Umwelt – gibt es nicht

 In FEATURED, Spiritualität, Umwelt/Natur

Der Begriff „Umwelt“ liefert nicht, was er liefern könnte. Tatsächlich leistet er der menschlichen Überheblichkeit weiteren Vorschub – und wirkt damit letzten Endes kontraproduktiv. Er suggeriert nämlich, der Mensch sei das Zentrum der Welt, und diese diene dem Zweck, ihm Umwelt zu sein. Doch ähnlich dem Begriff der „3.-Welt-Läden“, die zu „Eine-Welt-Läden“ wurden, wandelt sich auch der Begriff „Umwelt“ hin zur „Mitwelt“. Dahinter steht die lange innere Reise von einem hierarchischen hin zu einem geschwisterlichen Verständnis von Natur. (Bobby Langer)

Als am 6. Juni 1986 das Umweltministerium gegründet wurde, wirkte das auf viele Naturfreunde wie ein Fortschritt. Immerhin wurde damit anerkannt, dass es etwas gab, um das man sich besser kümmerte. Doch schon der offizielle Name war verräterisch: „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“. Mit jeder neuen Namensnennung wurde so die Möglichkeit einer „nuklearen Sicherheit“ ein Stück plausibler – oder sollte es jedenfalls werden.

Die Natur als Umwelt zu betrachten entsprach und entspricht vom Denkansatz her dem mittelalterlichen, geozentrischen Weltbild. Dort steht in der Mitte der Mensch, und um ihn als Herrscher der Erde dreht sich die Sonne in angemessenem Respekt. Die anschließende kopernikanische Wende, in dem die Erde „nur“ noch ein Teil des um die Sonne kreisenden Plantensystems war, war der Keim eines neuen Bewusstseins: Irgendwo in den unermesslichen Weiten des Universums gibt es diesen Planeten, auf den wir besser aufpassen sollten.

Natur – gab’s nicht mehr

Bis dahin war es freilich ein weiter, Jahrhunderte währender Weg. An seinem Anfang stand die gefühlte Verpflichtung des Aufklärers, von seiner Vernunft tunlichst Gebrauch zu machen und nur das gelten zu lassen, was messbar war. Mit der weltlichen Entmachtung der christlichen Kirchen einher ging die Profanierung jeglicher Mystik. Die Dinge, die Natur, die Pflanzen- und Tierwelt, die Erde, das Sonnensystem, das Weltall – sie alle sollten gemessen, erforscht und in empirischen Zusammenhängen erklärt werden. Der Mensch war seinem Verständnis nach aus dem Verein namens „Natur“ ausgetreten und hatte eine wahrhaft luziferische Reise angetreten. Der gute alte Gott, sofern man ihn in einem Winkel des Weltanschauungsgebäudes noch gelten ließ, war bestenfalls zum Dienstleister geworden. Er schuf dem Herrn der Welt die Rohstoffe, damit der daraus etwas Besseres machte: aus Erz das Eisen und aus Eisen die Eisenbahnen; aus Erdöl die Polymere und aus ihnen die Kunstfasern; aus Kauschuk das Latex und daraus die Autoreifen; aus Tieren das Fleisch und daraus die Wurst, die Milch und daraus den Käse; aus Menschen den Arbeiter, den Soldaten und die Hure.

Affe? Kann nicht sein.

Die ersten massiven Zweifel an seiner Herrscherposition über die Natur beschlichen den Menschen mit der Entdeckung der Geschichtlichkeit seiner Herkunft. Die Abstammung aus äffischen Entwicklungslinien versetzte seinem Selbstbewusstsein einen Schock. In katholischen Kreisen währte der bis zum Jahr 1996, als Papst Johannes Paul II. endlich die Evolutionstheorie anerkannte. Eine Ebene tiefer im wahrsten Sinne des Wortes führte der Nachweis der Nichtdinglichkeit der Dinge, ja die Relativität überhaupt. Bei näherer Betrachtung erwies sich der Mensch – und alles, was lebt oder nicht lebt – als ein System molekularer und atomarer Hohlräume, am Ende nur noch als Schwingung. Beinahe gleichzeitig ließ sich nicht mehr abstreiten, dass die ehemals so gepriesene Vernunft lediglich einen verschwindend geringen und eher belanglosen Bruchteil des Bewusstseins ausmachte. Und, um das Entsetzen zu steigern, verloren Zeit, Raum und Materie ihren Absolutheitsanspruch. Auf der Quantenebene ließ sich ein Mensch nicht mehr von einer Kuh unterscheiden, aber auch nicht von einem Tropfen Urin. In der Tiefe scheint sich, so die Erkenntnis der Physik, alles miteinander zu verbinden und zu verweben, und nicht einmal mehr das Gesetz von Ursache und Wirkung funktioniert immer reibungslos.

Die Physik schließt Gott nicht mehr aus

Was Wunder, dass es am Punkt der Relativierung des menschlichen Herrschaftsanspruchs ausgerechnet Physiker waren, die die Wiedereingliederung des Menschen in den Schöpfungszusammenhang forderten. Albert Einstein bezeichnete die menschliche Idee, vom Rest der Welt getrennt zu sein, als „eine Art optische Wahnvorstellung des Bewusstseins. Diese Wahnvorstellung ist ein Gefängnis, das unsere persönlichen Wünsche und Zuneigungen auf einige wenige Personen, die uns am nächsten stehen, begrenzt. Unsere Aufgabe muss es sein, uns daraus zu befreien, indem wir den Kreis des Mitgefühls für andere erweitern, bis alle lebenden Wesen und die ganze Natur in ihrer Schönheit dazugehören“.

Max Planck, Begründer der Quantenphysik und Namensgeber der berühmten Max-Planck-Forschungsinstitute, bekannte sich sogar ganz konkret zum einem Gottesgedanken. Berühmt wurden folgende Sätze von ihm: „Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt – es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden – so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht – , sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre! Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!”

God’s on our side

Noch aber blieben Mensch und Natur getrennt. Einsichten wie die von Einstein und Planck Anfang des 20. Jahrhunderts schienen eher geeignet, den menschlichen Geist noch überheblicher zu machen. Religiös zu sein, galt schon im Bürgertum des 19. Jahrhunderts als wünschenswerte Eigenschaft. Nicht umsonst bezeichnete Marx Religion als „Opium fürs Volk“. Christliche Religion hatte die Jahrhunderte hindurch die Legitimation für die großen Massenmorde der Neuzeit geliefert. Alle kolonialen Eroberungs- und Raubzüge der Spanier, Portugiesen und Engländer waren getragen von dem religiös fundierten Überlegenheitsgefühl der weißen Rasse, die ihren Segen über die Welt bringt – gerne auch mit Mord und Totschlag. Als der weiße Mann den amerikanischen Kontinent entdeckte, lebten dort zwischen fünf und 16 Millionen Indianer. Unabhängig davon, welche Zahl nun stimmt: Ende des 19. Jahrhundert waren davon noch ca. 100.000 übrig. Wie sang doch gleich Bob Dylan: „And that land that I live in | Has God on its side” Und ein paar Zeilen später: „Though they murdered six million | In the ovens they fried | The Germans now, too | Have God on their side.“

Aus der Umwelt wird Mitwelt

Vielleicht brauchte es die Massaker des 1. Und 2. Weltkriegs, den Holocaust, und die Stalinischen „Säuberungen“, um eine Bruchlinie in der menschlich westlichen Selbstherrlichkeit auszulösen. Zweifel an der Richtigkeit menschlichen Tuns und insbesondere Wirtschaftens schlichen sich von naturwissenschaftlicher Seite ein. Ein besonderes Verdienst gebührt dabei der Zoologin und Biologin Rachel Carson. Ihr 1962 erschienenes Buch „Silent Spring“ öffnete die Türen für ökologisches bzw. natursystemisches Gedankengut und führte zum DDT-Verbot. Die Systemwissenschaft der Ökologie entwickelte sich als Teilgebiet der Biologie und wurde rasch zu einem neuen Forschungszweig, der den innigen und vielverzweigten Zusammenhang von belebter und unbelebter Natur erforschte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt geriet der Mensch in den Blickwinkel. Schließlich war auch er belebte Natur und wirkte nur allzu offensichtlich auf die Welt um ihn massivst ein – die Umwelt. Fridjof Capras Buch „Wendezeit“ übertrug populär und trotz ca. 450 Seiten gut lesbar die neuen Erkenntnisse ins Weltanschauliche. Er forderte einen Paradigmenwechsel – weg von dem westlich und industriell geprägten materialistisch-reduktionistischen Ansatz hin zu einem ganzheitlich-systemischen. Zum ersten Mal in der Neuzeit begann der Mensch, sich nicht mehr als Herrscher über die Natur zu verstehen, sondern als Mitglied in einem System vielfältiger Bezüge. Aus der Umwelt wurde die Mitwelt – ein Begriff freilich, der bis heute noch in wenig Köpfen Fuß gefasst hat.

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