Straftatbestand Grundgesetz? Teil 2/2
Was allem Anschein nach die Staatsanwaltschaft Stuttgart von unserer Verfassung hält. Den 15. Juli dieses Jahres wird Rudolph Bauer sicher nicht so schnell vergessen. An diesem rabenschwarzen Samstag bekam der Bremer Künstler Post aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt, und der Ex-Professor aus dem norddeutschen Bundesland, Jahrgang 1939, seit langem auch als Autor und Bildender Künstler unterwegs, mit Lyrik und Bildmontagen, mit zig Veröffentlichungen, Lesungen, Ausstellungen, durfte aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart erfahren, in der Gestalt eines „Strafbefehls“, dass er Herrn „Prof. Dr. Karl Lauterbach“ beleidigt habe und dass er deshalb 3.000,- Euro Strafe bezahlen müsse. Auch die „Kosten des Verfahren“ würde er zu übernehmen haben sowie die eigenen Kosten bei dieser Angelegenheit. Bauers „Delikt“: Er habe am 7. Februar dieses Jahres dem Untersuchungshäftling Michael Ballweg einen Brief mit zwei Büchern zugeschickt, in denen der Beschuldigte Bauer „Feindbilder aus dem Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu bedient“ und seine „Missachtung gegenüber Prof. Dr. Karl Lauterbach“ ausgedrückt habe, und zwar in der Gestalt, dass er, der Delinquent Bauer, dem Politiker Lauterbach auf einer Fotomontage einen Hitlerbart „hinzugefügt“ habe und dem Lauterbach-Foto von ihm, Rudolph Bauer, „zum anderen ein angewinkelter Arm eingefügt worden“ sei, der „an die von Adolf Hitler seinerzeit üblicherweise verwendete Erwiderung auf den Hitlergruß erinnert“. Holdger Platta
Wer wird hier eigentlich ‚porträtiert‘: die Privatperson oder der Politiker Lauterbach?
An dieser Stelle aber noch ein weiterer Hinweis, der von erheblicher Wichtigkeit ist:
Dass es dem Bremer Künstler Rudolph Bauer keineswegs auf persönliche Beleidigung des Politikers Lauterbach ankam – wir sprechen das Thema des fehlenden „Vorsatzes“ später noch genauer an, der beim Erkennen auf Straftaten eine überaus wichtige Rolle spielt –, das geht im Übrigen auch aus den folgenden Bestandteilen dieser Kunst-Edition unübersehbar hervor, und man muss sich schon wundern, dass dieses der Stuttgarter Behörde nicht aufgefallen ist (erwogen oder gewichtet – zur Entlastung des Beschuldigten – werden diese Bestandteile der Buch-Edition im Strafbefehl jedenfalls mit keinem einzigen Wort): dieser Kunstband trägt einen Titel, und dieser Titel wird sogar zweimal ausführlich erläutert in diesem Buch: „Charakter-Masken“ heißt diese Edition. Und dieser Begriff aus der marxistischen Terminologie besagt, dass Menschen im Kapitalismus mit ihrem Verhalten und Agieren gezwungen sind – „gesetzmäßig“ heißt das wieder und wieder bei Karl Marx –, so zu handeln, wie der Kapitalismus das von den Menschen verlangt. Was bedeutet: individuell, den Personen selbst, ist das gar nicht mal vorzuhalten. In Bauers eigenen Worten (im Klappentext auf der Rückseite des Buchs), lautet diese Aussage so: „Grundsätzlich […] müssen sie [= die Menschen. HP] immer als Kapitalisten oder Lohnabhängige agieren, alles andere – auch persönliche Eigenschaften – sind Masken, die fallen, wenn es Ernst wird“. Und im Kunstbuch selber, auf Seite 78, wird Marx sogar höchstpersönlich zitiert, und zwar aus dessen Vorwort zur ersten Auflage des „Kapital“: „Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt […] den einzelnen verantwortlich machen für die Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag“. Die Ursache für das „zerstörerische“ Handeln, zu dem die Menschen oft gezwungen sind, gehe nicht auf die „Schlechtigkeit“ der betreffenden Akteure zurück oder deren „bösen Willen“ – so der freiheitlich-marxistische Wissenschaftsjournalist Ernst Lohoff auf derselben Seite 78 in diesem Buch, sondern auf die sozioökonomischen Verhältnisse, unter denen die Menschen im Kapitalismus zu leben haben.
Was aber heißt das in unserem, im juristischen, Zusammenhang? – Nun, Bauer selber distanziert sich ausdrücklich von jedweder Fehlinterpretation und von jedwedem Versuch, Menschen „beleidigen“ zu wollen für Handlungen, für die sie letztendlich nicht verantwortlich sind. Das heißt, positiv ausgedrückt: mit der inkriminierten Bildmontage hat der Bremer Künstler nicht die (beleidigungsfähige) Privatperson Karl Lauterbach kritisiert, er hat die politischen, die sozioökonomischen Verhältnisse kritisiert, die einen Politiker wie Lauterbach genötigt haben, so zu handeln, wie er gehandelt hat. Also, bereits der Buchtitel kündigt an: diese Bildmontage zeigt eine Charakter-Maske, nicht den Menschen Lauterbach selbst.
„Personalisierung“ in der Kunst – erster Teil: oft geht es ohne sie gar nicht
Politik lässt sich – gerade in der Bildenden Kunst – oft gar nicht anders darstellen und kritisieren als in der Gestalt von Politikern, die Politik betreiben. Insofern ist Bildende Kunst sehr oft zur „Personalisierung“ gezwungen, wenn sie – eigentlich – Politik kritisieren will (was ihr gutes Recht ist!). Aus dieser „Personalisierung“ den juristischen Schluss zu ziehen, damit würden automatisch auch die Personen selber kritisiert, missversteht grundlegend politische Kunst, man könnte auch sagen: der hat politische Kunst schlicht nicht begriffen! Und diese Diagnose trifft um so mehr zu, als im vorliegenden Fall alle Bildsignale und alle Texte übersehen worden sind, die aufs deutlichste zeigen, dass die personenbezogene (!) Straftat der persönlichen „Beleidigung“ einfach nicht vorliegt. Bauer hat mit seiner Bildmontage Politik kritisiert, Politik, die unter den Zwängen der sozioökonomischen Verhältnisse betrieben wird (so Bauers Auffassung), nicht aber eine Privatperson oder das Individuum oder Subjekt Karl Lauterbach.
Und – auch das wiederhole ich an dieser Stelle gerne nochmal –: Bauer deutet hier die Gefährlichkeit einer Politik an, die unversehens wieder im Faschismus landen könnte, im Sinne der Warnung, im Sinne der Besorgnis, im Sinne der Angst. Wobei unübersehbar ist: das alles im Namen der Demokratie – vielleicht darf man bei Rudolph Bauer sogar sagen: im Namen wirklicher Demokratie, nicht nur kapitalistisch halbierter Demokratie. Wer anderes behaupten wollte, projizierte in die strittige Bildmontage hinein, was diese einfach nicht enthält (eine Aussage, die übrigens für den gesamten Kunstband zutrifft), und Schauplatz der vermeintlichen Straftaten wie „Beleidigung“ ist nicht dieses Buch, sondern sind schlimmstenfalls die Gehirne, denen diese Fantasien entsprungen sind. Es ist genau das, was Psychoanalyse unter „Projektionen“ versteht (für die, nebenbei, ebenfalls nicht unbedingt deren Urheber verantwortlich sind – hier: die Juristen der Stuttgarter Justiz –, sondern anderes verantwortlich sein könnte. Was oder wer, können und müssen wir an dieser Stelle offen lassen.).
„Personalisierung“ in der Kunst – zweiter Teil: zwei kunstgeschichtliche Beispiele, die es in sich haben
Gestattet mir, an zwei Beispielen – buchstäblich! – zu illustrieren, dass wir im Bereich der politisch-kritischen Kunst oft auf „Personalisierungen“ treffen und dass wir diese Personalisierungen nicht im Sinne des individuums-bezogenen Strafrechtsparagraphen 185 missverstehe dürfen (und übrigens auch die Nachfolgeparagraphen 186 und 187 nicht, die „Verleumdung“ nicht und die „üble Nachrede“ nicht).
Schauen wir uns zunächst eines der berühmtesten Gemälde von George Grosz an – „Stützen der Gesellschaft“:
Diese Gemälde zeigt, so könnte man meinen, vier Individuen: vorne den Studenten oder „alten Herrn“ einer schlagenden Verbindung (gleichzeitig schon NSDP-Anhänger, wenn nicht gar NS-Mitglied), dahinter einen Mann, zur Linken, der offenbar irgendwas mit der Presse zu tun hat, und einen anderen, zur Rechten, der von der Kunstkritik bislang immer als SPD-Vertreter interpretiert worden ist, sowie schließlich ein Mitglied des Reichsgerichts während der Weimarer Zeit (erkennbar an seinem Käppi), eine Person, die zumindest von manchen Deutern dieses Bildes als Pfarrer missverstanden worden ist. Dahinter sind schließlich noch Soldaten zu sehen, Reichswehr-Angehörige mit gezogenem Degen oder Säbel, und ein brennendes Haus. Deutlich ist:
Grosz hat mit diesem Bild – in personalisierender Weise – große gesellschaftliche Gruppierungen ins Bild gerückt, was deutlich zeigt: ohne diese Personalisierungen hätte er sein gesellschaftskritisches Bild gar nicht malen können: Universität, Medien, Sozialdemokratie, Gerichtsbarkeit und Militär.
Nun, wir können offen lassen, ob Grosz mit dem Titel seines Bildes auf das gleichbetitelte Theaterstück des norwegischen Autors Henrik Ibsen aus dem Jahre 1877 anspielt: ebenfalls ein Kunstwerk, das Gesellschaftskritik formuliert, indem es Personen auf die Bühne stellt! Woran man merkt: auch die Literatur, auch das Theater, kommt ohne Personalisierung – zumindest sehr oft – nicht aus. Allein in dieser Hinsicht steht also Bauers Bildband in einer langen und guten künstlerischen Tradition. Per Strafbefehl im Kunstbereich solche Personalisierungen verbieten zu wollen, wäre demnach identisch mit dem Versuch, ganze Realisierungsmöglichkeiten von kritischer Kunst potentiell unter Strafe zu stellen. Aber dieses Bild von George Grosz zeigt uns noch etwas anderes als nur das Hilfsmittel Personalisierung in den Bereichen der Kunst, es zeigt uns sogar eine damals, während der Weimarer Republik, höchstprominente Figur, eine Person, die tatsächlich damals gelebt hat und wahrlich – mit anderen zusammen – später, nach Fertigstellung dieses Gemäldes von Grosz, einmal sehr viel Unheil anrichten würde, was die Abschaffung der ersten Demokratie auf deutschem Boden betrifft. Diese Gemälde von Grosz zeigt uns, mit verblüffender Ähnlichkeit, beim Menschen mit den Zeitungen unter dem linken Arm, den damaligen erzreaktionären Presse-Zaren Alfred Hugenberg. Hier zunächst ein Foto von ihm:
Kurz zur Erläuterung, wieso George Grosz vermutlich diesen Medien-Mogul auf seinem Gemälde ‚verewigt‘ hat. Dieser Großunternehmer im Bereich von Zeitungs- und Filmgeschäft, Mitglied der DNVP, der „Deutschnationalen Volkspartei“, die (wie die NSDAP) antisemitisch, antidemokratisch und antikommunistisch ausgerichtet war, dieser Alfred Hugenberg agitierte wie kaum ein anderer neben Adolf Hitler mit allen seinen publizistischen Mitteln gegen diese ungeliebte Republik – und sorgte dann dafür (was Grosz noch nicht wissen konnte, als er dieses Bild schuf, im Jahre 1926, wie schon gesagt), als führender Mann innerhalb der DNVP, dass Hitler letztlich doch noch an die Macht zu gelangen vermochte und er selber, Alfred Hugenberg, unter dessen Kanzlerschaft auch noch Minister werden konnte. Aber damit zu unserem Thema zurück: zum Thema „Beleidigung“.
Dieser Hugenberg auf dem Bild von George Grosz trägt einen Nachttopf auf dem Kopf, er hat also seinen Schädel sozusagen in Fäkalien und Urin gesteckt, oder George Grosz gönnt diesem Herrn von der äußersten Rechten keine andere Kopfbedeckung als dieses häusliche Utensil zur Verrichtung meist nächtlicher Notdurft. Und der Berliner Künstler geht in diesem Bild ja noch weiter: den Sozialdemokraten hat er, offen sichtbar für jeden Betrachter, in dessen offenem Schädel mit einem Haufen dampfender Exkremente versehen. Wenn schon die Bildmontage von Rudolph Bauer den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen soll: wie wäre dann erst dieses Gemälde von George Grosz zu beurteilen gewesen? Oder anders gefragt: welche Sanktionen kamen da seinerzeit auf George Grosz zu? Nun, ganz konkret:
Hat Hugenberg gegen dieses Gemälde geklagt? Nein! – Hat irgendeine Staatsanwaltschaft das damals getan? – Nein! Ist jemals Goerge Grosz wegen dieses Bildes angeklagt und sogar verurteilt worden? – Wiederum: „Nein“! Und das in einer Zeit, da weite Teile der deutschen Justiz weit rechts standen, das zu einer Zeit, da viele Richter diese Republik aus tiefstem Herzen immer noch ablehnten und zig Willkür-Urteile fällten zugunsten der Rechtsextremisten und zulasten der Linken und Demokraten im eigenen Land. Nicht zuletzt deswegen eminent bemerkenswert, weil dieses Gemälde ungleich drastischer seine Gesellschaftskritik visualisiert hat als die – nicht nur vergleichsweise! – völlig harmlose Bildmontage von Rudolph Bauer das tut.
Doch um den Absturz der Stuttgarter Justiz in sozusagen vor-republikanische Zeiten darzustellen, sei an dieser Stelle auch noch ein weiteres Beispiel aus der Geschichte der politisch-engagierten Kunst in unserem Lande vor Augen geführt. Auch diese Grafik wird zeigen, dass der Versuch, auf dem Wege des Personalisierungs-Vorwurfs juristisch den Weg ebnen zu wollen zum Individualstraftatbestand der „Beleidigung“, völlig daneben ist. Auch hier zunächst die Illustration – ein Werk, das womöglich noch populärer geworden ist als das Gemälde von George Grosz:
Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen: auch dieses Werk hat Eingang gefunden in die deutsche Geschichte politisch-engagierter Kunst: es handelt sich um eine Fotomontage des Künstlers John Heartfield, entstanden im Jahre 1932 und ungeahndet geblieben wie das Meisterwerk von George Grosz. Was aber will ich mit diesem Bild belegen?
Nun, wenn man dem Denken der Stuttgarter Staatsanwaltschaft folgen wollte – diesem Irrweg, hinter der personalisierenden Darstellung politischer Verhältnisse und Geschehnisse persönliche „Beleidigung“ entdecken zu wollen –, dann müsste man in diese Arbeit des renommierten John Heartfield hineinprojizieren: hier wird die persönliche „Ehre“ eines Adolf Hitlers angegriffen, nämlich die höchstpersönliche Käuflichkeit und/oder Bestechlichkeit des „Führers“. Nach Auffassung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft also: der Straftatbestand der „Beleidigung“ wäre ohne jede Einschränkung erfüllt, vermutlich sogar auch die Straftatbestände der „üblen Nachrede“ oder „Verleumdung“. Aber selbstverständlich läge man auch bei diesem Beispiel – wie bei Rudolph Bauer – mit seinem Beleidigungsverdacht völlig daneben, und diese Einschätzung wäre vollkommen falsch. Selbstverständlich interessierten John Heartfield Adolf Hitlers höchstpersönliche Charakterdefizite nur sehr begrenzt und in dieser Grafik schon gar nicht: was er, der informierte Zeitgenosse Heartfield, mit dieser Grafik auf den Punkt bringen und darstellen wollte, das war etwas ganz anderes: das war die unleugbare Tatsache, dass die NSDAP – mit Hitler ganz oben – sich seit längerem kräftigster Finanzhilfen von Seiten der deutschen Großindustrie erfreuen durfte, vor allem der Rhein-Ruhr-Schwerindustrie. Und das war, zum zweiten, die Tatsache, dass es tatsächlich Hitler und seine allernächsten Spießgesellen waren, die überaus gerne diese Gelder entgegennahmen und die eigene Politik in Richtung dieser großkapitalistischen Interessen umzusteuern begannen. Was sich inzwischen sogar in der vormals eher konservativen Geschichtswissenschaft herumgesprochen hat. Heißt: auch ein Heartfield hat schon ungestraft tun dürfen, was nunmehr einem Rudolph Bauer, in unserer Demokratie, verboten werden soll. Wie lauteten meine Hauptbegriffe vorhin: Besorgnis, Warnung und Angst? – Nun, diese Motive und Wirkungen sprechen uns an aus Bauers Werk, diese Motive und Beunruhigungen sind es, die uns bangen lassen um Menschenrechte und Demokratie in unserem Staat. Der Strafbefehl aus Stuttgart zeigt auf furchtbare Weise, wie Recht der Bremer Künstler mit seinen Befürchtungen hat! Und wie berechtigt unser Bangen ist um diese Republik!
Vorsatz, fahrlässiges Handeln, Irrtum über Tatumstände
Kommen wir zu einer weiteren Merkwürdigkeit dieses Strafbefehls gegen den Bremer Künstler Rudolph Bauer:
Im bundesdeutschen Strafgesetzbuch ist unter § 15 ausdrücklich festgelegt, dass lediglich „vorsätzliches Handeln“ strafbar ist. Damit ist im konkreten Fall hier gemeint: Rudolph Bauer müsste – wenn tatsächlich eine strafbare Beleidigung vorliegen sollte – gewusst und gewollt haben, dass er mit seiner Bildmontage Karl Lauterbach beleidigen würde. Aber: nirgendwo gibt es einen Beleg für diese Behauptung. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft trägt auch nirgendwo ein Argument vor, das diesen Verdacht gegenüber dem angeblichen Straftäter aus Bremen nahelegen oder gar plausibel machen würde!
Zwar kann – in bestimmten Fällen – auch „fahrlässiges“ Handeln ausdrücklich unter Strafe gestellt sein, nicht nur – wie soeben definiert – das „vorsätzliche“ Handeln. Wer aber nach diesen Paragraphen im Strafgesetzbuch fahndet – mithin nach den Fahrlässigkeitstatbeständen –, der stößt auf die „Straftat“ der fahrlässigen Beleidigung nicht! Gemeint sind mit „fahrlässigen Straftatbeständen“ ganz andere, viel erheblichere Delikte: zum Beispiel Tötungsdelikte (§ 222 StGB), Körperverletzung (§ 229 StGB) oder auch Brandstiftung (§ 306 StGB). Und genauso lesen wir es auch im WIKIPEDIA-Artikel zum Thema „Vorsatz (Recht)“:
„Die Rechtsprechung definiert ihn [= den Vorsatz. HP] als Willen zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner Tatumstände.“
„Für den Vorsatz gilt […] das Simultanitätsprinzip. Das bedeutet, dass der Vorsatz bei Tatbegehung vorliegen muss…“
„Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Täter nicht vorsätzlich, sondern lediglich bewusst fahrlässig, wenn dieser ernsthaft eines tatbestandlichen Erfolgs vertraut.“
„Im Strafrecht ist der Vorsatz zwingendes Tatbestandsmerkmal (§ 15 StGB) der Verwirklichung einer Straftat.“
Vor allem für das letztere Zitat gilt: kann man es noch deutlicher sagen? Und auch dieses sei noch einmal aufs klarste gefragt: wo gibt es in der Begründung zu diesem Strafbefehl irgendeinen Hinweis – geschweige denn: einen Beweis –, dass Rudolph Bauer mit Vorsatz Karl Lauterbach beleidigen wollte und dieses ihm auch bewusst war?
Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung
Hier schließt sich gleich noch eine weitere Feststellung an: nirgendwo ist dem Schreiben der Staatsanwaltschaft aus Stuttgart zu entnehmen, dass diese Behörde auch zur Entlastung des Beschuldigten ermittelt hätte. Auch gibt es keinerlei faktischen Beleg, der für irgendeine entlastende Ermittlung zugunsten des Beschuldigten sprechen könnte. Zu dieser Tätigkeit wäre aber die Anklagebehörde eigentlich verpflichtet gewesen, und zwar gemäß § 16 „Strafprozessordnung“ (StPO). Dort heißt es unter Absatz 2:
„Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln […]“.
An dieser Stelle fragt sich selbst ein juristischer Laie: wie kann es zu einem Strafbefehl kommen, für den nicht mal dieser Grundsatz einer jeden Sachverhalts-Aufklärung beachtet worden ist? Kommen hier nicht schlimmste Zweifel auf, was die Unparteilichkeit dieser Behörde betrifft?
„Offizialdelikt“ oder „Antragsdelikt“? – Eine weitere Merkwürdigkeit bei diesem Strafbefehl
Auch das Folgende müssen Nichtjuristen – Normalsterbliche also, was Kenntnis oder Nichtkenntnis von Gesetzen betrifft – nicht wissen, es ist aber für diesen Strafbefehl ebenfalls von erheblicher Relevanz:
Bei der „Beleidigung“ – nochmal: § 185 StGB – handelt es sich “eigentlich” um ein „absolutes Antragsdelikt“. Das bedeutet, einer solchen Straftat wird „grundsätzlich nur auf Antrag des Geschädigten von der Strafverfolgungsbehörde nachgegangen“ (so der WIKIPEDIA-Artikel zum Stichwort „Antragsdelikt“). Das bedeutet konkret: nicht von sich aus hätte die Stuttgarter Behörde bei dieser vermeintlichen Beleidigung tätig werden dürfen, sondern erst aufgrund eines dementsprechenden Antrags von Karl Lauterbach, dem vermeintlich Geschädigten bei diesem Fall. Das hätte übrigens auch für Anzeigen des Politikers gegolten, die wegen anderer „Ehrdelikte“ eingereicht worden wären, wegen „übler Nachrede“ zum Beispiel (§ 186 StGB) oder wegen „Verleumdung“ (§ 187 StGB). Freilich, zur Einschränkung sei gesagt:
Eine Staatsanwaltschaft – wie in diesem Fall jene in Stuttgart – kann dennoch dieses „Antragsdelikt“ Beleidigung zur “eigenen Sache” machen, zu einem sogenannten „Offizialdelikt“ mithin, wenn die betreffende Behörde glaubt, dass eine Strafverfolgung bei einem solchen „Antragsdelikt“ auch von öffentlichem Interesse sei! Genau das scheint im vorliegenden Fall gegeben zu sein. Die Stuttgarter Staatsanwältin sah sich aufgerufen, zugunsten des Politikers Karl Lauterbach einschreiten zu müssen, auch ohne irgendeinen Antrag desselben. Wobei man als durchaus bedenklich empfinden kann, dass eine solche Heraufstufung zum „Offizialdelikt “rechtlich nicht angegriffen zu werden vermag. Meiner Ansicht nach allzu viel Kompetenz für eine Staatsanwaltschaft! Aber selbst wenn man im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung bejaht – das Heraufstufen des „Antragdeliktes“ Beleidigung“ also zu einem „Offizialdelikt“ –, wie verträgt sich dann diese Tatsache damit, dass einerseits der böse Künstler aus Bremen bestraft werden soll – mit immerhin 3.000,- Euro plus X (= Verfahrenskosten und so weiter) –, aber andererseits eben dieser „Strafbefehl“ überhaupt nicht zum Ziel hat, die angebliche Beleidigung selber aus der Welt zu schaffen!? Was ich damit konkret meine? – Nun, Folgendes:
Weder der Künstler Rudolph Bauer noch sein Verlag sind aufgefordert worden, den Vertrieb des Buches einzustellen, in dem diese – angeblich beleidigende – Bildmontage enthalten ist, oder zumindest die betreffende Seite zu schwärzen in diesem Buch. Um es mal flapsig auszudrücken: einerseits wird hier ein Antragsdelikt hochgejazzt zu einem Offizialdelikt, bei dem es auch um die Wahrung und Wiederherstellung des öffentlichen Interesses geht, und zum anderen wird ebendieselbe – angebliche – Straftat herunter gedimmt zu einem Vorfall, bei dem “großzügig” auf Beseitigung des Unrechtstatbestandes selber verzichtet werden kann. Die „Beleidigung“ darf weiter unters Volk gebracht werden. Fast schon ernsthaft gefragt: macht sich mit dieser pflichtwidrigen Unterlassung, kein Ende des Buchvertriebs gefordert zu haben oder wenigstens Schwärzung der betreffenden Seite im Buch, die Stuttgarter Anklagebehörde nicht sogar selber schuldig, eine Straftat begangen zu haben oder an dieser nunmehr beteiligt zu sein? – Den Straftatbestand der „Unterlassung“ kennt unser Strafgesetzbuch ja durchaus – er findet sich unter anderem in § 13 StGB –, und unser Strafgesetzbuch sieht zusätzlich die Ahndung der Tatsache vor, vom Begehen einer Straftat gewusst, aber nicht für ein Ende dieses Verbrechens gesorgt zu haben. Das kann unter anderem in § 257 StGB nachgelesen werden, im Paragraphen zur „Begünstigung“. Was steckt also hinter diesen Widersprüchen?
Selbstverständlich kann ich hier keine Antwort geben. Nicht einmal eine Mutmaßung äußern möchte ich hier. Lediglich eines ist hier meines Erachtens erforderlich: eine nicht auszuschließende Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Also: kann es sein, dass die Stuttgarter Behörde deshalb nur Geldstrafe gefordert hat, aber nicht Schwärzung der Buchseite oder Einstellen des Buchvertriebs, weil sie dadurch dem Arbeitsaufwand aus dem Wege gehen wollte, der bei einem regulären Gerichtsprozess entsteht? Bei einem Strafbefehl, der über das Verhängen einer Geldstrafe hinausgeht und Forderungen enthält wie zum Beispiel das Einstellen eines Buchvertriebs, dürfte ein normaler Gerichtsprozess unvermeidbar sein, mehr noch, ein solcher Strafbefehl wäre gar nicht möglich – weil: nicht rechtens – gewesen! An den Haaren herbeigezogen, diese Erwägung?
Nun, erneut kann ich an dieser Stelle WIKIPEDIA zitieren. In einem Artikel dieser Internet-Enzyklopädie zum Thema „Strafbefehlsverfahren (Deutschland)“ heißt es, unter dem Punkt „Kritik“:
„Es ist für einen Richter zeitlich vorteilhafter, einen Strafbefehl zu unterschreiben, als eine Hauptverhandlung durchzuführen.“
Immerhin stammt dieser Satz von einer Person, die das wissen muss: von der Amtsrichterin Lena Dammann, tätig im Hamburger Stadtteil Sankt Georg.
Die Frage stellt sich also verschärfter nun: wieso gab und gibt es bislang nur diesen „Strafbefehl“, wieso nicht Ankündigung eines ordentlichen Gerichtsverfahrens in dieser Angelegenheit? Das bei einer Sache, wo einfach mal so das Grundrecht auf freie Ausübung der Kunst ausgehebelt worden ist beziehungsweise ausgehebelt werden soll? War möglicherweise einziges Ziel dieses Strafbefehls, dem Künstler Rudolph Bauer nur Angst einjagen zu wollen, auf dass er sich zukünftig zurückhalten möge bei der Herstellung gesellschaftskritischer Kunst?
Wieso nur Strafbefehl? – Was tun?
Dass dem Bremer Künstler Rudolph Bauer “einfach” nur per Strafbefehl die angebliche Strafbarkeit seiner Bildmontage verdeutlicht werden soll, darf man wirklich merkwürdig finden.
- Dass hier überhaupt kein Straftatbestand der „Beleidigung“ vorliegt: ich hoffe, ich habe das darlegen können.
- Dass die Bildmontage Rudolph Bauers keinesfalls die Privatperson Karl Lauterbach beleidigt hat: ich hoffe, dieses ist deutlich geworden.
- Dass im Gegenteil Engagement für Rechtsstaat und Demokratie Grundlage und Grundmotiv der Bildmontage von Rudolph Bauer ist: ich denke, auch diesen Nachweis habe ich geführt.
- Dass darüber hinaus und eigentlich Sorge, Angst und Warnung das deutlich erkennbare Motiv wie auch Botschaft dieser Bildmontage sind: nicht zuletzt das dürfte plausibel geworden sein bei meiner Auseinandersetzung mit diesem Fall. Und ich füge hinzu: es ist Aufgabe der Stuttgarter Staatsanwalt, eventuell Gegenbeweis anzutreten zu den Aussagen hier, und selbstverständlich bei einem ganz regulären Strafverfahren in dieser Angelegenheit. Sie, die Staatsanwaltschaft, steht in der Beweislast, nicht der Beschuldigte aus der norddeutschen Hansestadt. Auch für Herrn Prof. Dr. Rudolph Bauer gilt die „Unschuldsvermutung“ (in Deutschland gemäß Artikel 20, Absatz 3 sowie Artikel 28, Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz)!
- Dass mit diesem Strafbefehl direkt wie indirekt die Wahrnehmung eines Grundrechts – des Artikel 5 Grundgesetz – geahndet werden soll: wo fände sich bei diesem Vorgang irgendwo der Gegenbeweis?
- Dass in der Einschätzung der Wichtigkeit bei diesem angeblichen Straftatbestand ein Widerspruch zutage tritt zwischen Hochstufen dieses – vermeintlichen – Antragsdelikts zu einem Offizialdelikt einerseits und Herabstufen zu einem Fall lediglich für einen Strafbefehl: auch das liegt offen zutage.
- Dass ebenso widersprüchlich ist, dass hier bestraft werden soll, aber das ‚Corpus delicti‘ – die fragliche Bildmontage – weiterhin vertrieben werden darf: wie könnte man das übersehen?
- Dass – Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3, Absatz 1 Grundgesetz – lediglich Rudolph Bauer einen Strafbefehl erhielt, sein Verlag aber nicht: wie erklärt sich dieses „unschlüssige“ Verhalten der Stuttgarter Staatsanwaltschaft („unschlüssig“ hier verstanden im juristischen Sinne)?
Immerhin: Strafbefehle werden in Deutschland nur ausgestellt, wenn es sich um „leichte Kriminalität“ handeln soll. Da hat der Bremer Künstler also noch einmal Glück gehabt. Ebenso klar ist, dass diese Besonderheit im deutschen Strafrecht die Behörden (gleich welcher Art: Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei) entlasten soll. Aber ein solches Selbstentlastungsbedürfnis darf nicht dazu führen, dass Grundrechte außer Kraft gesetzt werden – hier die Kunstfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz. Deswegen zum Abschluss noch einige Informationen dazu, wie es in dieser Rechtssache weitergehen kann und höchstwahrscheinlich weitergeht.
Zunächst: dem Bremer Künstler Rudolph Bauer stand es frei, gegen diesen Strafbefehl Einspruch einzulegen. Das hat Bauer inzwischen auch getan. Als hochproblematisch empfand ich allerdings, dass dem Beschuldigten für diesen Einspruch nur 14 Tage zur Verfügung standen. Was wäre gewesen, wenn Rudolph Bauer verreist gewesen wäre oder auch krank – und womöglich Schwierigkeiten gehabt hätte, dieses nachzuweisen? Der Strafbefehl wäre dann in Kraft getreten, womöglich irreversibel sogar. Der einzige Vorteil bei diesem Einspruch war: er musste vom Beschuldigten nicht begründet werden.
Nun steht dem Stuttgarter Amtsgericht frei, dem Einspruch stattzugeben oder auch nicht. Denkbar also durchaus, dass diese Strafsache irgendwann demnächst ohne weitere Folgen eingestellt wird. Den Ärger, den Rudolph Bauer gleichwohl und auf jeden Fall mit dieser Sache gehabt hat, wird das Gericht allerdings nicht aus der Welt schaffen können.
Wird hingegen der Einspruch des Beschuldigten verworfen, steht dem Bremer Künstler das Rechtsmittel der „sofortigen Beschwerde“ zu. Darüber entscheidet dann nicht mehr das bis dato zuständige Amtsgericht, sondern das Stuttgarter Landgericht. Die Folge daraus:
Wenn – was durchaus nicht auszuschließen ist – die Beschwerde des beschuldigten Künstlers nicht von vorneherein als unzulässig abzuweisen ist, wird es zu einer sogenannten „Hauptverhandlung“ kommen (es sei denn: die Staatsanwaltschaft nimmt ihren Antrag auf Erlass des Strafbefehls zurück). Für diese Hauptverhandlung ist Rudolph Bauer selbstverständlich berechtigt, auch einen Anwalt zu seiner Verteidigung heranzuziehen (es besteht in diesem Falle sogar Anwaltszwang). Einen solchen – hochkompetenten! – Strafverteidiger hat der Bremer Künstler Bauer auch bereits gefunden! Und ich bin sicher – soweit man bei Rechtssachen jemals sicher sein kann! –, dass Rudolph Bauer diesen Prozess auch gewinnen wird! Wenn es für den Betroffenen, für den Künstler, nicht so beschwerlich wäre, nicht so zeit- und nervenaufreibend, diesen Prozess führen zu müssen, würde ich sogar sagen: für uns andere (potentiell Betroffene?) und für den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland könnte dieser Prozess sogar von großem Nutzen sein – nämlich unter Beweis stellen, dass selbst eine Staatsanwaltschaft nicht das Wahrnehmen eines Grundrechtes – hier der Kunstfreiheit – außer Kraft setzen oder beeinträchtigen kann.
Das Wahren und Schützen der Grundrechte stellt wahrlich keine Bagatelle dar – wie der Weg eines bloßen Strafbefehls ohne Gerichtsverhandlung vermuten lassen könnte. Das Wahren und Schützen der Grundrechte ist auch höher zu bewerten als das eventuelle, das höchst subjektive Gefühl eines Politikers, beleidigt worden zu sein, oder die entsprechende Einschätzung durch eine Staatsanwaltschaft. Was die letztere betrifft: es kommt nicht darauf an, woran – so wörtlich im Schriftsatz zum Strafbefehl – die Bildmontage Bauers eine Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft in Stuttgart „erinnert“ hat. Es kommt darauf an, was auf dieser Bildmontage zu sehen ist, kurz also: objektiv nachweisbar. Dasselbe gilt für die Frage des „Vorsatzes“: entweder wird da was nachgewiesen oder nicht. Auch ein Rudolph Bauer aus Bremen muss, mindestens das, auf das „In dubio pro reo“ setzen dürfen, auf den Rechtsgrundsatz, dass im Zweifel für den Angeklagten entschieden wird, nicht gegen ihn, auf eine Maxime unseres Rechtsstaates mithin, die sogar in unserem Grundgesetz abgesichert worden ist, in Artikel 161. Kurz also: das Wahrnehmen der Grundrechte darf nicht in Abhängigkeit geraten von den womöglich höchst subjektiven Eindrücken, die irgendeine Staatsanwaltschaft zu Papier gebracht hat – und auch nicht von der Willkür eines Politikers, der darüber entscheiden darf, ob er als Mensch beleidigt worden ist oder nicht. Die Kunstfreiheit nach Artikel 5 unserer Verfassung jedenfalls kennt keinerlei Einschränkung (anders als zum Beispiel die Äußerungsfreiheit oder sogar die Freiheit der Lehre!). Wer gegen diese Freiheit in den Bereichen der Kunst mit einem Strafbefehl angehen möchte, der geht nach meinem Verständnis sogar gegen unsere Verfassung selber vor, der macht sogar schon unser Grundgesetz, in Teilen jedenfalls, zu einem potentiellen Straftatbestand.
Weshalb ich abschließend auch noch das Folgende mitteilen möchte:
Es ist durchaus möglich, dass im vorliegenden Fall sogar Klage erhoben werden könnte gegen die Stuttgarter Staatsanwaltschaft mitsamt des zuständigen Gerichts: wegen Amtsmissbrauchs nämlich! Ich bin sicher, dass Rudolph Bauers Anwalt auch dieses prüfen wird, die Frage nämlich, ob nicht wegen „Rechtsbeugung“ (§ 339 StGB) oder „Verfolgung Unschuldiger“ (§ 344 StGB) das Verhalten der Stuttgarter Behörden überprüft werden muss. Und gegebenenfalls kommt auch Absatz 4, Punkt 2 des Nötigungsparagraphen 240 StGB in Betracht.
In politischer und in historischer Hinsicht jedenfalls scheint mir – jetzt schon – das Folgende Fakt zu sein, und nicht nur im Blick auf den „Fall Bauer“:
Schon seit längerem existiert der Bedarf, das Grundgesetz vor manchen seiner Verteidiger verteidigen zu müssen. Seit längerem schon handelt es sich bei dem Grundgesetz um einen Text, der sozusagen links vom allgemeinen Bewusstsein angesiedelt ist. Allen Ernstes meine ich jedenfalls: die Freiheit der Kunst in Artikel 5, Absatz 3, GG, würde heute mit Sicherheit nicht mehr so einschränkungslos beschlossen werden wie im Jahre 1949, am 23. Mai. Auch das Asylrecht in Artikel 16 Grundgesetz sähe bei „freiem“ Neubeschluss heute viel restriktiver aus. Und von den Artikeln 14 (= Gemeinwohlverpflichtung von Eigentum) und 15 (Produktionsmittel und anderes dürfen vergesellschaftet werden) befürchte ich sogar, dass sie überhaupt nicht mehr auftauchen würden in einem neuen Grundgesetz.
Sei es, wie es sei: die Kunstfreiheit existiert, auch wenn sie in einem Staatsanwalts-Schreiben nicht existiert. Oder anders herum ausgedrückt: selbst wenn zwei Stuttgarter Behörden der Rechtspflege – eine Staatsanwaltschaft und ein Amtsgericht – glauben, am Grundgesetz vorbei einen Strafbefehl verschicken zu können: Artikel 5, Absatz 3, die Kunstfreiheit ist in Deutschland nach wie vor Rechtsrealität! Hoffen wir, dass es auch so bleibt!
Rudolph Bauer: Charakter-Masken. Bildmontagen. Edition Kunst #2. pad-Verlag. Bergkamen, 80 Seiten, 9,- €
So lets get it on ! – eine Strafanzeige gegen verantwortliche Staatsanwältler würde mich sehr freuen und wäre sehr spannend, auch an diesem ” Fall ” bricht, steht oder fällt unser Grundgesetz.