Wie der griechische Tourismusboom Obdachlosigkeit produziert

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta

Romantisch? In der Regel nur für zahlende Touristen.

159. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Sie zahlen für Ihre Wohnung 600 Euro Monatsmiete; wenn Sie sich in einem Urlaubsdomizil einmieten, kann dieselbe Summe für nur eine Wochen Aufenthalt draufgehen. Der Kapitalismus wäre nicht der Kapitalismus, wenn er aus solchen einfachen Mechanismen nicht auch Kapital schlagen würde. Immer mehr Vermieter vergraulen ihrer regulären Mieter, weil sie mit Touristen mehr Reibach machen können. Am schlimmsten trifft es ausgerechnet ein Land, das durch die Ereignisse der letzten Jahre ohnehin genug geschunden wurde: Griechenland.  Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

schon die vorangegangene Woche war für unsere Spendenaktion keine sonderlich gute Woche gewesen: lediglich 30,- Euro, überwiesen von 2 Unterstützerinnen an uns, gingen auf unserem Hilfskonto ein. Für die vergangenen sieben Tage mussten wir nun sogar ein Null-Ergebnis verzeichnen: keine Spenden, keine SpenderInnen. Dennoch gehe ich davon aus, dass ich beim nächsten Mal schon wieder über ein ganz anderes Spendenergebnis berichten kann – nicht zuletzt des Monatsanfangs April wegen, zu dem zahlreiche Überweisungen der regelmäßigen FinanzhelferInnen unserer Spendenaktion neuen Aufschwung verleihen dürften.

Von unseren Griechenlandfahrern Uschi und Kalle erfuhr ich hingegen den Geldwert der ärztlichen Hilfsmittel, die sie in den vergangenen zehn Tagen beim Kreiskrankenhaus in Neapolis und beim Gesundheitszentrum in Kyparissi/Südpeloponnes abliefern konnten – zur großen Freude übrigens der Mediziner dort: Verbandsstoffe im Wert von 600,- Euro in Kyparissi und ärztliche Materialien im Wert von 2.000,- Euro in Neapolis. Und bei der nächsten Hilfsreise nach Griechenland – im September voraussichtlich – werden Uschi und Kalle Spezialkompressen und anderes noch in weit höherem Gesamtwert mitbringen können, vermutlich in der Größenordnung von rund 5.000,- Euro. Übrigens: Dank eigener Sachmittelakquise dieser beiden MitarbeiterInnen! Auf dem Gebiet der Krankenversorgung dürfte unsere Hilfe also bis auf weiteres gesichert sein. Und nur zur Erinnerung sei festgestellt: all diese Hilfen kommen verarmten Patientinnen und Patienten zugute. Dank also an dieser Stelle Uschi und Kalle, die seit Beginn unserer Spendenaktion als HelferInnen mit dabei sind in unserem Organisationsteam, seit dem Juli 2015 mithin!

Ansonsten lasst mich heute einmal einen Blick werfen auf die Auswirkungen des anhaltend positiven Trends, was den Tourismusboom in Griechenland betrifft. Ihr erinnert Euch: mehrfach schon konnte ich über Anstiegsziffern in diesem Wirtschaftssektor berichten. Mit der Einschränkung freilich, dass diese Gewinnsteigerungen nahezu ausschließlich ausländischen Reiseunternehmen und Hotelbesitzern zugutekommen. Das griechische Personal wird zumeist nur für die Saison angestellt und schuftet zumeist nur zu Niedrigstlöhnen einen ganzen langen Sommer lang. Ansparen aus diesen Erträgen also kaum möglich – und schon gar nicht die Versorgung ganzer Familien aus diesen Mini-Einnahmen. Schon hier zeigt sich also die Fratze eines Kapitalismus, der nur zu menschenunwürdigen Bedingungen die „Ware Arbeitskraft“ auszubeuten pflegt. Doch die Sache sieht nicht besser aus, wenn man auf weitere innergriechische Prozesse blickt, die von diesem Touristikboom ausgelöst werden oder ausgelöst worden sind. Um es schon jetzt auf den Punkt zu bringen: im wachsenden Maße ist Wohnungsnot die Folge! – Wie das?

Nun, einem Bericht der „Griechenland Zeitung“ (GZ) zufolge – erschienen in der letzten Woche, am 20. März – werden Mieterinnen und Mieter in Griechenland immer stärker von der folgenden Entwicklung bedroht:

Immobilienbesitzer kündigen ihren griechischen MieterInnen die Wohnungen – unter dem Vorwand „Eigenbedarf“ –, um diese Wohnungen dann Touristen aus dem Ausland für ein Mehrfaches der vorherigen Mietpreise zur Verfügung zu stellen und ein Mehrfaches der vorherigen Rendite „erwirtschaften“ zu können. Das gilt für die großen Metropolen wie Athen, Thessaloniki und Piräus, das gilt aber auch für besonders begehrte Tourismusziele in Griechenland insgesamt. Dies zum einen. Und zum anderen: dieses Konkurrenzdruckes wegen steigen auch die „Normalmieten“ immer weiter an. Um es bildlich zu formulieren: der Tourismus in Griechenland schmeißt mehr und mehr Mieterinnen und Mieter aus ihren eigenen Wohnungen raus. Aber im Detail:

Nach acht Jahren der Rezession waren die Immobilienpreise in den Großstädten Griechenlands zunächst einmal eingebrochen: in Athen, Piräus und Thessaloniki um etwa 42 Prozent. Doch inzwischen steigen die Immobilienpreise wieder kräftig an – in Athen zum Beispiel während des letzten Jahres um durchschnittlich 4,2 Prozent. Direkte Folge davon: auch die Mietpreise schnellten empor, stärker sogar als die Kaufpreise für Hausbesitz. Konkret: in sogenannt „trendigen“ Innenstadtvierteln von Athen zum Beispiel im Jahre 2018 um bis zu 35 Prozent.

Dies aber, so die GZ, ist vor allem Folge des Umstands, dass ausländische Unterkunftsvermittlungen, zumeist mithilfe ihrer Online-Plattformen, auf dem „Vormarsch“ sind (selbst in der Sprache der „Griechenland Zeitung“ schlägt sich also Kriegs-Vokabular nieder!). „HomeAway“, „Booking.com“ und „Airbnb“ verzeichneten in den letzten Jahren, so die GZ, einen „beispiellosen Tourismusboom“ (das Kürzel „Airbnb“ steht für Airbed and breakfeast“ – „Luftmatratze und Frühstück“). Die GZ wörtlich: „Die Urlauberzahlen haben sich seit 2008 verdoppelt. Und immer mehr Besucher buchen ihre Unterkünfte über Vermittlungsportale wie Airbnb“. Konkret: wurden in Athen im Jahr 2016 noch 2.500 Wohnungen für Urlauber angeboten, so war diese Zahl im Jahr 2018 bereits auf 12.000 gestiegen. Der Reibach aus dieser Verdienstquelle scheint sich in einem Zeitraum von gerademal drei Jahren fast verfünffacht zu haben. Doch damit nicht genug!

„Die Immobilienbesitzer verdienen mit Kurzzeitvermietung an Touristen drei- bis viermal so viel wie mit regulären Mietern“, so der GZ-Autor Gerd Höhler in seinem Bericht. Und Höhler weiter im Text: „Ausländische Investoren kaufen in Athen ganze Wohnblöcke auf, setzen die Mieter vor die Tür und vermarkten die Wohnungen an Touristen“. Heißt mit anderen Worten: die Geldgier ausländischer Investoren (inklusive griechischer Immobilienbesitzer) produziert potentiell Obdachlosigkeit. In Athener Stadtvierteln wie Koukaki, Makrigianni oder Keramiko und Thisio müssen die Griechen, die Einheimischen weichen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können oder weil sie schlicht aus ihren Wohnungen rausgeklagt werden. Zu Recht stellt Gerd Höhler in diesem Zusammenhang fest: das alles gibt es auch in anderen europäischen Großstädten wie Rom, Berlin, Barcelona und Budapest. Aber in Athen wird die Situation dadurch verschärft, „dass die Einkommen während der Krisenjahre im Durchschnitt um fast ein Drittel geschrumpft sind“. Das bedeutet:

Dem primären Enteignungsprozess – der sogenannten „Austeritätspolitik“ – folgt nunmehr ein zweiter Enteignungsprozess. Nach den Einkommensverlusten steht nun der Wohnungsverlust auf dem Programm. Und: wanderte schon aufgrund der „Austeritätspolitik“ mehr und mehr Geld in die Taschen ausländischer Banken, Unternehmer, Konzerne, so ist nun der zweite „Auswanderungsprozess“ von Geld im Gange, das in Griechenland erwirtschaftet worden ist. Verarmungsprozess Nummer eins hat einen Verarmungsprozess Nummer zwei in Gang gesetzt. Oder, noch einmal sei es betont: fehlte den Griechinnen und Griechen während des vorherigen Verelendungsprozesses „nur“ immer mehr Geld in der Tasche, so fehlt ihnen nunmehr immer häufiger auch das Dach über dem Kopf!

Und was tut die griechische Regierung dagegen? Tut sie überhaupt etwas?

Die Antwort lautet – wie so oft, wenn von der Politik der SYRIZA die Rede ist: sie tut etwas, sie tut ein bisschen was, aber sie tut längst nicht genug. Die ehemals sozialistische Partei, inzwischen heruntergekommen zu einem sozialdemokratisierten Schatten ihrer selbst, „will gegensteuern“ – so mit einigem Wohlwollen Gerd Höhler von der GZ. Aber auch hier wieder konkret:

Ein Besitzer dürfe zukünftig nur noch zwei Wohnungen über die Internet-Portale anbieten, so der GZ-Journalist. Die Wohnungen dürften zukünftig auch nur noch maximal 90 Tage im Jahr an Touristen vermietet werden (in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern nur noch an 60 Tagen). Und: es dürften pro Wohnung und Jahr höchstens 12.000 Euro an Miete kassiert werden von den Touristen. Was freilich die Fragen aufwirft:

Holt das die angestammten griechischen Mieter in ihre Wohnungen zurück? Wird derlei Profitbeschränkung – wenn sie denn überhaupt in der Praxis funktionieren kann – irgendeinen Auslandsinvestor abhalten davon, auf den Tourismus-Mehrerlös verzichten zu wollen? Wird das die angesagten Stadtteile in Athen wieder zurückverwandeln in Viertel, in denen erneut die Athener wohnen können, die weniger zahlungskräftigen vor allem?

Wer das glaubt, kann entweder nicht rechnen, oder er glaubt auch noch daran, daß der Klapperstorch die Kinder bringt! Kurz also: hier fummelt sich eine vormals sozialistische Regierung mit Namen SYRIZA einen Kapitalismus zurecht, den es so noch nie gegeben hat! Für uns – die potentiellen Griechenland-Touristen – bedeutet das aber: achten wir sehr darauf, bei wem und wo wir unsere Unterkünfte in Griechenland buchen! Was als Solidarität oder Hilfe gemeint ist, könnte ansonsten mitbeitragen zur Verelendung der Menschen in Griechenland!

Und damit zu meiner neuerlichen Bitte um Spenden zugunsten unserer Hilfsaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V.“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „IHW“ versehen. Wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

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