Alexanders Albumtipp der Woche: André Heller – Spätes Leuchten

 In CD-Tipp

Man kennt den 1947 in Wien geborenen André Heller als Multimediakünstler, Aktionskünstler, Kulturmanager, Autor, Dichter, Chansonnier und Schauspieler. Der Chansonnier aus dieser schillernden Vielfalt überrascht im Spätherbst 2019 nach vielen Jahren Pause mit einem neuen Album, das dem Anspruch seines bisherigen Werks mehr als gerecht wird – der Liedkultur zeitlos Bedeutendes hinzuzufügen. (Alexander Kinsky)

Seine erste Platte als Liedermacher/Chansonnier veröffentlichte Heller 1967, sein letztes „richtiges“ Studioalbum (nach dem Ende seiner Zeit mit Konzerttourneen 1982) schon 1985 („Narrenlieder“). Von Anfang an besticht die Künstlerliste der musikalischen Zusammenarbeit, angefangen bei den Arrangeuren wie Robert Opratko, Richard Schönherz, Toni Stricker oder Peter Wolf über Weltmusikerinnen und -musiker wie Chaka Khan, Astor Piazzolla, Dino Saluzzi und Freddie Hubbard bis zu den Duettpartnern wie Wolfgang Ambros, Helmut Qualtinger oder Konstantin Wecker (die Gesangsduettfassung „Nachbemerkung“ – Musik Wecker, Text Heller – gab es 1983 allerdings nur im Fernsehen; auf der Plattenaufnahme spielt Konstantin Wecker lediglich Klavier).

Fast ausschließlich sang Heller Vertonungen eigener Lyrik, teilweise auch selbst eingedeutsche Coverversionen französischer Chansons und anglo-amerikanischer Welthits wie etwa den auch schon von Elvis Presley her bekannten Willie Nelson Hit „Always on My Mind“ („Wia mei Herzschlag“, 1983).

Der jüdische Spross einer Zuckerldynastie versuchte auch in seinen Liedern, unter anderem seine Kindheitstraumata wie die streng katholische Nachkriegs-Erziehung durch den Vater und im Internat aufzuarbeiten.

Die 1991 bei Polydor veröffentlichte CD-Box „Kritische Gesamtausgabe“ fasst alles zusammen, was für Heller aus den bisherigen Aufnahmen überzeitlichen künstlerischen Bestand behalten sollte, ergänzt mit einigen Neuaufnahmen.

Die Dreifach CD „Ruf und Echo“ (Universal 2003) wiederum wartete vor allem mit Coverversionen einiger Heller-Liedklassiker sowie mit weiteren Neuaufnahmen auf, darunter einer deutschen Coverversion des innig-erschütternden Eric Clapton Klassikers „Tears in Heaven“ („Im Himmel“).

2008 erschien dann bei Universal noch die 4 CD Sampler Box „Bestheller 1967 – 2007“.

Hellers Gesangsstil polarisierte von Anfang an, das bewusst Manierierte, Bedeutungsvolle, Gewichtige, mit gekonnter Schauspielattitüde vielleicht für viele überfrachtet Wirkende. Zeilen wie „Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo“ kriegt man, hat man sie von ihm gesungen einmal gehört, nicht mehr ohne seinen Tonfall aus dem Kopf.

Nicht wirklich gewehrt hat sich der Künstler zeitlebens gegen die ihm zugeschriebene Selbststilisierung, die zu originellen Blüten führt wie etwa in einem Leserspiel der österreichischen Wochenzeitschrift „Profil“ Anfang der 70er Jahre, wo Untertitel zu Buchtiteln empfohlen werden sollten und jemand für „Heller als tausend Sonnen“ „Ich, André“ anbot.

Heller, der hochdeutsch, wienerisch und manchmal auch jiddisch singt, überrascht nun im November 2019 als 72jähriger nach Projekten der letzten Jahre wie „Afrika, Afrika“ mit einem völlig neuen Album ausschließlich mit Neumaterial, veröffentlicht auf dem Made Jour Label seines Sohnes Ferdinand Sarnitz.

Schon das aufwändige „Spätes Leuchten“ Artwork des Begleitbuchs mit Einführungstexten, Fotos und den Liedtexten unterstreicht den hehren Anspruch der Produktion. Hört man dann in die Lieder hinein, ist man auf den ersten akustischen Blick etwas verblüfft, meint man doch eine zu gefällige Radiotauglichkeit zu vernehmen. Es lohnt sich aber unbedingt, dranzubleiben. Ganz rasch offenbart sich die subtile, bis in kleinste Verästelungen ausgefeilt transparente musikalische Produktion umso eindrucksvoller.

Heller „bedient“ alle, die sich „Heller“ erwarten aufs Allerbeste, und er fügt gleichzeitig seinem Liedschaffen Altfans wie möglicherweise frisch Hinzukommenden neue musikalische Edelsteine im besten Sinn hinzu.

Alles in Allem ist ein ausführliches Nachhausekommen in mehrfacher Hinsicht – vieldimensional.

Mutter sagt (feat. Golnar Shahyar), der Mutter gewidmet die den 100er erhobenen Hauptes überschreiten durfte, überrascht treibend, verklärt tanzend.

Im Anfang woa dei Mund ist eine Wiener Popballade.

Atmosphärisch ganz stark ist In der Dunkelheit (feat. Marwan Abado), ein intensiver Sog ins Arabische.

Maybe It’s True (Mitautor auch der Sohn) gibt sich im textlich wahrsten Sinn einem teuflisch guten Swing hin.

Woas ned so (feat. Ina Regen) ist ein urwienerisches Duett-Cover Hellers mit der 1984 geborenen österreichischen Singer-Songwriterin Ina Regen, die vielleicht manchen aus der Zusammenarbeit mit Conchita Wurst bekannt ist. Der Originalsong Didn´t we stammt vom US-amerikanischen Singer-Songwriter Jimmy Webb (der für sich auch jede Entdeckung wert ist, auf youtube etwa seine Fernseh-Liveaufnahmen am Klavier dieses Songs oder von MacArthur Park). Im Original hat den Song immerhin auch Frank Sinatra gesungen.

Die Wiener Judenkinder (was für ein sprachlich-existenzialistisch-philosophischer Einfall, sie als alte Seelen zu charakterisieren!) ist stilistisch zwischen Blues und Heiligenlied angelegt, als Otis Redding Traum. Roland hat das Lied ja bereits auf HdS vorgestellt. https://hinter-den-schlagzeilen.de/andre-heller-die-wiener-judenkinder

Wenn Reiner Schöne 1977 im zusammen mit Konstantin Wecker geschriebenen Lied „Mach doch das Licht nicht aus“ als cooler Macho das eben abgeschleppte Mädel unter anderem mit dem Beiwerk „…und in Stereo träumte André Heller“ rumzukriegen versucht, dann bestätigt sich dieser Heller-Höreindruck hier eindrucksvoll verklärend mit Venedig.

Ein friedliches Volksfest offenbart sich mit Papirossi.

Danach entfaltet sich Du mein ich als atmosphärisch sich webende Ballade.

Anders atmosphärisch geht es in Marrakesch zu, man ist sofort mittendrin in der Stadt, taucht ein in diese Welt.

Heldenplatz ist im Original ein französisches Chanson von Gèrard Duguet-Grasser und dem Sänger der Originalaufnahme Julien Clerc, vom Place de Clichy erzählend, einem Platz im Nordosten von Paris. Heller fängt auf seine Art in ein paar Liedminuten das belastete Universum dieses zentralen Wiener Platzes ein, auf dem Adolf Hitler und Karl Schranz gefeiert wurden und aber auch schon Heller und Konstantin Wecker gesungen haben.

Mit Hab so Sehnsucht bietet Heller nun auch eine ganz typische neue Liebesballade an.

Es gibt ist ein Cover nach dem italienischen Cantautore Claudio Baglioni (Avrai, zur Geburt des Sohnes geschrieben), bei Heller eine Hymne eben auf das „Es gibt“ und auf die allumfassende Liebe überhaupt.

Dem Milners Trern schildert am Beispiel des alten Müllers im einzigen jiddischen Lied des Albums den Kreislauf des Judenlebens. Hier singt Heller zusammen mit Albert Thimann, den viele in Österreich vielleicht noch vom Musikerduo Geduldig un Thimann kennen, deren erste und wohl bekannteste LP unter dem Titel Kum aher du filosof 1975 erschienen ist.

Und My River ist eine „Lagerfeuer-Momentaufnahme“, fast ein Hidden Track, im Gedenken an den Selbstmord der Schriftstellerin Virginia Woolf, mit Bob Dylan Touch.

Denkt man an Udo Lindenberg, der sich souverän als eigenes Denkmal vermarkten lässt und denkt man dann an Konstantin Wecker, der speziell im neuen Jahrtausend als musikpoetisch-analytischer Seismograph durchgehend am Puls der Zeit für die Revolution der Zärtlichkeit wirbt, so festigt sich der Eindruck, Heller gelingt hier auf seine eigene Art die Synthese aus zeitnahen und zeitlosen Liedern.

Die meisten Lieder des Albums hat Heller zusammen mit Florian Sitzmann und Robert Rotifer geschrieben. Mit dabei sind unter anderem Herbert Pixner und der Nino aus Wien. Produziert wurde das Album von Robert Rotifer, Andy Lewis und André Heller.

Fazit: Ein Markstein der österreichischen Kunstliedgeschichte.

Die Homepage des Künstlers: https://www.andreheller.com/de/

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