Was schulden wir den Gierigen?

 In FEATURED, Politik, Wirtschaft

Wir tun gut daran, uns an die Finanzkrise 2008 und 2009 zu erinnern. Dergleichen könnte sich in naher Zukunft wiederholen. Die Mechanismen – der Staat “bürgt” mit Steuergeldern für die Großen, während die Kleinen untergehen – dürften dieselben bleiben, das Politikergerede und die Beschönigungen der Medien auch. Der Autor, sonst vor allem ein Öko-Mahner, hat das früh erkannt. Dirk C. Fleck

Vor einigen Wochen wussten wir die Zeichen nur schwer zu deuten. Wer allerdings darin geübt war, den Wahrheitsgehalt offizieller Statements im Minenspiel derer abzulesen, die sie von sich geben, dem schwante schon damals nichts Gutes. Es war die Zeit, da die Finanzexperten aus Politik, Wirtschaft und Medien sich aufgerufen fühlten, das Platzen der amerikanischen Immobilienblase in nie gekannter Eintracht zu bagatellisieren. Kalt lächelnd verkündeten die Damen und Herren, dass ein übergreifen der US-Finanzkrise auf Europa so gut wie ausgeschlossen sei.

Als schließlich eine bedeutende amerikanische Bank nach der anderen in den Bankrott schlitterte, änderte sich die Diktion der „Fachleute“. Jetzt hieß es plötzlich, dass eine derartige Pleitewelle in Deutschland nicht Platz greifen könnte, da unser Bankenwesen ja bekanntlich „gut aufgestellt“ sei. Wie beruhigend, dachte ich, gut dass jedenfalls die deutschen Banker resistent sind gegen jene Gier, die den globalisierten Suprakapitalismus inzwischen kennzeichnet. Allerdings irritierte es mich schon ein wenig, dass auf meinem Flachbildschirm seltsame Ausbeulungen zu beobachten waren, wenn sich wieder einmal eine Politikernase beschwichtigend zu Wort meldete.

Wer bürgt? Die Bundesregierung? Wir sind es!

Und dann, als hätte man es geahnt, krachte es kräftig im Gebälk dieses Lügengebäudes. Mit der Hypo Real Estate drohte erstmals eine große deutsche Bank in die Knie zu gehen. Die internationale Finanzkrise hatte das gut aufgestellte deutsche Bankenwesen spielend umdribbelt und setzte nun völlig frei stehend zum Blattschuss an. Um einen Dominoeffekt zu verhindern, um also zu verhindern, dass unser freies, dereguliertes Finanzwesen den Bach runter geht, fand sich die Große Koalition über Nacht bereit, für einen Großteil der Hypo-Schulden zu bürgen. Für schlappe 30 Milliarden also, die von hoch bezahlten Managern durch fahrlässige Fehlspekulationen in den Sand gesetzt wurden. Noch einmal: Die Bundesregierung ist bereit, für die Schulden eines Privatunternehmens, das sich verspekuliert hat, mit 30 Milliarden Euro zu bürgen.

Die Bundesregierung? Das ist ja wohl ein Witz. Wir sind es, die Steuerzahler, die letztlich für die Verfehlungen einer durchgeknallten Finanzkaste gerade stehen müssen. Das sollte jedem klar sein. Dem Bundesfinanzminister ist das klar, denn als am Tag nach dem Bürgschaftsversprechen heraus kam, dass die Schulden der Hypo Real Estate vermutlich doppelt, wenn nicht dreimal so hoch sind, wie zunächst angegeben, war er „ehrlich entsetzt“. Über die Steuererhöhungen vermutlich, die er nun zu beschließen hat. Peer Steinbrück befürchtet zu recht, dass die Beschwichtigungsarien das gemeine Volk nicht länger ruhig stellen werden. In der Politik wie in der Wirtschaft geht die Angst vor der Angst um.

In einer Situation, in der sich die großen Banken selbst nicht mehr über den Weg trauen, in der kein Institut bereit ist, dem anderen zu helfen, in der der Kreditfluss ins Stocken gerät und Millionen Haushalte in ihren finanziellen Verpflichtungen schlagartig eingefroren werden, müssen den Verantwortlichen die Ohren klingen. Wer erinnert sich nicht an die Belagerungen argentinischer Banken, als zehntausende von Hausfrauen vor den Portalen der Geldinstitute monatelang mit Kochtöpfen bewaffnet einen infernalischen Lärm anschlugen, der bis in den letzten Winkel der Welt reportiert wurde.

Beruhigungspillen aus dem Kanzleramt

Um zu verhindern, dass der Zweifel an der Seriösität unseres Finanzwesens zu Unruhe, womöglich sogar zu panikartigen Reaktionen in der Bevölkerung führt, sah sich die Bundesregierung wenige Tage nach dem Bürgschaftsversprechen für die Hypo Real Estate erneut verpflichtet, ein großes Versprechen gelassen auszusprechen. „Die Spareinlagen der Deutschen sind sicher,“ tönte die Bundeskanzlerin. Warum? Weil die Bundesregierung für diese Summe einsteht! Natürlich auf Kosten der Steuerzahler, aber das sagte Angie nicht.

Die Menschen lassen sich nicht mehr veräppeln, sie hören inzwischen genau hin, wenn zum Beispiel ein Finanzexperte der CDU im ZDF-Morgenmagazin auf die Frage, ob die Spareinlagen des deutschen Bürgers noch sicher seien, unter dem Druck der Ereignisse nur noch folgendes von sich geben kann: „Bei den Sparkassen und Volksbanken sind sie sicher. Bei den anderen Instituten auch. Jedenfalls bis zum heutigen Datum.“ Und wenn die Forderung der IG-Metall nach höheren Löhnen von den Arbeitgebern mit dem Hinweis auf die Finanzkrise abbarbiert wird, dann hören die Leute ebenfalls genau hin, dann sind sie sauer, stinksauer sozusagen.

Wir sind stinksauer – aber vermögen wir uns das Ausmaß der Katastrophe, die da über uns hereinzubrechen droht, überhaupt vorzustellen? Ich glaube nicht. Dazu wird in der öffentlichen Diskussion zu schnell mit Summen jongliert, die jedes Vorstellungsvermögen sprengen. Es ist aber notwendig, dass wir uns jedenfalls annähernd ein Bild davon machen, in welchen finanzpolitischen Dimensionen die durch eine hemmungslose Gier ausgebeuteten Volkswirtschaften inzwischen denken müssen, wenn es darum geht, zu retten, was zu retten ist.

Also: Die Spareinlagen der deutschen Bürger betragen um die 570 Milliarden Euro. Wenn man diese Summe in 500-Euroscheinen übereinander stapeln würde, reichte der Geldturm 100 km ins All. Überholt werden würde er nur noch von unserem Schuldenturm. 1,5 Billionen (1 500 Milliarden Euro) Schulden hat der deutsche Staat, seine Länder und Gemeinden angehäuft. In 500-Euroscheinen gerechnet: 300 Kilometer Richtung Mond. Der Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz hat folgendes erechnet: „Wenn man jeden Monat in Deutschland 1 Milliarde Euro an Schulden zurück zahlen könnte, bräuchte man 125 Jahre, um auf einen ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Die Zinseszinsen sind in dieser Rechnung noch nicht enthalten.“

Wie schwer die Finanzkrise inzwischen durchschlägt, zeigt die Tatsache, dass der Dow-Jones vor kurzem das größte Tagesminus seiner Geschichte an den Börsen eingefahren hat, nämlich 800 Punkte. Das entspricht 1,2 Billionen (1 200 Milliarden) Dollar. An einem Tag! Die Schulden der USA belaufen sich auf etwa 10 Billionen (10 000 Milliarden) Dollar.

Die Wahrheit werden sie uns nie erzählen

Sie können damit nichts anfangen? Dann kommen wir zu den kleineren Summen wie die mutmaßlichen Schulden der Hypo Real Estate, für die wir laut Bundesregierung ja alle gerade stehen wollen. Sie betragen nach jüngsten Schätzungen (die Wahrheit werden sie uns nie erzählen) etwa 100 Milliarden Euro. Mit diesem Geld könnte die Stadt Hamburg locker dreihundert Elbphilharmonien bauen, egal, ob der Kostenrahmen eingehalten wird oder nicht. Worüber regen wir uns eigentlich auf? Die explodierenden Kosten der Elbphilharmonie sind nicht einmal Peanuts, verglichen mit dem Scherbenhaufen, den uns eine arrogante, unfähige, gierige Managerkaste hinterlässt.

Aber etwas Gutes hat die Finanzkrise eben auch. Wer jetzt noch hingeht und über Sozialmissbrauch klagt, wer Hartz IV-Empfänger am liebsten dazu verdonnern würde, zum Kehrbesen zu greifen und die Drecksarbeit zu leisten, der wird sich fragen lassen müssen, was mit den Spekulanten in den Vorstandsetagen der Banken passieren soll, wenn die Verhältnismäßigkeit bewahrt bleiben soll. Die Todesstrafe?

Die Finanzkrise. Ist sie auf einen Fehler im System zurück zu führen, oder haben wir es mit einem fehlerhaften System zu tun? Ich frag ja nur…

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