«Vertrauen» oder: Wie ein Wert geschreddert wird.

 In FEATURED, Politik (Inland)

„Vertrauen in die Politik ist verloren gegangen“ – in den Klagen vieler Volksvertreter schwingt neben schlecht gespielter Zerknirschung auch viel Selbstmitleid mit. Es klingt manchmal, als ob Politiker erst seit dem Fall Maaßen ihre zuvor unbestrittene Reinheit verloren hätten. Als ob unser Vertrauen zuvor noch unerschütterlich gewesen wäre. Als sei uns völlig neu gewesen, dass bei ihren Entscheidungen auch Macht- und Profit-Erwägungen eine Rolle gespielt hätten. So bewirkt das Gerede über Vertrauensverlust noch größeren Vertrauensverlust. Dabei wäre klar, was die Regierenden tun müssten, um wieder Boden gut zu machen. (Jürgen Wertheimer)

Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, hat keinen zu verlieren, sagt Lessing einmal. Und er hat weiß Gott recht. Ich weiß, es erscheint vielleicht billig, über Politik und Politiker zu lästern und mancher fürchtet vielleicht in die Nähe von Stammtischgerede zu geraten. Aber auch bei nur flüchtiger Betrachtung  dessen, was sich derzeit auf der politischen Bühne an inhaltsloser Groteske abspielt, muss man  einfach versuchen, den amtierenden Volksvertretern ohne Volk in Wort zu fallen.

Parteiübergreifend beherrscht derzeit ein Begriff mehr als alle anderen die politischen Podien: der des Vertrauens. In den vergangenen Tagen schwappte eine ganze  Kaskade von Vertrauensforderungen durch die Medien. Kanzlerin, Minister jeder Couleur, sogar Jusos sprachen mit tief besorgten , mahnenden Mienen davon, dass  Vertrauen im Begriff sei verloren zu gehen. Vertrauen in die Politik, Vertrauen in den Rechtsstaat, die Demokratie.

Ganz so, also ob man voraussetzen dürfte, dass irgendjemand bei klarem Verstand heute noch immer  Vertrauen in diesen Staat und seine Repräsentanten in der derzeitigen Verfassung hätte. Als ob man geneigt wäre,  so einfach Vertrauen in durchschaubare  taktische Manöver zu setzen. Als ob man nicht längst durchschaut hätte, dass nahezu alle Entscheidungen strategisch, taktisch, parteipolitisch, gewinnorientiert oder – in jüngster Zeit  besorgniserregend vermehrt – individualneurotisch begründet sind.

Selten wurde mit einem in seiner Herkunft würdigen, ja fast heiligen Begriff mehr semantischer Unfug getrieben. Vertrauen ist keine Blätterteig-Tugend, die man einfach dekorativ verteilen kann. Und kein Wunschgebilde, das man durch häufige Wiederholung  magisch beschwören kann. Vor allem keine Massenware, sondern ein extrem zerbrechliches, verletzbares, riskantes Gefühl. Eine riskante Wette auf die Stimmigkeit des Bildes, das wir uns vom anderen gemacht haben – kurz eine sehr individuelle und existenzielle Angelegenheit, wertvoller emotionaler Rohstoff. Falsch verwendet, kann er sogar zu einer Gefahr werden: Betrüger bedienen sich vorzugsweise des Mediums des Vertrauens, um ihre Ziele durchzusetzen.

In der Realpolitik hat der Begriff letztlich wenig zu suchen – deshalb wirkt er dort  so unbehaust und  verloren, wenn er aus Politikermündern kommt.

Mehr noch – hier verkommt das rhetorischen Vertrauenstheater vollends zur Farce – wenn offenbar nicht bemerkt wird,  dass die Vertrauenszerstörer und diejenigen, die den Niedergang des Vertrauens beklagen, ein und dieselben Personen sind: Eben noch hat man einen linken und linkischen Deal gemacht, schon tritt man vor die Presse und schwadroniert von Vertrauen.

Aber es kommt noch schlimmer, noch absurder: Der Fall Maaßen lehrt, dass man denselben schrägen Deal an einem Abend machen und sich am nächsten von ihm schärfstens distanzieren kann: „Sonst ginge Vertrauen verloren“. Ich denke, wir sind über eine dermaßen kaltschnäuzige Ignoranz so verblüfft, dass wir im ersten Moment gar nicht begreifen, was für ein argumentatives Schmierentheater hier abläuft und nur deshalb nicht in schallendes Gelächter ausbrechen.

Konsequenz und Modest Proposal: Liebe Politiker, verlasst euer vertrauensbeseeltes Wolkenkuckucksheim und kommt zu uns, eurem Souverän herunter. Seid verlässlich – das genügt. Werdet konkret. Handelt, ohne dass man euch mit einem Shitstorm antreiben muss. Setzt auf Inhalte. Macht Vorschläge. Redet mit uns. Erklärt was ihr meint, was ihr wollt.  Sagt nicht „Wir schaffen das“, sondern sagt, und erklärt, wie und wer etwas schaffen soll und wie viel es Euch wert ist, das wir (nicht ihr) etwas schaffen. Und: lasst euch die panische Angst vor den neuen Rechten, vor der nächsten Wahl nicht so spürbar anmerken – noch besser: tut was, damit nicht eure Ängste vor eventuellem Machtverlust unser Problem werden.  Und verschont uns bitte auf absehbare Zeit mit der törichten Leerformel vom bedrohten Vertrauen.

 

 

 

 

 

 

 

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