Das Liebesfest

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Philosophie

Nehmen wir Weihnachten zum Anlass, die Liebe zu befreien. Weihnachten naht und damit die Frage, wie wir uns beschenken können. Wie wäre es, das Fest der Liebe dafür zu nutzen, uns tatsächlich unsere Liebe zu schenken — aus vollen Händen, ohne dabei zu knausern? Hierfür braucht es die Entscheidung, nicht beim Nachbarn zu schauen, ob er vielleicht mehr bekommen hat, sondern zunächst sich selbst zu beschenken. Schließlich können wir nur an andere weitergeben, was wir selbst haben. Damit kommen wir ins Vertrauen. Anstatt eifersüchtig über die Liebe der anderen zu wachen, geben wir sie und uns frei. So kann die Liebe aus dem Gefängnis der Exklusivität heraustreten und sich in der ganzen Welt ausbreiten. Kerstin Chavent

 

Auf immer dein! Du gehörst zu mir! Bis dass der Tod uns scheidet! Möglichst bis ans Lebensende soll es dauern, das Glück zu zweit. Wir verlieben uns, schweben im siebenten Himmel, machen gemeinsame Pläne für die Zukunft, treten vor den Traualtar — und wollen in vielen Fällen schon nach ein paar Jahren unser Herz zurück. Enttäuscht und verletzt fegen wir die Scherben zusammen und ziehen in den Rosenkrieg. Nahezu die Hälfte aller Ehen endet so. Fast 40 Prozent der geschlossenen Ehen wurden im Jahre 2021 wieder geschieden. 2005 waren es 52 Prozent (1).

Daneben leben fünf Millionen Menschen in Deutschland als überzeugte Singles (2). Es sind Menschen, zu deren Lebensplan es nicht gehört, dauerhafte Zweierbeziehungen einzugehen. Jeder dritte Deutsche ist im Schnitt solo. Die meisten von ihnen leben in Hamburg, Berlin und Thüringen. Jeder Zweite unter 30 lebt ohne festen Partner. In der Familiengründungsphase zwischen 30 und 39 sinkt dieser Anteil bedeutend. Während in den Dreißigern nur noch jeder Vierte allein ist, pendelt sich ab 40 der Singleanteil bei 28 Prozent ein (3).

Als Gründe für die zunehmende Partnerlosigkeit wird gemeinhin angeführt, dass Frauen heute unabhängiger sind, dass die Motivation, gemeinsam Krisen zu meistern, abnimmt, dass vielen die Karriere wichtiger ist als das Kuscheln, und dass wir zu anspruchsvoll und insgesamt unverbindlicher geworden sind. Bei einer so großen Auswahl kann man es sich erlauben, wählerisch zu sein.

Einschließende Ausschließlichkeit

So überkreuzen sich zwei Tendenzen, die sich auf den ersten Blick gegenseitig ausschließen. Einerseits sehnen wir uns nach Freiheit und Ungebundenheit, andererseits nach stabilen Bindungen, in denen wir uns aufgehoben, geborgen und sicher fühlen. Beide Sehnsüchte stehen sich in unserer Lebensweise im Weg. Wir schaffen es nicht, Treue und Loyalität damit zu vereinbaren, dass wir auch andere Menschen attraktiv und verführerisch finden. Unsere Partnerschaften halten es in aller Regel nicht aus, dass wir uns auch in andere verlieben. Die schönste Sache der Welt bedeutet, dass wir uns entscheiden müssen. Entweder-oder. Entweder der andere oder ich. Sobald sexuelle Anziehung ins Spiel kommt, ist es aus mit Offenheit und Toleranz. Hier ist nichts bunt, hier gibt es nur schwarz oder weiß, alles oder nichts. Während wir munter Regenbogenfahnen schwenken und bedenkenlos zwischen bald 80 „Geschlechtern“ wählen, ist es für die meisten von uns ausgeschlossen, den eigenen Partner mit anderen zu teilen.

Da gewöhnlich spätestens nach ein paar Jahren beim Sex nicht mehr die Funken fliegen, geht die Lust in der Liebe nur heimlich weiter. Die verbotene Frucht wird versteckt gekostet. Der Lebenspartner soll davon nichts erfahren und wird angelogen. An der Wahrheit droht die Beziehung zu zerbrechen. So beruhen viele Partnerschaften lediglich auf der Illusion von Vertrauen und einer ehrlichen Zweisamkeit. Wenn es um die Liebe geht, spielen wir ein doppeltes Spiel. Wir zeigen uns nicht mehr, wie wir wirklich und wahrhaftig sind, sondern verdrehen uns so, dass der Hausfrieden zumindest einigermaßen gerade hängt.

Misstrauen und Frust trüben die anfänglichen rosa Wolken. Oft ist das der Moment, in dem wir Kinder bekommen. Zumindest genetisch soll die Liebe dauern. Die Folge sind 2,15 Millionen alleinerziehende Mütter und 462.000 alleinerziehende Väter (4). Wie viele der 21 Millionen Paare in Deutschland nicht aus Liebe, sondern vor allem wegen der Kinder, des Hauses, des Autos, des Bankkontos, gesellschaftlicher Verpflichtungen oder Gewohnheiten zusammenbleiben, ist nicht statistisch erfasst.

Leidenschaft, die Leiden schafft

Etwa ein Fünftel der Paare trennt sich, weil der Partner fremdgegangen ist (5). Auch wenn in Deutschland seit 1969 Ehebruch nicht mehr als Straftat geahndet wird, ist in vielen Fällen, so meint es der Begriff, die Ehe zerbrochen. Oft beginnt die Untreue des einen mit der Eifersucht des anderen. Hierfür muss es nicht immer zur Sache gehen. Damit wir um den Spatz in der Hand fürchten, reicht oft schon ein Blick, ein Wort, eine Geste.

Es gibt wohl kaum jemanden, dem Eifersucht vollkommen unbekannt ist. Wir wissen alle, wie es ist, wenn wir uns abgewertet fühlen, zweitrangig, zurückgewiesen. Entsprechend denken wir, Eifersucht sei etwas Normales und halten sie für legitim. Ursprünglich bedeutet der Begriff krankhafte Verbitterung. Es handelt sich, wie der Name sagt, um eine Form von Sucht. Sucht wird definiert als eine Abhängigkeit, ein unkontrolliertes Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet, woraufhin die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und die sozialen Chancen eines Individuums beeinträchtig werden können (6).

„Eifersucht“, so definiert es das Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, „beschreibt eine schmerzhafte Emotion, die man bei einer nicht oder nur in ungenügendem Maße erhaltenen Anerkennung, Aufmerksamkeit, Liebe, Respekt oder Zuneigung seitens einer geschätzten Bezugsperson gegenüber einer damit tatsächlich oder vermeintlich stärker begünstigten verspürt. Eifersucht entsteht, wenn der Anspruch auf Zuneigung oder Liebe vermeintlich oder real durch den Partner dadurch in Frage gestellt wird, dass er ebendiese Zuneigung oder Liebe jemand anderem als einem selbst entgegenbringt und dadurch eine starke Verlustangst auslöst“ (7). Die als schmerzhaft empfundene Ablehnung, Gleichgültigkeit oder Zurückweisung sind zumeist in der Kindheit angelegt. Während jedoch die Eifersucht des Kindes in der Regel dann wieder verschwindet, wenn es von den Eltern Zuwendung erfährt, verlangt ein eifersüchtiger Partner nach einer uneingeschränkten, ausschließlich ihm geltenden Aufmerksamkeit.

Du allein sollst mein Glücksstern sein. Dieser Ausschließlichkeitsgedanke führt in eine Misstrauensspirale, in der Unsicherheit, Angst, Trauer und Wut in Gewalt bis hin zu Mord und Totschlag münden können.

Eifersucht schließt Liebe aus

Nichts kränkt uns mehr, als wenn uns Liebe entzogen wird. Kaum meinen wir, sie ergattert zu haben, fürchten wir auch schon, sie wieder zu verlieren. So zerbrechlich scheint der Glücksschmetterling, dass, wer ein angeschlagenes Selbstwertgefühl hat, in ständiger Angst leben muss, enttäuscht zu werden, gedemütigt, ignoriert, verraten. Immer fester wird der Partner umklammert, immer nachdrücklicher werden die Forderungen, so lange, bis aus dem anfänglichen Traum ein Albtraum wird. Solange wir Eifersucht für etwas halten, was eben zur Liebe dazugehört, wird sich daran nichts ändern. Ein Großteil der Ehen wird weiter zerbrechen, es wird weiter aus Eifersucht getötet werden, wir werden uns weiter in Lügen verstricken und damit das verhindern, was wir uns so sehr wünschen: lieben und geliebt zu werden. Doch auch wenn wir nicht religiös erzogen worden sind, hat es sich tief in uns eingeprägt, dass es nur einen geben kann: einen Gott, einen Liebespartner, einen Deckel pro Topf.

Lange Zeit war es ökonomisch gesehen sinnvoll, die Frauen an den Herd zu binden und den Männern die Gewissheit zu geben, keine Kuckuckseier großzuziehen und zu beerben. Doch heute ist dieses Lebensmodell überholt. Oder macht es jemanden glücklich, den Partner wie ein Schießhund zu bewachen, der jeden ankläfft, wenn er Konkurrenz wittert? Gefällt es uns, uns emotional abhängig von einem anderen zu machen? Mögen wir uns selber leiden in der Rolle der Zornigen, Keifenden, Schmollenden, Ohnmächtigen? Fühlen wir uns gut mit unserer Eifersucht? Oder haben wir Sehnsucht danach, endlich frei und in Ruhe lieben zu können?

Neues Lebensmodell

Der Weg aus dem Dilemma heraus führt uns zunächst direkt hinein. Wir müssen, so die Theologin und Friedensforscherin Sabine Lichtenfels, an die Vorstellung heran, Eifersucht sei unser gutes Recht und Ausdruck des Anspruches, den wir auf denjenigen zu haben glauben, der sich auf uns eingelassen hat (8). Doch Eifersucht gehört nicht zur Liebe. Sie macht uns fordernd und böse. Wenn wir in der Eifersucht sind, sind wir nicht in der Liebe. Erst wenn uns klar wird, dass Eifersucht eine Art Kulturkrankheit ist, können wir über die Heilung nachdenken und sie überwinden.

Dies ist nicht allein auf der persönlichen Ebene möglich.

„Es ist zentral und entscheidend eine politische Frage, ob es gelingt, neue gesellschaftliche Lösungsmodelle zu entwickeln, in denen Liebe lebbar wird, ohne die bekannten Begleiterscheinungen von Verlustangst, Eifersucht und Hass.“

Doch hierfür gibt uns unsere Zivilisation kein Modell. Wir haben keine Vorbilder, wie ein Zusammenleben ohne Eifersucht funktionieren kann. Daher müssen wir, um ein neues Bild der Liebe und neue Formen des Zusammenlebens zu erschaffen, unseren gesamten Erfindungsgeist einsetzen. Hierin, so Sabine Lichtenfels, liegt unsere geschichtliche Aufgabe, wenn wir etwas zur Beseitigung des allgemeinen Elends beitragen wollen.

„Sexueller Kontakt zu anderen Frauen oder Männern“, so schreibt sie weiter, „ist keine Einengung in der Beziehung, sondern eine Bereicherung, wenn wir ihn erlauben. Sexueller Kontakt zu einer oder einem Dritten ist kein Grund, sich zu verlassen, sondern das Gegenteil, wenn wir es erlauben.“ Was wir als kränkende Zurückweisung erleiden, als Affront gegen das Ego, kann als Erfüllung der universellen Liebessehnsucht verstanden werden, die niemanden ausschließt und alle mit einbezieht.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst

Bei der Befreiung der Liebe geht es nicht darum, möglichst viele Sexualpartner zu haben, sondern die Nächstenliebe nicht aus der Sexualität zu verbannen. Was bürden wir einander auf, unsere ganze Sehnsucht auf nur einen einzigen Menschen zu projizieren? Wie viele Beziehungen zerbrechen, weil wir es nicht gelernt haben, dass wirkliche Treue sich nicht am Sex festmacht, sondern sich an der Wahrhaftigkeit der Beziehung entscheidet, deren Voraussetzung Ehrlichkeit und Authentizität sind?

Das zu lernen ist nicht mit einem Fingerschnipsen getan, sondern fordert uns ein grundsätzliches Umdenken ab. Ob eine neue, freie und lebendige Form des Zusammenseins gelingt, hängt von unserer Bereitschaft ab, in die eigene Entwicklung zu investieren und die Kräfte des Vertrauens in uns aufzubauen. Erst wenn wir wirklich zu uns selbst stehen, müssen wir andere Menschen nicht mehr mit unserem Misstrauen, unserer Angst, unserem Frust beladen und von ihnen erwarten, dass sie uns das Leben schöner machen.

Wir stehen nicht mehr ausgehungert vor unserem Partner in der Hoffnung, dass er uns etwas gibt, was wir nicht haben, sondern teilen mit offenen Händen, was wir zu geben haben. Wir saugen einander nicht mehr aus und werfen uns dann weg, wenn wir leer sind, sondern erleben eine neue Fülle, die sich aus einem fließenden Geben und Nehmen nährt. Das können wir uns zum Geschenk machen. Lieben wir unseren Nächsten wie uns selbst. Schenken wir uns selbst die Liebe, die wir anderen abzuringen versuchen, und teilen wir sie großzügig.

Sehen wir uns selbst in die Augen und erkennen wir unsere Einzigartigkeit, unsere Besonderheit, unsere Schönheit. Wenn wir das sehen, können es auch andere sehen. So werden wir reif für die Liebe zu zweit, die kein Halsband und keine Leine braucht, sondern sich an der Schönheit des anderen erfreut, ohne sie besitzen zu wollen. Versuchen wir es. Lassen wir unsere Angst los, verlassen zu werden und allein zu sein. Wir sind nicht allein. Wir sind viele!

Macht hoch die Tür

Viele von uns haben Sehnsucht danach, sich nicht mehr eingeengt zu fühlen, schuldig, verbittert. Längst haben die Mutigsten angefangen zu sprechen und sich die Last von der Seele zu reden. Kennst du das auch? Fühlst du auch so? Eine echte Brüderlichkeit, eine echte Schwesterlichkeit sind dabei zu entstehen, eine wirkliche Solidarität zwischen den Geschlechtern, erst recht dann, wenn sie denselben Menschen lieben. Wenn wir es lernen, mit offenen Karten zu spielen, kann sich die Konkurrenz auflösen, und mit ihr Eifersucht und Neid. Wir wissen, dass wir vollständig sind und keinen Deckel brauchen.

Nehmen wir das Fest zum Anlass, unsere Liebe nicht mehr im Gefängnis der Exklusivität gefangen zu halten, sondern lassen wir sie sich überall ausbreiten. Mag es von überall her klingen: Die Liebe ist heute geboren! Mögen himmlische Heerscharen dieser Geburt Flügel verleihen und sie sich tief in der Erde verwurzeln lassen. Macht hoch die Tür Eures Herzens und lasst es fließen!

So kann Weihnachten werden. Nicht mit verkniffenen Gesichtern sitzen wir um den Baum, sondern im Bewusstsein des Lebens, das in uns pulsiert. Behindern wir es nicht. Lassen wir uns keine Konventionen mehr aufzwingen, die uns unglücklich machen. Erkennen wir im Nächsten das liebende Wesen, den sprudelnden Quell, den tiefen klaren See. Machen wir uns diese Freude. Verschenken wir uns. Nehmen wir uns in die Arme und spüren wir das Glück der Begegnung, das Vertrauen, die Glückseligkeit und wünschen wir uns fröhliche Weihnachten!


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76211/umfrage/scheidungsquote-von-1960-bis-2008/
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173640/umfrage/lebenseinstellung-single-aus-ueberzeugung/
(3) https://www.elitepartner.de/magazin/finden/singles-in-deutschland/
(4) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/318160/umfrage/alleinerziehende-in-deutschland-nach-geschlecht/
(5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1034490/umfrage/umfrage-zu-trennungsgruenden-in-deutschland-nach-geschlecht/
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Abh%C3%A4ngigkeit_(Medizin)
(7) https://lexikon.stangl.eu/15438/eifersucht
(8) Sabine Lichtenfels: Weiche Macht. Perspektiven eines neuen Frauenbewusstseins und einer neuen Liebe zu den Männern, Meiga 2017

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.
Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen