Was nun?
283. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Nein, es lässt sich heute nicht vermeiden, liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist unsere GriechInnenhilfe ernsthaft bedroht. Wir HelferInnen stehen vor einer grausamen Situation: entscheiden zu müssen, wem wir in den nächsten drei Monaten helfen können und wem nicht. Eine Darstellung von Tassos Chatzatoglou über immer deutlicher werdende Rechtstendenzen der Mitsotakis-Partei beschließt diesen Bericht. Holdger Platta
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
auch heute werde ich einige zusätzliche Informationen einbauen können in diesen Bericht zur derzeitigen Situation in Griechenland. Diese Tatsache verdanke ich erneut Tassos Chatzatoglou, der sich immer noch in seinem Heimatland aufhält.
Vorausschicken muss ich jedoch die Wiedergabe eines anderes Teils aus der Mail von Tassos an mich, und diese Textpassage zeigt leider allzu deutlich, dass sich unsere GriechInnenhilfe in einer ernsten Krise befindet. Hier also zunächst dieser Ausschnitt aus Tassos Chataztoglous Nachrichten an mich:
„Ich habe die Höhe der Beträge zusammengerechnet, die wir benötigen, um die Bedürftigen, die wir betreuen, einigermaßen für die nächsten drei Monate über die Runden zu bringen. Für Hygieneartikel, für Spezialdiät (Dionisys), für Bezahlung von Stromrechnungen und Lebensmittelbons.
Andros : 400 € Für Hygieneartikel und Medikamente
Tinos : 400 € Für Stromrechnungen
Athen : 1.300 € für Dionisys, Alexander und die Familie in Megara
Korydallos : 3000 € in Form von Bons für Schulartikel und Lebensmittel.“
Die oben genannten Bedarfszahlen ergeben einen Gesamtbetrag von 5.100,- Euro – und ich füge an dieser Stelle hinzu: bei allen diesen Hilfeempfängern handelt es sich um Menschen in Griechenland, die wir seit langem unterstützen und bisher auch immer – nahezu einschränkungslos, zumindest das – unterstützen konnten. Doch jetzt kommt das „Aber“, und dieses „Aber“ konfrontiert uns alle mit einer traurigen Realität:
Auf unserem Konto für die GriechInnenhilfe befinden sich derzeit nur 1.596,86 Euro. Eingerechnet in diesen Betrag sind bereits die Spenden der letzten Woche, die sich insgesamt auf 65,- Euro beliefen und von 4 UnterstützerInnen an uns überwiesen worden sind. Selbst wenn wir das gesamte vorhandene Geld in der Höhe von 1.596,86 Euro über Tassos an die Notleidenden in Griechenland weiterleiten würden, blieben wir mit einem Finanzierungsdefizit in der Höhe von 3.503,14 Euro konfrontiert. Heißt, mit anderen Worten:
Zum ersten Mal in der Geschichte unserer GriechInnenhilfe sind wir vor die grausame Entscheidung gestellt, auswählen zu müssen, uns entscheiden zu müssen für die einen Hilfsbedürftigen und gegen andere Hilfsbedürftige.
Ich gebe zu, dass uns Auswärtige – mich eingeschlossen – diese Unterscheidung, die zugleich Entscheidung ist, völlig überfordert. Denn leider: wir im fernen Deutschland können nicht in allen Details abschätzen, für welche Menschen unter den von uns betreuten Bedürftigen Hilfe am dringlichsten ist – womöglich überlebenserforderlich sogar – und für welche der Bedürftigen nicht. Was also tun? Welche Abhilfe-Möglichkeiten gibt es – vielleicht -, dass es in Zukunft nicht mehr zu einer derart inhumanen Entscheidungssituation kommt?
Nun, wir kommen – ich weiß: ein entsetzliches Wort! – erstmals um eine brutale Hilfsselektion nicht herum. Ich bin aber der Meinung, dass die Entscheidung, wer von uns zu diesem Zeitpunkt die Hilfsgelder bekommen soll, Tassos mit seiner Ehefrau Evi treffen sollte. Nicht, weil ich mich vor dieser Entscheidung drücken wollte, sondern aus dem bereits mitgeteilten Grund: Evi und Tassos wissen einfach besser darüber Bescheid, wer am dringlichsten unserer Hilfe bedarf.
Natürlich bin ich da nicht gänzlich meinungslos: Mir scheint – nach allem, was ich weiß -, dass auf jeden Fall Dionisys für die nächsten 3 Monate 900,- Euro bekommen sollte, für seine teure Spezialdiät, auf die der Junge, der an einer vielfachen Lebensmittelallergie leidet, unvermeidbar angewiesen ist. Hier geht es, soweit ich informiert bin, in der Tat um ein Überlebenkönnen überhaupt.
Auch Panagiota K. mit ihren drei Töchtern in Megara sollte weiter ihre Wohnungsmiete überwiesen bekommen, in der Höhe von 220,- Euro pro Monat. Hier droht ansonsten – schneller, als wir es uns vielleicht vorstellen können – Obdachlosigkeit.
Und schließlich tendiere ich dazu, Alexander S. aus Athen weiterhin seine Strom- und Wasserrechnungen zu bezahlen (da kenne ich zur Zeit den präzisen Monatsbedarf nicht). Was diese „Präferenz“ angeht, appelliere ich an alle, sich einmal konkret vorzustellen, in einer Wohnung leben zu müssen ohne jede Wasser- und Stromversorgung. Oder gewärtig sein zu müssen, ebenfalls von einer Kündigung der eigenen Unterkunft bedroht zu sein.
Aber noch einmal: Das sind alles hilflose Überlegungen meinerseits in einer Situation völliger Hilflosigkeit. Ich hoffe also, ganz rasch von Evi und Tassos Chatzatoglou Entscheidungshilfe zu bekommen in einer Situation, die auch für uns ferne Helferinnen und Helfer kaum auszuhalten ist.
Ansonsten kann ich, weit über meiner Appelle an Eure finanzielle Hilfsbereitschaft hinaus, an alle Leserinnen und Leser dieser Zeilen lediglich appellieren, für sich selber zu überprüfen, ob sie nicht potentiell neue Spenderinnen und Spender ansprechen oder anschreiben sollten, per Telefon oder Mail, oder auch diese Berichte weiterzuverbreiten über Facebook oder sonstige Mitteilungsforen im Internet (ich habe das übrigens schon vor längerer Zeit getan, mit recht unterschiedlichem Erfolg. Von manchen Mitmenschen bekam ich sogar sehr böse Worte zu hören – aber es gibt Schlimmeres als das).
Womit ich – für heute jedenfalls dieses Thema abschließen möchte. Ach so, nur eines noch: In der Vorwoche wurden immerhin 286,- Euro für unsere GriechInnenhilfe gespendet, ebenfalls von 4 UnterstützerInnen. Und blanke Selbstverständlichkeit auch dieses: natürlich danke ich allen Spenderinnen und Spendern der letzten sieben Tage sehr.
Wie es in Griechenland derzeit insgesamt aussieht, politisch vor allem, was die wachsenden Rechtstendenzen der regierenden Mitsotakis-Partei betrifft, der „Nea Dimokratia“ (ND), so möchte ich Euch heute auch diese Informationen nicht vorenthalten. Ich zitiere also, abschließend zu diesem Bericht, auch die anderen Mitteilungen aus Tassos Chatzatoglous Mail an mich (vom 4. September des Jahres). Ich lasse sie heute unkommentiert, denn sie sprechen mit ihrer Klarheit ohnehin für sich:
„Wenn Herr Mitsotakis in seiner Politik nichts ändert, wenn die EU in ihrer Politik nichts ändert, befürchte ich eine Krise in einer neuen Dimension.
Warum denke ich so? Ganz einfach, Mitsotakis bildete seine Regierung um. Die Änderung bedeutet eine Verschlechterung für die Griechen im Allgemeinen. Der neue Innenminister ist ein erklärter Faschist im Gewand eines demokratischen Parlamentsabgeordneten. Der neue Gesundheitsminister ist ein Nationalsozialist, dessen antisemitische Äußerungen einen Protest der jüdischen und christlichen Bevölkerung Griechenlands auslösten. Er entschuldigte sich, aber das mildert keineswegs den Schaden, den er verursacht hat. Der uns bekannte Chrysochoidis (Exarcheia) wurde gegen einen ehemaligen Kommunisten (!!!) ausgetauscht. Es gab keine Erklärung dafür, aber jeder in Griechenland weiß, dass Mitsotakis an Popularität verloren hat. Mit seiner Entscheidung, die wichtigsten Ministerien an Faschisten zu übergeben, versucht er die Gunst der Faschisten in Griechenland zu gewinnen. Der Wahlkampf in Griechenland hat begonnen.
Der Versuch, die Leitung für den Zivilschutz an den SYRIZA-Verteidigungsminister zu übergeben, ist gescheitert. Tsipras griff seinen ehemaligen Verteidigungsminister an und bezeichnete ihn als Verräter. Daraufhin lehnte der Mann den Vorschlag von Mitsotakis ab. Eine Bemerkung am Rande: Apostolakis (SYRIZA), der Verteidigungsminister, war immer ein Anhänger der ND. Tsipras regierte mit dem Segen von Panos Kamenos, dem Begründer der rechtspopulistischen ANEL, der sogenannten „Unabhängigen Griechen“. Als er zurücktrat, ernannte Tsipras Apostolakis zum Verteidigungsminister. Damit waren die Konservativen in Griechenland beruhigt, da die Verteidigung des Landes in den Händen eines ‚Patriote‘ lag. Dazu möchte ich etwas anmerken: Linke gelten in Griechenland allgemein als Landesverräter, da sie versucht haben, die Macht mit Waffengewalt an sich zu reißen.
Es gibt ein Sprichwort, von wem, weiß ich nicht, aber es lautet etwa so: ‚Wenn ein Volk seine eigene Geschichte nicht kennt, existiert es bald nicht mehr.‘ Meinen Landsleuten werfe ich selektive Amnesie vor!
Ich hoffe, ich habe Dir nicht allzu viel zugemutet. Es tut sich etwas in Griechenland. Die undogmatische Linke versucht, bei den Wahlumfragen verlorene Punkte wiederzugewinnen, die Rechtskonservativen scheuen sich nicht, Faschisten und Nationalsozialisten an Bord zu holen, um wiedergewählt zu werden, und die Kommunisten tun so, als ob sie das ganze nichts angeht. Sie betrachten das alles als einen innerbürgerlichen Streit.“
Und damit zu meinem obligaten Schlußappell:
Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21 GOE
Inhaber: IHW
Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an mich, entweder unter der Postanschrift Füllegraben 3, 37176 Sudershausen, oder unter der Mailadresse marggraf-platta@web.de.
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta
Mit Griechenland verbunden ist für mich seit jeher Mikis Theodorakis. Auch meine Woche Nordseeluft konnte meine Gedanken und meine Trauer um ihn nicht verwehen. Zum Glück sind uns seine Poesie und seine Lieder geblieben. Ich werde sie im Herzen tragen.
https://youtu.be/8KBmXnDy7lo