Widerstand als Therapie

 In FEATURED, Politik (Ausland)

Was mich an der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nicht sonderlich überzeugt, ist die dezidiert „katalanische“ Seite der Angelegenheit.

In den Schulen wird auf Katalan unterrichtet, wie uns Montse Marti Assens, eine Grundschuldirektorin, gestern berichtete, aber sicher: es gibt auch nachvollziehbare Klagen, was die Sprachpolitik angeht, eine arrogante Herablassung manches stolzen Spaniers, und zweifellos gibt es, noch oder wieder, gesellschaftliche Felder, auf denen es ruhig noch etwas katalanischer zugehen könnte.

Als Grund für eine Revolution ist das alles in allem etwas dünn, muss ich sagen. Und wenn bei der Pressekonferenz einer Gewerkschaft über den kommenden Generalstreik am 8. November die Pressemitteilung nur auf Katalanisch ausgegeben wird, wirkt das ein wenig flausenhaft. Speziell, wenn die Pressekonferenz dann auf Spanisch und Katalanisch gehalten wird, weil man ja eben doch gerne von allen verstanden werden möchte, speziell auch von den spanischsprachigen Arbeitern.

Aber soweit ich das hier wahrnehme, ist dieser Hype um „das Katalanische“ eher die Form, denn der Inhalt einer Volksbewegung, die sich zuverlässig radikalisiert – und zwar in eine begrüßenswerte Richtung.

Wer alles gegen „Nationalismus“ kämpft…

Manche Leute in Deutschland glauben, die Bewegung in Katalonien sei zureichend beschrieben, wenn man ihr „Nationalismus“ vorwirft.

Nationalismus, den lehnt man natürlich ab – und manch einer meint, gegen Nationalismus zu sein erfordere, gegen „Kleinstaaterei“ zu sein und die Europäische Union trotz alledem für ein fortschrittliches Projekt zu halten.

Aber ist denn der Nationalismus kleiner Regionen gefährlicher als der Nationalismus größerer Staatsgebilde? Und was eigentlich ist mit dem spanischen Nationalismus?

Ich frage das die Deutschlehrerin Ana Garcia Santos. „Der wird stärker und aggressiver“, sagt sie. Es gebe da auch eine ungute Dynamik. Denn die PP, die Partei des spanischen Premiers Rajoy, mache in anderen Teilen Spaniens Wahlkampf mit besonders scharfen Tönen gegen Katalonien.
Was bei den Katalanen für Wut sorge, sichere Rajoy andernorts die Unterstützung der Wähler. Auch deshalb sei er nicht kompromiss- oder auch nur gesprächsbereit.

Die spanische Regierung gieße sogar Öl ins Feuer, sekundiert Montse Marti Assens. Vor Kurzem habe es über 100 Änderungen staatlicher Bestimmungen gegeben, die allesamt die katalanische Sprache benachteiligen würden. So seien etwa Bewerbungen für viele Stipendien plötzlich nur noch auf Spanisch möglich.

Dass Kategorien wie „Nation“ und „Volk“ ein ungutes Gefühl hervorrufen, hat nun speziell in Deutschland nicht immer aus die schlechtesten Gründen.

Aber es gibt schon einen Unterschied, ob Nationalismus die Identifikation mit einer imperialistischen Hauptnation bedeutet, die damit sich selbst und ihre Verbrechen an anderen Völkern feiert – oder ob eine Bewegung vermittels der Identifikation als Nation das Volk für die Befreiung von einer kolonialen Besatzung sammeln will.

Allerdings, Katalonien ist ganz sicher keine national unterdrückte „Kolonie“. Dennoch ist der katalanische Nationalismus keine reaktionäre Angelegenheit. Ganz im Gegenteil.

In Katalonien etwa wollten sie die Menschen davor schützen, durch die Finanzkrise 2007/2008 aus ihren Wohnung zwangsgeräumt zu werden. Die katalanische Regionalregierung erließ ein entsprechendes Gesetz – das Oberste Gericht Spaniens kassierte es als verfassungswidrig.

Spanien gehe ohnehin in Richtung Diktatur. Katalonien gehe in Richtung mehr Demokratie. Das, sagt Ana Garcia Santos, habe sie für die katalanische Sache entzündet, die ihr noch vor wenigen Jahren nicht sehr wichtig gewesen sei.

Katalonien, die EU & das Volk

Es ist überhaupt so eine Sache mit dem Kampf gegen den Nationalismus. Dass beispielsweise die EU die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens so eindeutig ablehnt, wird kaum an einem Nationalismus liegen, mit dem die EU andernorts, etwa in der Rest-Ukraine, keine Berührungsängste zeigt.

„Die EU hat Angst vor einem Dominoeffekt.“, sagt uns Ricard Blanco. Er ist Dozent für Latein, Altgriechisch und klassische Archäologie.

„Wenn Katalonien sich von Spanien löst, gibt es in anderen Regionen auch kein Halten mehr, in Flandern und Schottland, im Baskenland und vielleicht in Bayern.“

Ein Europa der Regionen, das könne aber nicht funktionieren. Er glaube an ein Europa der Staaten, an einen europäischen Staatenbund. Und deshalb sei er gegen die Unabhängigkeit – weil er ein glühender Anhänger der europäischen Idee sei.

Diese Vorstellung, auch Bayern weise eine mächtige Unabhängigkeitsbewegung auf, kommt mir hier wiederholt unter. So unzutreffend das ist: die Grundschuldirektorin sieht einen anderen, wichtigeren Grund für die scharfe Ablehnung der EU:

„Die EU hat Angst vor der Erfahrung, die wir hier in Katalonien machen. Das kollektive Selbstbewusstsein, das hier entsteht, die Generalstreiks, die Selbstorganisation. Davor haben die Angst.“

Diese Angst der Mächtigen vor der Dynamik der massenhaften Selbstermächtigung könnte berechtigt sein. Es ist fast, als hätte sich ein Aufbegehren nach Mitbestimmung, nach sozialer Gerechtigkeit, nach Freiheit und Volksmacht lediglich in die katalanische Flagge gehüllt, weil dieser Konflikt mit dem spanischen Zentralstaat eine Bruchlinie aufgerissen hat, die ein anderes Denken ermöglicht.

Und ein anderes Handeln! Die Kampfformen einer Bewegung sind entscheidend für die Entwicklung der Menschen, die sie konstituieren. Und in Katalonien erleben wir echte Massenkämpfe, wie sie uns in Deutschland seit langem unbekannt sind.

„Wart Ihr schon einmal bei einer großen Demo?“, fragt uns die Deutschlehrerin. Nico, der Kameramann, berichtet von der Demonstration gegen TTIP in Berlin. 250.000 Leute, aus ganz Deutschland!

Hm, sagt Ana Garcia Santos. In Barcelona gäbe es zwar nur 1,6 Millionen Einwohner, halb so viele wie in Berlin. Aber bei den großen Demos kämen eigentlich immer 1 Millionen Menschen. Das sei zwar die Zahl der Polizei, sagt sie. Aber man habe sich darauf geeinigt, diese Angabe großzügig zu akzeptieren…

Der nächste Generalstreik

Eine weitere Hauptkampfform in Katalonien ist der Generalstreik. Wir waren also gestern bei einer Pressekonferenz der Gewerkschaft Intersindicale CNC, in der über die Vorbereitungen für den nächsten Generalstreik informiert wurde, der am 8. November stattfinden soll.

Der Taxifahrer auf dem Weg dahin beschrieb uns, wie das üblicherweise ablaufe, bei diesen Generalstreiks. Üblicherweise? Generalstreiks? In Deutschland hat es den letzten Generalstreik im Jahre 1920 gegeben, gegen den versuchten Militärputsch der Herren Kapp und Lüttwitz.

Woran das liegen könnte, zeigt schon das Auftreten der Gewerkschaftsvertreter bei dieser Pressekonferenz.

Die ist gut organisiert, es gibt einen WLAN, eine neue Webseite für den kommenden Generalstreik wird vorgestellt, es gibt genug Stromanschlüsse für die zahlreich erschienenen Journalisten und Kameraleute.

Aber die Gewerkschafter sitzen da nicht in Anzug und Krawatte herum. Sondern wie normale Leute, in T-Shirt oder Hemd. „Arbeiter, halt.“, sagt uns Marc Sagall. Er ist Gewerkschaftsfunktionär, spricht aber ein exzellentes Deutsch, weil er in Freiburg Soziologie studiert hat. Auch mit ihm spreche ich über Bayern. Die Räterepublik von 1919, die kennt er, natürlich!

Und obwohl Marc mir sagt, dass auch in Katalonien viel kaputt gegangen sei von den alten, revolutionären Traditionen, habe ich den Eindruck, zurückversetzt zu sein in jene Zeit, als es noch eine revolutionäre Arbeiterbewegung gegeben hat, die nicht auf Wahlen und Lobbyarbeit in Hinterzimmern gesetzt hat, sondern auf Massenaktionen in den Betrieben und auf der Straße. Wann war diese Zeit vorbei in Deutschland? 1933?

Auch das ist eben eine wichtige Frage, wenn es um „Nationalismus“ geht. „Die Nation“ oder dieses oder jenes „Volk“: das sind erst einmal nur Containerbegriffe, leere Hüllen, die alles sagen können und nichts. Entscheidend ist, was die Menschen hineinlegen in diese Begriffscontainer, was sie überhaupt meinen, wenn sie „Katalonien“ sagen oder „Bayern“.

Bezögen sich etwa die Bayern in ihrem Lokalpatriotismus mehrheitlich auf die Revolution und die Bayerische Räterepublik 1918/1919, verbänden sie mit dem Wort „Freistaat“ den Traum von massenhafter Selbstorganisation, von Rätedemokratie und Kampf gegen Krieg – dann ließe sich anders darüber reden, als wenn es nur um BMW geht, und um einen FC Bayern, der über ein Foto von Multimillionären aus aller Welt in Lederhosen „Mia san mia“ schreibt.

In Barcelona scheint selbst im Umfeld des FC Barcelona die Erinnerung sehr dominant zu sein an die unzähligen Revolutionen und Aufstände in dieser Stadt, die Friedrich Engels einst zur Welthauptstadt des Barrikadenbaus erhob mit den Worten, dass „deren Geschichte mehr Barrikadenschlachten aufzuweisen hat als irgendeine andere Stadt der Welt…”

Der Traum von einer katalanischen Republik

„Wenn Du Dir ein unabhängiges Katalonien vorstellst: was ist das dann für ein Land?“, möchte ich von Ana Garcia Santos wissen. Sie strahlt übers ganze Gesicht und ist überhaupt von einer ansteckenden Fröhlichkeit.

Für sie ist diese katalanische Bewegung auch die Geschichte einer ganz persönlichen Erfahrung der Selbstentfaltung, des persönlichen Glücks.

Als etwa unser Kameramann von der Vereinzelung des heutigen Menschen spricht und von dem grassierenden Narzissmus, kann sie nur kopfschüttelnd widersprechen. Sie erlebe etwas völlig anderes. Ein großes „Wir“ entstehe da gerade in ihrem Leben, sie fühle sich gar nicht vereinzelt, sondern als Teil eines großen, wunderschönen Wesens. Eigenartig sinke sie gleichzeitig ein in diese Masse – und habe dennoch viel mehr Platz, sich selbst als Individuum zu erleben!

Und Katalonien, die Republik? Da gibt es dann keinen König mehr und keine Korruption. Es wird ein Land sein, in dem es gerecht zugeht, in dem die Leute zusammenhalten und sich helfen.
So wie bei den Menschentürmen, die sie hier bauen. Die Stierkämpfe, auf die die Spanier so abfahren, haben sie hier schon lange verboten.

Bei den Menschentürmen dagegen gehe es um Zusammenarbeit – und um Schönheit. Immer mehr Menschen klettern Schicht um Schicht aufeinander, bauen aus sich selbst einen riesigen, lebenden Turm, und am Ende klettert ein Kind auf die Spitze des Menschenbergs. Gewonnen hat der schönste Menschenturm, aber niemand giftet sich dabei an, sondern man bewundert die Schönheit und Besonderheit der anderen Türme.

Barcelona, Stadt der Wunder. Wir gehen durch die engen Gassen von Gracia, dieses Viertel, das alles hat, was in Berlin längst verloren gegangen ist, und natürlich eine Hochburg der Unabhängigkeit. Überall hängt die katalanische Fahne und wir hören auf dem Handy „L’Estaca“.
Es ist ein Lied aus der jahrzehntelangen Nacht der Franco-Diktatur. Es ist das Lied über den Pfahl.

Siehst Du den brüchigen Pfahl dort,
mit unsern Fesseln umschnürt,
schaffen wir doch diese Qual fort –
ran an ihn, dass er sich rührt!

Ich drücke hier, und du ziehst weg,
so kriegen wir den Pfahl vom Fleck,
werden ihn fällen, fällen, fällen,
werfen ihn morsch und faul zum Dreck.

 

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Dank für den Tipp an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist.

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