Tag der offenen Tür im Flüchtlingslager

 In Ellen Diederich, Politik (Inland)

Tanzen verbindet. Foto: Andrea-Cora Walther

Ellen Diederich berichtet von Aktionen, die die Integration von Flüchtlingen in ihrer Heimatstadt Oberhausen erleichtern und die Bevölkerung informieren sollten. Höhepunkt war ein vielbeachtetes Event im Flüchtlingslager Weierstraße am 21. März 2015. Während für Flüchtlinge sonst verschlossene Türen Alltag sind, war hier für Betroffene wie für die einheimische Bevölkerung nun endlich Öffnung angesagt. (Ellen Diederich)

Im Sommer letzten Jahres machte ein Floß mit Flüchtlingen, das über Flüsse und Kanäle von Nürnberg nach Berlin wochenlang unterwegs war, um über die Lage der Flüchtlinge in Deutschland zu informieren, auch in Oberhausen Station. Damals lernten wir uns kennen: Roma Familien aus der Weierstraße und wir, einige engagierte Menschen aus Oberhausen, die mit daran arbeiten wollen, die Lage der Flüchtlinge und das politische Klima ihnen gegenüber zu verbessern. In der Weierstraße leben an die 300 Flüchtlinge aus vielen Ländern. Gleich, welcher Nationalität sie sind, für uns gehören alle einer Nationalität an: der der Menschen!

Schnell mussten wir feststellen, dass in den offiziellen Gruppen, Runden Tischen und in der Stadtverwaltung eigentlich immer über die Flüchtlinge geredet wurde, kaum einmal mit ihnen. Das konnten wir nicht verstehen. Für uns waren und sind die Flüchtlinge die Fachleute. Sie haben die Bedingungen der Flucht erlebt und erlitten, leben häufig unter unwürdigen Bedingungen in den verschiedenen Unterkünften.

Wir haben bewusst den 21. März gewählt, es ist der internationale Tag gegen Rassismus, Frühlingsanfang und der des kurdischen Neujahrsfestes Newroz.

Was ist das Gelände an der Weierstraße? In Oberhausen wie im ganzen Ruhrgebiet ist die Schwerindustrie nahezu vollständig abgebaut. Viele tausend Arbeitsplätze wurden vernichtet. Der Norden Oberhausens, in dem die Weierstraße liegt, ist weitgehend ehemaliges Industriegelände. Das so genannte Haus A, das man als erstes sieht, wenn man das Gelände betritt, war früher das Verwaltungsgebäude einer Firma. Heute ist es erschreckend herunter gekommen. Dort leben an die 200 Flüchtlinge, allein stehende Männer aus verschiedenen Teilen der Erde. Bis zu 7 leben in einem 20 qm großen Raum. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, können sich sprachlich oft nicht verständigen.

Im Herbst hatte die Stadt beschlossen, das Haus abreißen zu lassen. Die Pläne bestehen offensichtlich nicht mehr, da jetzt eine Malerfirma angefangen hat, oberflächliche Malerarbeiten im Haus vorzunehmen.

Der andere Teil des Geländes in der Weierstraße besteht aus zum Teil über 20 Jahre alten Containern. Eigentlich sollten diese Übergangswohnungen sein. Doch die Bewohner, in erster Linie Roma-Familien aus Osteuropa, leben bis zu 3 Jahren in diesen Containern, die in einem desolaten Zustand sind. Zwischen 3 und 8 BewohnerInnen leben auf 22 qm. In einem Raum wird gelebt, gekocht, geschlafen, werden Schularbeiten gemacht, spielen die Kinder. Eine kleine Nasszelle ist angebaut. Die Containerunterkünfte sind zum großen Teil marode, es ist feucht, Schimmelpilze sprießen, die Abflüsse sind oft verstopft, es gibt Ratten. Nach unserer Intervention hat die Stadt damit begonnen, Reparaturarbeiten in Auftrag zu geben.

Viele BewohnerInnen würden gerne mithelfen, alles in Ordnung zu bringen. Die Reparaturarbeiten müssen nicht tausende von Euro kosten. Hilfe zur Selbsthilfe wäre gefragt. Das Schlimmste in der Situation ist das Herumsitzen und dazu verdammt zu sein, nichts tun zu können. Viele der BewohnerInnen haben handwerkliche Berufe. Sie sind in der Lage, selber zu streichen, Wasser- und Elektroarbeiten zu machen, es gibt auch Gärtner unter ihnen. Einige hatten in ihren Heimatländern Gärten. Eine Idee ist, in der Weierstraße auf dem Gelände einen Interkulturellen Garten zu eröffnen. Einer, in dem, wie im Prinzessinnengarten in Berlin und in Bonn auf dem Gelände der ehemaligen Ermekeil Kaserne, in Kisten gegärtnert wird. Direkt auf dem Boden wäre wahrscheinlich zu teuer, der Boden ist, wie überall im Ruhrgebiet, belastet. Es müsste ein Bodenaustausch von ca. 30 cm gemacht werden. Die Kistengärten sind eine großartige Alternative.

Was ist sonst zu tun? Die Menschen erfahren das Problem der Sprachschwierigkeiten bei Arztbesuchen, wenn Schreiben von den Ämtern kommen und wie sie die Kinder in der Schule haben. Sie müssen sich einer fremden Kultur anpassen. Vorurteile bei deutschen Nachbarn sind zuhauf vorhanden.

Seit dem Spätsommer haben wir uns häufig in der Weierstraße mit BewohnerInnen getroffen. Als erstes haben wir: zugehört, stundenlang. Um herauszufinden: Welches sind die Bedürfnisse? Was möchten die Menschen selber, was sind sie bereit zu tun und wie können wir kooperieren? Was können wir voneinander lernen? Infoblätter in verschiedenen Sprachen werden gebraucht. Gut vorstellbar ist, dass das zuständige Sozialamt zweimal in der Woche in der Weierstraße ein Büro betreibt, wo die BewohnerInnen mit Übersetzungsmöglichkeit wirklich gute Beratung bekommen.

Wie kann man das Gelände der Weierstraße so gestalten, dass es ein freundlicherer Ort wird als der, der es jetzt ist? Zum Beispiel leben dort viele Kinder. Es gibt aber keinen Kinderspielplatz. Der Überschuss vom Essensverkauf vom 21.3. wird den Grundstock zum Bau eines Spielplatzes bilden. Den Flüchtlingen ist es wichtig, zu zeigen: Sie wollen nicht nur nehmen, sondern auch geben. Am Samstag haben die Kinder uns schöne Überraschungen bereitet. Im strömenden Regen haben sie mit Hingabe getanzt. Sie haben sich am Spielmobil gefreut und alles ausgiebig genutzt. Die Jugendlichen haben großartig mit selbst verfassten Texten gerappt. Das Oberhausener Theater unterstützt die Jugendlichen, integriert sie in die Theaterarbeit.

Der einzige Wermutstropfen am Samstag war: Das Wetter. Es goss zeitweise in Strömen und war empfindlich kalt. Trotzdem sind über hundert BesucherInnen gekommen, es gab viele gute Gespräche und wir sind näher gerückt. Viele BesucherInnen brachten Geschenke und Spenden mit. Seit Dezember ein kleiner Spendenaufruf, den Gaby Tonn verfasst hat, in der Zeitung war, haben weit über 120 Menschen Kleidung, Haushaltsgeräte, Möbel, Spielzeug u.a. gespendet. Jetzt suchen wir einen kostenlosen Lagerraum möglichst in der Nähe, wo die Sachen gelagert und von da aus weiter verteilt werden können.

Am Tag der offenen Tür hörten wir immer wieder von deutschen BesucherInnen: Wir sind oft hier vorbei gegangen, haben uns nie herein getraut. Darum haben die BewohnerInnen jetzt ihre Türen geöffnet, die OberhausenerInnen eingeladen, viele gute Gespräche wurden geführt. Sie sind ein Stück weit aus der Anonymität „Flüchtlinge und Zahlen“ herausgekommen. Die BewohnerInnen haben Speisen aus ihrem Land gekocht, Lieder gespielt, Tänze getanzt. Es wurde ein internationales Kulturfest. Wir wurden über die Kulturen informiert, z.B. über die Geschichte der Roma. Ezerdzan Idrici hat begonnen, eine Ausstellung hierüber zu erarbeiten. Hier erfuhren wir, dass es eine Reihe internationaler KünstlerInnen gibt, die Roma Wurzeln haben wie Yul Brunner, Charlie Chaplin, Django und Schnuckenack Reinhardt, Marianne Rosenberg, James Dean.

Der Tag der offenen Tür war ein Anfang. Wir dokumentieren alles, danken Andrea Cora-Walter für ihre Protokollierung und Fotografie, Wir werden weiter machen. Veranstaltungen, wo die Flüchtlinge von sich erzählen, uns an ihrem Leben, ihrer Kultur teilhaben lassen.

Wir danken für die Unterstützung von Kirchengemeinden, die uns Tische und Bänke geliehen haben, dem Medienzentrum der Stadt für die Anlage, dem Spielmobil und den vielen ehrenamtlichen HelferInnen. Wir danken Konstantin Wecker für seine Solidaritätserklärung und das großartige Lied:

„Liebe Freunde! Ich bin von Herzen gerne solidarisch mit Euch und wünsche Euch für den Tag der offenen Tür am 21.3.2015 im Flüchtlingslager Weierstraße, Oberhausen alles Gute. Mein ganzes Musikerleben lang habe ich mit Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen zusammengearbeitet. Die Begegnungen und musikalischen Erfahrungen gehören zum Wertvollsten, woran ich mich erinnern kann. Ich möchte Euch einen der Liedertexte meiner neuen CD mitgeben, der eigentlich alles sagt, was ich sagen möchte:

Der Traum von den offenen Grenzen

Ich hab einen Traum, wir öffnen die Grenzen
und lassen alle herein,
alle die fliehen vor Hunger und Mord,
und wir lassen keinen allein.

Wir nehmen sie auf in unserem Haus
und sie essen von unserem Brot,
und wir singen und sie erzählen von sich
und wir teilen gemeinsam die Not

und den Wein und das wenige was wir haben,
denn die Armen teilen gern,
und die Reichen sehen traurig zu –
denn zu geben ist ihnen meist fern

Ja wir teilen, und geben vom Überfluss
es geht uns doch viel zu gut,
und was wir bekommen, ist tausendmal mehr:
und es macht uns unendlich Mut.

Ihre Kinder werden unsere sein,
keine Hautfarbe und kein Zaun,
keine menschenverachtende Ideologie
trennt uns von diesem Traum.

Vielleicht wird es eng. Wir rücken zusammen,
versenken die Waffen im Meer,
wir reden und singen und tanzen und lachen,
und das Herz ist uns nicht mehr schwer.

Denn wir haben es doch immer geahnt
und wollten es nur nicht wissen:
was wir im Überfluss haben, das müssen
andere schmerzlich vermissen.

Ja wir teilen, und geben vom Überfluss,
es geht uns doch viel zu gut.
Und was wir bekommen ist tausendmal mehr
und es macht uns unendlich Mut

Und die Mörderbanden aller Armeen,
gottgesandt oder Nationalisten,
erwärmen sich an unsren Ideen
und ahnen, was sie vermissten.

Ja ich weiß, es ist eine kühne Idee
und viele werden jetzt hetzen:
ist ja ganz nett, doch viel zu naiv,
und letztlich nicht umzusetzen.

Doch ich bleibe dabei, denn wird ein Traum
geträumt von unzähligen Wesen,
dann wird an seiner zärtlichen Kraft
das Weltbild neu genesen.

Ja, ich hab einen Traum von einer Welt
und ich träume ihn nicht mehr still:
es ist eine grenzenlose Welt
in der ich leben will.

Euer Konstantin Wecker

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