Verbeugung vor der Rechtsbeugung
Menschen, die es wagen, gegen den Widerstand des griechischen Staates die Insel Samos zu betreten, müssen mit mehrjährigen Gefängnisstrafen rechnen – sofern sie freundlicherweise nicht zuvor im Meer ertrunken sind. Was zunächst wie der legitim hoheitliche Akt eines europäischen Staates anmutet, erweist sich bei näherer Betrachtung als Veitstanz der Gerechtigkeit. Bobby Langer
Kann die Überschreitung einer Grenze Unrecht sein? Wird mit solcherlei Gesetzen nicht die Willkür zum Maß der Justiz und die Dummheit ihr Lehrer? Macht die juristische Strafbewehrung im Fall der Übertretung einer abstrakten Linie namens Grenze nicht Justitia zur beliebigen Hure eines jeden Möchtegern-Potentaten, auch wenn er sich „demokratischer Politiker“ oder Nationalstaat nennt? Haben Nationalstaaten ein Anrecht auf Beliebigkeit und Willkür?
Warum die Empörung?
Nun, nehmen wir an, ich wohnte im unterfränkischen Waldbüttelbrunn und wollte die von Julius Echter von Mespelbrunn erbaute gotische Kirche von Gaubüttelbrunn besuchen, so könnte ich die rund 19 Kilometer in, sagen wir einmal, vier Stunden gut bewältigen. Ich durchquerte Eisingen und Kleinrinderfeld und wanderte schließlich, Kirchheim hinter mir lassend, fröhlich singend meinem Ziel entgegen. Doch kurz vor Gaubüttelbrunn versperrt mir ein Schlagbaum den Weg, und auf meine Frage, warum ich nicht weitergehen könne, bescheidet mich ein Uniformierter, hier beginne das Hoheitsgebiet des neuen Warlords von Lauda-Königshofen, das ich nur gegen Vorzeigen eines Visums betreten dürfe.
Mein kurz aufflammender Zorn sinkt angesichts einer drohend auf meine Brust gerichteten Maschinenpistolenmündung in sich zusammen. Ich entschuldige mich untertänigst, freue mich, überlebt zu haben, und mache mich auf den Rückweg, um am Folgetag meinen Visumsantrag im Rathaus von Waldbüttelbrunn zu stellen. Dort erfahre ich, dass ich gegen vorherige Bereitstellung von 10.000 Euro innerhalb von zwei Monaten ein solches Dokument mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg erwerben könne. Ich entschließe mich, dem Warlord von Lauda-Königshofen meine Reverenz nicht zu erweisen und eine weniger bewehrte Kirche zu besichtigen.
Oh Gesetz, du schlotterichte Königin! Verstehen Sie mich? Wären Sie nicht empört an meiner Stelle? Oder sollten es wenigstens sein!
Wurden solche Grenzlinien nicht allesamt (oder doch beinahe alle) in Gewaltprozessen ausgehandelt? Sind sie nicht letzten Endes allesamt (oder doch beinahe alle) die Ergebnisse von Willkür in juristischem Gewand, also letztlich von einer einstigen Rechtsbeugung, die durch Gewaltprozesse Legitimität erhielt? Ja, sind Grenzen wie die erdachte zwischen Kirchheim und Gaubüttelbrunn oder die ebenfalls nur erdachte, aber existierende zwischen der offenen See der Ägäis und der Insel Samos nicht allesamt Beweisstücke real existierenden Unrechts?
Und richtig gefolgert: Gilt dies nicht letztlich für alle nationalstaatlichen Grenzen Europas und der Welt? Sie unterscheiden sich durch nichts von den Grenzen eines von einem Vierjährigen eifersüchtig bewachten Sandkastens im Garten seiner Eltern – außer durch die Machtmöglichkeiten ihrer Verteidigung. Aber schafft meine Möglichkeit, Sie zu erschießen, weil Sie in meinem Sandkasten spielen möchten, bereits Unrecht auf Ihrer Seite und auf der meinen Recht? Legitimität gar? Von Seriosität einmal ganz zu schweigen?
Verschärft muss meine Frage also lauten: Nicht kann, sondern darf die Überschreitung einer Grenze in einem Rechtsstaat, der dieses Namens würdig ist, jemals Unrecht sein? Oder anders herum: Ist die Würde des Menschen durch nationalstaatliche Grenzen eben doch antastbar?
Siehe dazu: The real crime is the border regime sowie https://freethesamostwo.com.
Warum nicht illegal? Würde einen Aushang im Supermarkt platzieren:
Schlepper*in gesucht!
Bei uns gibt es den Emsbach und den Dombach, letzterer mündet in den ersten, und der wiederum in die Lahn. Supi, wo liegt das Problem, oder gibt es bei Ihnen keine Bäche. Würde mir eine Luftmatratze oder einen Baumstamm besorgen, und schon wäre ich auf großer Fahrt in grenzenloser Weite, mit diesem wunderbaren Ziel vor Augen: den lieben Gott in einer Kirche besuchen.
Man sollte dabei allerdings nicht planlos absaufen. Weia.
Denkbar wäre auch, seinen zuständigen Bischof um Rat zu bitten, immerhin lebt er glücklich und zufrieden von Ihrer Kirchensteuer, falls Sie nicht etwa an Aliens glauben. Ein Bischof nämlich, der hat eine Rechtsabteilung mit spitzfindigen Juristen, und die wiederum pflegen gute Kontakte nach Oben, also ganz ganz weit oben, da wo alter, kraftloser Mann völlig verträumt alleine über unsere Welt herrschen muss. Sollte Ihnen, trotz allem, der Himmel auf den Schädel krachen, na ja, der letzte Ausweg führt zur Hölle.
Oder – notfalls den Papst um Hilfe anflehen, der naturgemäß allerdings wenig Zeit für Kümmernisse eines Dorfmenschen aufbringen wird, dem laufen ständig seine Schafe weg, und die muss er wieder einfangen. Sollten Sie mit einer Absage Roms konfrontiert werden, locken Sie ihre Majestät mit einer Spitzfindigkeit göttlichen Ausmaßes, beispielsweise: sie hätten bei dem Versuch einer illegalen Grenzüberwindung – zwecks Bekennung alltäglicher Sünden in einem Gotteshaus – ein verirrtes Schaf aus dem Mittelbach gezogen, welches Sie der Herde zurückführen möchten. Das funzt bestimmt, und zum Dank stehen Sie bestimmt schon mal auf der Eliteliste möglicher Heiliger.
++ weia gluckst ++