Die Sekunde vollendet die Stunde
Eine Handvoll Haiku in unruhiger Zeit. Für den Essayisten und Lyriker Peter Fahr ist die Wirklichkeit poetisch. Seine stimmungsreichen Haiku beschwören die Natur und ergründen das Gesetz des Geistes. Der Dichter sagt: „Poesie ist heilsam, doch letztlich bleibt sie rätselhaft. In die Sonne zu blicken, ist unmöglich. So wahrt auch die Poesie ihr Geheimnis.“
atme das licht
rieche den klang
schmecke das wort
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den raum zu betreten
zögere nicht
die schwelle zu überschreiten
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der hund tollt herum
ins zarte grün der birken
lockt mich sein gebell
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wie still und reglos
harrt die heuschrecke im gras
bis sie plötzlich springt
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den blühenden zweig
belebt verborgen
die alte wurzel
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der tulpenstängel
trägt die welkende blüte
aufrecht zum ende
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dem auge tabu
die glut der sonne
so wie du
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lausche den fischen
betrachte die nachtigall
jage das wiesel
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der regen tropft
der pulsschlag klopft
wie wunderbar
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diesseits der grenze
wogender weizen
jenseits auch
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hierhin und dorthin
tanzen die schmetterlinge
wie fallendes laub
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je länger sie lebt
desto weniger weiß sie
so wird sie weise
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von ferne fällt schnee
kristallkometen zergehen
auf offener hand
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die sekunde
vollendet
die stunde
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bin ich du
bist du wir
sind wir ich
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gestern ein klang
heute ein wort
morgen ein traum