Weniger USA wagen

 In FEATURED, Politik

Sollte er wieder US-Präsident werden, so würde Trump NATO-Partner „im Stich lassen“. Die Empörung ist groß. Aber genau das wäre ein Segen für die Welt. Helle Aufregung in den Redaktionen — und nun auch am Rande der Münchner Rüstungskonferenz, die als Namen den Euphemismus „Sicherheitskonferenz“ trägt: Donald Trump stellt nämlich in Aussicht, die NATO verhungern zu lassen. Wenn anderen NATO-Mitgliedsländern Gefahr drohe, stellte er schon mal klar, so würden die Amerikaner nicht anrücken. Er rechtfertigt das mit deren zu niedrigen Rüstungsausgaben. Es könne nicht sein, dass die Vereinigten Staaten den Großteil der Last trügen, um das Eisen der anderen, die weniger investierten, aus dem Feuer zu holen. Roberto J. De Lapuente

 

Man könnte Trumps Ansinnen auch so übersetzen: Er fordert mehr Waffen, setzt auf Aufrüstung. Ähnliches soll er laut dem US-Magazin Politico auch schon zu seiner Amtszeit gesagt haben, wie EU-Kommissar Thierry Breton berichtete. An die Adresse Ursula von der Leyens erklärte der damalige US-Präsident:

„Sie müssen verstehen, wenn Europa angegriffen wird, werden wir niemals anrücken, um Ihnen zu helfen und Sie zu unterstützen. Übrigens, die NATO ist tot, wir verlassen sie, wir werden aus der NATO austreten.“

Euphemismus „Weltpolizist“

Politico berichtete erst vor einigen Wochen darüber. Das demokratische Amerika zeigte sich darüber empört, Vize-Präsidentin Kamala Harris betonte sofort, dass das nie geschehen werde — ganz so, als ob sie eine künftige Regierung Trumps bevormunden könnte. Die Europäische Union zeigte sich auch bestürzt. Und mit ihr etliche Journalisten, die allerdings gleich wieder eine Gelegenheit sahen, vor einer möglichen Präsidentschaft Donald Trumps zu warnen. Ihr Ansatz war jedoch nicht, vor einem eventuellen Präsidenten zu warnen, der auf mehr Rüstung setzt. Sie malten ein verlassenes Europa an die Wand, das überfallen wird, während die USA zusehen. Die medialen Analysen gingen nicht sehr tief, der Politico-Bericht musste lediglich als Aufhänger herhalten.

Bis dato war man es ja gewohnt, dass die Amerikaner immer irgendwie da sind, wenn es Probleme gibt. Ein Weltpolizist sei das Land in Übersee. Ein Aufpasser mit moralischem Kompass. Spätestens seit dem Vietnamkrieg kann man zwar dergleichen nicht mehr behaupten, ohne ausgelacht zu werden, aber immer noch wird diese Mär von der Moral amerikanischer Außenpolitik in die Welt gesetzt.

Die Behauptung stammt aus den transatlantischen Seilschaften, die sich überall ranken, die Politiker wie Journalisten vereinnahmen und die unipolare Weltordnung als alternativloses Konzept skizzieren. Bis vor einigen Jahren wusste die Öffentlichkeit noch nicht mal, was „unipolare Weltordnung“ bedeutet — diese Bezeichnung kam kaum vor im Diskurs. Es war ja auch schlicht nicht nötig darüber zu sprechen, denn es gab keine Ordnung neben ihr.

Natürlich hat sich im Bewusstsein der westlichen Bevölkerungen viel verschoben in den letzten Jahrzehnten. Deutsche demonstrierten in großer Zahl in den Achtzigern gegen amerikanische Raketenstationierungen vor ihrer Haustür. Diverse Kriegseinsätze der US-Army wurden hierzulande moniert, führten zu Friedensdemos. Damals wäre noch niemand auf die Idee gekommen, pazifistisch Bestrebte als „Lumpenpazifisten“ zu beleidigen. Das war schlicht nicht nötig, denn der Weltpolizist benötigte keine Sympathie. Er konnte damit leben, dass in der westlichen Hemisphäre Argwohn gegen sein Vorgehen herrschte: Niemand gebot ihm Einhalt, er war die einzige Weltordnung. Nach Herzenslust schob er, mit freundlicher Hilfe der NATO, seinen Einflussbereich in Europa immer mehr nach Osten. Es schien keine Widerstände zu geben.

Die Hybris des Weltpolizisten mündete in die Ukraine, in die Ereignisse auf dem Maidan. Die Osterweiterung war endgültig auf dem Treppenabsatz Russlands angekommen. Das ist die Vorgeschichte, die im Westen gerne zensiert wird, denn sie muss tatsächlich beschämen, zeigt auf, dass dieser Krieg nicht nur ein Elternteil hat. Noch etwas wird an dieser Vorgeschichte kenntlich: Der Weltpolizist ist gar kein Freund, schon gar kein Helfer. Er ist ein Despot, ein Nimmersatt. Ein Troublemaker und Destabilisierer. Er hinterlässt verbrannte Erde, stürzt Weltregionen in Krisen, setzt Demokratien außer Kraft und beeinflusst Nationen nach seinen Vorstellungen. Man kennt solche Ordnungshüter aus amerikanischen Western: als Sheriffs, die eigentlich Gangster sind.

Der eigenen Schwäche bewusst werden

Dieser verschlagene Sheriff stellt also nun in Aussicht, Europa nicht zur Hilfe zu kommen, wenn es in Gefahr ist. Man nimmt das in Europa als Drohung war. Der Medienbetrieb zeigte sich empört, schließlich müsse man gegen die globalen Gefahren zusammenstehen. Was zu den Gefahren zählt, kann man sich denken: allen voran Russland. Und natürlich Wladimir Putin. Was, wenn er Polen überfällt? Kaum hatte der russische Präsident im Interview mit Tucker Carlson dargelegt, dass er überhaupt kein Interesse an der Besetzung der westlichen russischen Peripherie habe, gab NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Protokoll, dass man einen Angriff fürchten müsse.

In dieser Angst vor einem Zugriff auf Polen, Litauen oder Tschechien steckt auch ein Schuldeingeständnis. Die NATO fürchtet sich davor, weil sie weiß, dass die Vorwürfe der Osterweiterung eben kein Märchen sind, sondern den Tatsachen entspricht. Das alte Europa steht hinter den Ländern des Ostens, die neu eingegliedert wurden in die NATO und die nun als Brandmauer wirken sollen. Dort hetzt es auf zu mehr Kriegsengagement. Mehr Waffen sollen es weiterhin sein.

Und aus Deutschland vernimmt man Stimmen, die voller Hass dafür plädieren, den Krieg nach Russland zu tragen. Hass in den Netzwerken sei ja angeblich demokratiegefährdend, liest man dieser Tage. Wenn aber Roderich Kiesewetter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann für einen Angriffskrieg plädieren, nennt man diese Hetze mutige Forderungen.

Diese kriegsbereite Haltung hat nur eine Ursache: Man weiß eben, dass Washington hinter Europa steht. Deswegen ist man ja so besorgt wegen Donald Trump. Wenn dieser Rückhalt schwindet, kann man keine dicke Lippe mehr riskieren, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, die man selbst nicht bewältigen kann. Man wird sich ohne die USA seiner eigenen Schwäche bewusst. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vernahm man daher auch Stimmen, die darlegten, dass man darüber nicht jammern solle: Nun sei die Zeit eines Europa angebrochen, das sich selbst militarisieren müsse. Die ersten Schritte dazu sind bereits getan, man sah unlängst den Kanzler in einer Munitionsfabrik, er posierte mit Kriegsausstattung.

Diese Aufrüstung müsste sich aber gegen den Widerstand in der Bevölkerung durchsetzen. Und dies in Zeiten, da öffentliche Gelder dringend für wichtige Infrastruktur benötigt würden. Eine europäische Rüstungskampagne bände aber Steuergelder langfristig. Europa kann sich so eine Agenda nicht leisten. Jedenfalls nicht, wenn es nicht an anderen Stellen massiv einspart. Wem das schaden wird, kann man sich ausmalen. Sicher nicht den Milliardären. Die werden noch reicher, insbesondere wenn sie Teilhaber von Rüstungsunternehmen sind.
Fragilität, die Stabilität bringt

Donald Trump könnte tatsächlich ein Segen für die globale Außenpolitik sein. Es mag ja durchaus möglich sein, dass seinem Anti-NATO-Kurs eine Aufrüstungsforderung innewohnt, ganz nach dem Motto also: Entweder ihr rüstet mehr oder wir helfen euch nicht. Möglicherweise ist das aber eine glückliche Fügung der Geschichte, eine „List der Vernunft“, um mit Hegels Weltgeist zu sprechen. Menschliche Historie war für den Philosophen ein stetiges Aufwärtsgehen, dauerhafter Fortschritt also. Regressive Zwischenphasen, etwa das dunkle Mittelalter — wenn es denn so dunkel war, aber das ist ein anderes Thema —, seien quasi ein Kniff des Weltgeistes, um aus den Tiefen umso schneller in neue Höhen vorzuschießen.

Der vermutlich neue und damit alte Präsident der Vereinigten Staaten könnte eine solche List sein. Seine Forderung könnte zu einer gespaltenen NATO führen — und Europa dazu bringen, sich unsicherer zu fühlen. Ab dann muss man aufpassen, welche Signale man an Länder ausstrahlt, die Europa näher sind als eine Nation, die irgendwo weit in der Ferne hinter dem Atlantik liegt. Europa wird Russland wieder als Nachbarn wahrnehmen müssen. Den muss man nicht lieben, aber man muss mit ihm leben können. Und letztlich auch wieder mit ihm handeln.

Stehen die USA nicht mehr mit ihren Armeen parat, sollte etwas schiefgehen, zeigt dies die ganze Fragilität des europäischen Projektes auf. Europa ist kein Gebilde wie jener Bundesstaat, der Weltpolizist war — und in kühnen Träumen noch immer sein will. Und der unter der Präsidentschaft Bidens nochmal begann, die alten imperialen Ansprüche geltend zu machen. Europa hat anders als die USA eine jahrtausendealte Geschichte des Krieges und der Zerwürfnisse.

Die Menschen in den USA betrachten heute noch den Amerikanischen Bürgerkrieg als Tragik, die die Zeiten überdauert. Weitere Kriege kennt man auf dem Boden der Vereinigten Staaten nicht — Kriege mit den Indianern zählt man gemeinhin nicht mit. Was soll Europa sagen mit seiner Litanei an Gewalt und Tod? Dieses Erbe weist die fragile Konstellation des europäischen Kontinentes aus. Sich einen Nachbarn zu leisten, den man schmäht, verachtet, beleidigt, dem man aggressiv begegnet: Das wird Gewalt und Tod neu entfachen. So war es immer in Europa.

Am Ende könnte man sagen, dass Donald Trump ein Segen sein kann für die Zukunft Europas. Wenn er sich aus dem Ukrainekrieg heraushält, wird die europäische Bereitschaft schwinden. Denn dann wird aus dem Stellvertreterkrieg in der Ukraine eine europäisch-russische Auseinandersetzung.

Und vieles spricht dafür, diese auch als deutsch-russische Auseinandersetzung zu betrachten. Dann braucht es einen neuen Realismus, ohne den großen Bruder von drüben. Vielleicht kann es dann auch passieren, dass Roderich Kiesewetter nicht mehr bejubelt wird, wenn er für einen Angriff Russlands plädiert. Vielleicht nennt man solche dann „Lumpenbellizisten“ und hetzt den Staatsanwalt auf sie. Kein Wunder, dass auch er Trump fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.

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