Zur Gewinnsteigerung zuhause Arbeiten

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Unternehmen sparen zulasten der Beschäftigten. Die Krise nutzen – diese Unternehmenslogik zeigt sich in Pandemie- und Energiekrieg- Zeiten am Beispiel „Homeoffice“. Zu Beginn der Pandemie erwarteten viele Unternehmen ein Handeln, dass oft als „agil“ bezeichnet wird: Angestellte sollten zuhause den Arbeitsplatz einrichten, fehlende Pandemie-Pläne in den Büros waren so kein Thema mehr. Einen Schritt weiter geht die Otto Group: „Otto heizt Bürogebäude nur noch auf 15 Grad – und setzt auf Homeoffice“, berichten die Medien von Vorbereitungen auf den Winter. Das Unternehmen sehe sich in einer „gesamtgesellschaftlichen Herausforderung“, so Vorstand Petra Scharner-Wolff. Angestellte sollen nach Möglichkeit ins Homeoffice umziehen und die gestiegenen Energiekosten so auf die Beschäftigten verlagert werden. Marcus Schwarzbach, Gewerkschaftsforum

 

Sparen per mobiler Arbeit ist der aktuelle Kostensenkungsschlager der Manager – zunehmend wird mit „Desk-Sharing“-Konzepten gearbeitet. Gerne verbunden mit Sachzwang-Argumenten: „Automatisierung, Big Data und künstliche Intelligenz haben eine rasante Entwicklungsgeschwindigkeit“, gibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Linie vor. Daraus folgen neue Bürokonzepte: „Desk-Sharing“.

Bei Neubaukonzepten sollen Kosten gesenkt werden, so dass etwa bei 400 Beschäftigten statt für jeden ein Arbeitsplatz insgesamt nur 300 „flexible“ Plätze eingerichtet werden. „Auf einen eigenen, fest zugeordneten Arbeitsplatz muss man verzichten“, erläutert ein Internet-Portal unter der Überschrift „Schreibtisch verzweifelt gesucht“. Zum Arbeitsbeginn suchen die Arbeitenden einen Platz – sollte keiner mehr vorhanden sein, soll per Laptop in Teamräumen oder mobil zuhause gearbeitet werden. Wichtig sei dabei eine „Clean Desk Policy“, dabei muss jeder Beschäftigte den Schreibtisch am Ende seiner Arbeitszeit wieder vollständig aufräumen.

Corona-Erfahrungen genutzt

Die Logik des Sparens auf Kosten der Belegschaften knüpft an Erfahrungen zu Beginn der Corona-Zeiten an: „Büroverbot wegen Coronavirus“, meldete www.businessinsider.de, Opel hat „Mitarbeiter vorübergehend ins Homeoffice geschickt, RTL, Xing, ZDF verordnen Arbeiten zuhause“. Als wäre es normal, wird von Unternehmen vorausgesetzt, dass Beschäftigte zuhause einen Arbeitsplatz einrichten. Mit solchen Homeoffice-Konzepten werden Kosten auf die Beschäftigten verlagert. Auch hier gibt es eine eindeutige Rechtssituation: Die erforderlichen Arbeitsmittel sind vom Unternehmen zu beschaffen. Dies ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). In § 670 heißt es: „Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatze verpflichtet“. Damit stehen den Beschäftigten auch Aufwandsentschädigungen für Miete, Energie und Reinigung der Arbeitsräume zuhause zu – die Unternehmen umgehen diese Pflicht mit dem Argument „Ausnahmezustand Corona“.

Interessen werden hier völlig verschleiert – wie es die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ ja schon verdeutlichen. Der „Arbeitnehmer“ wird als Beschäftigter verstanden, während der Unternehmer als „Arbeitgeber“ bezeichnet wird. So definiert es das Betriebsverfassungsgesetz. Diese Begrifflichkeiten verschleiern, dass die Arbeit durch die Beschäftigten erbracht wird und sie den Wert im Unternehmen schaffen: Der „Arbeit-nehmer“ stellt dem Kapitaleigner, dem „Arbeit-geber“ seine Arbeitskraft zur Verfügung.  Der „Arbeitnehmer“ verkauft seine Arbeit dem „Arbeitgeber“, der Produktionsmittel zur Verfügung stellt. Von Solidarität wird aber in Pandemiezeiten gerne gesprochen. „Finanzielle Unterstützung“ bleibe die die Ausnahme, meldet die Wirtschaftswoche: „Nur zwei der 22 Unternehmen, die sich auf die Anfrage äußerten, überweisen einen explizit auf das Homeoffice bezogenen Zuschuss“. Gewerkschaftliche Betriebsbefragungen über Betriebsräte oder Vertrauensleute zu fehlenden Entschädigungen für Homeoffice-Arbeiter oder Forderungen nach konkreten Beträgen, die Unternehmen für Raumnutzung zahlen müssen, unterbleiben.

Begriffe verraten die Zielsetzung

Schwierigkeiten beginnen schon beim Begriff „Homeoffice“. Denn während der Gesetzgeber, etwa im Betriebsverfassungsgesetz, von Telearbeit spricht, reden Unternehmensvertreter eher von „mobiler Arbeit“, den Begriff „Telearbeit“ vermeiden Personalchefs bewusst. Denn diese ist rechtlich definiert. Nach § 2 Abs. 7 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sind Telearbeitsplätze sind „vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten“. Dies setzt auch eine Ausstattung mit Arbeitsmitteln durch das Unternehmen voraus, ebenso ist nach § 3 ArbStättV eine Gefährdungsbeurteilung am Telearbeitsplatz vorgeschrieben.  Um diese Pflichten zu umgehen, wird statt Telearbeit auch oft von „mobiler Arbeit“ gesprochen.

Angriff auf den Arbeitsschutz

Das Ziel, Pflichten der Unternehmen zu umgehen, wird auch beim Arbeitsschutz verfolgt. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG)  beinhaltet Vorgaben zum Schutz der Beschäftigten. Die Regelungen greifen auch bei der Arbeit zuhause. Das umfasst folgende Regelungen:

Die maximale Höchstarbeitszeit von 10 Stunden nach § 3 ArbZG und die 11-stündige Ruhezeit nach § 5 ArbZG: „Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben“. „Bei einer Unterbrechung der vorgeschriebenen Ruhezeit von in der Regel elf Stunden, beginnt diese von vorn. Für eine »Bagatellregelung« für kurze Unterbrechungen (z.B. das Schreiben einer E-Mail) besteht innerhalb der EU-Arbeitszeitrichtlinie kein Spielraum“, stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Weißbuch Arbeiten 4.0 fest.

Beim Homeoffice argumentieren viele Unternehmen, dass sie dies nicht kontrollieren können, da der Vorgesetzte nicht vor Ort ist. Das Arbeitszeitgesetz umfasst aber auch die Pflicht, die Arbeitsmenge und Arbeitsverteilung so zu organisieren, dass die Arbeit in der Arbeitszeit gemäß Arbeitsvertrag und Gesetz zu schaffen ist.

Ein Beispiel aus einen Verhandlungsvorschlag einer Unternehmensleitung verdeutlicht, welche Ziele verfolgt werden: „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Lage der Pausen werden durch die Mitarbeiter unter Beachtung des Arbeitszeitrahmens in eigener Verantwortung bestimmt. Dabei hat jeder seine Arbeitszeit so einzurichten, dass eine effektive Betreuung der Kunden sowie eine reibungslose Zusammenarbeit mit den Kollegen sichergestellt ist.“ Die Pflichten des Unternehmens sollen so auf die Belegschaft abgewälzt werden. Ein klarer Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz. Unter der Überschrift „Spielplatz statt Schreibtisch“ schieben Kapitalvertreter vermeintliche Interessen der Beschäftigten vor, so ein Beispiel der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): Ein Produktmanager mache zwei Mal in der Woche „um 15 Uhr Feierabend, um seine Kinder aus der Schule abzuholen und den Nachmittag mit ihnen zu verbringen. Am Abend erledigt der Mitarbeiter bis 23 Uhr noch Korrespondenz via E-Mail aus dem Home-Office“, wird der herrschende Leistungsdruck geschildert. „Nach derzeit geltender Rechtslage ist dieses Arrangement für den Mitarbeiter und seinen Arbeitgeber ein Problem. Die elfstündige Ruhezeit zwingt ihn, den nächsten Arbeitstag erst gegen zehn Uhr zu beginnen“. Schutzbestimmungen werden so zum Problem eines Beschäftigten erklärt.

Der Schutz der Beschäftigten ist aber auf einer weiteren Ebene in Gefahr: Eine Untersuchung zu „Belastung und Beanspruchung durch alternierende Telearbeit“ zeigt auf, dass nur in 60 % der analysierten Fälle keine Beanstandungen vorgenommen wurden. „Ergonomischen Erfordernissen wird offenbar bei der Einrichtung des häuslichen Arbeitsplatzes nicht genügend Beachtung geschenkt“, lautet das Resümee  (Gerlinde Vogl und Gerd Nies Mobile Arbeit, Seite 105).

Verantwortung auf Beschäftigte verlagert

Die Verlagerung der Verantwortung auf Beschäftigte zeigt sich auch bei Fragen der Qualifizierung. „E-Learning ist auf dem Vormarsch“, beschreibt das Institut der deutschen Wirtschaft einen Trend in den Betrieben. Insgesamt nutzen acht von zehn Unternehmen digitale Lernmedien. Gut zwei Drittel aller Unternehmen sehen in der Nutzung digitaler Lernmedien ein wichtiges Instrument, um mit der Digitalisierung Schritt halten zu können, ergibt eine Untersuchung des Instituts. Die Trennung zwischen Arbeit und Lernen wird in vielen Bereichen zunehmend aufgehoben. Der Arbeitsplatz wird genutzt, um bestimmte Lernprozesse aktuell zu organisieren. Der Austausch der Teilnehmer und die Kommunikation mit dem Trainer kann über einen Virtual Classroom, also das „virtuelles Klassenzimmer“ etwa durch Chatrooms im Intranet erfolgen.

Die jetzigen Pläne der Unternehmen, Energiekosten durch mobile Arbeit zu senken, passen von daher in die Managementstrategien zu mobiler Arbeit. Dabei warnen Betriebsärzte vor zu kalten Büros.

„Eine Höchsttemperatur von 19 Grad am Arbeitsplatz ist aus Sicht von Betriebsärzten nicht für jede körperlich leichte Arbeit geeignet“, meldet DER SPIEGEL.  Das betreffe insbesondere dauerhafte Tätigkeiten, bei denen die Beschäftigten nicht zwischendurch aufstehen und sich bewegen könnten, so der Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werkärzte, Wolfgang Panter. Den Unternehmen ist es egal – die Kostensenkung auf dem Rücken der Beschäftigten ist das Gebot der Stunde. Gewerkschaftliche Strategien, mit Tarifverträgen gegen diese Unternehmensplanungen vorzugehen, bleiben aus.

Hoffnung der Beschäftigten geschürt

Häufig wird das Arbeiten zuhause als geeignetes Instrument propagiert, um Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Mobile Arbeit biete ein „großes Potenzial für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, erklärt das Bundesfamilienministerium auf Basis einer Studie. 30 Prozent der Eltern von minderjährigen Kindern können sich das Arbeiten von zu Hause aus vorstellen, so das Ministerium. So würden „Nutzer von mobilen Arbeitsformen durchschnittlich bis zu 4,4 Stunden pro Woche sparen, die sie für mehr Familienzeit oder die Unterstützung ihres berufstätigen Partners oder ihrer berufstätigen Partnerin verwenden können“.

Die Euphorie bestätigt sich in der Praxis nicht: Homeoffice kann die „klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern festigen oder sogar verstärken“, berichtet die Hans-Böckler-Stiftung über eine im Haus erarbeitete Studie. Homeoffice beinhaltet „das Risiko, traditionelle Geschlechterarrangements zu verfestigen“, sagt Dr. Yvonne Lott, Leiterin des Referats Geschlechterforschung am WSI der Hans-Böckler-Stiftung.

Arbeitszeitverkürzung weiter populär

Dabei zeigt eine aktuelle Beschäftigten-Befragung, wie populär das Thema „Arbeitszeitverkürzung“ ist: 76 Prozent der Beschäftigten befürwortet die 4-Tage-Woche, so die „HDI Berufe-Studie 2022“.

Fast jeder zweite Vollzeit-Beschäftigte will zur Teilzeit-Arbeit wechseln, wenn er dazu die Möglichkeit vom Unternehmen bekommt (48 Prozent). Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit. Die Einbindung der Beschäftigten über mobile Endgeräte führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind – wie beim Versandkonzern Amazon – stets lokalisierbar und so beobachtbar. Auch die Kontrolle der Arbeiter wird verstärkt. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten.

Am stärksten ist der Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit bei den Beschäftigten unter 40 Jahren. Drei Viertel aller Beschäftigten plädieren zudem für die Einführung der 4-Tage-Woche in ihren Unternehmen (76 Prozent). Besonders stark ist das in der Industrie der Fall (86 Prozent). Ein klarer Arbeitsauftrag an alle Tarifkommissionen!

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Volker
    Antworten
    Otto find ich gut

    Tiefgekühlte Malocher, na und…
    Sie halten sich länger frisch, stellen somit auch keine unnötigen Rentenansprüche, da schockgefrostet.

    Den nächsten Leiharbeiter bitte, Otto zahlt auf Raten, weil’s bequemer ist.

    Mein Vorschlag für einen zeitgemäßen Slogan: Otto find ich schrecklich.

  • Renate
    Antworten
    Ein Punkt, der gegen Home-Office spricht, fehlt meiner Meinung nach:

    Es ist keine klare Abgrenzung zwischen beruflichen und privaten Bereich möglich, bzw. es wird erschwert. Deshalb bin ich froh, dass ich nie Home-Office machen musste.

    Im übrigen sind 19 Grad bei einer rein sitzenden Tätigkeit im Büro viel zu kalt, und ich friere bestimmt nicht schnell. Während ich das hier schreibe, sind hier im Wohnzimmer nur etwas über 18 Grad, aber mit Decke friere ich nicht.

    Es ist wirklich schlimm, wie viele Firmen alles auf ihre Beschäftigten abwälzen. Da müsste die Politik dringend gegensteuern, was sie aber nicht tun wird.

  • Dörte Glorze-Hanssen
    Antworten
    Klarer Auftrag an die Tarifkommission: tut jetzt bitte alles , gegen das ” Risiko, traditionelle Geschlechterarrangements zu verfestigen”. Das hat jetzt oberste Prio. Ist doch klar! Ausserdem brauchen wir Virus-Luftfilter, in allen Betrieben, sowie  FFP-2-Masken, kostenlosen Sekundenkleber und ein konsistentes, gendergerechtes Monitoring der  Mikrotemperaturen, auf Basis von KI, und zwar  für alle! Die Pandemie ist nicht vorbei. Habt Ihr das etwa vergessen?!
  • Die A N N A loge
    Antworten
    Homeoffice führt langfristig zu Einzelkämpfertum und gibt Teambuilding keine Chance. Der Trend zu Homeoffice und Digitalisierung in allen Facetten unseres Lebens lässt uns zu ei er Gesellschaft von Einsiedlerkrebsen entwickeln.

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