V.C. Herz: 2200

 In FEATURED, Umwelt/Natur

Lange Zeit war Fleischverzicht in der Öffentlichkeit kein Thema. Es betraf ja „nur“ niedere Organismen, die unter den grauenhaften Bedingungen der Massentierhaltung leiden mussten. Heute hat sich der Wind schon teilweise gedreht. Viele erkennen: Huch, die Produktion tierischer Lebensmitteln könnte ja auch mir, der Krone der Schöfung schaden – und das geht gar nicht! Fleisch, aber auch Milchprodukte – also der gesamte Komplex der Nahrungsmittelproduktion aus Tierhaltung – gehört zu den wichtigsten Faktoren bei der Klimaerwärmung. Müsste man Fleisch also verbieten? Es wäre schon viel getan, wenn die Politik die Weichen so stellen würde, dass es nicht auch noch durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Besteuerung massiv gefödert wird. Stellen wir uns ein Zukunftsszenario vor, bei dem Fleischkonsum – wie derzeit Zigaretten – eher behindert wird und auf jeder Packung vor dem Verzehr gewarnt wird. Der Autor, ein bekennender Utopist, versucht es. V.C. Herz

Wir schreiben das Jahr 2200. Nachdem die Klimaerwärmung rasant vorangeschritten war, kam es aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels im Jahr 2173 weltweit zu starken Überflutungen. Ganze Küstenregionen mussten evakuiert werden, eine halbe Milliarde Menschen verloren ihr komplettes Hab und Gut.

Aufgrund der gestiegenen Temperatur kam es weltweit immer häufiger zu Dürren und gigantischen Ernteausfällen. Durch die starke Überfischung der Weltmeere fielen Fische als Nahrungsquelle ab dem Jahr 2168 nahezu gänzlich weg. Allein zwischen 2170 und 2175 verhungerten mehr als eine Milliarde Menschen qualvoll aufgrund der Katastrophe.

In der westlichen Welt sind schließlich im Jahr 2180 die Gesundheitssysteme zusammengebrochen. Aufgrund der enorm gestiegenen Fälle von Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren die Gesundheitssysteme nicht mehr in der Lage, die medizinischen Kosten hierfür aufzubringen. Das gesamte Gesundheitswesen wurde daraufhin privatisiert. Medikamente und Operationen sind seither nur noch der wohlhabenden Gesellschaftsschicht vorbehalten.

Die Wirtschaftsleistung brach weltweit drastisch ein – die Menschheit war gezwungen zu handeln. Und sie handelte. Expertengruppen der UN kamen schließlich zu der Erkenntnis, dass der Hauptauslöser der Katastrophe der Konsum tierischer Nahrungsmittel sei. Aufgrund der enormen Klima- und Umweltbelastung sowie der gigantischen Verschwendung von Wasser und Lebensmitteln durch überzogenen Fleischkonsum hat sich die Menschheit letztendlich selbst in diese missliche Lage gebracht. Um den Fortbestand der menschlichen Spezies zu gewährleisten, trafen die Regierungen im Jahr 2190 gesetzliche Maßnahmen, um den Fleischkonsum weltweit zu begrenzen.

Nachdem die Regierungen im ersten Schritt sämtliche Subventionen für tierische Produkte eingestellt hatten, explodierte der weltweite Fleisch- und Milchpreis. Aufgrund der angespannten Lage auf dem Lebensmittelmarkt musste Fleisch bisher immer weiter subventioniert werden, um preislich mit pflanzlichen Alternativen mithalten zu können. Als diese Subventionen eingestellt wurden, zeigten sich im Supermarkt plötzlich die wahren Kosten der Tierprodukte. Obwohl die Haltungsbedingungen immer weiter gelockert wurden, konnten die Preise nicht gehalten werden. Ein BigMac schlug schließlich mit 15 Euro zu Buche.

Doch damit nicht genug: Von der Gefahr durch das Fleisch wissend, entschieden die Regierungen, zusätzliche Steuern auf Fleisch zu erheben. Im ersten Schritt wurde die Mehrwertsteuer von 7% auf 19% erhöht. Anschließend wurde 2192 ein eigenes Fleischsteuergesetz eingeführt, welches die stufenweise Einführung einer Fleischsteuer bis zu einem Satz von 100% binnen 5 Jahren vorsah.

Außerdem setzten die Regierungen weltweit auf Aufklärung und Prävention. 2193 wurde jegliche Art von Werbung für tierische Produkte verbo-ten. Seit 2194 wurde auf Plakatwänden zum Verzicht aufgerufen. 2195 wurde ein Mindestalter von 18 Jahren für den Kauf und Konsum von Fleischprodukten eingeführt. Die Abgabe oder Weitergabe von tierischen Produkten an Minderjährige ist seither strafbar. 2196 wurde der Verkauf von Fleisch in Kantinen und öffentlichen Einrichtungen verboten. 2197 wurde der Konsum von tierischen Produkten in der Öffentlichkeit gänzlich untersagt. Seit 2198 dürfen Fleischwaren generell nur noch in abge-grenzten Bereichen in Supermärkten verkauft werden. Die Märkte haben dafür entsprechende Meat-Areas eingeführt. Kunden können dort nach einer Alterskontrolle Fleischprodukte in ausschließlich hierfür bestimmten Bereichen kaufen. Die Waren dürfen diese abgegrenzten Bereiche nur in undurchsichtigen Verpackungen verlassen. Seit 2198 trägt außerdem jedes Stück Fleisch und jedes Milchprodukt verschiedene Warnhin-weise wie „Fleisch ist tödlich“ oder „Milch verursacht Welthunger“. Seit 2199 sind außerdem so genannte Horrorbilder auf den Verpackungen aufgedruckt, die überschwemmte Gebiete oder Massengräber von verhungerten Menschen zeigen.

Obwohl es massive Proteste bei Teilen der Bevölkerung dagegen gab, wurden die Gesetze flächendeckend eingeführt.

2200. Durch die drastischen Maßnahmen bei der Fleischproduktion hat sich die Lage auf der Welt langsam wieder entspannt. Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind stark rückläufig. Erste Länder etablieren wieder solidarische Gesundheitssysteme. Der durch die enorme Verteuerung von Fleisch entstandene Rückgang der Nachfrage nach Futtermitteln löste auf den Lebensmittelbörsen massive Preisstürze aus. Das eingesparte Getreide konnte nun direkt an hungernde Menschen weitergeleitet werden – zu günstigeren Preisen. Der Welthunger ist mittlerweile weitestgehend gestillt. Erste positive Wirkungen auf das Weltklima konnten bereits festgestellt werden.
Aber das Wichtigste ist: Es darf weiterhin jeder Fleisch essen. Die Regierungen wollen nicht als Verbotsparteien auftreten und haben entsprechend darauf geachtet, das Grundrecht auf Fleischkonsum nicht einzuschränken. Es wird entsprechend weiterhin niemandem vorgeschrieben, was er zu essen hat. Aber es wurden Mechanismen implementiert, die das künftige Überleben auf unserem Planeten wieder sicherstellen.

Auch wenn man sich heute teilweise schief anschauen lassen muss, wenn man Fleisch isst, so bleibt es weiterhin eine persönliche Entscheidung, die alle zu respektieren haben.

 

Weitere Kurzgeschichten von V.C. Herz findet Ihr in seinen bisher drei Büchern. Ihr findet alle Angaben dazu (und weitere Leseproben) auf dieser Seite:

http://pflanzliche-kurzgeschichten.de/autor.php

Showing 3 comments
  • heike
    Antworten
    Ich mag Schafe totalgern und das Foto erinnert mich daran.

    Als Kind habe ich nach einer langen schweren, fast tödlich endenden Krankheit ein Schaf geschenkt bekommen, mit dem ich einen ganzen langen Sommer und Herbst verbracht habe. Ich war ständig dort, weil ich noch nicht wieder in die Schule gehen konnte. Ich war mit ihm im Wald spazieren, ohne Leine … es ist mir immer hinterhergelaufen, manchmal auch vorneweg. Sein Name war Petz. Im Herbst wurde es geschlachtet. Ich war stocksauer auf meine Eltern. Aber ich war ein gut erzogenes und verständiges Mädchen – ich glaube, ich weiß/wusste gar nicht, wie man das zum Ausdruck bringt. Vielleicht war es auch mehr Trauer als Wut. Wir hatten keinen Schafstall und kein Heu und Stroh für dem Winter. Das Schaf (die ganze Herde – andere Leute hatten da auch Schafe), war von vornherein so angelegt, dass es im Herbst geschlachtet wird. Mir war das damals nicht klar.

    Jedenfalls hatte ich mit diesem Schaf den schönstn Sommer meiner Kindheit und ich war meinem Vater sehr dankbar, dass er es mir zu meine Geburtstag geschenkt hatte. Er hat es auch gern gehabt. Für mich sind meine Eltern deshalb auch keine Mörder. Das Schaf und ich hatten eine kurze Geschichte zusammen. Aber eine schöne. Das Leben ist nicht gerecht und es wird immer Leiden geben. Irgendwann ist die Liebesfähigkeit eines Menschen aufgebraucht – dann kann er selbst böse werden oder sterben.

    Jetzt ist mein Vater tot, den ich sehr geliebt habe, meinen jüngeren Sohn (der mich sehr an das Schaf erinnert, weil er genauso lieb ist) sehe und höre ich nicht mehr (außer nachts seine schreiende Stimme), ich weiß nicht was er macht und wie es ihm geht. Nicht besonders gut, vermute ich mal. Ich wollte mal den Menschen helfen, dafür bin ich über eine Grenze gegangen, die man nicht überschreiten darf – oder ich bin nicht weit genug gegangen. Jedenfalls scheint die Welt eine gewisse Grundgrausamkeit vorauszusetzen, und wenn man diese umgehen will, diese nicht umsetzen will, dann kann daraus eine noch größere Grausamkeit entstehen, die leider immer diejnigen trifft, die am Unschuldigsten sind und dazu vertauensvoll und im gewissen Sinne wehrlos. Sie sind nicht böse.

    Ich weiß, dass ich schon wieder jammere, jetzt tue ich das eben solange, bis es zu Ende ist. Denn es ist meine Wahrheit und ich werde sie äußern, solange ich kann.

  • Ruth
    Antworten
    Es klingt utopisch, nein: ein Szenario, das unausweichlich ist –  vielleicht nicht so drastisch?!

    Das Weltklima wird uns dazu zwingen, sogar diejenigen, die  für diese Tierquälerei verantwortlich sind, aber immer wieder leugnen; ihre Profitgier ist zu verachten!

    Was ist mit ALDI, Lidl, Penny? Sie haben diese widerliche Fleischindustrie möglich gemacht; wöchentlicher Preiskampf: billig, billiger und ekelerregender!

    Die niedlichen Tierbilder, herrliche Landschaften, Bauernhöfe, saftige Wiesen, grasende Rinder und Kühe, die von mitfühlenden Almbauern in den Tod gestreichelt werden.

    So geht Marketing, eigentlich ganz einfach. Die nächsten Konsumenten – unsere Kinder – sind entzückt und werden an der Verramschtheke erfolgreich manipuliert, prima.

    Mehrwertsteuer erhöhen – wir brauchen kein Fleisch für eine gesunde Ernährung – Massentierhaltung, Dumpingpreise verbieten, co2 Steuer einführen.

    Alles Maßnahmen, die Tierwohl, Menschenwohl und nicht zuletzt unsere Natur schützen!

  • Volker
    Antworten

    Ein BigMac schlug schließlich mit 15 Euro zu Buche.

    Boah, das wären ja pro Tag 45 Euro für Frühstück, Mittag- und Abendessen. Dann doch lieber Haferflocken löffeln, wenn’s Hafer noch gibt, was ich bezweifle, bei all den Kipppunkten und no return.

    Anschließend wurde 2192 ein eigenes Fleischsteuergesetz eingeführt, welches die stufenweise Einführung einer Fleischsteuer bis zu einem Satz von 100% binnen 5 Jahren vorsah.

    Ja, dem kleinen Mann in die Tasche greifen, aber, der ist bis dahin eh schon ausgestorben, nur ein paar Elitegurken werden sich die restlichen Früchte teilen.

    Die Abgabe oder Weitergabe von tierischen Produkten an Minderjährige ist seither strafbar.

    Gilt hoffentlich nicht für Kuscheltiere der Marke Steiff (?).

    Nebenbei: Hartz IV muß weg, kein Existenzler kann sich teure Ersatznahrung leisten, ernährt sich von Wilke-Gammel aus Gammelwarenkorb, staatlich subventioniert sogar.

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