Connection – Alles ist in Verbindung

 In FEATURED, Philosophie, Politik, Spiritualität

Gemälde: Susanne Hauenstein

Gibt es einen Trost in diesen Zeiten überwältigend trauriger Nachrichten. Selbst für den, der in der glücklichen Lage ist, von den großen politischen Themen nicht direkt negativ betroffen zu sein, ist es derzeit schwer, sein psychisches Gleichgewicht wieder zu finden. Der Autor empfiehlt zwei Heilmittel, die sicher nicht jeder als sinnvoll erachten wird, die ihm persönlich aber geholfen haben. Das eine ist Poesie – von einem islamischen Dichter diesmal. Das andere könnte man als “spirituelle Philosophie” bezeichnen. Alle Kräfte, die sich physisch oder geistig bekriegen, sind in Wahrheit in einem größeren Gewebe miteinander verbunden. Nicht umsonst nannte Wolf Schneider das Magazin, das er über 30 Jahre geleitet hatte, “connection”.

Die Jahrzehnte von 1975 bis 2000, also das letzte Viertel des Jahrhunderts, waren vielleicht die glücklichsten, die wir Bewohner der reichen, westlichen Länder der Erde je erlebt haben. Im Jahr 2001 kam 9/11, was mehrere Kriege zur Folge hatte. 2022 die Ukraine-Invasion und der verschärfte Konflikt zwischen den USA und China. Nun ist seit Oktober 23 das Zündfass Palästina/Israel wieder am Explodieren, und die Nachrichten über Umweltkatastrophen, Klimakollaps und den Aufstieg der Rechtspopulisten häufen sich.

Zurzeit muss ich öfter denn je beim Hören oder Lesen von Nachrichten weinen und frage mich, woran ich die verbleibenden Reste meines Optimismus noch hängen kann, um nicht zum Pessimisten oder Zyniker zu werden. Ich greife jetzt mal das raus: Unsere de facto Verbundenheit mit den anderen Kulturen und dem gesamten Leben auf der Erde ist heute mehr Menschen denn je bewusst. Auch dass die Liebe die Essenz von jedweder Religiosität ist, sei sie theistisch oder atheistisch, ist heute mehr Menschen denn je bewusst. In einem Satz der Weltsprache Englisch, die ja nicht nur trennt, sondern auch verbindet: We are all connected. Sich dieser Connection gewahr zu werden, darum geht es.

Wanted: Systemische Politik

Als ich mir vor ungefähr 30 Jahren connection.de als Webseite gesichert habe, war mir die umfassende Tiefe dieses Begriffs noch nicht so bewusst wie heute. Obwohl meine Zeitschrift, die von 1985 bis 2015 als Print erschien, ja so hieß.

Damals bedeutete Connection für mich und viele andere nur die Ahnung von etwas Gutem, Wahren und höchst Relevanten. Heute ist die Verbundenheit von allem der Kern nicht nur meiner Philosophie. Sie enthält die Ökologie, die Wissenschaft von der Verbundenheit allen Lebens im Biotop Erde. Sie enthält auch die systemische Psychologie, welche die Verbundenheit von allem Seelischen zeigt. Und sie enthält die Mystik, den Kern von aller Religiosität. Was uns in der Weltzivilisation heute noch fehlt, sind die systemische Politik und Ökonomie, um in diesen beiden Bereichen zu zeigen, dass sich kein Ereignis isoliert betrachten lässt ohne Verlust an Wahrheit. Kein Teil des Ganzen lässt sich realistisch verstehen ohne das Gewebe, in dem er eingebunden ist.

Das hier oben gezeigte Bild ist von der Malerin Susanne Hauenstein, die in Andechs am Ammersee die Malschule »Kunst am Berg« innehat. Ihr findet in dem Bild Einzelelemente, die für sich stehen wie die Zellen in einem Organismus, und doch sind sie Teile eines größeren Ganzen, mit dem sie harmonieren. Sie sind Holons: Ganzheiten, die aus kleineren Teilen zusammengesetzt und zugleich Teile von etwas Größerem sind. So wie alles, das wir mit Begriffen benennen können, zugleich Teil und Ganzes ist. Die Biologie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von der Erforschung einzelner Lebewesen zur Ökologie hin bewegt ebenso wie die Psychologie hin zum Systemischen. Kann dieser Schritt nun auch von der Politik und der Ökonomie vollzogen werden? Das Fehlen dieses Schrittes vermisse ich zurzeit schmerzlicher denn je. Wenn die Israelis im Bewusstsein leben würden, dass sie ohne die Palästinenser nicht leben können, und umgekehrt, dann würden sie einander nicht an die Gurgel gehen. Ebenso die NATO und Russland, die USA und China, und so weiter. Die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von zahlungsfähiger Kundschaft und funktionierenden Lieferketten brauche ich hier wohl nicht extra zu erwähnen.

Jenseits der Opfer/Täter Dynamik

Je nach politischem Lager wird in diesen Wochen und Monaten das Bekenntnis zu den Opfern der Gewalt verlangt. »Mit wem solidarisierst du dich?«, ist die Gretchenfrage von heute. Sie ist zu beantworten mit: Israel, Palästina, der Ukraine, den Rohingya, den Frauen im Iran und Afghanistan, den Indigenen in Brasilien und Indien, den Vertriebenen Armeniern und Kurden, den Sudanesen in Darfur, und so weiter. Fast allen diesen Aufforderungen zum Bekenntnis und zur Solidarität liegen faktisch gut belegbare Berichte zugrunde, wer hier Opfer und wer Täter ist. Der Medienkonsument und potentielle Aktivist und Spender in Deutschland, auf der Seite der noch immer satten Gewinner am Raubbau an der Erde, ist mit diesen Aufforderungen jedoch mehrheitlich maßlos überfordert und steckt deshalb lieber den Kopf in den Sand. Immer mehr wollen nichts mehr hören von den Gräueln in der Welt und ziehen sich ins Privatleben zurück. Meist ist das eines, das unseren zivilisatorischen Weg in die Katastrophe sichert. Obwohl doch alle Sicherheit suchen – das ist es, was dann sicher ist.

Das Leben ist schön!

Was mir hilft, um nicht täglich weinen und verzweifeln zu müssen, ist die Unterscheidung zwischen den Ebenen, auf denen Opfer und Täter identifiziert werden müssen, um der Beseitigung des Unrechts und Unheils eine Chance zu geben. Und der Ebene, auf der alles »ist, wie es ist«, in Gottes Hand, von der Natur so eingerichtet. Das Unverfügbare, hat es ein Theologe mal genannt – wir haben nicht die Macht es ändern zu können. Das ist die Ebene, von der der Dichter Rumi sagt: »Jenseits von gut und böse, dort treffen wir uns.« Nur dort gibt es Frieden. Nur dort können wir uns erholen vom Stress der rotierenden Konflikte und den sich wiederholenden Routinen des ‚business as usual‘. Von den Hamsterrädern, die wir für Karriereleitern halten, dem Blaming der Schuldigen und dem Mitleid mit den Opfern. Erst dann können wir mit Roberto Benigni in dem gleichnamigen Film sagen: »Das Leben ist schön!«. Dort ist er mit seinem Kind in einem KZ der Nazis gefangen und hält doch bis zum Schluss seinen Optimismus aufrecht.

Homo ignorans?

Weitere Texte von mir findet ihr auf kgs-berlin.de, spuren.de, ursachewirkung.com und neuerdings immer häufiger auch in der Zeitschrift Zeitpunkt. Sowohl auf der von Christa Leila Dregger verantworteten Webseite zeitpunkt.ch (dort nun alle sechs Wochen), wie auch in dem vom unerschütterlichen Christoph Pfluger herausgegebenen vierteljährlichen Print-Magazin, in dem ich in der aktuellen Ausgabe Nr. 175 »Intelligent – kann Maschine Mensch sein« mit einem Text über die »Reise nach Transistan« und den »Vielleicht letzten Akt des Homo ignorans« vertreten bin.

Und hier ist meine neue, sehr reduzierte Webseite über das Ankommen bei sich selbst.

Von der Liebe trinken

Die Gräuel der Hamas und das zu diesem Anlass aktuell wieder recht beliebte Islam-Bashing sollte nicht vergessen lassen, dass es eine Mystik der Liebe und Verbundenheit auch im Islam gibt. So schrieb etwa der Dichter Hafiz von Shiras in einer Zeit, da Europa noch fest in den Händen der katholischen Kirche verharrte (und dabei allerdings wunderschöne Kathedralen baute):

»Ich weiß, wie es dir gehen kann, wenn du nicht von der Liebe getrunken hast. Dein Gesicht wird hart, deine süßen Muskeln verkrampfen. Kinder werden beunruhigt über den merkwürdigen Blick, der in deinen Augen erscheint, der sogar beginnt, deinem eigenen Spiegel Sorgen zu machen und deiner Nase.

Eichhörnchen und Vögel fühlen deine Traurigkeit und berufen eine wichtige Konferenz ein in einem großen Baum. Sie entscheiden, welchen geheimen Code sie singen, um deinem Gemüt und deiner Seele zu helfen.

Sogar Engel fürchten dieses Mal des Wahnsinns, das sich gegen die Welt stellt und scharfe Steine und Speere wirft in das Unschuldige und in das Selbst.

O ich weiß, wie es dir gehen kann, wenn du nicht aus warst, um von der Liebe zu trinken: Du würdest jeden Satz deiner Freunde und Lehrer verreißen, nach versteckten Klauseln suchend. Du würdest jedes Wort auf die Waagschale legen wie einen toten Fisch. Du würdest ein Lineal hervorziehen, um von jedem Winkel in deiner Dunkelheit die wunderschönen Dimensionen des Herzens auszumessen, dem du einst vertraut hast.

Ich weiß, wie es dir gehen kann, wenn du nicht getrunken hast aus den Händen der Liebe. Aus diesem Grund sprechen die Großen von dem vitalen Bedürfnis, die Erinnerung an Gott in dir zu halten. So wirst du Ihn kennen und sehen als so spielerisch und wollend, nichts als helfen wollend.

Darum sagt Hafiz: Bring deinen Becher zu mir her, denn ich bin ein süßer alter Vagabund mit einem ohne Ende leckenden Fass voll von Licht, Lachen und Wahrheit, das der Geliebte mir auf den Rücken gebunden hat.

Lieber, Liebe, wirklich, bitte bring dein Herz nahe zu mir, weil alles, was ich will, ist deinen Durst nach Freiheit stillen. Alles was ein wahrer Mensch jemals wollen kann, ist Liebe geben!«

Hafiz (Persien, 14. Jhd.; Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Ladinski)

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