Der Öko-Papst 1/2
Die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus gesteht jedem Geschöpf einen Eigenwert zu und kritisiert die Verdinglichung der Natur durch den Ökonomismus. Ein Statement des Papstes zur Umweltdebatte. Braucht es das? Wäre es, anstatt auf diese „ewig gestrige“ Instanz zu hören, nicht vielmehr notwendig, endlich die Warnungen der Wissenschaft ernst zu nehmen, die auf Fakten beruhen, nicht auf Jahrtausende alten Glaubenssätzen? Ja und nein. Auch der betont bescheidene und soziale Papst hat seine blinden Flecken. Und, ja, diese Enzyklika ist ein Weg weisendes Meisterstück. Sie ist notwendig im wahrsten Sinn des Wortes. Wir können die fundamentale Krise dieser Zivilisation nicht mit den Mitteln lösen, die sie herbeizuführen halfen: nicht mit Zynismus und Gefühllosigkeit, nicht mit dem kalten Effizienzdenken unserer Büro- und Technokratien, nicht mit überheblichem „Krone der Schöpfung“-Getue. Denn es ist eine Krise des Geistes, in der wir feststecken, ausgelöst auch durch eine fatale Umwertung aller Werte. Franziskus – hier ein Schüler seines Namensgebers Franz von Assisi – setzt die richtigen Akzente, indem er den Menschen in ein geschwisterliches Verhältnis zur Natur setzt und indem er dieser einen Eigenwert jenseits ihres „Nutzwerts“ für die Menschen zugesteht. Die Papst-Enzyklika setzt Poesie gegen die Prosa vermeintlicher Sachzwänge. Sie setzt Genügsamkeit gegen Konsumrausch und fordert die Politik auf, den „Schrei der Armen“ ebenso wie jenen der misshandelten Erde zu hören. Wir müssen aufhören, uns irgendetwas „untertan machen“ zu wollen. Wir müssen wieder lernen, Liebende zu sein, oder wir werden bald nicht mehr sein. Roland Rottenfußer
Wen würden Sie besser behandeln – einen Untertanen oder Ihre Schwester? Eben. Der Bibelspruch „Macht euch die Erde untertan“, gehört vielleicht zu den bekanntesten, jedoch auch verhängnisvollsten Sätzen unseres christlichen Erbens. Der moderne Mensch hat vermeintlich Gott getötet, von seinem „Wort“ jedoch offenbar gerade die problematischsten Sätze behalten und sie überdies sehr einseitig ausgelegt. Wenn man dem homo sapiens schon unbedingt eine Vorgesetztenfunktion zuweisen will, dann hat er sich gegenüber seinen Untertanen wie ein veritabler Tyrann benommen – ein schlechter Hirte.
Hier wählt die Umweltenzyklika von Papst Franziskus, „Laudato si‘“, erschienen erstmals am 18. Juni 2015, gleich den richtigen Einstieg. Der Pontifex zeigt, dass er seinen Papstnamen durchaus bewusst gewählt hat und beginnt mit Franz von Assisi.
“‘Laudato si’, mi’ Signore – Gelobt seist du, mein Herr‘, sang der heilige Franziskus von Assisi. In diesem schönen Lobgesang erinnerte er uns daran, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt: ‚Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.‘“
Franz von Assisi und „Schwester Erde“
Mit Bezug zum berühmtesten Gedicht des Heiligen fügt er an:
„Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern.“
Und er behauptet, „dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist.“
Unsere Geschwisterlichkeit gegenüber den anderen Lebensformen, ja sogar gegenüber Sonne, Mond, Himmel und Erde, resultiert natürlich aus christlicher Sicht daraus, dass alles vom gleichen „Vater“ geschaffen wurde. Ein Vater allerdings, der weniger als rigider Haustyrann denn als Liebender auftritt. Franz von Assisi, so der Papst, legt nahe, die Natur als ein prächtiges Buch zu erkennen, in dem Gott zu uns spricht und einen Abglanz seiner Schönheit und Güte aufscheinen lässt: „Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen.“
Ohne übermäßig auf dem Thema „Sünde und Schuld“ herumzureiten, kritisiert Franziskus die Hybris des Menschen, die zum Bruch mit der Schöpfung führte.
„Die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung wurde zerstört durch unsere Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, da wir uns geweigert haben anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe sind. Diese Tatsache verfälschte auch den Auftrag, uns die Erde zu ‚unterwerfen‘ (vgl. Gen 1,28) und sie zu ‚bebauen‘ und zu ‚hüten‘ (vgl. Gen 2,15). Als Folge verwandelte sich die ursprünglich harmonische Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur in einen Konflikt (vgl. Gen 3,17-19).“
Das weiteren interpretiert der Papst die Harmonie, in der Franz von Assisi mit allen Geschöpfen lebte – man denke etwa an die berühmte Vogelpredigt oder an die Zähmung eines Wolfes –, als „Heilung jenes Bruchs.“ Wenn wir dem Heiligen darin folgen, sind wir Teil der Heilung, ansonsten Teil bleiben wir Teil des Krankheitsprozesses.
Warum nun die Wortmeldung des Kirchenoberhaupts zu diesem Zeitpunkt? Der Papst wollte mit dem Werk offensichtlich die UN-Klimakonferenz in Paris beeinflussen. In einer Pressekonferenz Anfang 2015 sagte er: „Wichtig ist, dass zwischen ihrer Veröffentlichung und dem Treffen in Paris ein gewisser zeitlicher Abstand liegt, damit sie einen Beitrag leistet. Das Treffen in Peru [2014] war nichts Besonderes. Mich hat der Mangel an Mut enttäuscht: An einem gewissen Punkt haben sie aufgehört. Hoffen wir, dass in Paris die Vertreter mutiger sein werden, um in dieser Sache voranzukommen.“
Das Werk wurde natürlich nicht vom Papst allein verfasst. Der erste Entwurf wurde vom Rat „Justitia et pax“ erstellt, einem wichtigen Beratungsgremium der römisch-katholischen Kirche mit Sitz in Deutschland. Zahlreiche Bischöfe wie Erwin Kräutler, Träger des alternativen Nobelpreises für sein Umwelt- und Sozialengagement, wirkten mit. Das Werk wurde auch von der „Glaubenskongregation“ auf theologische Korrektheit geprüft.
Über das Unmittelbare hinaus
Franziskus, der sich nirgendwo im Text selbst als unfehlbar bezeichnet, will Teil eines Chors der Willigen sein, eine spezifische Farbe im großen Gemälde der notwendigen ökologischen Lösung.
„Wenn wir wirklich eine Ökologie aufbauen wollen, die uns gestattet, all das zu sanieren, was wir zerstört haben, dann darf kein Wissenschaftszweig und keine Form der Weisheit beiseitegelassen werden, auch nicht die religiöse mit ihrer eigenen Sprache.“
Wenn man der Kirche eines nicht vorwerfen kann, dann ist es übermäßige Flexibilität und Geschwindigkeit bei der Anpassung an den Zeitgeist. Diese Beharrlichkeit im Wertebewusstsein – mag man diesen Werten zustimmen oder nicht – erweist sich nun als Stärke. Der Ökonomismus nämlich zerstört unser Ökosystem nicht zuletzt auch aufgrund seiner fatalen Kurzsichtigkeit und Kurzatmigkeit. Politiker denken selten über den nächsten Wahltermin hinaus, Wirtschaftslenker haben meist nur die Quartalsbilanz im Blick. Der Papst postuliert nun etwas, was in Anbetracht der herrschenden Religion des Mammonismus geradezu als Blasphemie erscheint: er beruft sich auf andere Werte als jene des kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteils.
„Die Pflege der Ökosysteme setzt einen Blick voraus, der über das Unmittelbare hinausgeht, denn wenn man nur nach einem schnellen und einfachen wirtschaftlichen Ertrag sucht, ist niemand wirklich an ihrem Schutz interessiert. Doch der Preis für die Schäden, die durch die egoistische Fahrlässigkeit verursacht werden, ist sehr viel höher als der wirtschaftliche Vorteil, den man erzielen kann.“
Fast poetisch klingt es, wenn Franziskus eine Welt in Harmonie als den Traum Gottes interpretiert; den Menschen indes als ein „Werkzeug“, um diesen Traum quasi zu reparieren.
„Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten. Doch wir sind berufen, die Werkzeuge Gottes des Vaters zu sein, damit unser Planet das sei, was Er sich erträumte, als Er ihn erschuf, und seinem Plan des Friedens, der Schönheit und der Fülle entspreche.“
Eine zentrale These der Enzyklika besagt, dass alle Lebewesen „vor Gott einen Eigenwert besitzen“. Mit anderen Worten: „Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir.“ Oder: „Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.“
Liebe als Beweggrund der Schöpfung
Vielen Leserinnen und Lesern wäre es vermutlich lieber gewesen, wenn hier nicht andauernd von Gott die Rede wäre, diesem „jemand“, an den sie nicht oder nicht mehr glauben können. Doch ob gläubig oder nicht – zentral ist, dass sich der Wert der Erde und ihrer Lebensformen laut Franziskus nicht vom Menschen ableitet. Die Bedeutung der Natur erschöpft sich nicht mehr in ihrem Nutzwert für den Menschen – als Schweinekotelett, als Zierpflanze, als Baugrundstück, als Gegenstand von Profiterwägungen und Spekulation. Atheistische und christliche Naturliebe könnten auf dasselbe hinauslaufen, sofern sie den Menschen nicht mehr als den Dreh- und Angelpunkt des Universums betrachten.
Natürlich versucht auch dieser Papst, das was er für richtig hält, aus der Bibel zu beweisen – was die Frage aufwirft, ob er der „Heiligen Schrift“ auch dann folgen würde, wenn diese die Vernichtung der Ökosphäre anbefehlen würde. Jedoch ist der gute Wille in seiner Bibel-Exegese unübersehbar. Die Schrift, so Franziskus, spreche von einer „Zärtlichkeit des Vaters“.
„Die Liebe Gottes ist der fundamentale Beweggrund der gesamten Schöpfung: ‚Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen‘ (Weish 11,24). Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen.“
In gewisser Weise deutet Franziskus das, was Wissenschaftler als naturgesetzliche Reaktion der Natur auf ihre fortwährende Misshandlung bezeichnen würden, also in den Kategorien von Sünde und Strafe. Hier ist für „moderne“ Menschen vielleicht der Tonfall des Papstes befremdlich, nicht jedoch das, was im Kern ausgesagt wird. Ebenso wenn er dem Begriff der „Tugend“ eine neue ökologische Bedeutung gibt:
„Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist nicht etwas Fakultatives, noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung.“
Ökologie wird zur Christenpflicht. Das spezifisch Christliche daran ist die These, dass Gott die materielle Welt schon dadurch aufgewertet habe, dass er seinen „Sohn“, Jesus Christus, sich in diese hineinverkörpern ließ. Schon insofern wäre eine Theologie, die die Erde und alles Irdische gleichsam als „unter dem Niveau Gottes“ betrachtet, überwunden. Alles ist geschaffen. Alles ist gewollt. Alles ist geliebt.
Tiefenökologie: Wir sind selber Erde
Faszinierend ist dabei, dass die Umwelt-Enzyklika Gedanken formuliert, die man gemein hin als „tiefenökologisch“ versteht und nicht unbedingt mit diesen alten, schwerfälligen Tanker, der katholischen Kirche in Verbindung bringen würde. Tiefenökologie, eine Denkrichtung, die Ende des 20. Jahrhunderts unter anderem von Joanna Macy und Arne Naess geprägt wurde, betont die wechselseitige enge Verbundenheit aller Naturphänomene, im Grunde ihre Identität. Alles, was ist, besitzt eine Tiefendimension, die man als „göttlich“ oder „heilig“ bezeichnen kann. Auf eine kurze Formel gebracht: „Wir sind in sie eingeschlossen, sind ein Teil von ihr und leben mit ihr in wechselseitiger Durchdringung.“
Der Papst schreibt hierzu auch:
„Wir vergessen, dass wir selber Erde sind (vgl. Gen 2,7). Unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt, und sein Wasser belebt und erquickt uns. (…) Das gibt Anlass zu der Überzeugung, dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt.“
Die Zärtlichkeit Gottes für „seine“ Lebewesen sollte zu unserer eigenen Zärtlichkeit werden. Dabei ist es Franziskus jedoch wichtig, dass wir nicht ins andere Extrem, quasi in einen menschenverachtenden Anti-Speziesismus verfallen.
„Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist. Die Ungereimtheit dessen, der gegen den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tieren kämpft, aber angesichts des Menschenhandels völlig gleichgültig bleibt, die Armen nicht beachtet oder darauf beharrt, andere Menschen zu ruinieren, die ihm missfallen, ist offensichtlich.“
Aber:
„Wenn andererseits das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen. Folglich ist es auch wahr, dass die Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser Welt sich letztlich immer irgendwie auf die Weise übertragen, wie wir die anderen Menschen behandeln.“
Die schöne Kurzformel des Papstes hierfür lautet: „Das Herz ist nur eines“. Man kann nicht der einen Kreatur sein Mitgefühl schenken und sie einer anderen verweigern.
„Das Herz ist nur eines, und die gleiche Erbärmlichkeit, die dazu führt, ein Tier zu misshandeln, zeigt sich unverzüglich auch in der Beziehung zu anderen Menschen. Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf ‚widerspricht der Würde des Menschen‘.[69] Wir können uns nicht als große Liebende betrachten, wenn wir irgendeinen Teil der Wirklichkeit aus unseren Interessen ausschließen.“
Papst Franziskus hätte hier nur einen kleinen Schritt weiter gehen müssen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass der Konsum von Fleisch- und Milchprodukten der „Würde des Menschen“ widerspreche. Denn während das Gesetz in Deutschland noch einschränkend sagt: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, besagt die Enzyklika eigentlich, dass man das überhaupt nicht tun dürfe – mit oder ohne „vernünftigen Grund“. Der Eklat, den ein Fleischverbot des Papstes unfehlbar auslösen würde, würde wohl höhere Wellen schlagen als selbst die Frauenpriesterschaft. Weiterhin werden also unzählige Klosterwirtschaften und sogar klostereigene Metzgereien die traute Eintracht von Schlachtermesser und Altar zelebrieren, und man wird sich von den Strapazen des Pflicht-Gottesdienstes bei Bier und Schweinshaxen erholen. Aus meiner Sicht also schade, dass Franziskus diesen gedanklichen Schritt scheute.
Schrei der Erde, Schrei der Armen
Keine Scheu hat er jedoch vor einer klaren Ansage gegenüber den politischen und wirtschaftlichen „Mächten“:
„Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.“
Dabei äußert er sich durchaus auch zu konkreten Themen:
Während die Qualität des verfügbaren Wassers ständig schlechter wird, nimmt an einigen Orten die Tendenz zu, diese knappe Ressource zu privatisieren; so wird sie in Ware verwandelt und den Gesetzen des Marktes unterworfen. (…) Diese Welt lädt eine schwere soziale Schuld gegenüber den Armen auf sich, die keinen Zugang zum Trinkwasser haben, denn das bedeutet, ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist.
Ökologische und soziale Frage sind immer zusammen zu denken. Hier offenbart Franziskus schon in der Wortwahl die Einflüsse seines Heimatkontinents Südamerika, wo die Befreiungstheologie einige bis heute wertvolle Impulse gab. Leonardo Boff etwa sprach vom „Schrei der Erde“ und vom „Schrei der Armen“, die gleichermaßen Gehör finden müssten. In den Worten des Papstes:
„Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“
Und wer mit der Kirche vor allem das „Herumreiten“ auf Begriffen von Schuld und Sünde verbindet, findet hier eine neuartige Variante, die „ökologische Schuld“ – eine, die wir modernen Menschen jedenfalls nicht so leicht von uns weisen können wie Vorwürfe wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs.
„Denn es gibt eine wirkliche „ökologische Schuld“ – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen.“
Der Papst, der schon 2013 mit dem Satz „diese Wirtschaft tötet“ überraschend deutlich wurde, geißelt auch in der Enzyklika die Knechtung ganzer Völker mittels Schuldendienst und spricht von einem „strukturell perversen System“.
Er fordert vehement, dass eine ganzheitliche Lösung gefunden werden muss, nicht nur Teillösungen für isolierte Einzelfragen. Denn Natur- und Sozialsysteme hängen eng miteinander zusammen.
„Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise. Die Wege zur Lösung erfordern einen ganzheitlichen Zugang, um die Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben und sich zugleich um die Natur zu kümmern.“
Morgen lesen Sie an dieser Stelle den zweiten Teil dieses Artikels. Franziskus greift die herrschenden Machtstrukturen und die Digitalisierung an. Warum Genügsamkeit Befreiung bedeuten kann. Und warum sich Mystik in einem Blütenblatt verbergen kann.