Was wir wollen

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Solange wir nicht wissen, welche Zukunft wir anstreben, werden uns mächtige Interessen auch „nach Corona“ vor sich hertreiben. Weiter die Erlaubnis haben, ungeimpft zu sein. Wieder mal in ein Café oder ins Kino gehen. Gar irgendwann mal ohne den Lappen vor dem Mund im Supermarkt shoppen … Ist das wirklich das Äußerste, was wir uns an Erstrebenswertem vorstellen können? Wenn schon unsere Wünsche derart eingeschränkt sind, werden wir weit über das Ende der Coronakrise hinaus nur ein kleines Glück haben können, eine kleine Freiheit und ein kleines Leben. Wir hätten auch „danach“ noch übergriffige Machteliten, ein schreckhaftes und manipulierbares Volk, ein beschämendes Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Die Regierungen haben Blut geleckt. Sie wissen jetzt, dass sie mit uns so gut wie alles machen können. Warum sollten sie nicht — mit einem anderen Aufhänger vielleicht — demnächst ein Corona-Sequel drehen? Wollen wir darauf vorbereitet sein, müssen wir uns schon jetzt darüber klar werden, wohin wir wollen, unsere roten Linien festlegen und planen, was wir tun wenn sie überschritten werden. Vor allem aber: wieder lernen, groß zu denken. Die Autorin zieht in diesem Zusammenhang Vergleiche mit ihren Erfahrungen aus der „Wendezeit“ in der DDR. Doreen Mechsner

Die Proteste, die Montagsdemos, fanden für mich nur im Fernsehen statt. Und natürlich waren die Demonstrierenden für mich alles Randalierer, Rowdys und Gefährder unserer volksdemokratischen Ordnung.

Als die Mauer fiel, war ich ganz dicht dabei. Ich war mitten im Epizentrum. Und bekam dennoch nichts mit. Ich wohnte in der Paul-Robeson-Straße, in unmittelbarer Nähe der Bornholmer Brücke, an der die Mauer geöffnet wurde. Alle, die dorthin wollten, zogen quasi unter meinem Fenster vorbei. Ich habe das alles verschlafen. Erst am nächsten Morgen in der Straßenbahn erfuhr ich, was passiert war. Ich erinnere mich noch, wie ich mich aufregte, über die vielen Mitschüler, die anstatt zur Schule in den Westen gefahren waren und damit die Schulpflicht verletzten. Ich war siebzehn. Fast noch sechzehn. Unbefangen und doch schon so befangen.

Einunddreißig Jahre später, am Halloweentag 2020, stellte ich gemeinsam mit Freunden Kerzen vor der Prenzlauer Marienkirche ab. Den Lichtergang, mit dem wir unser Unverständnis über die verschärften Coronaregeln zum Ausdruck bringen wollten, nannten wir in Anlehnung an die Montagsdemos von 1989 den „Protest der kleinen Lichter“. Wie wir solch eine Parallele ziehen könnten, wurden wir damals vorwurfsvoll gefragt. Ja, wie konnten wir? War die Kritik berechtigt? Ich hatte keine Ahnung. Bis dahin hatte ich mich nie wirklich mit dem Ende der DDR auseinandergesetzt.

Meine Freundin Birgit dagegen war 1989 mittendrin, gehörte zum harten Kern der Demonstrierenden rund um die Gethsemanekirche. Sie weiß um die Kraft der Bewegung, mit der wir heute auf der Straße sind. Allerdings sagt sie, braucht diese Kraft eine Richtung, muss wissen, was sie will. Damit trifft sie einen Kern, es ist die entscheidende Frage: Was wollen wir?

Was wir nicht wollen, wissen wir sehr genau. Das eint uns. Aber was passiert, wenn die Bundesregierung ihre Absicht, eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen, fallen lässt? Weil sie hofft, damit die Tumulte auf den Straßen zu beenden? Werden wir uns dann zufrieden geben? Und wieder unserer Wege gehen?

Corona hat vieles ans Licht gebracht, was schon lange im Argen liegt. Angefangen von unserem Bildungssystem über unser Gesundheitssystem, unseren Umgang mit unserer überalterten Bevölkerung, der Schere zwischen Arm und Reich bis hin zu unserer Rolle als Waffenlieferant und überhaupt unserer Rolle in einer globalisierten Gesellschaft. Am deutlichsten jedoch hat Corona gezeigt, wie es um unsere Demokratie bestellt ist.

„Wir sind ein Volk“ haben meine Freundin Birgit und die vielen Tausend DDR-Bürger, die 1989 Montag für Montag, wie wir heute, durch die Städte gezogen sind, gerufen. Auch heute rufen wir auf den unzähligen Demonstrationen, die seit April 2020 zu unserer neuen Normalität gehören: „Wir sind das Volk.“

Ja, wir sind das Volk. Ein zutiefst gespaltenes Volk. Der Riss zieht sich durch Familien, Freundschaften, Nachbarschaften, Kollegien, vielfach ist es bereits ein Graben. Was können wir tun, um diese Risse zu kitten und Gräben zuzuschütten? Ich denke, wir müssen versuchen zu reden. Ganz behutsam, mit viel Feingefühl und einer großen Portion Empathie. Das ist nicht einfach. Vor allem nicht, wenn uns die Wut dazwischenkommt oder das Gefühl von Aussichtslosigkeit.

Jens Spahn, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich ihn einmal zitieren würde, sagte bereits am 22. April 2020: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Bei all den widersprüchlichen und damit gefährlichen Aussagen, die Jens Spahn in den vergangenen zwei Jahren von sich gegeben hat — mit diesem Satz hat er meines Erachtens den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, wir werden einander viel verzeihen müssen. Aber können wir das? Ich glaube, es ist der einzige Weg. Und ich bin überzeugt, es wird kein leichter werden.

Ich erlebe es in meiner Familie. Meine Eltern, meine Schwiegereltern, meine Schwester, mein Schwager, mein Kind — alle sind sie geimpft und überzeugt, damit das Richtige getan zu haben. Sie verstehen nicht, warum ich widerständig — vielleicht denken sie eher: widerspenstig — bin. Reden wollen sie — abgesehen von meinem Vater —allerdings nicht darüber. Haben sie Angst davor, dass etwas zwischen uns zerbrechen könnte? Haben sie Angst davor, dass ihre Weltanschauung ins Wanken geraten könnte? Haben sie Angst vor meinen Argumenten, vor den vielen Informationen, die ich mir in zwei Jahren angelesen habe und die mir manchmal selbst zu viel sind? Es ist ein Drahtseilakt.

Um anderen Informationen zugänglich zu machen, poste ich vieles von dem, was ich für wichtig erachte, auf Facebook und in meinem WhatsApp-Status. Eine Tante schrieb mir: „Warum postest du all diese Sachen? Willst du, das noch mehr Menschen sterben?“ Eine Freundin riet mir, die Frage zu ignorieren und nicht zu antworten. Doch das geht für mich nicht. Ich will reden! Ich will wissen, was den anderen bewegt. Leider hat die Tante auf mein Gesprächsangebot nicht reagiert.

Ich habe mich gefragt, wie es wäre, wenn ich nicht ICH, sondern diese Tante wäre. Ich versuche, mich in meine Schwester zu versetzen, in meine Eltern, in mein Kind. Das ermöglicht es mir, sie ein Stück weit zu verstehen. Aber das wissen sie nicht, sie reden ja nicht mit mir über Corona. Noch nicht. Ich hoffe, durch unsere Spaziergänge wird sich das ändern. Irgendwann, da bin ich mir sicher, werden sie wissen wollen, was mich auf die Straße treibt; vielleicht werden sie auch fragen, ob ich noch ganz dicht bin, weil ich mich — das denken sie zumindest! — plötzlich mit Rechten und Reichsbürgern gemein mache. Egal, was sie fragen würden, es wäre ein Anfang.

Als die Menschen um mich herum das erste Mal „Wir sind das Volk“ riefen, hatte ich Bauchschmerzen. Ich hörte darin weniger die Forderung von 1989 als vielmehr den populistischen Slogan, mit dem die AfD bei den Landtagswahlen 2019 geworben hatte. Inzwischen habe ich den Inhalt dieses Satzes für mich geprüft und für richtig befunden. Ja, wir sind das Volk. Und ich bin ein Teil davon.

Parteien sind mir suspekt. Die ganze Parteipolitik ist mir suspekt. Wir brauchen etwas anderes. Aber was? Ich denke, zuallererst brauchen wir Menschen, die innere Klarheit haben und mit dieser Klarheit für ihre Werte einstehen.

Ich kenne mehrere solcher Menschen. Einer davon ist mein Freund Georg. Seit fast dreißig Jahren ist er Soldat in der Bundeswehr. Als solcher erhielt er den Befehl, sich impfen zu lassen. Georg hat alles gelesen, was es zu den als Impfung deklarierten Gentherapien zu lesen gibt, und hat sich dem Befehl widersetzt. Gemeinsam mit drei anderen Kameraden, die wie er in der Impfung eine Gefährdung für ihre Gesundheit sahen. Was folgte, war ein Spießrutenlauf durch die Instanzen mehrerer Vorgesetzter bis hin zum obersten General. Dieser befahl unmissverständlich die Impfung. Georgs drei Kameraden sind alle eingeknickt. Aber um welchen Preis? Einer seiner Kameraden sagte nach dem „Piks“, er fühle sich wie nach einer Vergewaltigung.

„Es gibt Momente, in denen Ungehorsam eine Pflicht sein kann, Momente, in denen man nur dann Anstand und Menschlichkeit wahrt, wenn man sich gegen einen Befehl, gegen den Druck von Vorgesetzten oder auch den Druck der Masse auflehnt oder gegenhält. Es gibt Momente, in denen der Einzelne die moralische Pflicht hat, zu widersprechen und sich zu widersetzen. Das erkennt auch unsere Verfassung an. In Artikel 20 unseres Grundgesetzes ist das Recht zum Widerstand festgeschrieben, und zwar, ich zitiere, ‚gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist‘.“

Das sind nicht meine Worte, sondern die Worte der damals noch amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zum feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2019.

Für Georg ist dieser Moment des Ungehorsams gekommen. Seine Frau erzählte mir, sie habe Georg in den zwanzig Jahren ihrer Ehe noch nie weinen sehen. Heute jedoch habe er geweint. Der Druck, der auf ihn ausgeübt wird, ist unvorstellbar groß. Georg hat ihm mit innerer Klarheit und dem Einstehen für seine Werte widerstanden. Hoffentlich widersteht er weiter.

Als Nächstes sind die Heilberufe an der Reihe. Und dann? Was kommt noch? Wir müssen uns widersetzen und ungehorsam sein. Uns aber auch vorbereiten auf das, was danach kommt.

Wenn wir heute Frieden, Freiheit und Souveränität fordern, müssen wir — jeder für sich — diese Schlagworte mit Ideen und Leben füllen. Meines Erachtens ist das ein ganz wichtiger, wenn nicht sogar der entscheidende Schritt.

Dafür, denke ich, müssen wir mit jedem ins Gespräch gehen, der unsere Gesellschaft mitgestalten möchte. Religion, Parteizugehörigkeit und Impfstatus dürfen dabei keine Rolle spielen. Entscheidend ist allein der Mensch.

Es geht nicht um Corona. Es geht um unsere Zukunft!

Wenn mich nun jemand fragt, wie diese Zukunft aussehen soll, dann kann ich das nicht sagen. Denn solange wir jemanden fragen, wo es hingehen soll, solange wir jemanden brauchen, der uns sagt, wo es langgeht, bleiben wir dem alten System verhaftet, dann lagern wir die Führung aus und sind nicht mehr in der Selbstfürsorge.

Ich denke, wir müssen die alten Strukturen verlassen und gemeinsam Wege entwickeln, die uns niemand vorgeben hat. Dafür braucht es Menschen, die wissen, wer sie sind und was sie wollen, Menschen mit Visionen, Menschen, die Verbindung schaffen.

 

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

 

Kommentare
  • Freiherr
    Antworten
    Die historische Zeit der verpassten Chancen –

    für eine Revolution, eine Weltrevolution,

    vorher stets propagiert, herbeigesehnt, herbeigeredet –

    von “Linken” vor allem,

    hat man dann, als man die Gelegenheit nur nutzen musste,

    sie uns geradezu in die Hände gespielt wurde –

    diese historische Chance nicht wahrgenommen.

    Vor allem die “Linken” nicht,

    sich dann doch lieber in den Schoß des Kapitalismus geduckt.

    Aber so ist das

    mit den verpassten Gelegenheiten

    sie kommen nicht wieder…

    Ausreden ! – oh je

    Ausreden haben sie alle nun.

    Im Augenblick des Todes

    fällt dir jenes Leben ein

    welches du verpasst hast.

    ( Ägidius Steinbichler )

     

     

     

     

     

     

     

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