Der Terror der Verschuldung
Politiker sind manchmal zu erstaunlichen Erkenntnis-Durchbrüchen fähig. Vor allem bevor ihre Amtszeit begann – und nachdem sie in Rente gegangen sind. Einer dieser Politiker, der ehemalige brasilianische Präsident Lula da Silva, hatte in einem Gespräch vor seiner Wahl zu Protokoll gegeben: „Wir denken, dass kein Land der Dritten Welt in der Lage ist, seine Schuld zu bezahlen. Wir denken, dass jede Regierung der Dritten Welt, die beschließt, die Auslandsverschuldung zurückzuzahlen, sich dafür entschieden hat, ihr Volk in den Abgrund zu führen.“
Wie? Gibt es denn noch eine andere Möglichkeit als seine Schulden zurückzuzahlen? Allein die Idee hat etwas Irritierendes. Umschuldung, ja. Stundung, mit dem Ziel, die Schulden später zurückzuzahlen, ja. Betteln um die Gnade eines Schuldenerlasses, auch legitim. Wir haben es im Fall Griechenland in jüngster Zeit ja beobachten können. Aber die Schulden einfach so nicht zurückzahlen? Da könnte ja jeder kommen. In der Tat wollte Brasiliens damaliger zukünftiger Präsident aber genau darauf hinaus: „Wir vertreten die Auffassung, dass die Rückzahlung der Schulden sofort eingestellt werden muss.“
Genau darum geht es: Nicht-Rückzahlung ist nicht nur legitim, sie ist existenziell notwendig. Ob sie auch möglich ist, wird die politische Praxis zeigen. Ich weiß nur eines: Wer jetzt vorschnell sagt: „das geht nicht“, der verurteilt die Menschen in seinem Land zu fortdauernder finanzieller Knappheit und langfristig zu sozialem Elend und Schuldknechtschaft. Ein berühmter Satz von Karl Marx lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Ich möchte diese Aussage auf meine Weise abändern: Politiker, Wirtschaftsfachleute und Schuldnerberater haben nur verschiedene Wege aufgezeigt, um Schulden zurückzuzahlen; es käme aber darauf an, die Rückzahlung zu verweigern.
Menschen haben eine eigenartige Scheu vor der Möglichkeit, etwas „schuldig zu bleiben“. Es gilt als unanständig, ja als ehrlos, Schulden nicht zurückzuzahlen. Schließlich ist man selbst auch mal Gläubiger gewesen, hat seinem Kollegen 10 Euro, seinem erwachsenen Kind gar 100 Euro geliehen oder einem Kunden die Begleichung einer Rechnung gestundet. Da freut man sich doch, wenn der Schuldner anständig genug war, seine Schuld zu begleichen. Das religiös verbrämte Wort von der „Schuld“ (gleichbedeutend mit Sünde) schwingt in dem Wort „Schulden“ mit. Aber versuchen wir das Problem jenseits aller Schuld-und-Sühne-Rhetorik ganz nüchtern auf das zu reduzieren, was es ist: Jemand hat eine juristisch begründbare Geldforderung an Sie – das ist alles. Diese Forderung zu begleichen ist nur recht und billig. Im Prinzip. Allerdings müssen sich Gläubiger bestimmten Fragen stellen, von deren Beantwortung es abhängt, ob Anspruch auf Rückzahlung besteht.
1. Ist die Geldforderung gerechtfertigt?
2. Sind es auch wirklich meine Schulden?
3. Ist die „Schuld“ tatsächlich noch nicht beglichen?
4. Ist der Gläubiger ehrenhaft und der Kredit unter fairen Bedingungen zustande gekommen?
5. Bin ich in der Lage die „Schuld“ zu begleichen, ohne dafür unzumutbare Opfer zu bringen?
Wenn ich alle diese Fragen (oder auch nur eine von ihnen) mit „nein“ beantworte, dann muss die betreffende Geldforderung auf den Prüfstand. Der Hinweis auf die Gesetzeslage allein genügt nicht. Ist ein Gesetz für einen größeren Personenkreis massiv ungerecht oder schädlich, dann muss auf die Änderung des betreffenden Gesetzes hingewirkt werden. Legal ist nicht gleich legitim.
In vieler Hinsicht, diese unbequeme Wahrheit muss man erst einmal an sich herankommenlassen, leben wir schon lange nicht mehr in einer Demokratie. Angemessen wäre vielmehr die Bezeichnung „Plutokratie“ (Herrschaft des Geldes) oder noch drastischer: „Kleptokratie“ (Herrschaft der Diebe). Was damit gemeint ist, formuliert eindringlich Oskar Negt: „Die Wirtschaftseliten aller hoch industrialisierten Länder plündern mehr oder weniger offen und umfänglich ihre eigenen Völker aus.“
Eine Broschüre der deutschen Dienstleistungsgesellschaft ver.di fasst gut zusammen, worum es geht: „Besitzer von Geldvermögen profitieren von der Staatsverschuldung. Je mehr sie dem Staat leihen, desto mehr muss der Staat an sie zahlen. Während die Mehrheit der Bevölkerung für die Staatsschulden über die Steuerzahlungen aufkommen muss, kassieren die Geldvermögensbesitzer die Zinsen. (…) Es ist auf Dauer untragbar, dass rund 15 Prozent der gesamten Staatskasse für Zinszahlungen ausgegeben werden müssen. Hierdurch findet eine permanente Umverteilung von steuerzahlenden Beschäftigten an Vermögensbesitzer statt.“
Als Maßnahme gegen das „Unerträgliche“ empfehlen die traditionell recht braven deutschen Gewerkschaften allerdings lediglich, „die jährliche Neuverschuldung herunter zu fahren und perspektivisch auch eine Verringerung des Schuldenstandes anzustreben.“ Eine wahrhaft revolutionäre Forderung! Die Kleptokraten dürfen ihre Beute behalten. Lediglich die Geschwindigkeit mit der diese sich vergrößert, soll reduziert werden.
Hier also die sechs Fragen im Detail:
1. Ist die Geldforderung gerechtfertigt?
In der Regel ist diese Frage mit „ja“ zu beantworten. Ob es um Privathaushalte oder den Staats-Etat geht, es wurde tatsächlich Geld geliehen, und das sollte auch zurückgezahlt werden. Man muss bei Krediten zwischen verschiedenen Faktoren unterscheiden, aus dem Kreditzinssätze aufgebaut sind. Legitim ist in der Regel die Forderung nach einer so genannten Bankenmarge, also nach einem Ausgleich für den Verwaltungsaufwand der Bank. Ebenso ist ein Inflationsaufschlag angemessen, damit der Gläubiger nach Ablauf der Verleihfrist nicht plötzlich weniger Wert in Händen hält als er ursprünglich verliehen hat. Worum es hier allein geht ist der sog. Grundzins, den Wirtschaftswissenschaftler als „Prämie für Liquiditätsverzicht“ definiert haben. Das freundliche Wort „Prämie“ verschleiert allerdings, dass die Umstände, unter denen Zinsen verlangt und gezahlt werden, eher dem Tatbestand einer Erpressung gleichkommen. Das heißt, wie zahlen Zinsen, ganz unabhängig davon, ob wir ihren Sinn begreifen, einfach deshalb, weil wir keine andere Wahl haben. Wir brauchen Geld, und Kredite ohne Zinsen sind auf dem Markt nicht erhältlich. Oder die Zinsen sind als versteckte Zinsen gleich in die Preise für Waren und Dienstleistungen eingerechnet.
2. Sind es auch wirklich meine Schulden?
Diese Frage stellt sich tatsächlich, es ist im Kern die Frage nach der Generationengerechtigkeit. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der USA, sagte: „Keine Generation darf Schulden anhäufen, die höher sind als das, was sie im Laufe ihres eigenen Daseins zurückzahlen kann.“ Bill Bonner und Addison Wiggin haben die Problematik in ihrem Buch „Das Schuldenimperium“ sehr eindrucksvoll formuliert: „Sagen wir, der Mann hat mit dem Geld eine Weltreise finanziert. Aber die Reise hat ihn erschöpft, kaum ist er zu Hause, da erliegt er einem Herzinfarkt. Müssen die Kinder die Kreditkartenabrechnungen begleichen? Keineswegs. Aber jetzt kommen die ‚öffentlichen’ Schulden ins Spiel. Was für ein seltsames Wesen haben wir da vor uns? Eine Generation konsumiert und gibt der nächsten Generation die Rechnung. Die jüngere Generation hat den Konditionen der Verschuldung nie zugestimmt. Sie ist Teil eines Vertrags – und sitzt am falschen Ende, können wir hinzufügen –, den sie nicht geschlossen hat. Schuldsklaven mussten nur sieben Jahre arbeiten, um ihre Schuld abzutragen. Die neue Generation hingegen wird ihr ganzes Leben dafür arbeiten müssen.“
3. Ist die „Schuld“ tatsächlich noch nicht beglichen?
Eine heikle Frage. Jeder, der einmal ein Haus gebaut hat, weiß, dass er, um den Hausbau zu finanzieren, den Gegenwert von mindestens einem weiteren Haus an Zinsen an die Bank abdrücken muss. Vor allem bei Laufzeiten über 20 bis 30 Jahre übertreffen die Zinszahlungen oft die ursprünglich geschuldete Summe, es sei denn in einer Niedrigzinsphase, wie wir sie derzeit in Deutschland haben. Dafür sorgt schon die Zinseszinsdynamik. Wer z.B. 200.000 Euro zur Baufinanzierung leiht, muss bei 38 Jahren Laufzeit, 4,5 % Nominalzins und 916 Euro monatlichen Ratenzahlungen rund 217.000 Euro an Zinsen berappen – insgesamt also 417.000 Euro, wobei etwas mehr als die Hälfte nur Zinsen sind. Wer kann sich jedoch monatlich 916 Euro Ratenzahlungen leisten? Es kann also noch deutlich teurer werden. Man sieht schon hier, dass man nicht nur den „moderaten“ Zinssatz beachten muss, sondern das, was unter dem Strich dabei herauskommt, nämlich 108,5 % zusätzlich an Zinsbelastungen.
In der Dritten Welt ist die Lage noch deutlich dramatischer. Nach dem Motto „Wer nicht hat, dem wird auch das Wenige noch genommen“, werden als „unsichere Schuldner“ geltende Staaten mit horrenden Zinssätzen abgezockt, die oft fünf bis siebenmal höher sind als diejenigen, die auf den Finanzmärkten üblich sind. Mit anderen Worten: Wenn ein Land durch die Unfähigkeit seiner Politiker und als Folge des Schuldendienstes verarmt, bekommt es statt Hilfe höhere Zinssätze aufgebrummt, was die Verarmung weiter beschleunigt und einen Teufelskreis in Gang setzt, aus dem es nicht mehr aus eigener Kraft entkommen kann. Wenn die Zinsaufwendungen eines Staates so hoch sind, dass eine Tilgung der ursprünglich geschuldeten Summe nicht mehr möglich ist, dann können die Schuldner, geht es nach den Gläubigern, bis in alle Ewigkeit blechen. Selbst dann, wenn die Zinsbelastung nicht nur (wie im Beispiel einer Baufinanzierung) 108,5 %, sondern 200 %, 400 % oder 1000 % der ursprünglich geschuldeten Summe ausmacht. Das Verbot der Sklaverei, festgelegt in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948, ist damit de facto ausgehebelt. Was hilft es, wenn individuelle Sklavenhaltung verboten, die Versklavung ganzer Völker mittels Schuldendienst aber erlaubt ist?
4. Ist der Gläubiger ehrenhaft und der Kredit unter fairen Bedingungen zustande gekommen?
Auch hier sind in vielen Fällen erhebliche Zweifel angebracht. In seinem Buch „Bekenntnisse eines Economic Hit Man“ berichtet John Perkins, wie er im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes NSA Entwicklungsländer dazu überredete, unvernünftig große Kredite aufzunehmen. Seine eigentliche Aufgabe bestand darin, „die Länder, die diese Kredite aufnahmen, zahlungsunfähig zu machen (…), so dass sie auf immer von ihren Kreditgebern abhängig wurden, um sie zu leichten Zielen zu machen, wann immer von ihnen etwas erwartet wurde wie etwa Militärbasen, Stimmen in der UNO, Zugang zu Öl und anderen Ressourcen.“ Auch wenn es nicht in jedem Einzelfall so verschwörerisch zugegangen sein mag, Abhängigkeit ist immer eine der gefährlichsten Folgen der Verschuldung. Der Preis, den ein Staat für neue Kredite oder die Stundung der Zinsen zu zahlen hat, geht in der Regel in Richtung „Liberalisierung der Märkte“, was zu Lohn- und Preisdumping führt.
Jean Ziegler spricht im Zusammenhang mit Krediten, die durch unfaire Begleitumstände zustande gekommen sind, von „widerlichen Schulden“. Ein besonders drastisches Beispiel von widerlicher Schuld ist Ruanda. Dort haben 1994 Soldaten und Milizen des Stammes der Hutus ca. 800.000 Frauen, Kinder und Männer einer anderen Ethnie, der Tutsis, systematisch abgeschlachtet. Die von der UNO dort stationierten Blauhelmsoldaten schauten tatenlos zu. Waffenhändler, vor allem aus Frankreich, verdienten kräftig an dem Gemetzel. Nach der Niederlage der Hutu erbte die neue ruandische Regierung eine Auslandsschuld von über einer Milliarde Dollar. Die Gläubiger, allen voran IWF und Weltbank, bestanden auf vollständiger Begleichung der Schuld, obwohl mit den Krediten eben jene Waffen bezahlt wurden, die bei dem Massaker verwendet wurden. Die bettelarmen Bauern in Ruanda rackern sich also bis heute ab, um Zinsen für jene ausländischen Mächte zu bezahlen, die die Ermordung ihrer Mütter, Brüder und Kinder finanziert haben. Zugegeben, das Beispiel ist extrem, aber enthalten Kredite zu so ungünstigen Bedingungen, wie sie heute fast überall üblich sind, nicht immer ein Element von Erpressung oder Ausnutzung einer Notlage?
5. Kann ich die „Schuld“ begleichen, ohne unzumutbare Opfer zu bringen?
Dies ist eine sehr wesentliche Frage. Bei Privatschulden gilt generell, dass das Recht auf ein Existenzminimum Vorrang hat vor dem Recht eines Gläubigers auf Schuldentilgung. D.h. Wenn ich verschuldet bin, kann mir der Gläubiger meine Yacht pfänden lassen, nicht aber den Tisch, an dem ich esse und die Butter, die ich mir aufs Brot schmiere. Wie ist das mit kollektiver Schuld, also der Staatschuld, für die jeder Steuerzahler mithaftet? Die Initiative „Jubilé 2000“, die sich für Schuldenerlass für arme Länder einsetzt, hat berechnet, dass im Jahr 2004 alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren wegen der Verschuldung stirbt. Wegen des Schuldendienstes sind die Regierungen gezwungen, lebensnotwendige Sozialaufwendungen für die Not leidende Bevölkerung zu streichen. Der Schweizer UN-Beauftragte Jean Ziegler sagt deshalb zu Recht: „Wer an Hunger stirbt, stirbt als Opfer eines Mordes. Und der Mörder trägt einen Namen, er heißt: Verschuldung.“ Das Recht des Gläubigers auf Rückzahlung hat also zumindest in den ärmsten Ländern einen höheren Stellenwert als das Recht des Individuums auf ein Existenzminimum. Mehr noch: es steht über dem Recht auf Leben.
Wie ist es nun in den reicheren Industrieländern? Hier besteht die Tendenz, das „Existenzminimum“ – etwa bei Empfängern von Sozialleistungen – unter dem Druck leerer Kassen immer niedriger zu definieren. Unvergessen auch der Vorstoß des jungen CDU-Abgeordneten Philipp Mißfelder, über 85-jährigen Krankenkassenleistungen wie künstliche Hüften und Zahnprothesen zu streichen. Menschenwürde und optimale Gesundheitsversorgung gelten also nicht mehr als unveräußerliche Rechte, sondern stehen zunehmend unter Finanzierungsvorbehalt.
Um nun auf meine Eingangsfrage nach der sozialen Zumutbarkeit des Schuldendienstes zurückzukommen: Ich schlage vor, dass folgende Grundsätze international als verbindlich gelten:
a) Das Recht jedes Menschen auf Leben und sein Existenzminimum dürfen durch die Staatsschuld und die daraus resultierenden Tilgungs- und Zinszahlungen in keinem Fall angetastet werden.
b) Ein „Existenzminimum für Staaten“ ist zu definieren, das auflistet, welche Staatsaufgaben als elementar und unverzichtbar gelten sollen. (Dazu gehört eine soziale Grundsicherung für alle Bürger.) Dieses Existenzminimum hat absolute Priorität vor Zinszahlungen.
Die Untersuchung der 5 Punkte hat eines gezeigt: Wir zahlen auf unbegrenzte Zeit weit überhöhte Zinsen auf Schulden, die teilweise gar nicht die unseren sind, die unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommen sind, die unsere Würde, unsere Lebensqualität und sogar unsere Existenz zur Disposition stellen.
Schauen wir uns einige mögliche Gegenmaßnahmen an.
1. Freiwilliger Verzicht von Vermögenden
Solche Fälle gibt es tatsächlich. Andrew Carnegie, Namensgeber der berühmten Carnegie-Hall, gab um 1900 zu Protokoll: „Wer als Reicher stirbt, hat Schande über sein Leben gebracht“ und vermachte den größten Teil seines Vermögens wohltätigen Stiftungen. Im Juni 2006 gab der damals zweitreichste Mann des Planeten, Warren Buffet bekannt, dass er rund 37 von seinen 43 Milliarden Dollar für gemeinnützige Zwecke verschenken wolle, überwiegend an die Stiftung des reichsten Mannes des Planeten, Bill Gates.
2. Bitten und moralischer Druck auf Vermögende
Es hat wenig Sinn, Bitten und Proteste noch länger hauptsächlich an Politiker zu richten, denn diese sind „an der Regierung, nicht an der Macht“ (Lula da Silva). Wir sollten durch Artikel, Brief- und Mailaktionen sowie Demonstrationen vor Besitztümern von Superreichen moralischer Druck auf diese ausüben, im Sinne Warren Buffets ihr Geld in Gemeinschaftseigentum zurückzuführen.
3. Ausgleich ungerechter Umverteilung durch Steuern
Dies ist im Wesentlichen die Forderung der europäischen Linken, der Gewerkschaften und von Nichtregierungsorganisationen wie attac. Ob Vermögens-, Erbschafts- oder Steuer auf kurzfristige Spekulationsgewinne („Tobin-Steuer“), immer geht es darum, die Umverteilung von unten nach oben teilweise rückgängig zu machen oder ihre sozialen Folgen abzumildern. Allerdings: Eine Kleptokratie, die die Diebesbeute an die Bestohlenen zurückgibt, gleichzeitig aber systembedingte Anreize für immer neue Diebstahldelikte gibt, ist in sich widersprüchlich.
4. Insolvenzverfahren für Staaten
In Deutschland gibt es seit 1999 für Schuldner die Möglichkeit, ein Privatinsolvenzverfahren anzustreben. Nach einer Phase des „Wohlverhaltens“, in der der Schuldner 6 Jahre lang regelmäßig zahlen muss, was er kann, wird ihm „Restschuldbefreiung“ gewährt. Was aber im Kleinen längst möglich ist, ist jedoch im Großen nach wie vor ein Tabu. Die Bevölkerung eines hoch verschuldeten Staates muss ohne Aussicht auf Restschuldbefreiung in alle Ewigkeit blechen. Das Insolvenzverfahren für Staaten gehört endlich auf die politische Tagesordnung!
5. „Revision“ – Überprüfung von Gläubigerforderungen
In Brasilien unter Präsident Lula wurde eine solche Revision oft gefordert aber meines Wissens bis heute nicht durchgeführt. „Das Parlament des Schuldnerlandes beansprucht das Recht, die Herkunft seiner Schuld und ihre Zusammensetzung zu untersuchen und schließlich festzustellen, welche Kredite (…) das Ergebnis von überhöhten Rechnungen, von betrügerischen Transaktionen, von Urkundenfälschungen, kurz, von Betrug, sind.“ (Zitiert aus „Das Imperium der Schande“ von Jean Ziegler) Eine solche Revision wäre das Mindeste, was alle Staaten für ihre in Schuldknechtschaft gefallene Bevölkerung tun sollte. In Griechenland wurden ungerechte Schulden von einem Kommitee untersucht, was aber wenig bringt, wenn die ganze Macht bei den Gläubigern liegt.
6. Enteignung – ausnahmsweise nicht nur bei den Armen
Bisher gibt es nicht einmal eine gesellschaftliche Diskussion darüber, ob es legitim wäre, Enteignungen von ins Monströse angewachsenen Privatvermögen zu legalisieren. Dies wäre die Umkehr des im Moment vorherrschenden Privatisierungstrends. Eigentlich wäre es aber nichts anderes als Rückführung veruntreuten Gemeinschaftseigentums, die Korrektur der gegenwärtigen Politik der Enteignung der Arbeitnehmer und sozial Schwachen.
7. Schuldnerkartell mit dem Ziel der Nicht-Rückzahlung
„Man muss eine Front der Schuldnerländer schaffen, um sich den Gläubigerländer entgegenzustellen“, verlangte Brasiliens Präsident Lula da Silva. Die Überlegung dahinter ist einfach. Ein einziges Land kann sich dem mächtigen, global operierenden Finanzkapital nicht entgegenstellen. Es würde durch Wirtschaftssanktionen buchstäblich platt gemacht. Eine Allianz armer Schuldnerländer könnte dagegen ein mächtiges Gegengewicht zu den globalen Feudalherren schaffen.
8. Langfristige Lösung: Die zinsfreie Wirtschaftsordnung.
Hierbei würde jede Art von „Belohnung“ für diejenigen abgeschafft, die ihr Geld dem Wirtschaftskreislauf entziehen. Damit aber nach wie vor ein Anreiz besteht, das Geld zu investieren und auszugeben wird, unterliegt das Geld einem Wertverlust („Schwundgeld“). Diese Lösung würde einer neuerlichen Fehlentwicklung vorbeugen. Selbst im Fall einer vollständigen Tilgung aller privaten und öffentlichen Schulden hätten wir nämlich in einigen Jahrzehnten wieder die gleiche Situation wie heute, sollte das Zinssystem nicht grundlegend verändert werden.