Der Traum von der großen Erleuchtung

 In FEATURED, Spiritualität, Wolf Schneider

Osho (Bhagwan Shree Rajneesh)

Spirituelle Lehrer auf Wegen und Irrwegen. Der Gründer der Zeitschrift Connection berichtet von seinen Erfahrungen mit Erleuchteten und Verblendeten und den vielen Halbwissenden dazwischen. Und von der alltäglichen Herausforderung, das Absolute mit dem Relativen zu verbinden. Teil 1 unserer Serie “Best of connection” mit zeitlosen Beiträgen zu Spiritualität und Politik, Quelle ist die Buchreihe “Neues Wir”, adecis Verlag. Siehe dazu auch den Einführungsartikel. Wolf S. Schneider

»Die Wahrheit« gibt es vielleicht nicht, und doch … es gibt etwas, auf das sich alle Menschen, ja, alle Wesen, beziehen können. Es ist unaussprechlich. Schon indem man es benennt, hat man gelogen. Und doch ist es da.

Davon zu sprechen heißt, sich davon zu entfernen, und doch … es lässt sich nicht verleugnen. Es gibt etwas, von dem alle wissen, auch wenn kaum einer dies zugibt. Etwas, in dem alles ruht, auch wenn nur wenige aus dieser Tatsache zu schöpfen imstande sind. Obwohl sich doch alle Unruhe darin erübrigt.

Ich spreche lieber nicht weiter davon. Andere tun das bereits und viele können es besser. Ich will stattdessen von denen sprechen, die es sich als berufene oder professionelle Vermittler zur Aufgabe gemacht haben, eben dieses Unaussprechliche zu vermitteln. Durch Seminare, Vorträge, Satsangs oder ihr tägliches Leben.

Ich will auch von dem berichten, was sich um sie herum abspielt, und vom Markt, auf dem sie sich – wohl unvermeidlich – tummeln. Und von der Ideenwelt und sozialen Wirklichkeit, die um den Begriff »Erleuchtung« und die Menschen entsteht, die sich durch eine Deklaration ihrer »Erleuchtung« von den übrigen, »Unerleuchteten« absetzen, auch wenn jeder weiß, dass sich Erleuchtung nicht beschreiben lässt und dass Erleuchtung gerade die Erkenntnis meint, eins zu sein mit allem.

Zunächst zu meiner eigenen Geschichte. Es ist gerade mal gut 25 Jahre her, da studierte ich Naturwissenschaften und glaubte an nichts, was über das Gewöhnliche, von uns im Alltag Wahrgenommene hinausgeht. Und es ist gerade mal gut 20 Jahre her, da hatte ich einen entdeckt, der mehr zu wissen schien als diese platte Sicht der Wirklichkeit: den historischen Buddha. Und ich war konsequent und mutig genug, die Methode auszuprobieren, die zu dieser Erkenntnis führen sollte: Ich wurde buddhistischer Mönch. Ein Jahr später traf ich wieder einen, der ebenso viel zu wissen schien: Osho (damals Bhagwan Shree Rajneesh). Und er lebte! Also wurde ich sein Schüler.

Die erste, bewusste Meditation meines Lebens bestand in nichts anderem als der Beobachtung meines Atems. Sie resultierte in einer Ekstase, die stundenlang anhielt, etwas abgeschwächt über Tage, begleitet von tiefen Erkenntnissen und Einsichten, nicht viel anders als auf einem LSD-Trip. Auch wenn diese Ekstase unvergessen blieb (»the first cut is the deepest …«), war sie vergänglich.

Vor langer Zeit, als ich mich zum ersten Mal fragte, ob ich womöglich die erste Stufe der Erleuchtung erklommen hätte (Sotapanna, »der in den Strom eingetreten ist«, heißt es dazu in den alten Schriften), hatte ich die Erwartung, dass kaum mehr als ein weiteres Jahr, oder sagen wir, allenfalls fünf Jahre, vergehen würden, bis meine vollständige Erleuchtung eingetreten sein müsste. Solche Bewertungen, Selbsteinschätzungen, Gedanken könnte ich noch viele aufzählen. Sie kommen und gehen wie die Atemzüge, wie Gefühle, wie die Tage und Nächte eines Lebens.

Weis(s)e Gestalten

Gut zehn Jahre später saß ich in einem Münchner Büro und gab die Zeitschrift Connection heraus, die sich mit genau dieser Thematik befasst: Wer hat »es«? Wer weiß »es«? Was ist dieses geheimnisvolle »es« überhaupt und wer ist kompetent, aus eigener Erfahrung über diese letzten Dinge zu sprechen, und gibt dabei nicht nur angelesene oder gehörte Wahrheiten wieder? Ich als Herausgeber hatte zu bestimmen, wen ich in meiner Zeitschrift diesbezüglich zu Wort kommen lassen würde.

Ab und zu trat eine weiß gekleidete Gestalt sanften Schrittes in unsere Verlagsräume, setzte sich still aufs Sofa und wartete darauf, angesprochen zu werden. Wir lächelten über sie. Ein Trip? Einige von uns hielten sie für psychotisch. Aber wer will das beurteilen?

Damals erreichte jemand einigen regionalen Ruhm, den wir den »erleuchteten Physiker« nannten, weil er tatsächlich Physiker war und somit auch seine Erleuchtung physikalisch zu erklären verstand. Ich lud ihn zum Interview ein und er erzählte von seiner »Erleuchtung«. Von einem »süßen, prickelnden Strom, der immer stärker wurde, der halt vom dritten Auge immer weiter hochzog bis zum Scheitel« und dann »ja, dann an dem besagten Tag, hat’s den Knall gegeben, wo ein ganz greller Lichtblitz, und … stundenlang hab ich nur noch Licht gesehen« und »irgendso eine Art Grenzlinie zwischen mir und dem, was außen ist, das ist verschwunden«. Jahre später hörte ich, dass er der Neuapostolischen Kirche beigetreten sei und nach wie vor einige Schüler um sich scharte. Dann hörte ich nichts mehr von ihm.

Und da gab es diesen Künstler, in seiner Villa am Ammersee, der dort regelmäßig Meditationen (ich glaube, er nannte sie »Darshans«) veranstaltete und die spirituellen Fortschritte seiner Schüler und derer, die zu ihm kamen, beurteilte.

Auch die Interviews mit Paul Lowe und Michael Barnett fallen mir in diesem Zusammenhang ein – sie sprachen von ihrem Erwachen oder ihrer Realisation und waren von Schülern umgeben, für die klar war, dass ihr Meister erleuchtet ist. Und die Besuche von Anamo, Samarpan, Durgamayi Ma, Om C. Parkin und Tyohar bei uns im Connection-Haus in Niedertaufkirchen, die Satsangs mit ihnen, ihre Kommentare über uns, unser Haus, unsere Zeitschrift. Oder der tibetische Lama, der mit seinem Räucherwerk durch unseren Meditationsraum ging, dessen gute Energie lobte und dass hier so viel meditiert würde – wochenlang hatte hier kaum jemand auch nur gesessen.

Einmal hatte ich Krach mit einem Mitarbeiter, weil ich seinen Meister, den etwa dreißigjährigen Devaprem nicht ehrenvoll genug behandelt hatte: Ich hatte das Interview mit Devaprem zwar wörtlich abgedruckt (Connection 6/94), in meiner Einleitung (Überschrift: »Wie man Meditation verpacken muss, um sie verkaufen zu können«) aber meine Zweifel an der Vollständigkeit von Devaprems Realisation ausgedrückt.

Lehrer oder Scharlatan?

Eine Frau, die sich als Praktikantin bei uns bewarb, gab später Satsangs und wollte in unseren Satsang-Kalender aufgenommen werden. Ich hatte ein längeres Telefonat mit ihr. Zweifellos eine sympathische, gutherzige Frau – aber Satsang geben? Da gehört doch etwas mehr dazu, dachte ich. Konsequent aus der Leere heraus zu antworten, unbestechlich gegenüber dem Charme der so tausendfältig ihre Selbstverantwortung vermeidenden »Sucher«. Ich traute ihr das einfach nicht zu – und war dabei doch sehr wachsam gegenüber meinen selbst gesetzten Grenzen, wem ich »die Wahrheit« nicht zutraue und was für ein Misstrauen mir selbst gegenüber und dem von mir Wahrgenommenem dahintersteht.

Viele meiner Freunde meinen, als Herausgeber dieser Zeitschrift, die in Europa wohl mehr über die verschiedensten Typen von Erwachten und Erleuchteten berichtet hat als jede andere, müsse ich doch ein sozusagen professionelles Auge dafür haben, wer wahrhaftig ist und wer ein Scharlatan.

Einerseits ist das richtig, über die Jahre entsteht eine gewisse Intuition für Wahrhaftigkeit und das Auge schärft sich für die tausend Formen mehr oder weniger szenetypischer Selbstinszenierung. Andererseits weiß ich aber auch, dass »Erleuchtung« immer im Auge des Betrachters liegt.

Wer mit wachen, liebevollen Augen die Welt betrachtet, für den sind alle Wesen wach und liebevoll – nur die Varianten ihres Ausdrucks sind so verschieden! Der übelste Scharlatan und Pseudoguru ist aus dieser Perspektive immer noch Ausdruck des unermesslich weisen Ganzen, er weist uns auf etwas hin, auf das uns niemand sonst hinweisen könnte, keiner der Gütigen, Wahrhaftigen jedenfalls. Die Buntheit und Vielfalt der Szene hat ihre Berechtigung und ihre Schönheit. Und an den Dualismus von »erleuchtet« und »unerleuchtet« glaube ich nicht mehr.

Es ist doch so dumm, zu glauben, »ich« sei erleuchtet. Und ebenso dumm ist es, zu glauben, »ich« sei unerleuchtet. Diese Feststellung vom fehlenden fundamentalen Unterschied will nicht die Unterschiede an Weisheit verleugnen, die zwischen Menschen tatsächlich bestehen, vor allem dann, wenn ein Mensch nicht nur sich selbst ausdrückt in seiner Einzigartigkeit, sondern einem anderen Menschen zu helfen beabsichtigt.

Der Erleuchtung ist es egal, wie du sie nennst

Auch mein Gebrauch des Wortes »Gott« hat sich geändert. Als frisch konvertierter Buddhist (wenn es so etwas bei dieser »Nicht-Religion« überhaupt gibt) dachte ich: Wer das Wort »Gott« verwendet, ist der fundamentalen Illusion des Ego aufgesessen. Gott, das ist die Persona, nur eben auf den Himmel projiziert. Die theistischen Religionen betrachtete ich samt und sonders als diesem Irrtum verfallen und insofern als indiskutabel.

Heute sehe ich das anders. Mystische Verzückung kann sich sehr wohl in persönlichen Begriffen ausdrücken. Berauscht von der Erkenntnis des Zusammenspiels der Gegensätze – wer will da noch nachdenken und philosophisch korrekte Aussagen machen?

»Die Natur«, »das Ganze«, »die Existenz« werden mit Begriffen überschüttet, die völlig ignorieren, wie unwesentlich die Persona eigentlich ist, mit poetischen, verliebten Worten: »Du bist es, Du hast mir das alles geschenkt, Dir gebe ich mich hin, ich will nichts anderes mehr …« Gibt es Gott? Vergiss die Frage: So wenig, wie es ein Ich gibt, gibt es auch ein Du, einen Gott, ein separates Gegenüber. Es gibt nichts Separates, es gibt nur Dich und mich und keinen Unterschied mehr zwischen uns. Mit der trockenen Theologie der entsprechenden Fachgelehrten hat dies allerdings nichts mehr zu tun.

Warum dann nicht »Gott« suchen, statt »Erleuchtung«? Die Möglichkeiten des Missverständnisses sind andere, die Tücken und Fallen des Begriffs und der Ideenwelt sind andere, die Wahrheit dahinter aber ist dieselbe. Und wie lässt es sich vergleichen, Jesus als den einzigen Sohn Gottes zu betrachten oder Mohammed den einzigen Propheten Allahs zu nennen oder Buddha (alias meinen aktuellen Guru) als einzigen oder größten aller Erleuchteten anzuhimmeln? Ein Streit um die Tiefe oder Dunkelheit dreier Sackgassen.

Erleuchtet, aber begrenzt

1977 in Poona (heute »Poona I« genannt oder »das alte Poona«) hatte ich ein paar Mal Gelegenheit mit »Bhagwan« im »Darshan« (was ungefähr »Sehen« oder »Erkennen« bedeutet) zu sprechen. Diese Darshans waren halb öffentliche Gespräche, inszeniert als Meister/Schüler-Dialog. Ich war Bhagwan gegenüber zunächst sehr skeptisch. An einem Punkt in einem solchen Gespräch fühlte ich mich von ihm falsch verstanden und sagte ihm dies auch sofort und unverblümt, was unter seinen Schülern einiges Aufsehen erregte. Bis heute glaube ich, dass ich damals nicht etwa ganz besonders verblendet oder meinem Ego erlegen war, sondern dass er meinen Punkt schlichtweg nicht richtig verstanden hatte. Na und? Auch ein Erleuchteter macht Fehler, irrt sich, hat Lücken in seinem Wissen, Gedächtnis und Verständnis. Das tut der Vollständigkeit seiner existenziellen Erfahrung aber keinen Abbruch, meine ich, und die Benennung dieser Mängel (sind es denn welche?) oder Fehler betrachte ich auch nicht als Sakrileg.

Nachdem ich im Jahr 1998 Tyohar traf, gewann ich – ebenfalls nach anfänglicher Skepsis – den Eindruck: Ja, auch er weiß. Sein Erkennen ist vollständig. Sein Trip – so unerfahren und auf vielfältige Weise Osho abbildend er auch auftreten mag – ist authentisch. Er macht uns nichts vor, sondern spricht von dem, was wirklich ist, nicht weniger, seichter oder billiger als Osho und Buddha es taten.

Als Organisator hatte ich mit ihm jedoch einen Konflikt. Ohne Absprache mit mir veränderte er Termin und Preis angekündigter Veranstaltungen, für die ich als Organisator verantwortlich zeichnete. Ich stellte ihn zur Rede und bekam zu hören, er müsse mit der Energie gehen, das habe Vorrang. Mein Festhalten an Verabredungen und Verträgen sei Zeichen meiner Unflexibilität und Unfähigkeit zur Hingabe an die Gegenwart. »Falsch!«, sage ich. Meine Treue zu Vereinbarungen ist richtig – und außerdem bruchlos kompatibel mit tiefster Hingabe und höchster Erkenntnis. Tyohar hat sich geirrt. Na und? Ich werde mich hüten, ihn noch einmal zu organisieren. Ich will nicht ungefragt und von oben herab als »Schüler« behandelt werden, wenn ich jemanden organisiere. Ich, ja ich!

An Tyohars Echtheit oder der Wahrheit seines Erwachens aber habe ich keinen Zweifel. Und der Raum, den er im Satsang durch seine Autorität und Präsenz herzustellen imstande ist, diese Woge von Durchlässigkeit und Liebe, als sei alles eins und zwischen mir und dir kein Unterschied: großartig! Denn es ist alles eins und zwischen dir und mir ist kein Unterschied.

Der Titel »Erleuchtete/r«

Manchmal kommt mir die Ernennung zum oder zur »Erleuchteten« wie die Verleihung eines Titels vor, egal, ob es sich nun um eine Selbsternennung (wie die von Osho und wohl auch die von Poonja) oder die im Zen übliche Fremdernennung (etwa: Shunryu Suzuki Roshi autorisiert Richard Baker Roshi, oder, im Vedanta: Poonja autorisiert Gangaji) handelt. Ohne diesen Titel hat man es heutzutage auf dem spirituellen Marktplatz schwer. Entweder man erwirbt ihn sich oder man verkündet die Irrelevanz von »Erleuchtung«, das Trügerische daran. Wer hört einem denn sonst noch zu?

Wenn ich selbst einmal so weit sei, sagte mir vor Jahren ein Mitarbeiter der Connection, hoffe er, dass ich es geheim halten würde oder wenigstens, dass ich meine Bescheidenheit dabei nicht verliere. Wolf Schneider erleuchtet? Um Himmels Willen! Das wäre bestimmt nicht gut für die Connection, ich könnte meine doch sehr irdische Aufgabe dann bestimmt nicht mehr erfüllen.

Andererseits: Wie habe ich nur über all die Jahre die Botschaft verpassen können? Wie kann ich ein »Magazin fürs Wesentliche« herausgeben, das sich den Themen Weisheit und Liebe verschrieben hat, selbst aber unverbesserlich um die Erleuchtung herumeiern? Ich ziehe mich da lieber aus der Affäre und halte es augenzwinkernd mit den Mahayana-Buddhisten: Ehe nicht der letzte meiner Leser erleuchtet ist, will auch ich nicht ins Nirwana eingehen …

Weltkonferenz der Erleuchteten?

Warum tun sich die Erleuchteten nicht zusammen, sie wollen doch alle dasselbe, fragte eine Frau Tyohar im Satsang (im August 1998 im Connection-Haus).

Sie seien in ihrer Wahrheit so allein, so erfüllt, antwortete Tyohar (sinngemäß), wer wolle da noch etwas von der Welt? Wenn Suchende auf sie zukommen, ja dann würden sie sich mitteilen, sie sehnten sich geradezu danach, wie eine Regenwolke, die ihr Wasser ausschüttet auf die durstige Erde. Regenwolken schütten sich aber nicht auf andere Regenwolken aus und Erleuchtete haben kaum Kontakt mit anderen Erleuchteten.

Es gibt jedoch Ausnahmen. Beispielsweise Michael Barnett, der, nach seiner Erleuchtung vor vielen Jahren, später seine »Unerleuchtung« erklärte – aber nicht als Rückschritt, sondern als Fortschritt (um unerleuchtet zu werden, müsse man zuerst erleuchtet sein). Er tritt gerne mit anderen Lehrern gemeinsam auf.

Ich habe Osho über die Jahre nie jemanden als gleichrangig behandeln sehen. Gibt es für Erleuchtete überhaupt Gleichrangige? Gangaji und Shantimayi haben gemeinsam Darshan gegeben, auch Samarpan und Isaac Shapiro. Und sicherlich haben diverse Roshis und Rinpoches in gemeinsamen Veranstaltungen ihren Segen erteilt. Warum aber setzen sich die Erleuchteten nicht mal in einer Weltkonferenz zusammen und sagen: Was können wir tun, bevor alles den Bach runtergeht – sei es nun ökologisch oder durch einen neuen Weltkrieg? Oder um mit der schon seit Jahrtausenden währenden Verblendung endlich mal aufzuräumen? Ihr Anliegen ist doch dasselbe und die Welt braucht diese Weisheit vielleicht mehr als alles andere. Tyohar nannte Shantimayi (und ihren Meister, den Inder Maharajji), Poonja, Samdarshi (Nepal), Lilith (Israel), Om C. Parkin und Satyam Nadeen seine erwachten »Kollegen«.

Ein begnadeter Organisator sollte sich dieses Themas mal annehmen und versuchen, aus solchen Aussagen eine Teilnehmerliste für ein »Gipfeltreffen« zu erstellen.

Aufklärung für alle

Wenn ich amerikanische Autoren zum Thema lese, denke ich manchmal: Vielleicht sollten wir die Sache mit der Erleuchtung mit etwas weniger heiligem Ernst betrachten und mit weniger Anspruch auf Absolutheit und Perfektion. So sagt der durchaus »helle« amerikanische Bestsellerautor Dan Millman über sein Buch »Erleuchteter Alltag«: »Ich habe in meinem neuen Buch versucht, diesen ungreifbaren Zustand oder Begriff der Erleuchtung auf die Erde zu holen, in Form einer Übungspraxis, die wir jeden Moment ausführen können, sobald wir uns erinnern. Doch um das effektiv tun zu können, müssen wir die Probleme, die ich in den zwölf Schritten von »Erleuchteter Alltag« aufzeige, angehen und lösen.«

Einen ernsthaft nach Nirwana Strebenden wird es bei so viel amerikanischer Alltagspragmatik vermutlich schaudern. Das englische Wort »Enlightenment« kann auf Deutsch jedoch auch als »Aufklärung« übersetzt werden und »aufklärend« können solche Alltagstipps allemal sein.

Andererseits hat der deutsche Verleger das Buch aber nicht »Aufgeklärter Alltag« genannt und peilt damit also durchaus die deutsche Erleuchtungssehnsucht an.

Buddhistische Lehrer sprechen manchmal vom Raum oder der Ebene der Erleuchtung, auf die wir uns bewusst begeben können und von dort aus fühlen, sprechen und handeln. Dieser »Raum« ist nicht in uns und nicht außerhalb von uns und er war auch nicht oder wird einst sein. Erleuchtung ist weder räumlich noch zeitlich zu packen, sie durchdringt alles und ist immer schon (bzw. noch) da, ehe der Verstand sie ergreifen kann. Du musst alles tun, um sie zu erreichen – und kannst doch nichts tun.

Ihr macht mir doch was vor!

Vor vielen Jahren probierte ich einmal aus, auf LSD (ein halber Trip) in einem Supermarkt einkaufen zu gehen, und war verwundert, dass niemand merkte, dass ich »drauf« war. Keiner der Kunden merkte es und auch die Kassiererin nicht. »Habt ihr denn keine Augen im Kopf und kein Gespür?«, dachte ich. Und immer wenn ich verliebt war, wunderte ich mich, dass auch das kaum jemand merkte. Dabei war die Welt jetzt völlig anders, oder wenigstens ich, und wenigstens an meinen Augen oder meinem beschwingten Gang musste es doch jeder sehen. Von wegen! Das Lamentieren meiner Mitmenschen über den Alltag und die Welt, wie sie ist, war dasselbe wie jeden Tag. Seitdem glaube ich, dass, wenn einer aufwacht, es kaum jemand bemerken wird. Und immer mal wieder schaue ich mir meine Mitmenschen daraufhin an: Wer von Euch tut nur so, als wäre er/sie dermaßen schlaftrunken, begrenzt, nachtragend, kleinlich, wütend, verletzt, ignorant und so weiter …? Buddhas inkognito, ihr macht mir doch was vor!

Ich nenne mich einen Mystiker, denn mein Alltag ist durchsetzt von transzendenten Erlebnissen. Während der Arbeit, in der Liebe, beim Autofahren, Schweigen oder Reden. Ja, sogar beim Reden! Obwohl ich Worte beinahe als das störendste empfinde, beim Auskosten dessen, was ist. Esoterisch würde ich das auf keinen Fall nennen. Esoterik, wie sie heute verstanden wird, ist zum größten Teil eine Ablenkung von dem, was ist.

Wie kann ich eine mystische Zeitschrift herausgeben und dabei als Mystiker leben? Halten mich die Geschäfte nicht von der Hingabe an das Ganze ab? Wie kann ich die Einnahmen meines Verlages erhöhen und die Ausgaben kontrollieren, während ich mich dem Ganzen hingebe? Ich hatte in dieser Hinsicht in den vergangenen vierzehn Jahren viel zu lernen. Anfangs hatte ich kein Mahnsystem und stellte Rechnungen, ohne Zahlungseingänge zu kontrollieren. Ich vertraute Menschen, denen ich teilweise besser nicht hätte vertrauen sollen. Inzwischen weiß ich: Ohne Vertrauen geht es nicht – es geht aber auch nicht ohne Kontrolle.

Wahrhaftigkeit

Damit ich nicht missverstanden werde: Wenn ich sage, es gibt keine Wahrheit, heißt das nicht, dass Wahrhaftigkeit wertlos sei. Ehrlich, authentisch oder wahrhaftig zu sein, halte ich für einen der höchsten Werte. Wer böswillig Unwahrheiten in die Welt setzt, schadet damit zweifellos sich selbst und anderen.

Was aber ist »unwahr«? Normalerweise gibt es darüber keine großen Zweifel: Wurde diese Kaffeetasse abgewaschen oder nicht? Haben wir jetzt noch Vormittag oder schon Nachmittag? Ist Meerwasser süß oder salzig? Die Antworten auf diese Fragen können wahr oder falsch sein, im Normalfall braucht man dafür keine philosophische Erörterung, ebenso wenig, wie man bezweifelt, ob dieser Apfel weniger als 100 Gramm wiegt oder mehr.

Wenn die Tasse allerdings nur mit Wasser gespült wurde, heute gerade von Sommer auf Winterzeit umgestellt wird oder wir einen Liter Meerwasser vor uns haben, das durch eine Entsalzungsanlage gelaufen ist, können diese Aussagen so unwahr sein, wie die über das Gewicht des Apfels in einer um die Erde rotierenden Raumstation. Wer dann noch an der Wahrheit des zunächst Konstatierten festhält, ist spitzfindig oder besessen. Übertriebenes Festhalten an Wahrheit ist fanatisch, untertriebenes frivol oder verlogen. Bill Clinton schaffte sich seine aktuellen Probleme nicht durch den Seitensprung – der ist unter Präsidenten (und anderen) üblich und wird verziehen. Was die Frage der Amtsenthebung aufbrachte, ist, dass die Kongressabgeordneten (und andere) von ihm nicht belogen werden wollen. Sogar im prüden Amerika wiegt das schwerer als ein Ehebruch.

Entspannendes Gelächter

Vor zwanzig Jahren wollte ich nichts anderes mehr als erleuchtet zu werden. Heute möchte ich nur noch Weisheit begünstigen, in mir und anderen. Erleuchtung ist nicht das, was ich mir einst darunter vorstellte. Sie ist kein Ereignis, keine Implosion oder Explosion, auch wenn sie initial als solche auftreten mag. Vielleicht ist es so wie mit dem Lachen: Menschen lachen auf so tausendfältige Weise, laut oder leise, gackernd, scheppernd, schallend, giggelnd, verdruckst oder auch still lächelnd oder schmunzelnd. Wenn Menschen so verschieden lachen können, warum sollen sie »die Erleuchtung«, die Erkenntnis von der Einheit des Ganzen nicht auf so vielfältige Weise erfahren können?

Ich habe Frauen getroffen, die nie einen Orgasmus hatten und mich wissen ließen, Orgasmus sei etwas für verspannte Organismen, sie befänden sich demgegenüber auf einem Hochplateau. Wer keine Anspannung kennt, der kennt auch keine Entspannung, oder: ohne Knoten keine Auflösung. Vielleicht sind es nur die Verspannten und Verknoteten, die lachen, Orgasmen haben und Erleuchtungserlebnisse!?

Je dunkler das Gemüt, desto heller die Lichtblitze, alles nur eine Sache des Kontrastes …? Der Rinzai-Zen verkündet die plötzliche Erleuchtung, der Soto-Zen die allmähliche. Und ich erlaube mir, in meiner allumfassenden Inkompetenz, die Undefinierbarkeit eines Ereignisses zu behaupten, das da »die Erleuchtung« heißt, denn die Wahrheit, die ihm zugrunde liegt, lässt sich nicht aussprechen und das Ereignis selbst tritt in so vielen Formen auf, wie die Gesichter und Gelächter und Orgasmen der Menschen.

Es ist einfach, was ist. Die Einblicke und Aha-Erlebnisse der Menschen sind tausendfältig verschieden. Jeder trägt seine Wirklichkeit, seinen Charakter, seine Biografie mit sich herum, und wer an »die eine Wahrheit« glaubt, befindet sich gefährlich nahe am Fanatismus.

Das Tao, über das man sprechen kann, ist jedenfalls nicht das wahre Tao.

 

Wolf S. Schneider, geb. 1952, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Connection (1985 bis 2015). Seminarleiter, Autor, Redakteur, Humorist. Seit 2015 Theaterspiel und spirituelles Kabarett. www.connection.de, www.bewusstseinserheiterung.info

 

Buchtipp: Reihe Neues Wir, adecis Verlag, Herausgeber: Wolf S. Schneider.

Band 2: Spiritualität: Die offene Weite, 268 Seiten, 12,80 Euro, als E-Book 7,99 Euro

Darin sind weitere Artikel verschiedener Autoren zu spirituellen Themen zu finden.

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