Der HdS-Stammautor Ludwig Schumann ist tot

 In FEATURED, Kultur, Roland Rottenfußer, Über diese Seite

Ludwig Schumann

Erst heute erfuhr ich, dass Ludwig Schumann, der ungemein fleißige Autor und unermüdliche Kämpfer für eine menschlichere Gesellschaft, am 22. Mai dieses Jahres verstorben ist. Er wird uns nicht nur sehr fehlen, er fehlte schon länger, nachdem im letzten Jahr der Strom seiner geistreichen und kapriziösen Artikel unvermittelt abriss. Es kam im Herbst dann sogar noch zu einem Telefonat zwischen uns, in dem Ludwig munter wirkte und weitere Artikel versprach. Ich wusste von seiner Krankheit nur, dass er Dialyse-Patient war, dieses Schicksal aber nach außen hin mit heiterer Gelassenheit trug. Kurz davor hatte er mich gebeten, ein Vorwort zu einem zu veröffentlichenden Sammelband seiner Essays zu schreiben: „Der langsame Leser“. Dieses Buch ist so weit ich weiß bis heute nicht auf dem Markt. Ich veröffentliche das Vorwort heute erstmals zu seinen Ehren. Ich hoffe, es macht deutlich, was für ein Mensch und Künstler Ludwig Schumann war und warum sein Ableben ein so herber Verlust für uns ist.   Roland Rottenfußer

Ein langsamer Leser? In Zeiten von Fastfood, Quickies, Speed Dating und Maggie Fix ist eine solche Figur wohl unzeitgemäß – was entschieden gegen unsere Zeit spricht, nicht gegen den, der ihr lesend, schreibend widersteht. Denn Langsamkeit bedeutet nicht zuletzt Sorgfalt, ein liebevolles und achtsames Sich-Einlassen auf das Gelesene. „Maria aber behielt alle diese Wort und bewegte sie in ihrem Herzen“, heißt es in der Bibel. Und dieses Bewegen im Herzen braucht Zeit. Viel zu oft werden in einem Akt der publicatio praecox Worte ausgespuckt, bevor der Sprechende auch nur im mindesten über sie nachgedacht hätte.

Indes ist es für mich schwer vorstellbar, dass Ludwig Schumann, der langsame Leser, auch langsam schreibt. Viel zu reichhaltig erscheint mir sein Oeuvre, das Sachbücher, Essays, Gedichte, Reden, und – ja – auch Musik umfasst. Ein „Oratorium von Schumann“, das klingt schon klassisch-gewichtig. Und auch so manche Träumerei entfloss der Feder des Autors. Gedanken reihen sich in seinen literarischen Miniaturen kapriziös und scheinbar sprunghaft aneinander. Sie scheinen teilweise eher der Logik eines Traums zu folgen. Dennoch kreist das kreative „Chaos“ stets um eine ruhende Mitte, die man als Humanität definieren kann – geprägt durch ein richtig verstandenes christliches Menschenbild. Schön, dass viele dieser Texte jetzt gesammelt in einem Band verfügbar sind.

Ludwig Schumann lernte ich durch Konstantin Wecker kennen, mit dem zusammen ich seit mehr als 10 Jahren das Webmagazin „Hinter den Schlagzeilen“ betreibe.  Das muss im Frühling 2016 gewesen sein. Die beiden Komponisten trafen sich, und Schumann drückte Wecker das „Zorngedicht“ zum Psalm 23 aus seinem Gedichtband „Der Dreizehnpsalm“ in die Hände, eine politisch stark aufgeladene Paraphrase des bekannten „Der Herr ist mein Hirte“. Wecker las es, war begeistert und fragte spontan: „Dürfen wir das auf meiner Seite ‚Hinter den Schlagzeilen‘ veröffentlichen?

Er durfte. Und dann kam ich als ausführender Redakteur ins Spiel. Ich ahnte anfangs noch nicht, dass ich damit einen der fruchtbarsten und zuverlässigsten Stammautoren für unser Magazin „eingefangen“ hatte. Seitdem beliefert mich Ludwig Schumann: mit Texten von blitzendem satirischem Biss und politisch schonungslosem Scharfblick – nicht ohne dass hinter der Kritik immer auch eine Grundgestimmtheit lebenskluger Güte hervorleuchtet.

Mit Ludwig „konnte“ ich sehr rasch, beackert er doch wie Konstantin und ich die leider relativ kleine Schnittmenge zwischen politischem Engagement und aufgeklärter Spiritualität. Zudem ist er Gartenfreund, mag Pflanzen und Tiere – und wo das gegeben ist und zudem die Liebe zu Musik und Poesie, da kann man sich ruhig niederlassen. Der langsame Leser ist heimatverbunden, im kulturellen Leben Sachsen-Anhalts scheint ohne ihn fast nichts zu laufen. Durch den Briefwechsel mit ihm kam mir dieses Bundesland im Laufe der Zeit richtig nahe, obwohl nach wie vor ein weißer Fleck auf meiner Reiselandkarte. Soziale und weltoffenen Bayern wie Sachsen-Anhalter haben ja gemeinsam, dass sie politisch immer ein bisschen mit der eigenen Heimat fremdeln und sich wider Willen in eine Außenseiterrolle gedrängt sehen.

Ludwig Schumann ist konservativ in einer bewahrenden, jedoch zur Welt hin geöffneten Art – und niemals würde er sich in die Niederungen des Xenophoben verirren. In seinen Texten ist der Rechtsruck mit seinen fürchterlichen und beschämenden Auswüchsen so allgegenwärtig wie leider derzeit auf deutschen Straßen und selbst in den Parlamenten. Schumanns „Ceterum censeo“ besagt deshalb nicht umsonst, dass eine Partei, die demokratisch gewählt ist, deshalb nicht unbedingt eine demokratische Partei sein muss.

Auch am Schatten der DDR-Vergangenheit und den verpassten Gelegenheiten der Wendezeiten arbeitet er sich beharrlich ab. Sein „Linkssein“ (wenn man davon sprechen kann)  ist immunisiert gegen die Versuchungen der Unmenschlichkeit und die Anmaßung dogmatischer Wahrheitsbesitzer, wie sie sich in der leidvollen Historie des „Realsozialismus“ gezeigt haben. Dem Sozialen in seinem Kern ist Schumann aber treuer geblieben als mancher großmäulige Ex-Idealist, dem die Menschenverwertungsmaschinerie des Kapitalismus längst seinen Schneid und seine Seele abgekauft hat.

So ist das größte Geschenk des „langsamen Lesers“ an diejenigen, die ihn – hoffentlich ebenfalls langsam – lesen, die: dass er in seiner sperrigen, scheinbar gedankenflüchtigen Art verlässlich er selbst geblieben ist. Denn in einer Welt, die andauernd versucht, uns aus kommerziellen Motiven heraus von uns selbst zu entfremden, bedeutet schon Selbstbewahrung Widerstand. Schon Ludwig Schumanns Sprache ist angenehm ungleichgeschaltet. Sie legt dem vom Gleichklang „smarter“ Wortreihungen ermüdeten Geist aufweckende verbale Stolpersteine in den Weg. Und stets, wenn wir aus der Lektüre eines Schumann-Textes auftauchen, fühlen wir uns nicht nur aufgeklärt – der Himmel über unserem Gemüt hat sich ebenfalls aufgeklart durch eine Heiterkeit, die allen düsteren Wolkenfronten des politischen Zeitgeschehens trotzt.

Diese Erfahrung wünsche ich allen Leserinnen und Lesern des vorliegenden Büchleins. Ihnen wird wie dem Betenden des 23. Psalms „nichts mangeln“ – in jedem Fall nicht kurzweiliger Esprit und Gedankentiefe. Schumanns Einfallsreichtum bereitet ihnen einen reichen literarischen Gabentisch.

Artikel von Ludwig Schumann auf „Hinter den Schlagzeilen“:

https://hinter-den-schlagzeilen.de/die-autoren/ludwig-schumann/beitraege-von-ludwig-schumann

Wir werden in den nächsten Wochen ein paar Klassiker von ihm wiederveröffentlichen.

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