«Twin Peaks» – das Mysterium kehrt zurück

 In FEATURED, Kultur, Roland Rottenfußer

Wer ermordete Laura Palmer?

„Dieser Film folgt der Logik eines Traums – eines Alptraums“ heißt es im Vorspann zu Orson Welles „Der Prozess“. Über die verstiegen-surrealen Filme von David Lynch kann man ähnliches sagen. Mit „Blue Velvet“, „Wild at Heart“ und „Mullholland Drive“ war Lynch stilbildend mit seiner Melange aus Kitsch, Kult und Kunstkino. Vor allem auch mit der Serie „Twin Peaks“, die Anfang der 90er nicht nur für die Mystery-Welle Pate stand, sondern auch aktuell für die Welle hochklassiger Serienproduktionen mit fortlaufender Handlung. Ab Mai diesen Jahres läuft jetzt die dritte Staffel in den USA. Vor der deutschen Ausstrahlung können wir viel erwarten, nur eines nicht: eine befriedigende Auflösung aller Rätsel. (Roland Rottenfußer)

Ein Vogel. Eine Fabrik mit rauchenden Schloten. Produktionsmaschinen bei der Arbeit. Ein Straßenschild vor Bergkulisse mit der Aufschrift „Welcome to Twin Peaks – Population 51.201.“ Ein Wasserfall. Fließendes Wasser. Dazu suggestive Musik, sanft, fast einschläfernd, aber einprägsam… Millionen von Zuschauern liebten diesen Vorspann, als er in den Jahren 1990 und 1991 in 30 Episoden über den Bildschirm flimmerte. Es war das Entree in eine bunte und bizarre Welt: spannend, humorig, anheimelnd, unheimlich, ärgerlich, genial. Die beste „schlechte“ Serie aller Zeiten.

Lynch und der renommierte Drehbuchautor David Frost laborierten an der Idee zu „Twin Peaks“ seit 1986. Eine erste Story-Idee handelte von Außerirdischen, die die Gesellschaft unterwanderten, indem sie in menschliche Körper schlüpften. Der Plan wurde vom Studio NBC jedoch abgelehnt. Schließlich schrieben Lynch und Frost das Drehbuch zum Pilotfilm in nur 10 Tagen, die Keimzelle einer „Seifenoper“, in deren Verlauf in einer Kleinstadt der Mord an einer jungen Frau aufgeklärt wurde. Der Sender ABC erklärte sich bereit, die Serie zu produzieren. Nach der erfolgreichen Ausstrahlung der 1. Staffel verlangte ABC jedoch, dass über den Mörder Laura Palmer endlich Klarheit geschaffen würde. Als dies geschah – zur Mitte der 2. Staffel – mussten allerdings recht konstruierte neue Handlungsideen gefunden werden, die Zuschauerzahlen sanken, eine dritte Staffel gab es bis vor kurzem nicht. Mordopfer Laura Palmer, die dem Ermittler FBI-Agent Cooper in einem Traum erschien, raunte jedoch schon damals „Wir sehen uns wieder in 25 Jahren“. So als hätten die Macher die späte Fortsetzung  schon in den 90ern konzipiert.

„Wir sehen uns wieder in 25 Jahren“

David Lynch, geboren 1946 in Missoula (USA), war der Schöpfer des genialischen Schwarzweiß-Dramas „Der Elefantenmensch“ (1980). Der Film wirbt um Mitgefühl mit einem grässlich entstellten Wesen, einem sensiblen Mann, den seine Krankheit zum Gespött und zum Aussätzigen in einer verständnislosen Welt machte. Ein tiefernstes Werk, gleichsam Lynchs „La Strada“, denn wie bei Fellini wurden auch dessen Filme hinterher bunter und „dekadent“. Doch auch schon im „Elefantenmensch“ zeigten sich die grotesken und schmerzlich-lustigen Stilelemente des späteren Lynch – eine „Freakshow“ der psychisch Versehrten, wie wir sie später auch in Twin Peaks finden. Nach dem Science-fiction-Epos „The Dune“ folgte „Blue Velvet“, der erste Film, in dem Lynchs klassische Handschrift ganz zum Durchbruch kam. Grelle Farben, zwielichtige Stimmungen, verruchte Liedvorführungen, „fatale“ Frauen, deren Gesichter durch Tonnen von Schminke ins Unwirkliche und Rätselhaft-Verlockende entrückt sind.

David Lynch war vor seinem Durchbruch Kunstmaler gewesen, er vermisste an dieser Ausdrucksform aber irgendwann Ton und Bewegung, so dass erste Kurzfilme entstanden. „Und wie ich so die Figur auf dem Bild betrachte, höre ich plötzlich einen Atemzug und sehe eine kleine Bewegung. Da wünschte ich mir, dass sich das Bild wirklich bewegen könnte, nur ein ganz kleines bisschen“, erzählte er später über dieses Schlüsselerlebnis. Lynch produzierte auch Musik der eher verstiegenen und sterilen Art, die ein wenig an David Bowie (Gaststar im „Twin Peaks“-Film) erinnerte – ein Multitalent also.

Unter der Oberfläche eine dunkle Welt

„Unter der Oberfläche der perfekten Kleinstadt wartet eine dunkle Welt“, heißt es im Trailer zu „Blue Velvet“. Das könnte auch auf „Twin Peaks“ zutreffen. Die Schicksale von zwei Dutzend verhaltensoriginellen Bewohner werden abwechselnd beleuchtet – großes Drama und Burleske zugleich. Die Schicksale der liebenden, leidenden und strauchelnden Kleinstädter bündeln sich in der Suche nach dem Mörder der blonden High School-Schönheit Laura Palmer, in die so gut wie jeder männliche Bewohner einmal verliebt gewesen ist. In jeder Folge wird eine neue „Sau“ – also ein Verdächtiger – durchs Dorf getrieben. Das Rätsel-Geraune, die in aufgesetzt wirkenden Dialogen geschürte Erwartungsspannung ist bei Lynch großen Teils Selbstzweck und führt oft in Handlungs-Sackgassen. Man denke etwa an die Botschaften, die Außerirdische angeblich dem ermittelten FBI-Agenten Cooper übermittelten. Oder an schein-bedeutsame Sprüche wie „Die Eulen sind nicht was sie scheinen.“

Manche aus der Esoterik bekannten Motive, etwa die Besetzung menschlicher Körper durch Geistwesen, wirken sehr unheimlich, verweisen aber kaum auf eine transzendente „Wahrheit“; eher scheinen sie der Spielfreude des Effektgenies Lynch geschuldet. „Das Kino kann die Zuschauer in eine Welt jenseits des Intellekts entführen, in der sie sich ganz und gar ihrer eigenen Intuition anvertrauen müssen“, sagte Lynch dem Spiegel in einem Interview 2007. „Es geht nicht darum, etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren.“ Dies ist charakteristisch für seine „Erzählhaltung“.

Die beste „schlechte“ Serie aller Zeiten

„Twin Peaks“ ist eine Serie, bei der man versucht wäre, abzuschalten, hätte man nicht zuvor gelesen, dass es sich etwas ungemein Bedeutsames und Anspruchsvolles handelt. Der gute Regisseur Lynch bedient sich der Elemente „schlechter“ Regie und „schlechter“ Schauspielkunst, um so die Soap-Parodie zur Kunstform zu erheben. Man rauft sich als Zuschauer manchmal die Haare, wenn bei Gefühlsausbrüchen immer viel zu glattpoliert aussehender Darsteller das immer gleiche schwülstige „Liebesmotiv“ im Hintergrund schwallt. Schockeffekte werden von Frauengekreische begleitet, und Bösewichte sind auf furchtbar klischeehaft-zähnefletschende Weise böse. Kein Stereotyp wird ausgelassen, die Farben – speziell das Rot – schreien den Betrachter an, die Dialoge wirken gestelzt und scheinen oft auf oberlehrerhafte Weise „Botschaften“ transportieren zu wollen. „Wer einen Weg sich pflastern will, der lege immer nur einen Stein auf einmal.“

Warum ist Twin Peaks – zweifellos eine Parodie auf banale, ja dilettantisch gemachte Serien – dennoch keine schlechte Serie? Es ist die Art und Weise, wie es Lynch immer wieder schafft, mitten aus einer Alltagssituation heraus eine Stimmung von einzigartig dichter Intensität zu kreieren, die den Zuschauer in eine Art Trance versetzt. Es ist seine ausgetüftelte Arbeit mit Dingsymbolen, der Verweis auf Mythen, Träume und Fantasien, die Art, wie er immer wieder mit unseren Urängsten und uneingestandenen erotischen Fantasien spielt. Und, ja, es ist auch Kunst, wie Lynch immer wieder gleichsam in Anführungsstrichen Regie führt, als wolle er – ganz im postmodernen Geist – sagen: „Ihr wisst, dass ich das alles nicht so ernst meine – lasst uns gerade deshalb Spaß haben mit diesen völlig unglaubwürdigen, lustvoll-unbehaglichen Abenteuern.“

Die Arthouse-Variante des Lindenstraßen-Prinzips

Auch in anderer Hinsicht war die Serie stilprägend. „Twin Peaks“ war die Arthouse-Variante des Lindenstraßen-Prinzips: Mache die Zuschauer seriensüchtig, indem du immer mindestens einen Erzählstrang ungelöst lässt und die Auflösung auf das „nächste Mal“ verschiebst. Dabei war das Serienformat des „verlängerten Spielfilms“ damals bei weitem nicht so en vogue wie heute. Serien mit abgeschlossenen Episoden wie „Drei Engel für Charlie“ oder „Kung Fu“ waren eher der Regelfall. „Twin Peaks“ dagegen kann als Vorläufer verrätselter Endlosserien wie „Lost“ oder „Akte X“ gelten. Überhaupt ist fraglich, ob das Genre „Mystery“ ohne „Twin Peaks“ seine bis heute enorme Zugkraft entwickelt hätte. Während „Fantasy“ eine erdachte Vergangenheit mit Zauberern, Zwergen und Drachen heraufbeschwört, handelt „Science fiction“ von möglichen Zukünften. Zwischen beiden platziert sich „Mystery“ als das Genre, in dem das Rätselhafte unvermittelt in die Gegenwart des Normalbürgers einbricht. Die Folge ist eine nachhaltige Beunruhigung.

So arbeitet „Twin Peaks“ geschickt mit Märchenmotiven, etwa dem dunklen Wald als einem symbolischen Ort der Gesetzlosigkeit. Dort im Wald lauert das unsäglich Böse in Form der „Schwarzen Hütte“ und des geisterhaft grinsenden Erzbösewichts BOB. Die genüsslich geschürte „Vorfreude“ auf etwas unaussprechlich Grauenhaftes ist dabei immer weitaus dramatischer als das, was man „hinterher“ tatsächlich sieht. Die Schwarze Hütte ist ein magisches Theater, vergleichbar der Schlusspassage von Hermann Hesses „Steppenwolf“, ausgekleidet mit roten Vorhängen, bevölkert von grimassierenden Geistern Verstorbener und von Wesen der „Zwischenwelt“.

Was bringt der „Nachklapp“?

„Twin Peaks – Fire walk with me“ aus dem Jahr 1992 war ein „Nachklapp“ im Spielfilmformat, der seinerzeit Buhrufe im Kino auf sich zog. Das Publikum spaltete sich in (restlos überforderte) Twin Peaks-Neulinge einerseits und in Fans andererseits, die auf das Erlebnis, die letzten Tage der Laura Palmer auf der Leinwand miterleben zu dürfen, keinesfalls verzichten wollten. Viele Zusammenhänge wurden durch das Prequel im Nachhinein klarer, und Sheryl Lee als Laura durfte ihr sinnliches Charisma, das in der Urserie nur sparsam dosiert war, noch einmal voll ausspielen.  Ein intensives Filmerlebnis auch dies – aber muss man den Eintopf jetzt, nach 25 Jahren, wirklich noch ein zweites Mal aufwärmen?

Späte Fortsetzungen alter bis uralter Stoffe – es ist eine eigentlich ärgerliche Entwicklung, dem rein profitgetriebenen Film- und Serienbusiness geschuldet. Zu „Vom Winde verweht“ wurde nach 52 Jahren eine überflüssige Fortsetzung – „Scarlett“ – geschrieben. „Star Wars“ wird nun zum zweiten Mal mit jeweils neuen Trilogien aus der Versenkung geholt. Harrison Ford wird als „Indiana Jones“ wohl noch mit dem Rollator zu seinen Abenteuern aufbrechen. „Miami Vice“ und „Drei Engel für Charlie“ erhielten Kinoversionen mit neuen Schauspielern, während „Akte X“ mit dem gewohnten Duo 2016 eine eher desaströse Wiederauferstehung erlebte. Muss das sein? Kann man die abgelebten Stoffe nicht ruhen lassen und sich – schwer vorstellbar offenbar für zeitgenössische Produzenten – mal was Neues einfallen lassen?

Nicht zu viel nachdenken – genießen!

Bei „Twin Peaks“ ist immer alles anders. So scheint die neue Staffel zwar alles andere als konsensfähig, jedoch auch kein Totalflop zu sein. Lynch hatte ja in der Zwischenzeit eine ganze Reihe weiterer Geniestreiche abgeliefert: „Wild at Heart“, „Mullholland Drive“ und „Lost Highway“ vor allem. Ernster als „Twin Peaks“ waren diese Filme, noch hypnotischer und verwirrender und noch stärker als die Serie allen Konventionen der Dramaturgie spottend. Außen- und Innenwelt wechseln einander in fast unmerklichen Übergängen ab. „Ist das noch Wirklichkeit, oder ist es schon Traum?“ Man kann einen Lynch-Film nicht „lösen“ als wäre er ein Rätsel, für das sein Schöpfer schon vorab ein klar definiertes Lösungswort parat hat. Man kann nur völlig eintauchen in seine Filme, ihr Zwielicht durchwandern und genießen, seinen überforderten Intellekt den vielen richtigen und falschen Fährten folgen lassen, um am Ende dann zu kapitulieren wie vor einem Koan – beglückt von der Erfahrung, einem Kunstereignis von irritierender Schönheit beigewohnt zu haben.

Wer die ersten Folgen der Serie schon sehen konnte, weiß, dass Lynch hier mehr als denn je nach dem Reinhard Mey-Motto „Wenn du es nicht verstehst, ist es anspruchsvoll“ agiert. Wahrscheinlich ist aber auch, dass zumindest Hardcore-Fans keine Enttäuschung erleben werden – allenfalls jene Art lustvoll-gespannter Ratlosigkeit, die ihr Liebling ja keineswegs zum ersten Mal zu inszenieren weiß. Lynchs kongenialer Co-Autor Mark Frost ist wieder im Boot, ebenso  viele der damaligen Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller, angeführt von Kyle McLachlan als Agent Cooper.

Ein Dokumentarfilm über den Regisseur – „The Art of Life“ –, der parallel zur Ausstrahlung von „Twin Peaks 3“ in einigen Arthouse-Kinos lief, trug mit Abbildungen des bildenden Künstlers Lynch sowie Selbstaussagen aus dem Off wenig zur Aufklärung bei. Vielmehr verdunkelte und verschleierte die Regie-Sphinx ihr wahres Wesen weiter. Vielleicht sollte man bei diesem Künstler ohnehin nicht zu viel nachdenken. „Ich will nicht zu viele Worte darüber verlieren“, sagte er einmal über seine Kunst. „Wenn man nicht gerade ein Dichter ist, werden die Dinge oft kleiner, wenn man über sie spricht.“

 

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