Was ist Glück (3/5)
Warum sind viele von uns nicht so glücklich wie sie es sein könnten? Vielleicht auch, weil sie zu viel Mühe darauf verwenden, glücklich zu scheinen. Beim Versuch, schöne Momente zu konservieren, zu dokumentieren und zu „sharen“ verpassenen sie den Moment selbst mit seiner oft geradezu magischen Kraft. Es gibt aber auch zahlreiche andere Glücksfaktoren. Humor zum Beispiel und die Fähigkeit, selbt unangenehmen Erfahrungen noch positive Aspekte abzugewinnen. Glück hat natürlich auch eine gesellschaftliche Komponente. Es gedeiht besser in einer halbwegs gerechten und – nicht nur dem Namen nach – freien Welt. Genügt es, die eigene „kleine Welt“ in Ordnung zu halten oder sollten wir uns auch an der Verbesserung der „großen“ beteiligen? Holger Wohlfahrt
Dinge um ihrer selbst willen tun
Die Glücksquellen jener kleinen aber wiederkehrenden Freuden des Lebens liegen oft außerhalb der menschlichen Verfügbarkeit. Umso wichtiger erscheint es, sich immer wieder bewusst zu machen, welch‘ wunderbare Gabe die menschlichen Sinne darstellen. Sie ermöglichen einen Zugang zu all jenen unbezahlbaren Freuden, die den Lebensweg pflastern: dem morgendlichen Sonnenaufgang, dem Zauber des ersten Schnees, dem fröhlichen Singen der Vögel an einem taufrischen Frühlingstag. Gerade da sich all das dem unmittelbaren Zugriff und vollkommenen Besitz entzieht, strahlt es eine Erhabenheit aus, die ergreifend sein kann und womöglich ein wahres Feuerwerk an Glückshormonen auslöst.
Wer sich nun einen Moment Zeit nimmt, um dem kunstvollen Gesang der Vögel zu lauschen oder dem Tanz der Schneeflocken zuzusehen, der tut dies aus purer Freude. Er tut es des Moments wegen. Derartige Glücksmomente erschöpfen sich aus sich selbst und sind in ihrer Zwecklosigkeit daher oft besonders intensiv.
Die Versuche, jene Momente zu konservieren, bedingen zwangsläufig eine Loslösung von der Intensität des Erlebens. Durch moderne Technik kann der Mensch der Gegenwart jede Besonderheit fotografisch oder filmisch festhalten. Oft handelt er dabei in einer Art vorausschauendem Gehorsam vor dem stillen Diktat der Masse. Er betrachtet jede Phase seines Lebens schon aus den Augen seiner Facebook-, Whatsapp-, oder Instagramfreunde. Was werden sie von diesem Bild halten? Werden sie den Moment möglichst eindrucksvoll auf ihrem Handy oder PC nachempfinden können? Wird sich bei dem einen oder der anderen vielleicht sogar Bewunderung einstellen? Neid? Wie viele Likes wird es geben?
Besondere Augenblicke werden infolge der heutigen Foto- und Filmwut oft schon in der Phase ihres Erlebens nur noch retrospektiv wahrgenommen. Man überlegt, wie der Sonnenaufgang oder jener unbeschreiblich schöne Vogelgesang am besten einzufangen sein könnte; wie der Moment für einen selbst und möglichst auch für anderen in Zukunft verfügbar gemacht werden könnte. Dadurch wird der Augenblick des Erlebens entweiht. Kein Wunder, dass die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein, in der modernen Welt immer mehr abhanden zu kommen scheint.
Wahres Glück scheint hingegen in der Fähigkeit zu liegen, den Augenblick um seiner selbst willen auszukosten und ihn eben nicht zu verdinglichen. Vielleicht kann es hilfreich sein, gerade in den allerschönsten Augenblicken die Kamera oder das Handy beiseite zu legen und einfach nur zu genießen!
Neben dem passiven Sinnesgenuss der Welt mit all ihren kleinen und großen Schönheiten und Besonderheiten, scheint wahres Glück in der Fähigkeit zu liegen, Dinge auch aktiv um ihrer selbst willen zu tun.
Statt sich von Anerkennungssucht und Angst treiben zu lassen und etwas zu tun, das dem eigenen Wesen, den eigenen Talenten, Fähigkeiten und Interessen gar nicht entspricht, heißt das, sich den Dingen zu widmen, die einem das bescheren, was der legendäre Psychiater Mihály Csíkszentmihályi (ausgesprochen etwa: Tschick-Sänt-Mihaij) von der University of Chicago als „Flow“ bezeichnet. Er knüpft damit an Beobachtungen an, die bereits Maria Montessori machte und als „Polarisation der Aufmerksamkeit“ bezeichnete. Das Flow-Empfinden hat man demnach, wenn man Dinge tut, die man aus sich heraus gerne tut. Es sind Dinge, die zur Melodie des eigenen Lebens passen.
Um herauszufinden, was zu einem passt, ist es durchaus hilfreich, bei Zeiten ein intensives und vielfältiges Leben zu führen. Die menschliche Natur befördert das ohnehin. Sie hat die Lebensphase der Jugend dazu auserkoren, besonders lebenshungrig, auch rebellisch zu sein. Daher ist es nur wünschenswert, dass gerade die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zu sehr systemisch eingehegt und zur Anpassung gezwungen werden. Sie sollen, ganz im Einklang mit ihren natürlichen Anlagen, frisch, frech und frei Neues und Verrücktes ausprobieren. Auch Fehler müssen gemacht, es soll grandios gescheitert und verloren werden.
Wer immer nur den bequemsten Weg geht, keine extremen Erfahrungen sammelt, nie merkt, was ihn wirklich schmerzt, wer auch nie mit wahrhaften Problemen konfrontiert wird, dem wird selbst kaum je gelingen können, sich und seine Mentalität wirklich kennen zu lernen.
Das Ziel des Sich-Selbst-Kennenlernens bleibt natürlich nicht auf die Jugend beschränkt. „Erkenne dich selbst“ stand schon über dem Orakel von Delphi. Es war dies als eine der wichtigsten und zugleich schwersten Lebensaufgaben des Menschen eingestuft worden. Dabei handelt es sich um eine Aufgabe, die gerade ob ihrer Unerreichbarkeit durchaus als „sinnvoll“ (siehe Artikel „Was ist Glück?“ 1/5) verstanden werden kann. In dem Moment, in dem der Mensch sich selbst erkannt zu haben glaubt, hat er sich schließlich schon wieder verändert und muss sich neu zu verstehen lernen. Von neuem muss er beginnen, den sprichwörtlichen Stein des Sisyphos nach oben zu rollen.
Die natürlichen Veränderungen im Laufe des Lebens gilt es somit wahrzunehmen und zu akzeptieren. Der moderne Mensch unterliegt einem schweren Fehler, wenn er dem immer öfter von diversen Marketingagenturen und von Stars und Sternchen aus Film und Fernsehen vermittelten Bild Glauben schenkt, dass er erstarrt sei in ewiger Jugend und sich dementsprechend zu verhalten habe. Aber auch das Gegenmodell – zu glauben, nur weil die Zahl der gelebten Jahre im historischen Vergleich recht hoch ausfalle, dürfe man nun nichts Anregendes, Vitales mehr unternehmen, man sei dessen nicht mehr würdig, wahrscheinlich könne man es auch gar nicht mehr – verspricht wenig Glück.
Glücksstiftend ist es stattdessen, von der eigenen Lebenssituation ausgehend, Dinge zu finden, die den Alltag bereichern. Das gilt für jede Form des Tätigseins – sei es im Beruf oder im Ausüben eines Hobbys. Wer es schafft, dabei die Erwartungen anderer (oft wirken sie als Spätfolgen von Sozialisation und Erziehung unbewusst fort) auszublenden und in den Dingen aufzugehen, die dem eigenen Körper und Geist Freude bereiten, der hat gute Chancen, sich dem sogenannten „Flow-Zustand“ zumindest anzunähern.
Einige Betätigungen scheinen jedoch allgemein besonders geeignet, diesem Zustand nahe zu kommen oder ihn zu erreichen. Der von vielen als „Mister Glücksforschung“ bezeichnete Psychologe David G. Myer von der Hope University in Michigan zählt hierzu vornehmlich Gartenarbeit und andere handwerkliche Tätigkeiten. Im Prozess des Herstellens ist der Fokus ganz und gar auf das Tun gerichtet. Wer die Freude des handwerklichen Arbeitens kennen gelernt hat, stellt oft Dinge ohne Ziel her. Er töpfert des Töpferns wegen, strickt des Strickens wegen oder schreinert des Schreinerns wegen.
Doch nicht jeder ist handwerklich begabt. Auch wird der Grat hin zur verschwendenden Anhäufung sinnlos erstellter Güter schnell sehr schmal. Die wohl intensivsten Möglichkeiten zum Flow-Erleben erschöpfen sich in sich selbst. Sie sind im Moment ihres Tuns oft fast schon wieder Vergangenheit. Es sind dies das künstlerische, vor allem das musikalische und das sportliche Tätig-Sein sowie die Verbindung von beidem in Form des Tanzes. Erst in jüngster Zeit ist es gelungen, diese Dinge auf Medien zu speichern und damit der Vergänglichkeit zu entziehen. Über Jahrhunderte waren sie im Moment ihres Tuns schon wieder überkommen.
Das Ausüben von Musik und Sport wird zurecht meist mit dem Verb „spielen“ bezeichnet. Man „spielt“ Klavier. Und man „spielt“ Fußball. Bekanntlich wusste schon Friedrich Schiller: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Denn nur beim Spiel „ruht und wohnt die ganze Gestalt.“
Das Spiel als solches ist ein zweckbefreites Tun, das sich von der harten Realität des Lebens abgrenzt. Es gibt, wie Schiller weiter meint, bei jeder Form von gutem Spiel „keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte.“ Zwar ist jedes Spiel an gewisse Regeln gebunden, dennoch ist der Raum für Freiheit und Kreativität innerhalb dieses Rahmens nahezu grenzenlos. Je weiter der regulative Rahmen, desto anregender und besser ist meist das Spiel. Abgeleitet vom althochdeutschen Wort für „Tanzbewegung“ steht das „Spiel“ immer für eine entspannte Freudigkeit, die ihre Daseinsberechtigung aus sich selbst heraus bezieht. Das Ich verliert sich dabei tänzerisch in den schier endlosen Weiten des Universums.
Zwar wird versucht, auch jene zweckbefreiten Spiele als Mittel für höhere Zwecke zu missbrauchen. Musiker machen ihre Musik oftmals allein mit dem Ziel, Erfolg, Ruhm und Reichtum zu erlangen. Für Fußballer gilt das sowieso. Sie benutzen das Spiel für Siege, Anerkennung und bessere Verträge. Und dennoch: Im Moment des Klavierspiels wird keiner an den möglichen Ruhm denken. Im dem Moment, in dem der Stürmer mit Leidenschaft ins Dribbling geht, wird er nicht an den nächsten, höher dotierten Vertrag denken. Alle Aufmerksamkeit und Wahrnehmung verzehrt sich im augenblicklichen Tun.
Natürlich findet nicht jeder Freude am eigenen Musizieren oder Sporteln. Die Gründe hierfür sind jedoch meist extrinsischer Natur. Das vermeintlich unsportliche Kind, das vom Lehrer getadelt und von den Mitschülern gehänselt wird, verliert womöglich lebenslänglich die Lust am Sport. Es wird mit Sport als solchem immer ein Übel der Kindheit verbinden. Genauso wird das vordergründig unmusikalische Kind, das zum Klavierspiel gezwungen wurde, im Erwachsenenleben wahrscheinlich nie wieder ein Instrument anrühren.
Daher muss es tatsächlich immer Ziel sein, vornehmlich die Freude an Musik und jeder anderen Form von Kunst, sowie allgemein an Sport und Spiel zu wecken. Wem die Lust daran nicht abtrainiert wird, der wird einen steten Zugang zu Freude und Glück haben. So gesehen ist dem Hirnforscher Manfred Spitzer durchaus zuzustimmen, wenn er sagt, dass die „wichtigsten Schulfächer Musik, Sport, Theaterspielen, Kunst und Handarbeiten“ seien (auch wenn er damit meint, dass diese Disziplinen aufgrund der damit einhergehenden Schulungen von Kognition, Reflexion, Kreativität, Empathie, Frustrationstoleranz, körperlicher wie geistiger Fitness weitaus geeigneter seien als das Auswendiglernen von Zahlen und Fakten – er „verzwecklicht“ die Disziplinen damit wieder ein Stück weit).
Vielleicht sollte ergänzt werden, dass gerade diese Fächer keinem Leistungsdiktat unterworfen werden dürfen. Sie müssten zwar stärker gefördert werden. Ihre strenge Bewertung ist hingegen abzulehnen. Sie können per se so viel Freude stiften, dass eine extrinsische Motivation in Form von Noten nicht nötig ist. Die positive Wirkung wird sich auch ohne die Note 1 einstellen. Die negative Wirkung der Note 5 auf den Felgaufschwung kann jedoch lebenslängliche Folgen haben und möglicherweise die Lust auf Sport für immer mindern.
Dennoch wird nicht jeder in gleichem Maße Freude dabei empfinden, Gitarre oder Handball zu spielen. Aber eine zugewandte, motivierende und unterstützende Förderung gerade in den Bereichen Musik, Kunst und Sport ermöglicht es, zumindest irgendein Instrument, eine Kunstform oder irgendeine Sport-Disziplin zu finden, die den eigenen Begabungen entspricht und den Zugang zu zweckbefreitem aber erfüllendem und damit glückstiftendem Tun ermöglicht.
Positiv Denken
Selbst grundsätzlich beglückende Tätigkeiten können Mühe bedeuten, kurzzeitigen Ärger und Verdruss bringen oder zur vordergründig langweilenden Gewohnheit werden. Und es gibt die Dinge, die man nicht tun mag, die aber dennoch erledigt werden müssen. Auch wer selbstbestimmt herausgefunden hat, in welchen Tätigkeiten er vollends aufgeht, wird sich wohl oder übel gelegentlich noch anderem widmen müssen. Zudem wird es immer unverhofft auftretende, unerfreuliche Alltagsbelastungen geben, auch um Unfälle und Trauerfälle kommt wohl kein Mensch dauerhaft herum.
Doch gibt es wirklich die eine Wahrheit, der zufolge die Dinge sich so und nicht anders verhalten? Der Mediziner und Philosoph Georg Northoff greift letztlich Theorien von Denkern wie David Hume oder Immanuel Kant auf, wenn er sagt: „Weil in jeder Erfahrung der Welt immer schon der eigene Beitrag des Gehirns mitmischt, ist es für uns wirklich schwierig, zu trennen, was ist unser eigenes Gehirn und was ist wirklich die Welt selber, unabhängig vom Gehirn.“
Die Psychologin Christine Mann, Tochter von Werner Heisenberg und Frau von Frido Mann, geht noch weiter. In einem, gemeinsam mit ihrem Mann verfassten Werk zur Quantenphysik meint sie: „Die Quantenphysik lehrt uns, dass jeder Beobachter Teil einer Wirklichkeit ist, die er beobachtet. […] Wir sind nicht die unbeteiligten Beobachter, die die objektive Wirklichkeit erkennen, sondern unser Denken, unsere Fragestellung verändern die Realität.“
Das heißt, die Wirklichkeit ist immer auch abhängig von der Art, wie wir Menschen sie wahrnehmen. Diese Erkenntnis lässt sich für das eigene Wohlbefinden nutzen. Gemäß einem bekannten Spruch kann man ein Glas immer als halb voll oder als halb leer erkennen.
Der erste bekannte Therapeut der Menschheitsgeschichte, der 480 vor Christus geborene Antiphon, wusste bereits mit diesem Phänomen zu arbeiten. Er brachte seinen Patienten unter anderem bei, ihre Probleme genau zu reflektieren und dabei die Mehrdimensionalität des Lebens aufzudecken.
Auch wenn es nicht so scheinen mag: Selbst der schlimmste Zustand hat sein Gutes! Die Ursache jeden Schattens ist das Licht. Licht und Schatten sind nur gemeinsam zu denken. Ohne das eine würde der Mensch auch das andere nicht kennen. Wer im Schatten steht, muss folglich nur das Licht suchen.
Wer sich stets auf das Positive konzentriert, wem es gelingt, selbst im Unglück etwas Gutes zu sehen, der wird angenehmer durchs Leben kommen und letztlich ein glücklicherer Mensch sein. Das neuro-chemische Prinzip dahinter ist im Grunde genommen einfach: Denken erzeugt Botenstoffe. Botenstoffe wiederum erzeugen Gefühle und Stimmungen. Und diese transportieren aus neurologischer Sicht das, was man Glück nennt.
Wer das nicht glaubt, muss sich nur vorstellen, was einzelne Worte auslösen können. Denken Sie an einen Arzt, der Ihnen mitteilt, Sie haben Krebs. Kurze Zeit später korrigiert er sich. Er habe Ihnen einen falschen Befund zugeordnet. Sie seien kerngesund. Der Arzt macht in beiden Fällen nichts, als zu reden. Der Effekt seiner Worte auf Ihren emotionalen Haushalt wird jedoch gewaltig sein.
Natürlich ist nicht jeder ein geborener Optimist. Viele Menschen sehen in allem erst das Negative. Vielleicht behaupten sie sogar, dass dies zur eigenen Sicherheit – sozusagen aus Selbstschutz – geschehe. Wer immer vom Schlechten ausgeht, kann schließlich nur positiv überrascht werden. „Feeling good about feeling bad“ wird dieses Prinzip des Denkens in der amerikanischen Psychologie genannt. Allerdings wurde der ihr inhärente Irrtum von Hirnforschern schon längst demaskiert. Die längere Zeit der Erwartung des Negativen ist schließlich immer verbunden mit der erhöhten Produktion von Adrenalin und Cortisol, also Stresshormonen. Der Moment der positiven Überraschung – so er denn überhaupt eintritt– ist dann hingegen nur sehr kurz. Meist sehen Pessimisten nämlich auch in diesem positiven Augenblick sofort die nächste drohende Gefahr bzw. die Risiken des Erfolgs. Derjenige, der hingegen immer auf das Positive hofft und immer vom Guten ausgeht, neigt dazu, auch im Moment der Enttäuschung den Fokus sofort wieder auf das Hoffnungsvolle zu richten.
Sich selbst zu überwinden ist jedoch nicht leicht. Wer zum Pessimisten erzogen wurde, kann nicht einfach den Schalter umlegen und von heute auf morgen entscheiden, Optimist zu sein. Shawn Achor, amerikanischer Autor und Anhänger der positiven Psychologie, empfiehlt solchen Pessimisten eine vermeintlich einfache Methode. Sie sollen jeden Abend drei schöne, positive Erfahrungen und Erlebnisse in einem Heft notieren. Es müssen allerdings jeden Tag drei neue Dinge sein. Wer das über mindestens drei Wochen jeden Abend mache, würde bereits eine erste leichte Veränderung in seinem Hirn erwirken, meint Achor. Schließlich würde das Gehirn schon tagsüber beginnen, immer nach dem Positiven Ausschau zu halten. Der Fokus würde sich immer stärker auf das Schöne und Gute richten – bis man die Welt schließlich fast nur noch von ihrer sonnigen Seite sieht.
Humor
Ein japanisches Sprichwort besagt: „Das Glück kommt zu denen, die lachen.“ Inzwischen gibt es eine eigene akademische Disziplin, die sich mit den Auswirkungen des Lachens auf Körper und Geist beschäftigt. Die sogenannte Gelotologie wurde 1964 an der Stanford-University begründet. Weltweit wurden seitdem eigene Humor- und Lachtherapien entwickelt, die vor allem Schmerzpatienten und Patienten mit Depressionen empfohlen werden.
Willibald Ruch vom Psychologischen Institut der Universität Zürich hat dabei nachgewiesen, dass Humor nicht nur ein kurzzeitiges Hoch oder die momentane Linderung eines Tiefs bedingen kann. In einer Studie, an der 15 000 Menschen teilnahmen, konnte er die Korrelation zwischen Humor und Lebenszufriedenheit analysieren. Er fand heraus, dass die zufriedensten Menschen diejenigen waren, die besonders oft lachten und einen besonders großen Humor hatten.
Dass es sich hierbei um keine beliebige Korrelation handelte, sondern um einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, konnte er nachweisen, indem er Menschen, die besonders wenig lachten, eine Art langfristige Humorschulung zukommen ließ. Tatsächlich änderte sich ihr Wohlbefinden relational zu der Intensität ihres regelmäßigen Lachens merklich.
Die Erforschung des Lachens steckt insgesamt aber noch in den Kinderschuhen. So fehlen noch wirklich aussagekräftige Meta-Studien. Aktuell geht man aber davon aus, dass durch Lachen Stresshormone abgebaut werden. So konnte der Psychiater und Neurologe William Fry nachweisen, dass schon wenige Minuten des Lachens einen Abbau von Corticoiden und Catecholaminen bedingen. Stattdessen werden verstärkt Endorphine, also Glückshormone, produziert.
Außerdem stellt sich eine anhaltende Phase der Entspannung ein. Der Herzschlag verlangsamt sich und verbleibt auf einem niedrigeren Niveau. Auch das Zwerchfell wird gelockert und ermöglicht eine tiefere Atmung.
Auf neuronaler Ebene scheint es zudem unmöglich zu sein, gleichzeitig zu lachen und Angst zu empfinden. Zurecht heißt es also im Roman „Der Name der Rose“ von Umberto Eco: „Lachen tötet die Furcht.“
Die philosophische Erklärung für die Notwendigkeit des Humors und des Lachens ist eine andere. Demnach versucht der Mensch, wie schon Immanuel Kant aufzeigte, alles in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu pressen. Das Gehirn ist also unentwegt damit beschäftigt, alles Wahrgenommene in logische Beziehungen zu setzen. Dieses Vorgehen ist sehr erfolgreich. Im Laufe der Menschheitsgeschichte konnten viele Dinge entsprechend den Bedürfnissen des Gehirns geordnet werden.
Dinge werden also so lange in Versuchsanordnungen gepackt und ausprobiert, bis aus ihnen eine vermeintlich logische Wirkung hervorgeht und sie für den Menschen verstehbar werden. Die Beherrschung der Welt konnte auf diese Art gelingen. Jedoch wird es immer Bereiche geben, die sich nicht gemäß der menschlichen Hirnwindungen ordnen lassen. Der Humor dient nun als Korrektiv dieses Erklärungswahns. Er ermöglicht es dem Menschen, damit klarzukommen, dass nicht alles logisch ist.
Folglich sorgen Absonderlichkeiten, die jede Form von Normalität und Logik sprengen, oftmals für die größte Erheiterung. Der Humor wird durch sie erweckt und bricht sich in Form des Lachens Bahn. Damit wird es dem an sich erschrockenen oder überforderten Geist möglich, mit einer vermeintlich unverdaulichen Tatsache klar zu kommen. Stress wird abgebaut, Glückshormone werden produziert. Etwas, das vollkommen unerwartet passiert, wird daher im ersten Moment fast immer als komisch empfunden und erzeugt Lachen. Oder wie würden Sie reagieren, wenn Angela Merkel im Bundestag während einer Rede plötzlich auf den Tisch springen und ernsthaft Schuhplatteln und Jodeln würde?
Wem es gelingt, möglichst viele Dinge der Welt staunend zur Kenntnis zu nehmen, wer also noch nicht alles in logische Raster und Ordnungen verpackt hat, wird besonders viel zu lachen haben. Er wird ständig Sonderbares, Verrücktes, Komisches entdecken, was die natürliche Reaktion des Lachens bedingt. Kinder lachen dementsprechend sehr oft und über für Erwachsene oft unerklärliche Dinge. Ihre Welt steckt noch nicht in zu vielen Schubladen. Sie erleben ständig Überraschungen, die sie mit glückstiftendem Lachen verarbeiten.
Ein wunderbares Beispiel für einen dauerstaunenden Menschen ist der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Es heißt, dass er beim bloßen Blick aus dem Fenster in Lachen ausbrechen konnte. Als Grund für seinen Ausbruch nannte er die unglaubliche und staunenswerte Tatsache, dass der Himmel blau sei.
Wie hilfreich Lachen gerade in schwierigen Lebenssituationen sein kann, beschreibt auch einmal mehr der KZ-Überlebende und spätere Psychiater Victor Frankl. Er erzählt, wie er sich mit einer Gruppe von Insassen regelmäßig zum Witze-Erzählen und Lachen in einem Eck des Lagers traf. Für uns mag das heute befremdlich erscheinen. Victor Frankl war sich hingegen sicher, dass dies ein weiterer Grund (neben dem gefundenen Lebenssinn; siehe „Was ist Glück?“ 1/5) für sein Überleben war.
Oft scheint Humor tatsächlich bei denjenigen Menschen besonders ausgeprägt zu sein, die schlimme und harte Zeiten erfolgreich durchleben konnten. So fällt auf, dass große Komiker und Clowns von Karl Valentin über Charlie Chaplin bis hin zu Oleg Popow aus schweren oder gar schlimmen Verhältnissen kamen. Sie alle hatten gelernt, dass Lachen dabei hilft, die Härten des Alltags zu meistern.
Indem man lernt, die eigene Situation – wie schwer auch immer sie erscheinen mag – und auch die eigene Persönlichkeit, mit einem gewissen Staunen und einer gewissen Komik zu betrachten, lernt man zugleich, sich von sich selbst zu distanzieren. Auch die Angst davor, von anderen ausgelacht zu werden, lässt nach. Man nimmt sich schließlich nicht so wichtig.
Wer gerne und viel lacht, hat also gute Voraussetzungen, glücklicher durchs Leben zu kommen. Es gibt, wie eine Studie der Gelotologie ergab, allerdings auch für humorlose Menschen einen einfachen Trick, sich eine kleine Portion Glück zu holen: Lächeln. Beim Lächeln drückt der Gesichtsmuskel zwischen Auge und Wange auf den Nerv, der unserem Gehirn eine gute, fröhliche Stimmung signalisiert. Das Gehirn lässt sich auf diese Art angeblich übertölpeln und produziert (wenn auch in geringer Dosis) Wohlfühlmormone. Gerade in Phasen von extremem Stress lohnt es sich also, einfach mal zu lächeln.
Wem das nicht reicht, der kann sich an der Humorschulung orientieren, die Willibald Ruch seinen humorlosen Probanden in der oben zitierten Studie zukommen ließ. Sie erinnert im Wesentlichen an das, was Shawn Achor für die Entwicklung des positiven Denkens empfiehlt: Man soll ein Humortagebuch führen. Jeden Abend soll man sich einen Moment Zeit nehmen und die lustigsten Dinge notieren, die einem im Laufe des Tages passiert sind. Irgendwann wird man Ruch zufolge so auf das Lustige des Lebens fokussiert sein, dass man sehr viel mehr und intensiver lachen kann.
Engagement
Wer jedoch in allem immer nur das Positive und Lustige sucht und womöglich auch zu finden vermag, der droht eines Tages von der Realität umso schlimmer übermannt zu werden. Jemand, der nur damit beschäftigt ist, das Gute in allem zu sehen, zieht sich schließlich in ein gefährliches politisches Innen- und Privatleben zurück. Indem er Anzeichen äußerer Gefahr so lange nur von der positiven Seite sieht, bis er nicht mehr umhin kommt ihre negativen Auswirkungen zu spüren, wird von der harten Keule der Realität womöglich umso brutaler, da unvorbereiteter, niedergeschlagen werden.
Der vollkommene geistige Rückzug in eine schöne, heile Welt bedeutet stets auch eine Form von äußerer Apathie. Jeglicher Veränderungswille, jeglicher Kampfgeist und jegliche Kritikbereitschaft verschwinden zwangsläufig, wenn doch ohnehin alles paradiesisch schön erscheint.
Leider wird es immer Einzelne geben, die Formen gesellschaftlicher Apathie für sich auszunutzen wissen. Die äußere Passivität anderer ermöglicht es ihnen, ihre eigenen Vorlieben durchzusetzen und die äußerlich Zurückgezogenen schließlich für ihre Zwecke zu missbrauchen. Klaus Mann beschreibt in seinem Buch „Der Wendepunkt“ immer wieder, wie sehr auch die chronischen Optimisten für den Zusammenbruch Deutschlands in der Nazi-Zeit verantwortlich zu machen sind. Manche meinten selbst im Angesicht von Konzentrationslagern noch eine heile Welt zu erkennen.
Klaus Mann zufolge hat also auch ein allzu blinder Optimismus einen Zustand von Unterdrückung, kollektiver Unfreiheit und totaler Unmenschlichkeit bedingt, der in der schlimmstmöglichen Katastrophe eines Weltkriegs mit vielen Millionen Toten endete.
Ein latenter gesellschaftlicher Glückszustand kann aber selbst in vermeintlich harmloseren Konstellationen der Unfreiheit und der menschlichen Unterdrückung nicht begegnen.
Valerie Moller, Leiterin des Forschungsprogramms zur Lebensqualität am Institut für Sozial-und Wirtschaftsforschung der Rhodes University in Grahamstown, Südafrika, hat im Zeitraum von dreißig Jahren viele Tausend Südafrikanerinnen und Südafrikaner zu ihren Lebensumständen, ihren Hoffnungen, Ängsten und ihrem Glücksempfinden befragt. Der Moment der größten Begeisterung und des intensivsten Glücksempfindens trat bei den Befragten ein, als Südafrika die Demokratie und die damit einhergehende politische Freiheit erhielt. Nach den ersten freien und gleichen Wahlen im Jahr 1994 war das Glücksempfinden Moller zufolge im internationalen Vergleich auf einem durchschnittlichen Level. Davor hatte es weit darunter gelegen.
Auch wenn vielen Europäern die Vorteile einer Demokratie wohl aus Gewohnheit nicht mehr bewusst sind: Für die Chance eines nachhaltigen Glücksempfindens ist es nötig, grundlegende Freiheiten und Wahlmöglichkeiten zu haben. In jeder noch so schlimmen äußeren Unbill etwas Gutes oder Lustiges zu erkennen, kann einzelnen Menschen zwar gut tun, wie am Beispiel Victor Frankls gezeigt. Will man in einer glücksfähigen Gesellschaft leben, sollte sich möglichst jeder Einzelne durchaus auch auf drohende Gefahren konzentrieren und frühzeitig aufbegehren.
Ganz im Sinne der Politikwissenschaftlerin und Philosophin Hannah Arendt gilt es, sich leidenschaftlich für die Sache der Vernunft und des Gemeinwesens einzusetzen. Ein derartiges Engagement kann zutiefst sinnstiftend und damit aus sich heraus glücksbringend sein. Die Herausforderung bei jeglichem politischen Engagement liegt freilich darin, im Einzelfall mit Gelassenheit zu reagieren und im Allgemeinen doch nicht den Glauben aufzugeben, dass die Welt zum Besseren verändert werden kann.
Eine hoffnungsvolle, also positive und auch humorvolle Gesinnung erscheint daher umso wichtiger, will man konstruktiv für gesellschaftliche Verbesserungen eintreten und erkannten Gefahren gegenwirken. Eine zu pessimistische Grundhaltung wird demgegenüber vermutlich wenig bewirken können. Sie droht sich in Resignation, Verzweiflung, Verbitterung oder gar in kollektivem Menschenhass, der womöglich in Aggression umschlägt, zu verlieren.
Um nun gesellschaftliche Missstände und Bedrohungen zu erkennen, hilft es, auf ein altbekanntes Gedankenmodell des politischen Philosophen John Rawls zurückzugreifen. Rawls nimmt an, dass die individuelle Weltanschauung und alle damit einhergehenden Gerechtigkeitsvorstellungen immer maßgeblich von den persönlichen Umständen bestimmt werden. Der Multimillionär wird meist andere Erwartungen an eine gerechte Politik haben als der Arbeitslose. Der eine wird zum Beispiel weniger Umverteilung etwa in Form von Steuern fordern, der andere mehr. Dabei wird jeder, wenn er es nur hart genug versucht, gute Argumente für seine Sichtweise finden können. Dieser egoistischen Situationsabhängigkeit zu entkommen fällt jedem Menschen schwer.
Rawls hat daher ein gedankliches Modell entwickelt, das unter der Begrifflichkeit „Schleier des Nichtwissens“ bekannt wurde:
Man solle sich vorstellen, dass man noch gar nicht geboren sei. Man wisse auch nicht, als wer man geboren werden wird: ob als körperlich Behinderter im Sudan, ob als Tochter oder Sohn von Herzogin Kate und Prinz William, ob als Nachfahre eines Vorstandsvorsitzenden oder eines Hartz 4 Empfängers, ob als Schwarzer oder Weißer, ob als Heterosexueller oder Homosexueller, ob als Christ oder Moslem. Nun solle man sich überlegen, wie die Welt, in die man geboren wird, idealerweise aussehen müsste, damit man sich mit möglichst großer Sicherheit grundlegend wohl fühlen könne. Nach welchen Prinzipien sollte diese Welt geordnet sein?
Rawls selbst meint in seinem einflussreichen Werk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ aus dem Jahr 1971, dass wohl nur sehr wenige, die sich hinter den gedanklichen „Schleier des Nichtwissens“ zurückziehen würden, auf eine Weltordnung wie die unsere kämen. Die Wahrscheinlichkeit in unentrinnbare Not, in Unterdrückung und Elend geboren zu werden, wäre nämlich viel zu groß. Die reichsten hundert Menschen der Erde haben momentan angeblich mehr Besitz als die 3,8 Millionen ärmsten Menschen zusammengenommen. Die Chance der Ärmsten, ihren Verhältnissen zu entkommen, geht dabei gegen Null. Eine Welt, in der größtenteils die Geburts-Lotterie darüber entscheidet, ob man Macht und Einfluss oder zumindest die grundlegende Möglichkeit zur Selbstentfaltung hat oder ob man sein Leben im Slum verbringt, würde sich kein vernünftiger Mensch ausdenken, meint Rawls. Nur ausgesprochene Hasardeure würden hinter dem „Schleier des Nichtwissens“ eine Weltordnung wie die unsere ersinnen und dann darauf hoffen, gegen jede Wahrscheinlichkeit in die Kreise der wenigen Wohlhabenden oder gar Reichen und Mächtigen geboren zu werden.
Rawls meint, dass abgesehen von derartigen Hasardeuren alle klar Denkenden Menschen eine Welt konstruieren würden, in der jeder, unabhängig von allen äußeren Faktoren, wesentliche Grundrechte hat. Dazu zählt er Meinungsfreiheit, Recht auf Unversehrtheit oder auch Religionsfreiheit.
Erst nach diesen Grundrechten behandelt Rawls das Thema des Wohlstands. Er geht davon aus, dass eine vollkommene Gleichheit in Besitz und Einkommen eine zu große Einschränkung der individuellen Freiheit darstelle und daher von kaum jemandem erwünscht werden würde. Es kann und soll also Unterschiede geben. Jedoch sollte in einer gerechten Welt jede Form von sozialer Ungleichheit so geordnet sein, dass sie „den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen“ würde.
Hinter dem „Schleier des Nichtwissens“ würde sich schließlich jeder das schlimmstmögliche Szenario, in das er hineingeboren werden könnte, vorstellen und dann überlegen, welcher äußere Rahmen ihm dennoch ein selbstbestimmtes und glückliches Leben ermöglichen könnte. Letztlich entspricht dies der Forderung nach einem sehr starken Sozialstaat. Man muss Rawls sicher nicht in allen Details zustimmen. Es empfiehlt sich jedoch, sein Gedankenexperiment immer mal wieder durchzuführen und die eigenen Ergebnisse mit der Realität abzugleichen.
Seit Rawls erkannt hat, dass die Ungleichverteilung in der modernen Welt so groß ist, dass sie kein vernünftiger Mensch goutieren kann, hat ihr Grad weiter zugenommen. Selbst innerhalb wohlhabender Nationen ist ein großes Gefälle zwischen einer kleinen Schicht Superreicher und dem gesellschaftlichen Rest entstanden. Die Durchlässigkeit nach unten nimmt dabei weiter zu, die nach oben ist fast nicht mehr existent. Die daraus oft entwachsenden Gefühle der Chancenlosigkeit, Machtlosigkeit und die damit einhergehenden Folgen, wie zum Beispiel auch das Aufkeimen sonderbarer Protestparteien, stellen eine große Gefahr der Demokratie und des sozialen Friedens dar.
Dem französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty zufolge liegt diese extreme Zunahme an Ungleichverteilung seit den 1970er Jahren darin begründet, dass die Kapitalrendite deutlich stärker gewachsen ist als die produzierende Wirtschaft. In seinem einflussreichen Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zeigt er, dass diejenigen, die bereits in dem Moment, in dem sich das Verhältnis zwischen beiden Faktoren zugunsten der Kapitalrendite verschob, viel Kapital besaßen, dieses Kapital durch Finanzgeschäfte relativ leicht weiter vermehren konnten. Derartige Finanzgeschäfte brachten dabei allerdings meist keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Außer den Reichen selbst profitierte somit niemand nachhaltig davon.
Die Folge ist, wie Piketty meint, ein „Patrimonialer Kapitalismus“, der eine Art Refeudalisierung bedeutet. Es haben sich zunehmend Finanzeliten herausgebildet, die aufgrund ihres ökonomischen Einflusses so viel Macht anhäufen, dass sie politische und gesellschaftliche Entwicklungen gut in ihrem Sinne prägen können.
Breite Teile der Bevölkerung erfahren demgegenüber eine Einschränkung ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten und sehen sich auch ihrer Chancengleichheit bezüglich eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstiegs beraubt.
Piketty weist darauf hin, dass in der Geschichte ab einem gewissen Grad der gesellschaftlichen Ungleichheit bisher stets gewaltsame Aufstände, Bürgerkriege und Revolutionen ausbrachen.
Es lohnt sich also, gegen diese drohende Gefahr frühzeitig anzukämpfen und sich entsprechend zu engagieren. Piketty empfiehlt beispielsweise den Einsatz für höhere Transaktions- und Vermögenssteuern.
Doch wie kann so ein Engagement nun konkret aussehen? Gerade in der heutigen Zeit scheinen sich viele an dem zu orientieren, was schon Stefan Zweig als Handlungsmaxime äußerte. Der große Autor meinte, dass man die „große Welt“ nur retten (bzw. verändern) könne, „wenn jeder seine kleine Welt rettet“. Natürlich ist viel Wahres an Zweigs Aussage. Nur Veränderungen von Anderen anzumahnen ohne selbst konsequent gemäß der erwünschten Veränderungen zu leben, ist durchaus verwerflich. Jeder, der Massentierhaltung massiv anprangert, sollte demzufolge selbst auf ausgiebigen Fleischkonsum verzichten oder sich zumindest genau erkundigen, woher das konsumierte Fleisch kommt. Andernfalls muss er sich wohl zurecht Scheinheiligkeit vorwerfen lassen.
Doch zu glauben, die „große Welt“ lasse sich alleine dadurch retten, dass jeder „seine kleine rettet“, ist in gewissem Sinne naiv. Der Glaube, durch die eigene Lebensform einen Unterschied machen zu können, liegt vielleicht darin begründet, dass in unserer Gesellschaft Probleme ständig privatisiert werden. Einzelne Personen aus Politik oder Wirtschaft werden nur allzu leicht als Schuldige für alle möglichen Probleme erkannt. Die strukturellen Ursachen werden dabei übersehen. Und so wird schnell vergessen, dass der Einzelne meist machtlos ist in dem System, in dem er sich bewegt.
Die Philosophin Iris Young bringt in dem Zusammenhang den Begriff der „strukturellen Verantwortung“ ins Spiel. Sie betont damit, dass der Einzelne nicht allein durch sein privates Tun gesellschaftliche oder ökologische Verbesserungen erreichen könne. Er kann auf jeden Plastikstrohhalm der Welt verzichten – die Mengen des global hergestellten Plastiks werden sich dadurch nicht verändern. Er kann einzelne Spenden tätigen, die globale Ungleichheit wird davon unberührt bleiben. Will der Einzelne also etwas erreichen, muss er sich öffentlich äußern, gegebenenfalls demonstrieren, versuchen, Mehrheiten zu finden, die sich politisch umsetzen lassen. Er muss sich politisch und gesellschaftlich in einem größeren Rahmen engagieren. Nur mit politischer Kraft lassen sich Regelungen finden, die über die Privatheit des Einzelnen hinausgehen und stattdessen die örtliche Gemeinschaft, im Idealfall sogar ganze Nationen an die Einhaltung von politischen Richtlinien binden.
Das politische Engagement bietet dabei Anlass für viele der bereits genannten Glücksfaktoren. Es übersteigert das eigene Ich, ist also generativ, es ist sinnstiftend und es bringt noch etwas: den Einsatz mit Anderen für Andere! Das hierin für Glücksforscher aus aller Welt die vielleicht größte glücksstiftende Kraft liegt, wird Thema der vierten Folge von „Was ist Glück“ am nächsten Dienstag sein.