Das Totenhaus – eine abgeschlossene Geschichte (1)

 In FEATURED, Kurzgeschichte/Satire, Roland Rottenfußer

Erste Episode: Die Drohne. Vorgeschichte: Der Held dieser Erzählung, ein allein stehender Mann mittleren Alters, hatte mit seinem Freund Werner eine Streckenwanderung unternommen und die Nächte jeweils wild campend im Wald verbracht. Beide hatten also einige Tage keinen Kontakt zur Zivilisation gehabt. Sie wussten somit nicht, dass in der Zeit, während sie “abgetaucht” waren, das Cornetto-Virus ausgebrochen war und das Geschehen im Land sowie alle Medien seit Tagen komplett dominierte. Aus dem Wald kommend, erspähten Werner und der Erzähler ein paar Menschen, die merkwürdige Masken vor dem Mund trugen. Als sie sich nähern wollten, um die Passanten nach dem Sinn dieser Verkleidung zu befragen, wichen diese entsetzt zurück und fingerten nervös auf ihren Smartphones herum. Wenig später erschien eine Eingreiftruppe der Health Security, in Ganzkörperplastikanzüge gehüllt und mit durchsichtigen Schilden vor dem Gesicht, die die beideren Wanderer verhaftete. Jeder von ihnen wurde einzeln in seine Wohnung verfrachtet und über die jetzt geltenden strengen Regeln belehrt: Sie hatten sich – wie fast alle Bürger des Landes – bis auf Widerruf in Quarantäne zu begeben und durften ihre Wohneinheit nicht verlassen. Dies sind einige Episoden aus dem Quarantäne-Alltag des Helden. Roland Rottenfußer

Ein eindringlicher hoher Ton, ausgestoßen in kurzen Intervallen, zeigte an, dass die Wohnraumüberwachungsdrohne da war. Ich eilte aus dem Schlafzimmer ans Wohnzimmerfenster, wo sie vor meinem Fenster surrend schwebte, visuell einem Toaster auf vier Füßen gleichend, über dem sich Rotorblätter drehten. Verschiedene rote und weiße Lichter blinkten rhythmisch auf. Ich musste jetzt das Fenster weit öffnen und die Drohne hereinlassen. Ich wusste, dass sie mich schon gesehen haben musste und dass ich nicht mehr zu lange zögern durfte. Die dementsprechenden Signale könnten sonst an die Zentrale gefunkt werden, woraufhin ich wegen Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden mit dem Besuch einer schnellen Eingreiftruppe der Health Security rechnen müsste.

Wenn man den Signalton der Drohne hörte, musste man binnen höchstens 20 Sekunden öffnen. So viel Zeit wurde gewährt, um den Bewohnern zum Beispiel zu erlauben, ihr Geschäft auf der Toilette zu beenden. Wer länger weg blieb, von dem war anzunehmen, dass er die Wohnung widerrechtlich verlassen hatte. Das war zwar unwahrscheinlich, denn die Patrouillen hätten einen Wohnungsflüchtling so schnell gegriffen, dass sich ein Ausflug kaum lohnte – von den sehr harten Strafen für Verstöße gegen die Volksgesundheitsverordnungen abgesehen –, aber es kam doch immer wieder vor, dass ein paar Irre ausrasteten und auf diese Weise sich und die ganze Nation in große Gefahr brachten.

Ich öffnete. Im Hereinschweben stieß die Drohne noch einen Topf mit meinem geliebten Alpenveilchen um. Es war sowieso in jämmerlichem Zustand und würde nicht mehr lange leben. Neue Blumen zu besorgen, war wegen der Ausgangssperre aussichtslos. Ich konnte aber nicht sofort mit dem Versuch beginnen, das Veilchen zu retten.

Ich wusste, was ich jetzt zu tun hatte. Ich stellte mich in die Mitte des Raums aufrecht hin, so dass die Drohne vollständig um mich herumfliegen und mich scannen konnte. Schon auf dem Weg hierher war ich im Gedanken die Vorschriften durchgegangen und hatte zu meiner Erleichterung festgestellt, dass mein Zustand wohl vorschriftsgemäß war. Die Maske, deren Tragen nun auch in Innenräumen und bei Alleinlebenden wir mir Pflicht war, saß fest. Aus der Drohne kam nun ein Metallarm heraus. An ihm war ein feines Messerchen befestigt, das an meinen vorsorglich ausgestreckten Handflächen eine Abschabung vornahm und die Kleinstpartikel in einen Plastikbeutel entsorgte. Durch Analyse des Abstrichs würde das Labor herausfinden können, ob ich mit der Handhygiene sorgfältig gewesen war. Ich war da einigermaßen beruhigt. Zum letzten Mal hatte ich meine Hände vor einer halben Stunde gewaschen, danach hatte ich fast nur mit meiner Bettdecke Berührung gehabt.

Aus einem weiteren Arm der Drohne wurde nun eine seifige, scharf riechende Desinfektionsflüssigkeit auf meine Handflächen gesprüht. An der Stelle, wo die Abschabung vorgenommen worden war, brannte es ein bisschen. Aber nicht schlimm.

Nun folgte die Gesundheitsuntersuchung. Während sich die Rotorblätter vor meinen Augen drehten, so dass sie zu einem geisterhaft vibrierenden, halb durchsichtigen Kreis verschwammen, führte ein Metallarm ein Messröhrchen in meinen Mund ein, um die Temperatur zu bestimmen. Auch eine Speichelprobe wurde entnommen. Schließlich musste ich meine Armvene noch für einen Bluttest entblößen. Das führte manchmal, da sich der mechanische „Arzt“ ja in der Luft schwebend bewegte, zu falschen und schmerzhaften Einstichen, besonders wenn man sich nicht absolut ruhig hält. Heute aber funktionierte es ganz gut. Ich war nicht mehr so aufgeregt wie die ersten Male und zitterte nicht. Und auch die Drohne hatte ihre Mechanik infolge dutzender von Updates perfektionieren können.

Jetzt folgte noch die Raumkontrolle, um festzustellen, ob sich unerlaubt Zweitpersonen in meiner Wohnung aufhielten. Dieser „Programmpunkt“ war der einzige, der mir noch ein bisschen Bauchschmerzen machte. Gerade als die Drohne mich herausgerufen hatte, war ich auf meinem Bett über einem Foto des bekannten Porno-Starlets Vicky Bolero zugange gewesen, um mir in Zeiten vorgeschriebener Isolation ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Die Drohne konnte alles sehen, die aufgewühlte Bettdecke und das aufgeschlagene Heft mit dem Foto Vickys, die dem Betrachter die üppigen Schlauchbootlippen sowie andere eindrucksvolle Körperteile herausfordernd entgegenstreckte.

Das war mir peinlich, auch wenn ich natürlich vom Verstand her wusste, dass mich die Drohne nicht moralisch dafür verurteilen würde. Auch brauchte ich mir, wie die Regierungswebseite www.die-freie-welt.de versicherte, keine Sorgen machen, dass irgendwo in der Zentrale ein Mensch säße, der mich durch das Drohnenauge beobachtete. Die Bilder der Drohnenkamera wurden nur dann herangezogen und gezielt ausgewertet, wenn ein konkreter Verdacht gegen mich bestand. Ich war zuversichtlich, dass das derzeit nicht der Fall war. Dennoch beunruhigte mich der Gedanke: Mein Malheur mit Vicky Bolero war nun im Zentralcomputer des Gesundheitsministeriums gespeichert – unlöschbar und für immer.

Ich öffnete also der Drohne, da es ohnehin keinen Sinn machte, etwas vor ihr zu verbergen, alle Zimmertüren und die Türen aller Schränke, die groß genug waren, um einen Menschen zu verstecken. Sie schwirrte zur Zimmerdecke, dann wieder ganz hinunter, um unter das Bett zu spähen. „Bitte den Raum unter dem Bett für visuelle Untersuchung freiräumen“, sagte die vertraute Roboterstimme, die über eine begrenzte Anzahl von Textmodulen verfügte. Ihre Äußerungen ließen sich grob in zwei Untergruppen einteilen: Befehle, was ich zu tun hatte, und Drohungen, mit welchen Strafen ich im Fall der Zuwiderhandlung zu rechnen hätte. Ich räumte ein paar Kisten unter dem Bett hervor, so dass die Drohne erkennen konnte, dass ich dort keinen Menschen versteckte und somit nicht gegen das Kontaktvermeidungsgesetz verstoßen hatte. Wegen des Stapels von Pornoheften, den ich dort hatte verborgen halten wollen, war mir auch dies etwas peinlich. Aber was half es?

„Wir halten Abstand. Nur Abstande bedeutet Anstand. Wir waschen uns die Hände. Wir desinfizieren uns mindestens alle zwei Stunden. Wir tragen Maske. Nur wenn jetzt alle zusammenhalten und die Regeln der Regierung befolgen, können wir den Krieg gegen das Cornetto-Virus gewinnen“. Wenn die Drohne diese altbekannte Litanei abspielte, wusste ich, dass das Ende der Kontrolle nahte. Diese Anweisungen wurden unabhängig von tatsächlichen Verstößen der Bewohner andauernd repetiert. Es war das säkulare Mantra unserer Epoche. „Fenster öffnen. Die Überprüfung verlief zu unserer Zufriedenheit“, sagte die schnarrende Stimme. Ich öffnen, und die Drohne schwebte aufwärts, um nun vermutlich meinen Nachbarn, Herrn Weberknecht, zu beglücken. Dann verschwand sie surrend und blinkend aus meinem Sichtfeld.

Vorsichtig hob ich das Alpenveilchen mit der noch an der Wurzel hängenden Erde hoch und versuchte es in ein neues Töpfchen zu verfrachten. Leider war eine der beiden verbleibenden violetten Blüten abgeknickt und nicht mehr zu retten. Blieb noch eine: die letzte ihrer Art, ohnehin schon halb vertrocknet und vom Tode gezeichnet.

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Kripo rätselt
    Antworten
    Eine männliche Person von Health Security Drohne allein in seinem Bett entdeckt. Bei einer gründlichen Untersuchung der männlichen Person wurde Sperma in seinem Genitalbereich sichergestellt. Nach der Entnahme einiger Spermien von dem sichergestellten Sperma für eine eventuelle Vervielfältigung des mutmaßlichen Vergewaltigers durch Clonen wurde umgehend die Kriminalpolizei mit den Ermittlungen beauftragt. Nach der Sicherstellung von weiteren, eventuellen Beweismaterial am Körper der männlichen Person konnte jedoch eine Fremdberührung nicht festgestellt werden. Daraufhin bat die Kriminalpolizei die Bevölkerung um Mithilfe, worauf sich neben AMAZON auch zahlreiche andere Onlinedienste meldeten. Berichten zur folge sei ihnen bei der Anlieferung der Ware an ihre Onlinekunden durch ihre Lieferdrohnen beim Vorbeiflug am Schlafzimmerfenster der männlichen Person merkwürdige Bewegungen unter seiner Bettdecke aufgefallen. Und während diese Person scheinbar schlief, erhob sich plötzlich wie ein kleines Pyramidenzelt an einer Stelle die Bettdecke.

    Das männliche Opfer konnte bisher noch nicht vernommen werden, da es, vermutlich durch Einwirkung eines länglich runden Gegenstand am Kopf mit einem schweren Schädelhirntrauma im Koma liegt.

    • Ulrike Spurgat
      Antworten
      Sie sind aber gut drauf !

      Danke für ein Lachen in Zeiten wo die Sauertöpfe (Merkel und Konsorten) und die emotional verarmten Miesepeter einem das lebendige Leben zu verhageln versuchen.

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