Als Spiri unter Linken 2/2
In der Tat ist gerade Konstantin Wecker, der nicht umsonst politisch dem antikapitalistischen Lager zugerechnet wird, ein Beispiel für begründete Linkenkritik von links. (Näheres zur Definition des Begriffs „links“: siehe Fußnote *) Speziell in den 70er-Jahren waren lustbetonte und poetische Titel wie „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ für ihn weit typischer als gesungene Polit-Statements à la „Willy“. Konstantin Wecker schreibt in seinem Buch „Mönch und Krieger“: „Gerade die linken Kritiker, von denen man ja annehmen müsste, dass sie mir nahe standen, haben mich dafür in der Luft zerrissen. Man warf mir ‚Innerlichkeit’ vor, so als sei es ein Qualitätsmerkmal, äußerliche Lieder zu schreiben. (…) Als ob der Sommer, die Lust und die Sonne Werkzeuge der Konterrevolution wären.“ In der „Geniephase“ seiner ersten bedeutenden Musikaufnahmen verstand sich Wecker eher als Anarchist, und auch dies eher aus einem vitalen Instinkt heraus, der keine Schranken duldete. Die gestrengen Jakobiner der organisierten Linken hatten damit so ihre Probleme. „Marx bezeichnete ja die ästhetische Kultur als ‚Blumen an der Kette’. Diese Ideologie mag meine Kritiker damals noch beeinflusst haben. Alles Schöne erschien demgemäß verdächtig, weil sein Genuss die revolutionäre Entschlossenheit des Proletariats zu untergraben drohte.“
Kultur wurde demgemäß nur akzeptiert, wenn sie sich auf gesungene Kapitalismusschelte beschränkte: „Die 68er-Bewegung war anfangs noch sehr anarchistisch und mit viel Lust und Spaß verbunden. Jeder wollte sich so frei wie möglich entwickeln. Später kamen dann die ersten Kadergruppen, und da war es sowohl mit der Freiheit des Denkens als auch mit dem Spaß vorbei. Meine Feinde waren zwischen 1970 und 1980 weniger die Konservativen als die KPD/ML, die Marxisten-Leninisten, die Trotzkisten und andere Isten. Die haben mich auf der Bühne ausgebuht und mir das Leben schwergemacht, denn sie wollten von mir exakt ihre jeweilige Ideologie in Liedform hören. Ich habe damals gelernt, dass die Ideologisierung wie auch jede Form von Fundamentalismus die Todfeinde der Kunst sind.“
Bis heute wird in Diskussionen – auch auf „Hinter den Schlagzeilen“ – der Vorwurf laut, Spiritualität sei durch historische Gräuel negativ vorbelastet und insofern für anständige Menschen heute nicht mehr akzeptabel. Wer sich als spirituell outet, muss nach Meinung von Kritikern auch noch die Heilige Inquisition, den Ablasshandel, den islamischen Gottesstaat, Genitalverstümmelungen, die Thule-Gesellschaft und die rechte Esoterik eines Jan van Helsing auf sein Gewissen nehmen. Unfair ist dabei nicht nur, dass eine Teilmenge des Bereichs Spiritualität für das Ganze genommen wird; unfair ist es auch, wenn Kritiker – meist ja Sozialisten – den Eindruck erwecken, ihre eigene Weltanschauung sei historisch nicht belastet.
Berüchtigt für ihre giftsprühende Jagd auf spirituelle Menschen ist die ehemalige Sprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth. Ich erinnere mich noch gut, wie ich – durchaus guten Willens, mich über rechte Esoterik zu informieren – ihr Buch „Entspannt in die Barbarei“ erwarb. Ich erwartete, ernsthaft über van Helsing, Trutz Hardo und andere, für Antisemitismus-Skandale bekannt gewordene Esoteriker informiert zu werden. Stattdessen fand ich, als „Rechte“ gebrandmarkt, in Ditfurths Buch ein paar alte Bekannte: Barbara Rütting, Franz Alt, Margrit Kennedy, Silvio Gesell und den Dalai Lama. Sogar die Tiefenökologie wurde als „völkisch“ abgekanzelt. Mit einigen dieser „Barbaren“ hatte ich schon persönlich Kontakt gehabt, fand sie sympathisch. Musste ich mir also nach Jahren der antifaschistischen Arbeit eingestehen, selbst ein verkappter „Rechter“ zu sein? War ich es nicht schon durch meine Nähe zu „der Esoterik-Szene“?
Jutta Ditfurth setzt vielfach bei richtigen Beobachtungen an, die aber sehr im Pauschalen bleiben: „Faschismus kommt theoretisch ohne Esoterik aus, aber esoterische Ideologie enthält eine Vielzahl von Elementen, die mit faschistischer Ideologie kompatibel sind.“ Versucht Ditfurth konkret zu werden, verfällt sie leicht in eine ihrer berüchtigten Diffamierungstiraden, in denen sie Un- und Halbwahrheiten mit Kontaktschuldthesen vermengt (D.h. jemand kennt jemanden, der einen Nazi kennt, usw.). So z.B. wenn dem „Vollkornpapst“ Max Otto Bruker Kontakte zur rechtsextremen Szene vorgeworfen wird. Auf seine Veranstaltungen träfe sich das „gnadenlos nur an seinen eigenen Wehwehchen interessierte Bürgertum“, als sei es ein Zeichen revolutionärer Gesinnung, besonders unachtsam mit sich selbst umzugehen.
Nachdem Ditfurth also bei Bruker eine rechte Gesinnung konstatiert hat, räumt sie gleich noch dessen ganzes Kontaktumfeld ab: „Er ist Gastgeber und Mittler für den chronisch lächelnden Antisemiten Franz Alt, bei dessen Reden die allgegenwärtige Mitläuferin, Brotbäckerin und Tierschützerin Barbara Rütting von Anfang bis Ende vor Rührung weint. Bruker würde dem antisemitischen Eugeniker Silvio Gesell am liebsten noch ein ganzes weiteres Lebenswerk widmen. Ohne Reinkarnation wird das dem nunmehr 85jährigen wohl nicht gelingen.“ Interessant ist hierbei der Tonfall des Hohns für jede weichere Seelenregung. Zwischen lauter „Antisemiten“ eingebettet, sieht sich Barbara Rütting sogar noch mit ihren Tränen bloßgestellt.
Ich selbst kam bisher dreimal ihn den Genuss von Nazivorwürfen. Das erste Mal trat ich in der Kommentarspalte von „Hinter den Schlagzeilen“ für die vegetarische Ernährungsweise ein und wurde darauf aufmerksam gemacht, dass auch Hitler Vegetarier war. Ein anderes Mal schrieb ich über die destruktiven Wirkungen des Patriarchats. „Wir müssen den Lügenschleier der männlich dominierten Medien zerreißen”, schrieb ich. Leser „Daniel“ warf mir daraufhin vor: „Okay, ein Nazi würde das wohl so formulieren: ‚Wir müssen den Lügenschleier der jüdisch dominierten Medien zerreißen.‘” Keine Zurückhaltung konnte ich natürlich auch von meinem alten Freund Charlie erwarten. Der kommentierte in seinem Blog einen von mir verfassten Mystik-Artikel (man beachte dabei auch seinen Stil): „Pünktlich zum Freitag dem 13. hat unser geschätzter Häuptling Verfaulter Fuß auf seiner Eso-Schleuder ‚Jenseits der Realität‘ einen Text zum weltbewegenden Thema ‚Mystik‘ eingestellt.“ Statt einer konkreten Kritik an meinem Artikel schildert der Schreiber seine Gefühle bei der Lektüre und drischt gleich noch auf einen anderen, spirituell interessierten Kommentator ein: „Die physischen und psychischen Schmerzen dieser Tortur wurden jedoch satt belohnt – denn im Kommentarbereich wartete gleich das nächste Highlight: Dort hat nämlich ein ‚Erweckter‘ seinen dampfenden, dicken Haufen hinterlassen, der von seinem ‚Gotteserlebnis‘ berichtet.“
Ein Gesinnungsgenosse von Charlie, genannt „Altautonomer“, bläst in der Kommentarspalte ins gleiche Horn: „Eigentlich sollte man solche gequirlte Moppelkotze einfach ignorieren. Es ist wirklich eine Zumutung und eine Beleidigung meiner Ratio, so etwas zu lesen.“ Darauf lässt Charlie durchblicken, worum es ihm in seiner Jagd auf mich wirklich geht, nämlich darum, vor dem Nationalsozialismus zu warnen: „Das generelle Ignorieren solcher Ergüsse halte ich für falsch (…) Es dürfte ja gemeinhin bekannt sein, dass auch zum Ende der Weimarer Republik die Esoterik einen regen Zulauf (und das nicht bloß im ‚germanisch‘-rechtsextremen Flügel) hatte – auch damals fantasierten nicht wenige Irregeleitete von einem ‚bevorstehenden Evolutionssprung‘ der Menschheit. Wohin das letztlich führte, ist allzu leidvoll bekannt.“ Anzumerken ist, dass sich mein Artikel „Mystik – das Kosten der Dinge von innen“ mit Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz und Richard Rohr befasste, also eigentlich unpolitisch war. Der Gedankensprung hin zum Untergang der Weimarer Republik fand allein im Kopf meines Kritikers statt. Auffällig ist, dass sich Personen dieses „Milieus“ selbst unbegrenzt den Gebrauch einer beleidigenden und unflätigen Sprache zugestehen und mit Vorliebe Reizwörter herbeizitieren, die sie in einen Zusammenhang mit Spiritualität bringen. „Voodoo“, „Scientology“ und immer wieder die Verachtungsvokabel schlechthin: „Esoterik“ wurden gegen mich ins Feld geführt, obwohl es um Esoterik in meinen Artikeln überhaupt nicht ging. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung „Religioten“.
Zum Gegenstand linker Anfeindungen wurde auch Wolf Schneider, dessen Artikel „Alles ist mit allem verbunden“ ich auf „Hinter den Schlagzeilen“ veröffentlichte: ein höchst lebensfreundlicher Text, in dem Wolf über seine Katze, Flieder, schwirrende Insekten, Sex und Spiritualität berichtete. Auch dieser Text wurde zum Anlass einer „Diskussion“ auf Charlies Blog: „Die ‚weit greifenden philosophischen Betrachtungen‘, die im Teaser großspurig angekündigt werden, haben mein Herz in dieser bösen Zeit zärtlich und sanftmütig erwärmt und große Erwartungen geweckt, die nicht enttäuscht wurden: Wenn Schramm oder Pispers nicht mehr weiter wissen, sollte man zukünftig diesem großen Biene-Maja-Künstler und erleuchteten Heilsbringer namens Wolf Schneider das Mikrophon in die Hand drücken. Er wird alles zum Guten richten – jedenfalls so lange, bis die anstürmenden kapitalistischen Zombiehorden ihn auf seiner ‚Lichtung eines mitteleuropäischen Mischwalds‘, ‚umgeben von Himbeeren und dem Summen von Insekten‘, dumpf grunzend und genüsslich zerfleischt haben, damit auch er als tumber Zombie wiederkehren und das Zerstörungswerk weiter vorantreiben kann.“
Auffällig an diesem Text sind nicht nur die gewalttätige Sprache und die scheinbar abseitigen Assoziationen (Zombies!), sondern auch der aggressive Hohn, mit dem Naturbetrachtungen kommentiert werden. So als seinen Pflanzen und Tiere nicht liebenswerte Bestandteile der uns umgebenden Welt, sondern bourgeoiser Kinderkram, mit dem die Wahrheit der kapitalistischen Produktionsbedingungen weichgezeichnet werden soll. Lebensfreude, Natur, Sex und Freundlichkeit kommen in dieser umdüsterten Gedankensphäre überhaupt nur in ironisierter Form vor, als wären sie von Ausbeutern eigens zur Vertröstung der unterdrückten Arbeitermassen erfunden worden. Versteckt hinter der Attitüde der Wachsamkeit gegenüber dem durch Wolf Schneider und mich drohenden Rückfall in eso-faschistische Barbarei, zeigt sich fast unverhüllt Lebensfeindlichkeit.
Eine aggressive Entschlossenheit, der umgebenden Welt keinerlei Zauber, keinen „Weltinnenraum“ (Rilke) zuzugestehen, zeigt sich in diesen Statements. Die Ratio wird von den meisten Linken überbewertet, obwohl gerade die Beiträge der genannten Sprecher die Grenzen eines nur intellektuell-zynischen Diskurses nur allzu schmerzlich aufzeigen. Die Gefahr bei derartigem Spiri-Bashing ist, dass alles Wunderbare, da von der politisch aktiven Szene verschmäht, tatsächlich ins spirituelle Milieu zurückgetrieben wird und sich dort im Privaten einmauert. Ein links-politisches „Flachland“ im Sinn Ken Wilbers bildet sich heraus, das sich gegen jeden Vertiefungsversuch kratzbürstig und diffamierend zur Wehr setzt. Dabei ist für mich offensichtlich, dass gerade das Bemühen um humanen Fortschritt der Selbstreflexion und der geistig-spirituellen Anregung bedarf, möchte es nicht die Fehler des materialistischen Ökonomismus in rot gewandeter Form wiederholen. Wollen Linke wirklich die Farbe, die Schönheit, die Fairness des menschlichen Umgangs, die Rückverbindung zum Seeleninneren der „spirituellen Szene“ überlassen – sie dort gleichsam isolieren? Traurig wäre das für die „Politischen“ noch mehr als für die „Spirituellen“.
„Es gibt einen gewissen kommunistischen Stil. In dieses Maß passt kein Mensch hinein“, schrieb Boris Pasternak. Ich schon gar nicht, zumal ich bekanntlich „divergent“ bin. Wahrscheinlich wäre ich auf weniger erbitterte Ablehnung gestoßen, hätte ich mich nicht aus der Komfortzone spiritueller Verkrochenheit auf das schlüpfrige Parkett der Politik hinausgewagt. Nach dem Motto „Ehrliche Feinde sind mir lieber als Verräter“, gehen Kampf-Antispirituelle nämlich selbst mit Kapitalisten noch pfleglicher um als mit religiös begründeter Kapitalismuskritik. Aus der Fortsetzung des Films „Divergent“, genannt „Insurgent“, stammt übrigens das Zitat: „Es hieß immer, wir Unbestimmten seien das Problem, die Wahrheit ist: Wir sind die Lösung.“ Ich glaube daran.
Wir brauchen einen Aufstand des Gewissens gegen die abscheuliche Zumutung neoliberaler Menschen- und Naturausbeutung. Aber wie kann dieser gelingen, wenn wir die eine, die kapitalistische Kaste der Seelenaushöhler lediglich auswechseln gegen eine andere mit sozialistischem Anstrich? Wäre dann nicht aller Widerstand umsonst gewesen? „Ich will meine Seele behalten“, protestierte Marc Chagall. Er fügte hinzu: „Und ich denke, die Revolution könnte eine große Sache sein, wenn sie die Achtung vor dem anderen bewahrte.“
* Die Definition des politischen Begriffs „links“ ist zugegebenermaßen schwer. Stärker problematisiert und aufgeschlüsselt habe ich den Begriff in meinem dreiteiligen Artikel „Links und Rechts – was heißt das?“ – 1. Teil hier, 2. Teil hier, 3. Teil hier. Ich finde die Meinung, wie sie etwa von HdS-Redakteur Holger Platta dazu vertreten wird, bedenkenswert und respektabel. „Links“, so Holdger, ist eng mit der Bewahrung der Menschenrechte und mit einem humanen Umgang miteinander verbunden. „Roter Terror“ wie im Stalinismus oder beleidigende Umgangsformen (wie sie von manchen Kommentatoren auf HdS gepflegt wurden) können demnach gar nicht für sich beanspruchen, „links“ zu sein. Vielmehr handelt es sich dabei um angemaßtes oder um Pseudo-Linkssein. In meinem Artikel verwende ich den Begriff „links“ nicht für ein humanes Ideal, sondern pragmatisch und entsprechend verbreiteter Definition für Menschen mit sozialistischer, kommunistischer bzw. antikapitalistischer Weltanschauung.