Wohlverstandener Protektionismus

 In FEATURED, Wirtschaft

Davos, Bildquelle: www.switzerland-trips.com

In Davos, auf dem weltentrückten “Zauberberg” westlicher Dekadenz, Davos wieder einmal um maximale Profite für multinationale Konzerne geht, ist Protektionismus natürlich das Unwort des Jahres. Kein Wunder, denn richtig verstandener Protektionismus schützt die nationale Wirtschaft vor Überflutung mit Waren zu Dumpingpreisen und verhindert wirksam den Abfluss von Kapital ins Ausland. Auch Schuldenkrisen, die – wie in Griechenland – ganze Volkwirtschaften auspressen, sind nicht mehr so leicht möglich, wo einheimische Politiker tatsächlich versuchen, ihre Bevölkerung zu schützen. Das internationale Kapital fürchtet Protektionismus daher wie der Teufel das Weihwasser. (Egon W. Kreutzer, egon-w-kreutzer.de)

Es ist kaum ein Zweifel möglich:

Angela Merkel versteht von Protektionismus ungefähr ebenso viel, wie von Digitalisierung.

Dies hat es ihr ermöglicht, mühelos die ihr in Davos zugestandene Redezeit zu füllen – und dies, ohne Donald Trump oder die USA explizit zu erwähnen.

Dafür kramte sie das Römische Reich und die Chinesische Mauer aus ihrem Langzeit-Geschichtsbewusstsein hervor, und erklärte, seither wüssten wir, dass reine Abschottung nicht reicht.

Es ist müßig, auf solche Argumente einzugehen. Die Welt ist komplizierter als das, was zwischen den Begrenzungslinien einer Raute alternativlos Platz findet.

Um „Protektionismus“ wirklich würdigen zu können, sind mindestens drei große Baustellen der globalen Zusammenarbeit zu betrachten, nämlich die fortgeschrittene Auflösung der Einheit von Staat und Volkswirtschaft, die destruktiven Wirkungen nicht regulierter Märkte und die Entstehung unauflöslicher Schuldverhältnisse.

Staat und Volkswirtschaft

Die Idealvorstellung sieht so aus, dass ein Staatsvolk sich arbeitsteilig so organisiert, dass es in allen notwendigen und wichtigen Wirtschaftszweigen eine autarke Versorgung sicherstellen kann, während der Staat dafür den inneren Ordnungsrahmen schafft und Schutz vor äußeren Einflüssen sicherstellt.

In diesem Ideal verbleiben alle Erträge der Volkswirtschaft innerhalb der Staatsgrenzen und stehen alleine dem Staatsvolk, das sie hervorgebracht hat, zur Verfügung. Fragen der Verteilungsgerechtigkeit beantwortet der staatliche Ordnungsrahmen.

Der Außenhandel ist von bescheidenem Umfang. Importe und Exporte gleichen sich weitgehend aus.

Dieses Ideal ist nur unter den Bedingungen eines selbstbewussten und starken Nationalstaates vorstellbar.

Die Realität der Globalisierung hat sich inzwischen weit von diesem Ideal entfernt. Das arbeitsteilige Wirtschaften der Staatsvölker wird vom international agierenden Kapital grenzüberschreitend organisiert. Autarkie wird zugunsten von Spezialisierungen aufgegeben und in komplexe Abhängigkeiten umgewandelt.

Teile der Erträge der Volkswirtschaft verlassen das Staatsgebiet in Form von Waren und/oder Geld unkontrolliert. Der Anspruch der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit wird vom Staat nicht mehr erhoben. Der Umfang des Außenhandels wächst, ein Ausgleich zwischen Importen und Exporten wird nicht mehr angestrebt. Die Wohlstandsentwicklung ist von der Produktivität abgekoppelt.

Die Welt zerfällt in

  • Produktionsstandorte, gekennzeichnet durch niedriges Lohnniveau, niedrige soziale Standards, hohe Arbeitslosigkeit, maximale Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Verzicht auf Umweltschutz, etc.,
  • Konsumstandorte, gekennzeichnet durch uneinheitliche Einkommensverteilung, verdeckte Arbeitslosigkeit, schwindende Industrie, sozial-ökonomische Experimente, zunehmende Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte,
  • Reichtums-Oasen, gekennzeichnet durch permanentes Vermögenswachstum, extremen Luxus, Abschottung.

Zu beachten ist, dass Produktions- und Konsumstandorte ihre Rollen – über längere Zeiträume betrachtet – tauschen. So waren die USA über Jahrzehnte Produktionsstandort, haben sich – Dank China – zum Konsumstandort gewandelt, während China allmählich vom Produktionsstandort zum Konsumstandort wird. In der EU war Deutschland über geraume Zeit kostengünstiger Produktions- und Hochpreis- Konsumstandort zugleich. Doch läuft die Entwicklung derzeit eindeutig in Richtung auf einen reinen Produktionsstandort.

Diese Wechselbewegungen lassen sich – stark vereinfacht – so begründen:

Der schuldenfinanzierte Wohlstand der Konsumstandorte erzwingt irgendwann die Rückkehr zur Produktion. Dies gelingt allerdings nur, wenn die bisherigen Produktionsstandorte kostenmäßig unterboten werden können. Der Verlust der Produktionseinkommen in den bisherigen Produktionsstandorten wird dort dann durch Neuverschuldung kompensiert, bis die Grenze der Schuldentragfähigkeit erreicht ist.

Die Gläubiger erzwingen dann die Übereignung von Sachvermögen, insbesondere Grund und Boden, sowie Einrichtungen der Infrastruktur.

Als die Regierungen der europäischen Staaten vor Jahrzehnten begannen, um das Kapital internationaler Investoren zu buhlen, haben sie ihre Staatsgebiete als Standorte und ihre Völker als Arbeitssklaven verkauft.

Was will ein „ausländischer Investor“ denn mit seinem Investment erreichen?

Er will sein Kapital zurück und einen fetten Gewinn obendrein.

Der „Standort“ ist danach ärmer als zuvor!

Die Idee, der Standort könnte mit Hilfe ausländischen Kapitals Exportmärkte erobern und so dennoch profitieren, hat zwei Schwachstellen. Die erste Schwachstelle ist die Entscheidungsgewalt der ausländischen Investoren, die es nicht zulassen werden, dass auch nur ein Cent Exporterlös mehr im Inland ankommt als unbedingt erforderlich. Die zweite Schwachstelle ist die Kreditfinanzierung der Exporte, die irgendwann zwangsläufig in eine „Schuldenkrise“ umschlägt und massive Abschreibungen auf Kreditforderungen nach sich zieht, also zur Bankenkrise führt, die dann wiederum von den Steuerzahlern der „Standorte“ ausgebadet werden muss.

Freie Märkte

Die gesamte markwirtschaftliche Theorie krankt daran, dass als Ziel des Wirtschaftens im freien Markt die „Markträumung“ angenommen wird, d.h., ein Zustand, in dem alle Angebote angenommen worden sind, weil sich aus Angebot und Nachfrage Preise gebildet haben, welche die vollständige Markträumung ermöglichen.

Das Ziel des Wirtschaftens im freien Markt ist jedoch nicht die Markträumung, sondern die Schaffung von Monopolen.

Im international freien Handel ist der Zugang zu einem „nationalen“ Markt immer möglich. Die Ausschaltung der in diesem Markt tätigen Konkurrenz erfolgt in der Regel über einen Verdrängungswettbewerb mit Dumping-Preisen, der die weniger kapitalkräftigen Wettbewerber zur Aufgabe zwingt.

Ist dies gelungen, gilt es, die Markteintrittsbarrieren für mögliche künftige Konkurrenten möglichst hoch zu hängen.

Folglich werden so genannte „Freihandelsabkommen“ geschlossen, die ja nicht nur dem Zweck dienen, freien Handel zwischen den in den teilnehmenden Staaten ansässigen Unternehmen zu gewährleisten, sondern zugleich auch den Marktzugang für andere Unternehmen faktisch auszuschließen.

Freihandelsabkommen sind daher stets auch protektionistische Vereinbarungen, auch wenn dieser Aspekt öffentlich so gut wie nie zur Sprache kommt.

Dabei handelt es sich allerdings nicht um nationale Schutzzäune zu Gunsten der sich selbst organisierenden Volkswirtschaft, sondern um Schutzzäune zu Gunsten bestimmter, international agierender Konzerne, welche durchaus auch gegen nationale Interessen der genutzten „Standorte“ gerichtet sein können.

Unauflösliche Schuldverhältnisse

Sowohl den Produktions- als auch den Konsumstandorten wird permanent Liquidität entzogen.

Der Abfluss von Gewinnen und Amortisationsbeiträgen aus den Engagements ausländischer Investoren reduziert die Liquidität der betroffenen Volkswirtschaft (Produktionsstandort).

Der Abfluss von Umsatzerlösen importierter Waren in das Ursprungsland reduziert die Liquidität der betroffenen Volkswirtschaft (Konsumstandort).

Handels-, Leistungs- und Zahlungsbilanzen werden in der Folge unausgeglichen.
Kreditaufnahmen zum Erhalt der Liquidität sind unausweichlich, führen jedoch ihrerseits zu einem verstärkten Abfluss von Liquidität, was letztlich unauflösliche Schuldverhältnisse erzeugt, die von der Gläubigerseite wiederum genutzt werden, um Sachwerte an sich zu bringen (Privatisierung).

Protektionismus und Nationalstaat

Protektionismus und Nationalstaat bilden eine untrennbare Einheit. Der Verzicht eines Staates auf protektionistische Maßnahmen zum Schutz der eigenen Volkswirtschaft kommt einer bedingungslosen Kapitulation und der Selbstaufgabe gleich.

Alle gegenteiligen Behauptungen sind nicht zu Ende gedacht:

Die Annahme, jede Möglichkeit, Waren preisgünstig zu importieren, diene der eigenen Volkswirtschaft und mehre den Nutzen des eigenen Staatsvolkes, ist an Naivität nicht zu übertreffen, denn damit wird eine Spirale der Abhängigkeiten in Gang gesetzt, die nur schwer wieder zurückzudrehen ist.

Die Annahme, jede Möglichkeit, Waren preisgünstig zu produzieren und billig zu exportieren, diene der eigenen Volkswirtschaft und mehre den Nutzen des eigenen Staatsvolkes, ist ein Märchen aus Absurdistan. In Wahrheit ist jeder dauerhafte Exportüberschuss ein der Bevölkerung abgepresster Gewinn für die Anteilseigner der Unternehmen der Exportwirtschaft – und zugleich der Keim für eine Schuldenkrise.

Die Annahme, preisgünstige Importe und eine international wettbewerbsfähige Exportindustrie sollten am besten von ausländischen Investoren finanziert und gemanagt werden, erinnert an die Denkweise indischer Maharadschas, denen man Pomp und Reichtum ließ, mit der Maßgabe, das Volk ruhig zu halten, während die britische Besatzungsmacht den Subkontinent ein Jahrhundert lang brutal ausplünderte.

Wohlverstandener Protektionismus beginnt mit der Souveränität über die eigene Währung.

Dies bedeutet weit mehr, als eine Währung zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu ernennen. Es bedeutet vor allem, das Privileg der Geldschöpfung in Händen zu halten und verantwortungsbewusst damit umzugehen.

Dies alleine reicht vollständig aus, um sich aus der vermeintlichen Kapital-Abhängigkeit von ausländischen Investoren zu befreien.

Wohlverstandener Protektionismus wird versuchen, die eigene Wirtschaft in allen relevanten Branchen vor Importen zu Dumpingpreisen zu schützen.

Das kann durch Fördermittel für die eigene Wirtschaft ebenso bewerkstelligt werden, wie durch Schutzzölle gegen ausländische Angebote. So kann der Weg in die Abhängigkeit von bestimmten Importgütern vermieden werden.

Wohlverstandener Protektionismus wird zudem versuchen, jeglichen Abfluss von Kapital ins Ausland zu verhindern,

soweit er nicht im übergeordneten staatlichen/volkswirtschaftlichen Interesse liegt.

Der Nationalstaat ist die einzige Institution, welche die Ausplünderung einer Volkswirtschaft durch das internationale Kapital wirksam verhindern kann.

Den Protektionismus abzulehnen, um das Erstarken der Nationalstaaten zu verhindern, ist ein argumentativer Irrflug sonders gleichen.

Die Gefahr geht nicht von den Nationalstaaten aus, sondern vom internationalen Kapital, das den Protektionismus aus seiner Sicht natürlich fürchtet, wie der Teufel das Weihwasser.

Wer dem Nationalstaat die Waffen gegen das Kapital aus den Händen schlägt, weil „Nationalismus“ droht, steht nach meinem Dafürhalten auf der falschen Seite und erscheint weder als geeignet, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, noch seinen Nutzen zu mehren.

Nationale Interessen zu verleugnen, um dem Vorwurf des Nationalismus zu entgehen, ist ungefähr so intelligent, wie vor Gericht auf einen Anwalt zu verzichten, um nicht für streitsüchtig gehalten zu werden.

Die EU, als übernationale Organisation mit enormem Demokratiedefizit, ist – freundlich formuliert – kein auch nur halbwegs hinreichender Ersatz für einen starken Nationalstaat, der die Interessen seiner Bürger vertritt. Im Gegenteil. Die EU vertritt primär die Interessen des Großkapitals gegen die Bürger der Mitgliedsstaaten. Ein einziger Blick nach Griechenland genügt, um dies zu beweisen.

Ob Donald Trump mit Strafzöllen auf Waschmaschinen und Solarmodule an der richtigen Stelle angreift, ist von hier aus schwer zu beurteilen.

Dass er angreift, dass er versucht, Abhängigkeiten aufzulösen und Liquiditätsabflüsse zu begrenzen, halte ich für einen wohlverstandenen Protektionismus mit dem Potential, den Schlingerkurs der durchdrehenden Weltwirtschaft in ruhigere Bahnen zu lenken.

Und das kann dazu führen, dass die Wirtschaft wieder mehr den Menschen als dem Kapital dienen wird.

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