Subjektiv? Objektiv? Politisch aktiv!

 In Politik (Inland), Spiritualität

Meist steht die “Objektivität” in unserer Kultur in höherem Ansehen. Ähnlich wie Rationalität. “Subjektiv” sind nur unklare und somit scheinbar geringerwertige Phänomene wie Meinung, Glaube und Gefühl. Aber gibt es Objektivität in Reinform? Und wohin hat uns der Kult wissenschaftlicher Rationalität geführt? Wolf Schneider spannt in seinem Tagebucheintrag einen weiten thematischen Bogen: Warum ist Selbstherrlichkeit etwas Gutes? Ist ein glückliches Leben auch ohne mythologisch aufgeladene “Nationalidentität” möglich? Und warum muss die Mainstreampresse Begeisterung und Religiosität fast immer lächerlich machen? Wolf Schneider, www.connection.de

Subjektivität ist parteiisch, einseitig und voreingenommen. Objektivität ist realistisch. Wir Menschen sollten versuchen objektiv zu sein. Richtig? Was aber, wenn doch immer von Subjekten entschieden wird, was als objektiv gelten soll, und Objekt und Subjekt letztlich nicht scharf voneinander trennbar sind?

Subjekt und Objekt in einem einzigen Wirklichkeitsraum sind schon in der Ökologie von Rilkes Weltinnnenraum (»Die Vögel fliegen still durch uns hindurch … und in mir wächst der Baum«) nicht trennbar; die quantenphysikalische Verschränkung von Subjekt und Objekt im Nanobereich braucht dafür noch nicht einmal herangezogen zu werden.

Ein gewisses, bescheidenes Maß an Größenwahn (»Ich bin die Mitte der Welt«) halte ich deshalb für gesund und Selbstherrlichkeit für etwas Gutes. Sogar an der Zeitkrankheit Narzissmus finde ich in der Variante von in sich selbst Verliebten, die dadurch fähig werden auch andere zu lieben, vieles gut. Die Redeweise »ich für mich sehe das so« hingegen isoliert uns, denn sie legt nahe, dass wir immer nur unsere je eigene Welt erleben, als einsame Monaden in einem Universum von lauter anderen einsamen Monaden. Ein paar weitere Gedanken hierzu habe ich dieser Tage in meinen Blogeinträgen über das Ego und Selbstliebe, Liebe, Mystik untergebracht und freue mich über Kommentare.

Hat eine solche Selbsterforschung und Hinwendung zur Liebe auch Auswirkungen auf Politik & Wirtschaft und kann vielleicht sogar das baldige Aussterben des Homo sapiens doch noch verhindern? Ich denke ja, obwohl auch ich hierzu kaum trifftige Argumente einbringen kann, eher nur eine unstillbare Hoffnung. Es gibt noch ein letztes Fünkchen Hoffnung, meint der Wissenschaftsphilosoph Alexander Mäder in seinem Kommentar auf spektrum.de zu der Frage, ob der baldige Ökozid unvermeidlich ist.

Politik als Comedy-Show

In der Ukraine wird nun in der Stichwahl am 21. April wohl ein Komiker Präsident, der 42-jährige Volodymyr Zelensky. Hoffentlich hat er dann als »echter Politiker« so viel Erfolg wie damals der Komiker Jón Gnarr, der sich 2010 aus Spaß als Kandidat zur Bürgermeisterwahl von Reykjavik, der Hauptstadt von Island, stellte, tatsächlich gewählt wurde und dann der in der Politik seltene Fall eintrat, dass er nach seiner Amtszeit beliebter war als zu Beginn.

Realpolitik und die TV-Comedy-Shows sind einander irgendwie ähnlich, immer mehr Menschen empfinden das so. Entsprechend sind die Late-Night-Shows in den USA für viele Amerikaner zur favorisierten täglichen Nachrichtenquelle geworden, die sogenannten seriösen Nachrichten finden sie vergleichsweise komisch.

Beischlaf mit einem Mythos

Und wie sieht es in der deutschen Politik aus? Jens Balzer analysiert in der ZEIT das Verhältnis des Deutschen Manns zu seinem Land als unterdrückte Sexualität und einen lauten Schrei nach Liebe. Als Beleg führt er das neue Rammstein-Video »Deutschland« an, das in seiner krassen Gewaltästhetik mit am Anfang April 2019 mehr als 20 Millionen Aufrufen viel Aufsehen erregt hat.

»Man könnte ja eben auch zu der Erkenntnis gelangen«, schreibt Balzer, »dass ein glückliches und erfülltes Leben möglich ist ohne die unentwegte Spiegelung des Ichs in einer mythologisch aufgepimpten Nationalidentität.« Psychopolitisch trifft er damit ins Schwarze. Es muss ja nicht ein Land sein, dass man liebt, da gibt es doch noch andere Möglichkeiten. Die echte Sexualität mit einer Frau zum Beispiel würde ich dem Beischlaf mit einem Mythos vorziehen, der die eigene Liebe noch nicht einmal erwidert.

Viele spirituell bewegte Menschen halten Identifizierung für DAS Grundübel schlechthin. Das aktuelle Video von Rammstein beurteilt die Identifizierung, auch die mit Idealen, nicht als etwas grundsätzlich Schlechtes. Warum auch, uns Menschen ist die Lust am sich Identifizieren doch zutiefst eigen: mit Partnern, Freunden, Ideen und Idolen, Sportvereinen, Parteien oder auch einem Land oder Volk. Rammstein inszeniert insbesondere das Männlich-Heroische an dieser Lust als Farce.

Die Klimawende tanzend herbeiführen

Meist haben Revolutionen mehr zerstört als aufgebaut. Kann man die höchst notwendige Revolution im Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen auch tanzend herbeiführen? So wie die Frauen der phänomenalen Aktion »One Billion Rising« es versucht haben, mit immerhin millionenfachen Erfolg. In dieser Doku singen Kinder und Erwachense an den von Greta Thunberg initiierten Fridays for Future Streiktagen und fordern dabei fröhlich die Klimawende. Entwaffnend schön zu sehen und süß anzuhören. Auf dem Deck der Titanic hat die Kapelle auch einfach weitergespielt, es war eh nichts mehr zu machen.

Hämisch wie immer: spiegel.de über Greta Thunberg

Was Religiosität, Hingabe, Fan-Aktivismus und ‚Herzensaktivismus‘ anbelangt, ist der Tenor der SPIEGEL-Berichte schon immer hämisch gewesen. So auch hier. Für ein Nachrichtenmagazin, das sich auf seine Unvoreingenommenheit etwas einbildet, ziemlich unsachlich, finde ich. Als Journalist darf man in einem Kommentar Partei ergreifen, ein Bericht jedoch sollte sich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen. Warum können diese Journalisten nicht einfach kühl konstatieren, dass hier hoch engagierte Menschen sich begeistern, anstatt sie durch den Tonfall lächerlich zu machen und dabei den eigen Bias (»Ach, sind die doof«) unters Volk zu bringen?

Religiosität kann in die Irre führen, das darf und muss gesagt werden. Auch im SPIEGEL, wo es schon zig tausend Mal gesagt und mit Häme illustriert wurde. Es kann aber auch Profanität in die Irre führen, siehe den aktuellen Neoliberalismus, der sich für realistisch hält und mit diesem Realismus auf den Ökozid zusteuert.

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