Zurück zum Gesundheitswesen!

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik (Inland)

Corona-Tagebuch, Teil 18. Haben Sie es bemerkt? Schuld sind wieder mal wir. Die Politik in ihrem Privatisierungsfuror hat zwar noch bis unmittelbar vor der Corona-Krise das Gesundheitssystem kaputt gespart. Die Verantwortung wollen die beteiligten Politiker wie Jens Spahn aber nur ungern dafür übernehmen. Statt dessen müssen wir jetzt – wieder mal “alle zusammenhalten”. Es kommt auf jeden einzelnen an. Und wenn das Gesundheitssystem zu kollabieren droht, dann sind diejenigen Schuld, deren Masken am Eingang zum Supermarkt verrutscht sind oder die sich widerrechtlich zu dritt im Park getroffen haben. Wenn wir in der Krise etwas gelernt haben, dann dieses: Unser Planet und der Wachstumszwang werden nicht beide noch lange weiterexistieren können. Einer von beiden muss sich verabschieden. Wir lösen die bestehenden Probleme nicht, indem wir mehr tun, sondern indem wir weniger tun: weniger produzieren und weniger konsumieren vor allem. Götz Eisenberg

Was für ein Glück, dass wir den Heribert Prantl haben. Seit Jahrzehnten ist er eine zuverlässige Stimme der Vernunft. In der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung hat er eine Kolumne veröffentlicht, in der es um die Lehren geht, die aus der Corona-Krise für das Gesundheitswesen zu ziehen wären. Er erinnert daran, dass man in Deutschland seit 1985 damit begonnen hat, das Gesundheitssystem zu privatisieren. Seither wurden Krankenhäuser zu einem Geschäftsmodell, mit dem Gewinne zu erzielen sind. Aus dem Gesundheitswesen wurde peu à peu eine Gesundheitsindustrie. Mit allem, was dazu gehört: 30.000 Betten wurden abgeschafft, 50.000 Stellen, vor allem im Pflegebereich, gestrichen, Fallpauschalen eingeführt.

Gesundheitsminister Spahn hat vor 6 Monaten noch Überlegungen angestellt, Krankenhäuser zu schließen, nachdem eine Bertelsmann-Studie entsprechende Empfehlungen ausgesprochen hatte. Und nun werden unter Verweis auf die drohende Überlastung des Gesundheitssystems und fehlende Intensivpflegebetten unsere Grund- und Freiheitsrechte massiv beschnitten. Gut, dass die Leute ein derart kurzes Gedächtnis haben, sonst würden sie „denen da oben“ diese Begründung um die Ohren hauen.

Prantl erinnert auch daran, welche Verheerungen die Austeritätspolitik im Süden Europas angerichtet hat. Wie viele Tote gehen auf das Konto dieser unmenschlichen und verfehlten Politik? Vielleicht begreifen nun endlich mehr Menschen, welche Perversion es bedeutet, an der Krankheit verdienen zu wollen und aus Kliniken börsennotierte Unternehmen zu machen. Prantl schreibt, es sei an der Zeit, „die Gesetze der vergangenen Jahre zu korrigieren und sie nicht wie Naturgesetze zu behandeln. Sie gehören so korrigiert, dass das Gesundheitswesen wieder zum Bestandteil einer gemeinwohlorientierten und bedarfsgerechten Daseinsvorsorge wird, sie ebenso wenig wie die Wasserversorgung durchkommerzialisiert werden darf.“

Ich würde noch ein paar Schritte weitergehen und sagen: All die Bereiche, von denen wir nun gemerkt haben, dass sie „systemrelevant“ sind, gehören in Gemeinbesitz, in die Hände eines Staates, der sich als Sachwalter der wohlverstandenen Interessen der Allgemeinheit versteht und nicht als „geschäftsführender Ausschuss der herrschenden Klasse“, als den Marx den bürgerlichen Staat beschrieb. Die Versorgung mit Gas, Strom, Wasser, die Bereitstellung von menschenwürdigem Wohnraum, das Transport- und Verkehrswesen müssen dem privaten Profitstreben entzogen und im Interesse des Gemeinwesens organisiert werden. Wer das nach den Erfahrungen der letzten Wochen nicht kapiert, dem ist nicht zu helfen. Mindestens diese Bereiche gehören in staatliche Hand, von mir aus könnte das Geldscheffeln und das Profitprinzip insgesamt abgeschafft und Gebrauchswerte statt Tauschwerte produziert werden. Kapitalismus bedeutet eine unaufhörliche Expansion von Waren und Produktion, er kann nicht existieren, ohne ständig zu expandieren.

Vor allem im Interesse der Natur und des Fortbestands des Planeten müssen wir lernen, uns eine Welt ohne Wachstum vorzustellen. Vielleicht hat die Corona-Krise die Möglichkeit und die Vorzüge einer solchen Gesellschaft ins Bewusstsein treten lassen. Wir benötigen eine Gesellschaft, die sich vom Fetisch Wachstum verabschiedet hat und ihren Zusammenhalt nicht auf Konsum gründet. Was wir in Zukunft stattdessen brauchen, sind Tugenden des Unterlassens, Prämien aufs Nichtstun, Kontemplation statt Produktion, Faulheit statt rastlosem Tun. „Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“, schrieb Adorno in seinem Buch Minima Moralia.

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Piranha
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    All die Bereiche, von denen wir nun gemerkt haben, dass sie „systemrelevant“ sind, gehören in Gemeinbesitz, in die Hände eines Staates, der sich als Sachwalter der wohlverstandenen Interessen der Allgemeinheit versteht

    Bei dem Thema “Wasser ist ein Menschenrecht” hat das vor vielen Jahren geklappt und viele Gemeinden und Städte haben sich die Hoheit über ihre Wasserversorgung wieder teuer zurückgekauft.

    In vielen Drittweltländern hat dies dank der Verbrecher von nestlé (Klöckner findet das gut) nicht funktioniert. Aber man muss gar nicht so weit schauen: bspw. in Griechenland und Portugal, Spanien und anderswo – Wasser wird immer knapper, teurer und schlechter, seit Profitinteressen daran geknüpft sind. die Infrastruktur wird zugunsten des Gewinns massiv vernachlässigt.

    Zum Thema Gesundheitsversorgung ist hier schon vieles gesagt worden. Wo soll die verlorene Vergütung durch nicht erbrachte Leistungen nun herkommen? Die Kassen besitzen Millionen von Überschüssen, das Konto des Gesundheitsfonds ist mit Milliarden prall gefüllt. Dennoch: man wird sich an jedem Beitragszahler “schadlos” halten.

    Wo nur Gewinne zählen, kann die Gesundheitsversorgung nicht in jedem Fall adäquat sein – 20.000 Tote pro Jahr durch nosokomiale Infektionen im Krankenhaus sprechen für sich. Zugleich altersrassistisch: in vielen Krankenhäusern wird jede Person über 60 automatisch in Nase, Mund und Haut auf MRSA getestet, als sei dies eine Altersfrage. Man unterstellt Menschen ab 60 sowohl eine mangelnde Hygiene, als auch ein gestörtes Immunsystem.

    Und schon hat Spahn die nächste große Idee: Corona-Immun-Ausweis. Na toll.

    Damit befördert er nicht eine Zweiklassen-Gsellschaft, sondern mindestens eine dreiklassige. 1. Infizierte, 2. Genesene, 3. Nie damit in Berührung Gekommene, womit diese dann automatisch als Gefährder zu 1. gezählt werden würden. Was ein Scheißunsinn.  Ich hoffe, der Ethikrat ist klug genug, ihm dieses Ding um die Ohren …  Aber:

    Roche, Abbott und Quiagen stellen die Tests her. Bislang haben sie mehr Tests hergestellt, als abgerufen wurden. Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Dinger in höherem Maße zu verkaufen. Warum nicht mit der Drohung, einen Immunitätsausweis zu etablieren. Dieser hat dann eine Nummer, die wiederum in die Überwachungs-App eingegeben werden muss …

    Und über allem schwebt Big Brother mit Dollarzeichen statt einer Iris in den Augen.

     

     

    • Volker
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      Ich hoffe, der Ethikrat ist klug genug, ihm dieses Ding um die Ohren … Aber:

      Der schon, nur: solches überhaupt zu denken und zu planen, spricht Bände, wohin die Reise geht. Überspitzt (?) formuliert: ohne Ausweis/nachweis/Kennzeichnung keinen Zugang zu. …, was ich als Isolierung bezeichne, schlimmstenfalls als Selektion. Weitergedacht dienen solche Forderungen – die nicht aus Unfähigkeit oder Dummheit eines Politikers einfach hingerotzt werden – dem Bestreben allumfassender Kontrolle sowie Zugriffsrechte, denen wir uns nicht entziehen dürfen, gar verweigern.

  • Volker
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    Gut, dass die Leute ein derart kurzes Gedächtnis haben, sonst würden sie „denen da oben“ diese Begründung um die Ohren hauen.

    Ne, hat sie nicht wirklich interessiert. Hauen nach oben gehört sich nicht, man will schließlich keinen Ärger, wärmt seinen Arsch, solange geht.

    Was wir in Zukunft stattdessen brauchen, sind Tugenden des Unterlassens, Prämien aufs Nichtstun, Kontemplation statt Produktion, Faulheit statt rastlosem Tun.

    Genau. All diese Tugenden erlernte ich schon im Zuge der Agenda 2010, fand mein Glück und halte es fest, komme was wolle. ++glucks++ (Anmerkung an die Red: Mir fällt dazu auch nix weiter ein, iss halt so.)

  • heike
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    Man kann auch nicht alle Selbstverantwortung immer wieder auf ein Gesundheitssystem abwälzen. Klar ist man froh, wenn einem in der Not geholfen werden kann – und viele Operationstechniken sind dazu durchaus in der Lage.

    Aber auf seinen Lebensstil und seine Ernährungsweise hat jeder selbst Einfluss. Und wer sich darauf verlässt, dass der Arzt ihn gesund machen muss, der ist eben auch von dessen Methoden abhängig und kann gegebenenfalls bis an sein Lebensende zwanzig verschiedene Medikamente schlucken. Prima für die Pharmaindustrie. Der menschliche Körper kann ziemlich viele Giftstoffe aufnehmen bevor er seinen Geist aufgibt. Trotzdem ist ein solches Leben nicht für jeden erstrebenswert. Günstig wäre es, wenn die Menschen es nach und nach schaffen könnten, eine Landwirtschaft zu etablieren, die Menschen mit hochwertiger gesunder Nahrung versorgt und unsere Wässer und Böden nicht auslaugt und vergiftet und zudem Insekten und Vögel am Leben lässt.

    Und sehr günstig wäre es auch, wenn man seine schlechten Produktionsweisen nicht in andere ärmere Länder auslagert, und damit den Menschen und der Natur dort die Schlechtigkeiten zumutet (EU-Mercosur-Abkommen).

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