolger oder die Nachfolgerin dann besser aussehen: Maas, Schlesig oder Barley.

Frühere Vorsitzende der SPD schienen vielversprechend (bzw. man versprach sich viel von ihnen), um dann innerhalb kurzer Zeit zu enttäuschen. Von Andrea Nahles war von vornherein nicht viel zu erwarten – dem wenigstens konnte sie gerecht werden. Schon zu Beginn ihrer kurzen Verhandlungen mit der Union über einen „Asylkompromiss“ verströmte sie Optimismus, und man spürte: da war Widerstand, der sein baldiges Aufgeweichtwerden von vornherein einkalkulierte. Man weiß ja aus der jüngeren Geschichte: Wenn die SPD sagt „Vielleicht“, fällt sie sofort um; wenn sie sagt „Machen wir auf keinen Fall“, dauert es etwas länger (so z.B. als die Partei dann doch in eine dritte Große Koalition mit Merkel ging).

Immer zeigte sich in den letzten Jahren und Monaten das Bild einer 2/3-Partei. Die Widerspenstigen in der Partei gibt es zwar – sie melden sich lautstark zu Wort und binden auf diese Weise ein paar Restidealisten an die Partei –, sie werden dann aber überstimmt, nachdem die Führungsriege die Basis nur lange genug bearbeitet hat. Danach spielen die ohnehin milden „Querdenker“ wie Kevin Kühnert und Simone Lange keine Rolle mehr, außer dass sie folgenlos noch ein bisschen weiter nörgeln dürfen.

Seehofer: I’ll be back

Linke ergötzen sich derzeit daran, dass Horst Seehofer – von konkurrierenden Parteien wie auch von etablierten Medien – recht viel Prügel kriegt. Das sollte aber  nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ganze politische Richtung, in die Europa derzeit driftet, vom Geist Seehofers durchtränkt ist. Es geht nur noch darum, in welcher Geschwindigkeit, in welchem Ausmaß und ausgeschmückt mit welchen Details das Asylrecht zu Grabe getragen wird. Nach Seehofer werden Jüngere kommen, Schneidigere und Smartere, denen nicht mehr die menschelnde Anmutung des etwas müden, vertrottelten Seniors anhaftet.

Schon rasch zeigte sich, dass nationalen Egoisten wie Seehofer Grenzen aufgezeigt werden – durch andere nationale Egoisten. Österreich wird die von Bayern zurückgewiesenen Flüchtlinge nicht nehmen. Ungarn sowieso nicht, Italien kaum. Letztlich können diese Menschen nur rückwärts durchgereicht werden, bis sie dort landen, wo sie ursprünglich angekommen waren: im Meer.  Seehofers Zwergerlaufstand sei in sich zusammengefallen wie ein Soufflé, höhnte der Münchner Merkur. Das wollte der Vielgescholtene nicht auf sich sitzen lassen. Wieder mal drohte Seehofer Merkel : „I’ll be back“. Er könnte den Asylstreit jederzeit wieder aufleben lassen und doch noch Flüchtlinge einseitig-national an der Grenze abweisen. Nur einen Tag vorher hatte er Österreichs Rechts-Popper Sebastian Kurz versprochen, dass er genau das nicht tun werden. Versteht noch einer Seehofer?

Eine Koalition der Unwilligen

Ein Reboot des Sommertheaters wäre dann immerhin eine zweite Chance für Merkel und die SPD, der grenzverliebten CSU endlich eine Grenze aufzuzeigen. Eine Chance, die beide sicher auch ein zweites Mal werden verstreichen lassen. Denn man ist ja eine Schicksalsgemeinschaft und trägt Verantwortung für Deutschland.

Wir immerhin könnten etwas tun, nämlich eine Koalition der Unwilligen bilden, einen Zusammenschluss jener, die nicht willens sind zuzuschauen, wie Freiheit und Humanität diesem Kontinent Schritt für Schritt ausgetrieben werden.

„Humanität ist die Seele von Europa“ sagte – nun ja – Angela Merkel.

Aber es ist ja nicht alles falsch, was von der falschen Person gesagt wird.

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