Tod und Verklärung des Heiligen Michael

 In FEATURED, Kultur, Roland Rottenfußer, Spiritualität

Um den verstorbenen „Pop-Märchenkönig“ Michael Jackson bildet sich ein Kult, der weit über den üblichen Star-Rummel hinausgeht. Vieles deutet darauf hin, dass sich der Künstler selbst als spiritueller Meister und Welt-Prophet verstand. Befinden wir uns in der Gründungsphase einer neuen Religion?  Anmerkung: In diesem Artikel, der kurz nach dem Tod von Michael Jackson entstand, habe ich die Frage, ob die Missbrauchsvorwürfe gegen den Popstar zutreffen, nicht zu entscheiden versucht. Ich tue dies auch heute nicht. Vielmehr geht es um die teilweise künstlich erzeugte und kommerziell motivierte Kreation eines modernen Mythos. Roland Rottenfußer

„Der beste Beweis dafür, dass es Religion nicht gibt, ist es, eine zu gründen.“ Ein rätselhafter Satz aus Peter Sloterdijks  Buch „Du musst dein Leben ändern“. Gemeint ist wahrscheinlich folgendes: Wer selbst an der Entstehung eines neuen Kults beteiligt ist, verliert viel von der Ehrfurcht, die man älteren, durch die historische Ferne verklärten Religionen allgemein entgegen bringt. Er kann all die Übertreibungen, die Geschichtsfälschungen und Mythenbildungen hautnah beobachten. Wenn ein neuer Kult im Entstehen ist, lohnt es sich also, genauer hinzuschauen. Man kann dabei viel lernen – auch über traditionelle Religionen.

Derzeit können wir vielleicht wieder eine Religion in ihrer Anfangsphase beobachten: jene um Tod und Verklärung Michael Jacksons. In unserer Generation sind erst zwei quasi-religiöse Kulte von globalem Format entstanden. Der eine drehte sich um Michaels „Vorgänger“, den 1977 verstorbenen Elvis Presley. Als zweites ist natürlich der Rummel um die 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Prinzessin Diana zu nennen. Elvis’ ehemalige Wohnanlage „Graceland“ wurde bald nach seinem Tod zur Pilgerstätte. Es gründete sich (im Ernst!) eine „Church of Elvis“, und immer wieder kam es zu geheimnisvollen „Elvis-Sichtungen“. Der King sei noch am Leben und untergetaucht, hieß es. Auf Prinzessin Diana wurden gar Eigenschaften der „Mutter Gottes“ projiziert. Man betete zu ihr, es gab Meldungen über Wunder, und der Christa Falk-Verlag publizierte ein Buch über Botschaften Dianas aus dem Jenseits.

„Du bist nicht allein“

Alles spricht dafür, dass im Zusammenhang mit Michael Jackson ähnliche Phänomene auftreten werden. Vielleicht sogar „schlimmere“, denn Michael ist zweifellos rätselhafter als Elvis, sozusagen ein „Ludwig II.“ für eine globale Verehrergemeinde. Von dem Bayerischen König und Erbauer von Neuschwanstein ist der Satz überliefert: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen.“ Der Monarch wie der Star erschienen bizarr, abgehoben, widersprüchlich, so als hätten sie nie so ganz in diese banale Welt hineingepasst. Dafür, dass auch der Pop-Märchenkönig aus Indiana (USA) für immer ein Rätsel bleiben wird, sind die Weichen optimal gestellt. Auch Mordgerüchte gehören dazu, die weder jemals bestätigt werden, noch ganz zum Verstummen kommen dürften. So entstehen Mythen, die die Zeit überdauern.

Im Gegensatz etwa zu einem James Dean, bei dem sich der „Kult“ unbeabsichtigt als Nebeneffekt seiner Popularität einstellte, hat Jackson seinen eigenen Mythos jedoch bewusst genährt. Überall in seinem Werk legte er Spuren, auf die sich die globale Trauergemeinde posthum berufen kann. Schon zeichnen sich Umrisse einer „spirituellen Lehre“ ab, die einem neuen Katechismus des Jacksontums als Vorlage dienen könnten. „Heilt die Welt, macht aus ihr einen besseren Ort” gehört natürlich zu den Kernstücken. Ebenso die ökologische Botschaft „Was haben wir dieser Erde angetan? Könnt ihr sie nicht schreien hören?“ Ein flammendes Plädoyer gegen den Rassismus: „Wenn du fühlst, dass du mein Bruder bist, ist es egal ob du schwarz bist oder weiß.“ Und natürlich das Mantra des US-amerikanischen Mentaltrainings: „Wenn du Veränderung willst, beginne damit bei dir selbst.“  Selbst nüchterne Fernsehdokumentationen setzten seine Ballade „You are not alone“ in der Trauerwoche in einem zweideutigen Sinn ein: Es soll suggeriert werden, dass der große Verstorbene Trost aus dem Jenseits spendet. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Rock ’n Roll-Übermensch

Jacksons Stärke lag jedoch nicht auf dem Gebiet der Lyrik (da gab es Größere), sondern auf dem der Musik. Wenn man speziell seine Uptempo-Nummern noch einmal auf sich wirken lässt, zweifelt man daran, dass deren Schöpfer zum Propheten von Liebe und Frieden taugt. Eher erscheint Michael als der König der musikalischen Aggressivität. Der Autor von „Beat it“ überhöhte seine Atemgeräusche zur Kunstform, brillierte in übererregtem Schreigesang und hektischen Gesten, die offenbar auf erotische Selbst- und Fremdstimulation abzielten. Genau genommen verkörperte er damit auf der Bühne das Gegenteil eines „weisen, gleichmütigen Buddha“. Eher war Michael Jackson der Protagonist einer spätmodernen Überregungskultur, die nach Stimulation durch immer stärkere Reize verlangt, nach „Thrill“. Trotzdem kann man in Interviews die sanfte Scheu des Menschen Michael Jackson bewundern, die offenbar nicht nur Pose war. Es sind diese zwei Gesichter des Stars, die einen großen Teil seiner Faszination ausmachen. „Ich liebe euch vom Grunde meines Herzens“ hauchte er in die Mikrophone – und ließ anschließend bei „Dirty Diana“ die Sau raus. Vielleicht war dies nicht die schlechteste Art, seinen Schatten zu bearbeiten.

Von Reinhard Mey gibt es ein schönes Lied, in dem es heißt: „Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht, von ’nem richtigen Menschen mit dem Kopf erdacht“. Michael Jackson wollte nie – im Sinne Meys – nur ein „richtiger Mensch sein“, der „handgemachte Musik“ spielte. Er legte es von Anfang an darauf an, perfekt zu sein – mehr als nur menschlich. Er erfand einen Tanz, dessen fließende, schwebende Dynamik fast nicht mehr menschenmöglich war. Er sang mit einer Stimme, die unnatürlich hoch und beweglich erschien. Er ließ sein Gesicht modellieren, bis er aussah, wie noch nie ein Mensch auf dieser Erde ausgesehen hatte. Er war der „Rock ’n Roll-Übermensch“ (wie es in einem Lied der Band „Ärzte“ heißt). Das innere Bild, das er von sich entworfen hatte – jenes eines „weißen Ritters“ mit den sanften Augen einer schönen Frau – versuchte er notfalls mit Gewalt frei zu legen, durch Misshandlung seines sympathischen ursprünglichen Gesichts.

Das Licht in der Finsternis

Zur Verklärung des Michael Jackson gehört natürlich auch eine Art „Passionsgeschichte“. Und es gibt Bösewichter, die in seine Vita Eingang gefunden haben wie Pilatus ins Credo. Etwa der Staatsanwalt Tom Sneddon, der ihn wegen Kindesmissbrauchs verfolgte. Zu den dunklen Mächten im Leben des Propheten gehören aber auch die Boulevardpresse und in gewisser Weise wir alle, die wir ihn nicht verstanden, nicht an ihn geglaubt haben. Sein Mythos gewinnt dadurch an Kontur: „Siehe, das Licht kam in die Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht erkannt“. Michael, Josephs Sohn, hat an vielen Stellen in seinem Werk Spuren hinterlassen, die ihn in die Nähe von Jesus Christus rücken. So heißt es in „Bad“: „Du wirfst mit Steinen“ und „Wenn es dir nicht gefällt, was ich sage, wieso schlägst du mir dann ins Gesicht.“ (Jesus sagte: „Habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?“). Jackson ließ sich auffallend oft in der Kreuzigungsstellung ablichten, mit weit ausgebreiteten Armen. Im Video zu „They don’t care about us“ wird die große Jesus-Statue am Zuckerhut von Rio eingeblendet, bevor die Kamera hinunter in die Slums schwenkt, wo Jackson als tanzender Befreier auftritt.

Andere Posen Jacksons sind die des Engels (in einem Video zu „You are not alone“ ist er mit Engelsflügeln zu sehen) und des Außerirdischen. Bei einem Bühneauftritt trat er mit Silbernen Raumanzug aus einem „Ufo“, das zuvor in einem Film beim Landeanflug gezeigt wurde. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, scheint dieser Auftritt sagen zu wollen. Auf einem Gemälde, das auf seiner Neverland-Ranch aufgehängt ist, ließ sich Michael als „Gralsritter“ in goldener Rüstung darstellen. Dazu ein Gedicht, das als Ausspruch des Popstars ausgegeben wird, in aber Wahrheit ein Beinahe-Plagiat der hinduistischen Bhagavad Gita darstellt: „Ich bin der Denker, das Denken und der Gedanke. Ich bin der Sucher, die Suche und das Gesuchte. Ich bin der Tautropfen, die Sonne, der Sturm …“ Hier spricht Gott selbst in seiner persönlichen Erscheinungsform als Michael Jackson, der an die Stelle Krishnas tritt. Auch das „Design“, das Jackson seinem Gesicht gegeben hat, ist scheinbar an Darstellungen von Gott-Krisna in der Hindu-Kunst angelehnt: Schmale Nase, ausdrucksvolle „weibliche“ Augen, langes, schwarzes Haar.

„Jacksontum“ im Entstehen

Aber ist die Behauptung, dass eine „Michael Jackson“-Religion im Entstehen sei, nicht trotzdem übertrieben? Sicher befinden wir uns in einem Frühstadium der Entwicklung, und niemand kann die Zukunft vorhersagen. Dass Popstars kultisch verehrt werden, ist auch nichts Neues. Aber verglichen mit kreischenden Teenies, die man bei jedem Konzert von Tokyo Hotel beobachten kann, haben wir es hier doch mit einer ganz anderen Dimension zu tun. Zu einer formalen Heiligsprechung Jacksons wird es kaum jemals kommen, seine inoffizielle Seligsprechung ist jedoch längst im Gange. Viele der Redner auf seiner Trauerveranstaltungen orteten den Verstorbenen bereits im Himmel, wo er auf seine lieben Hinterbliebenen herabblicke. Kollege Stevie Wonder spekulierte sogar, dass Gott Michael zu sich geholt habe, weil er ihn dringend bräuchte.

Unterstützung erhält eine zu gründende Jackson-Religion auch aus der esoterischen Ecke. So wird in einem Channeling der angeblichen außerirdischen Wesenheit Kryon verkündet: „Steckt nicht vielleicht ein großes Wesen hinter diesem doch sehr verrückt erscheinenden Menschen Michael Jackson? Welche Göttliche Energie hat durch ihn die Herzen der Menschen in Ekstase gehoben? Ich darf dir versichern, es war eine der ganz großen Seelen.“ Uri Geller, der mit Jackson befreundet war, äußerte in einem Boulevard-Magazin: „Als wir über das Leben nach dem Tod sprachen, sagte Michael, er glaube daran, dass unsere Seele unzerstörbar ist. Irgendwo im Jenseits leuchtet Michaels Stern in all seiner Brillanz zwischen denen von Elvis Presley, John Lennon und Frank Sinatra.“ Sogar Michaels energetische Spur will der für seine PSI-Kräfte bekannte Fernsehmoderator wahrgenommen haben: „Wenn ich heute an der Stelle in meinem Haus bin, wo er war, oder dort sitze, wo er saß, dann fühle ich immer noch etwas, eine Kraft.“ Solch verklärende Aussagen findet man im Internet zuhauf, wenn auch meist von weniger prominenten Jüngern.

Die Konturen Gottes

Können wir denn ausschließen, dass Michael Jackson ein „Erwählter“ war, ein „Erleuchteter“? Da man bekanntlich nicht in einen anderen Menschen hineinschauen kann, ist diese Hypothese zumindest verführerisch. Wenn Jackson so häufig Liebe empfunden hat, wie er „I love you“ sagte – musste er da nicht die seltene Fähigkeit zu „universeller Liebe“ verwirklicht haben? Fest steht, dass es von ihm Äußerungen gibt, die auf Erleuchtungserfahrungen hindeuten. Reich an spirituellen Texten ist vor allem Michael Jacksons Gedichtband „Dancing the Dream“, wo er schreibt: „Meine Lieder und Tänze sind die Konturen, die Gott betreten und füllen kann. Ich sorge für die Form; Sie füllt die Süße hinein. … Der süßeste Kontakt mit Gott hat für mich jedoch keine Form. Ich schließe meine Augen, schau nach innen, und betrete eine tiefe sanfte Stille. Die Unendlichkeit von Gottes Schöpfung umarmt mich. Wir sind eins.“ Und im Lied „Cry“ aus Jacksons letzter CD „Invincible“ heißt es: „Und wenn alles ruft, werde ich auf alle eure Gebete antworten.“

Ich will den Jackson-Kult mit diesen Zitaten nicht anheizen, ihn nur beschreiben. Natürlich kann und will ich keinem Gläubigen seinen Glauben ausreden. Ich bitte nur darum, in zweierlei Hinsicht vorsichtig zu sein: 1. Das meiste, was wir heute über Michael Jackson erfahren können, ist dadurch geprägt, wie sich der Künstler selbst dargestellt hat, was er uns also glauben machen wollte. 2. Sein Bild in den Medien ist unverkennbar davon gefärbt, was der Vermarktungsindustrie nützt. Es wäre naiv, in einem Zeitalter, in dem alles zur Ware wird, einen Massenhype wie diesen völlig unabhängig vom Thema „Geld“ zu betrachten. So sehr ich es begrüße, dass sich z.B. die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA durch den Erfolg des gebleichten farbigen Künstlers im Aufwind sieht: In Wahrheit beweist das Beispiel Jacksons wie das von Rihanna oder Xavier Naidoo doch vor allem eines: „Wenn wir mit dir Profit machen können, ist es egal, ob du schwarz bist oder weiß.“

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