Unbequeme Wahrheiten

 In FEATURED, Kultur

Nick Lowe stellte mit seinem Song „What’s So Funny ’Bout Peace, Love and Understanding“ einfache und dennoch schwer zu beantwortende Fragen. Der Weg zur Wahrheit führt häufig über einfache, jedoch unbequeme Fragen. Diese sind vielleicht schlicht formuliert, eine Antwort darauf zu finden, ist aber oft schwer. Dies erfordert das Verlassen der eigenen Komfortzone und die Konfrontation mit dem Schatten. Der englische Songwriter Nick Lowe stellte ebensolche Fragen unter dem Eindruck der zerfallenden Hippiebewegung Anfang der 70er-Jahre. Lowe fragt in seinem Song, was so komisch an Frieden, Liebe und Verständnis sei. Gerade in der Schlichtheit dieser Fragen, die ohne intellektuelles Zerreden auskommen, liegt die Stärke dieses Songs. Ein Text zu der Aktion #Friedensnoten. Sabrina Khalil

 

Mein geschätzter Kollege bei Radio München, Michael Sailer, hat letzthin in seiner Kolumne mal wieder etwas sehr Wahres von sich gegeben, nämlich dass er „den starken Verdacht habe, dass das ganze Leben, das ganze Universum eine einzige Frage ist — und dass der Sinn des Lebens und vielleicht auch des Universums genau das ist: Die richtige Frage oder alle möglichen Fragen zu stellen, und nicht, sie zu beantworten“.

Diese Erkenntnis ist sicher nicht neu, aber hey, offensichtlich lernen wir ja nicht so wirklich aus den Erfahrungen der weisen Männer und Frauen, die vor uns lebten, und so finden wir uns erneut in einer Zeit wieder, in der uns die vermeintlich alternativlosen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit auf den immergleichen, zu Tode gesponserten Kanälen in Dauerschleife entgegengeschrieen werden.

Ohne Atempause, ohne Nachsinnen, ohne Kurskorrektur.

Menschen die Fragen stellen — kritische Fragen, Fragen, die auf der Hand liegen, Fragen, die einfach immer wieder gestellt werden müssen — werden wahlweise diffamiert, gecancelt, dumm, naiv und lächerlich genannt oder schlichtweg ignoriert, und so holpern wir weiter auf dem Holzweg der Geschichte, der gepflastert ist mit Ideologie, Verblendung, kollektivem Wahnsinn, Gewalt- und Angstfantasien.

Auch der Protagonist meines Lieblings-Friedenssongs stolpert auf diesem ungemütlichen Weg durchs Leben und fragt sich, warum das so sein muss, und das hört sich auf Deutsch in etwa so an:

„Wenn ich so durch diese böse Welt gehe, nach Licht in der Dunkelheit des Irrsinns suchend, frage ich mich:
Ist jede Hoffnung verloren? Gibt es nur noch Schmerz und Hass und Elend?

Und jedes Mal, wenn ich mich so fühle,
würde ich eines gerne wissen:
Was ist so komisch an Frieden, Liebe und Verständnis?
Was ist denn so komisch an Frieden, Liebe und Verständnis?

Und wie ich weitergehe durch unruhige Zeiten, bin ich manchmal so niedergeschlagen.
Wo sind denn die Starken, und wem kann man vertrauen?
Und wo ist die Harmonie? Die süße Harmonie.

Denn jedes Mal wenn ich merke, dass sie dahinschwindet, möchte ich einfach nur schreien:
Was ist so komisch an Frieden, Liebe und Verständnis?
Was ist denn so komisch an Frieden, Liebe und Verständnis?“

Der englische Singer-Songwriter Nick Lowe hat diesen eingängigen Rock-Song 1973 geschrieben, als die Hippie-Bewegung zu Ende ging, und Lowe feststellen musste, dass alle anfingen, härtere Drogen zu nehmen und das Trinken wiederzuentdecken. Sein Song war eine Antwort auf den Zynismus dieser Zeit, einer Zeit des Unbehagens, in der das Aufwachen aus dem Hippie-Traum eine kalte Abgeklärtheit mit sich brachte.

Die provokante rhetorische Frage des Refrains war für ihn der Dreh- und Angelpunkt des Songs, es galt also, diese schlichte Weisheit musikalisch in Szene zu setzen, ohne den Song mit „blöden, cleveren Textzeilen zu vermasseln“, wie er sagt.

Wow, was für eine Einsicht.

Wie gut stünde es so manchen Problemlösern von heute zu Gesicht, wenn sie es schaffen würden, simple, klare und menschliche Lebensweisheiten einfach für sich sprechen zu lassen, anstatt sie mit pseudowissenschaftlichen Hypothesen, manipulierten Statistiken und neunmalklugen Theorien totzuquatschen.

Und noch eine Qualität besitzt dieser Nick Lowe, er gibt nämlich unumwunden zu, dass er einen Teil der Melodie bei Judee Sill geklaut hat, einer begnadeten Songwriterin, die zu dieser Zeit ein Lied namens „Jesus was a crossmaker“ veröffentlicht hatte.

Ist das eigentlich auch kulturelle Aneignung, wenn man sich inspirieren lässt von Menschen, die einen beeindrucken, von Kunst, die einen berührt? Auch so eine von diesen Fragen …

Berühmt wurde Lowe’s Song obendrein erst, als ihn Elvis Costello 1978 eingespielt hat.

Wieder eine Aneignung also, oder, um es positiv auszudrücken: das Weiterreichen einer Fackel, einer schlichten berührenden Einsicht, eines genialen Songs, der es verdient hatte, gehört zu werden.

Und was machen wir nun mit den Fragen, die der Song stellt? Ist die Hoffnung verloren? Gibt es nur Schmerz, Hass und Elend? Wo sind die Starken, und wem kann man vertrauen? Wie kommen wir zu Harmonie, zu Frieden und Liebe?

Ich habe natürlich keine Antworten auf diese Fragen, sondern nur weitere Fragen:

Ist Frieden nur die Abwesenheit von Krieg? Bin ich im Frieden mit mir selbst? Kann ich mir selbst vergeben? Wie kann ich wild und frei sein und trotzdem achtsam und rücksichtsvoll leben? Finde ich „Frieden, Liebe und Verständnis“ vielleicht auch albern…irgendwo tief in mir drin?

Fragen über Fragen …

Ach, jetzt ist mir doch noch eine Art Antwort eingefallen auf die Frage: Können Kriege Frieden schaffen?

Und zwar stammt die von Michael Franti, einem amerikanischen Lyriker und Musiker, der sagt nämlich Folgendes:

„We can bomb the world to pieces, but we can’t bomb it into peace.“

 

Nick Lowe „(What’s So Funny ’Bout) Peace, Love and Understanding“

 

Medienpartner

Nacktes Niveau (Paul Brandenburg), Punkt.preradovic, Kaiser TV,
Hinter den Schlagzeilen, Demokratischer Widerstand,
Eugen Zentner (Kulturzentner), rationalgalerie (Uli Gellermann), Protestnoten, Radio München (Eva Schmidt), Basta Berlin, Kontrafunk und Ständige Publikumskonferenz.

Weitere können folgen.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen