Ein unmoralischer Wettbewerb in jeglicher Hinsicht

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Philosophie

Ein an einigen Stellen ausgesprochen ernsthafter Text über die Unmoral von Männern und Frauen. Es ist die Sache freigeistiger, vorzugsweise männlicher, der Sinnlichkeit abholder Theoretiker, sich über Moral oder Unmoral zu ereifern oder zu empören, je nachdem. In vom Hölzchen zum Stöckchen führenden Debatten im Internet und auf jeder anderen Platt(!)form blühen Wahrheit bzw. Wahrheiten aus, die vor allem dem einen Zweck genügen: die Klugheit ihrer Autorinnen ins rechte öffentliche Licht zu stellen. Fern aller Theorie stellt sich die ganz praktische Frage: Was ist eigentlich moralisch bzw. das Gegenteil? Der Autor möchte die Gelegenheit nutzen, denn in Sachen Unmoral bin ich Meister, geradewegs in die Maische des Unsittlichen einzutauchen, um daraus Höhepunkte der Unmoral zu destillieren – aus analytischen Gründen säuberlich nach männlicher und weiblicher Fehlbarkeit und Verfehlung getrennt; denn selbstverständlich gilt so manches, wenn nicht gar alles, vice versa. Bobby Langer

 

Die männliche Unmoral

Lassen Sie mich, der Spannung halber, mit den größtmöglichen, typisch männlichen Immoralitäten beginnen, auf dass sich die weiblichen daran messen mögen. Beginnen wir also mit kleinen „Schnitzern“ des Mannseins, etwa dem Öffnen einer Tür für eine Frau, ein Fräulein (darf das Wort ausgesprochen werden, ohne augenblicklich moralische Empörung auszulösen?), ein Mädchen oder ein Kind aus dem Impuls des Respekts heraus und nicht etwa aus lässiger Überlegenheit. Während letztere „unter Männern“ durchaus noch mit einem anerkennenden Lächeln quittiert würde, übersteigt ersteres den Horizont der meisten meiner Geschlechtsgenossen. Wer solches tut, ist von gestern oder gar vorgestern; wobei viele Frauen dem bereits zustimmen würden.

Schlimmer schon dünkt dem normierten Mann einer, der am Stammtisch, ohne ersichtliche Merkmale von Trunkenheit, bekennt, seine Frau – oder, um das patriarchalische Kraut fett zu machen, seine Freundin – könne besser Auto fahren, gar einparken, als er. Im besten Fall würde ein solches Bekenntnis als gelungene Ironie mit einem „Heute bist du aber besonders witzig“ und einem verbrüdernden Schulterklopfen verbucht.

„Schluss mit lustig“ wäre hingegen im Falle des gegenüber anderen Männern geäußerten Wunschs, man würde einen feingeistigen Leseabend mit seiner Partnerin einem Fußball-WM-Public-Viewing unter Kumpels vorziehen. Damit würde sich Mann aus dem Rahmen des Normalen – und folglich moralisch Richtigen – ausklinken. Denn besagte Begründung entzöge sich dem Verständnishorizont der männlichen Zuhörerschaft ähnlich wie die Bereitschaft einer männlichen Spinne, sich von ihrer weiblichen Gattin verspeisen zu lassen.

Irgendwo müsse auch einmal Schluss sein, käme die scheinrationale Begründung der Schöpfungsherren. „Bist du einer von uns oder gehörst du zur anderen Seite?“ Tatsächlich macht sich jemand, vorzugsweise ein Mann, der eine geistige Betätigung einer geistlosen vorzieht, durchaus verdächtig, nicht dazuzugehören.

Dazuzugehören wozu? Die Antwort fällt schwer. Zur Kameradschaft, Brüderschaft, Rotte, zum Club, zur Volksgemeinschaft? In jedem Fall zu einer Gruppe bzw. einem Trupp, der sich einer höheren Sache verpflichtet fühlt, der Zusammengehörigkeit „von uns Männern“ etwa oder dem Volkswohl. Hingegen verströmt selbstverantwortlich denken zu wollen, ja sich ein solches Selbstdenken zuzutrauen, den Geruch von Überheblichkeit, von „ich bin keiner von euch“ – und hätte damit den Ausschluss verdient.

Die weibliche Unmoral

Wie aber gestaltet sich exzessive weibliche Unmoral? Schon meine Kühnheit, als Mann ein solches Thema auch nur anzufassen, wird manchen MoralistInnen als übergriffig erscheinen. Sei’s drum. Für den Fall, dass sich männliche Leser bis zu dieser Zeile verirrt haben sollten: Ich muss sie enttäuschen. Hier wird weder von lasterhaften Entblößungen die Rede sein noch von männermordenden Polygamistinnen. Warum nicht? Weil sie allesamt lüsterne Ausgeburten der oben beschriebenen „Gattung Mann“ sind. Aber lassen Sie mich, liebe Leserinnen, auch hier mit kleinen, scheinbar harmlosen Abzweigen vom vorgeschriebenen Pfad typisch weiblicher Tugend beginnen. Mit Frauen nämlich, die nicht nur ihre Geschlechtsmerkmale nicht betonen, sondern denen eine solche Zurschaustellung schlichtweg egal ist; oder von solchen, die dem „männlichen“ Blick dergestalt begegnen, dass „ihm“ in wenigen Sekunden der Kamm abschwillt. Frauen, an denen männliches Imponiergehabe abprallt wie eine Hornisse an einer Fensterscheibe, werden von vielen meiner Geschlechtsgenossen als äußerst demütigend empfunden.

Bereits solche kleinen, aber wirksamen Gesten weiblicher Souveränität – und folglich Unmoral – sind geeignet, Frauen an die Ränder akzeptierter Weiblichkeit zu stellen. Immerhin wenden sie sich nicht ab vom „Mann“, behalten ihn noch im Blick, müssen also nicht komplett ausgesondert, können noch geduldet werden. Wie aber, wenn sie sich nicht mehr für „ihn“ und sein „Ding“ interessieren? Wenn sie vor „ihm“ weder innerlich noch äußerlich in die Grätsche gehen; wenn sie – außerhalb lustvollen Beisammenseins – Männer nicht wie Männchen, sondern wie Menschen behandeln?

Getoppt wird dies nur noch von einer weiblichen Unmoral, die sich jenseits der ihr von Männern zugedachten biologischen Rolle geriert. Das begann und beginnt noch immer im lustvollen Kontext von genießerisch beobachteten lesbischen Frauen. Denn sie, so denkt das testosterongeschwängerte Hominidengehirn, tun nur so als ob. Bei anderen Frauen holen sie sich nur den Appetit, wollen es aber letztlich doch mit einem Mann bzw. dem ihm angewachsenen „Ding“ treiben. Wie schockierend wäre hier die Erfahrung bzw. Einsicht, dass es Frauen gibt, die, über das „Ding“ hinausgewachsen, Männer ganz einfach nicht mehr brauchen. Frauen, die sich nicht nur der Liebesdienerin, sondern der Mutterrolle verweigern, sowohl physisch wie auch psychisch; Frauen, die zugleich Liebende, Geliebte und Mütter sind, ohne je geboren haben zu müssen; die ihre Männer nicht mehr als Mamas in den Arm nehmen wollen. Zweifellos den Höhepunkt (!) der Unmoral bilden Frauen, die auf die Männer pfeifen und sich ihre Höhepunkte holen, wo sie wollen, bei Männern und bei Frauen. Oder, schlimmer als schlimm, gar auf die Höhepunkte pfeifen? Mönchinnen sozusagen.

Tröstlich scheint mir nur dies: Aus dem scheinbaren Widerspruch und Kampf der Geschlechter schält sich ein Gedanke heraus. Könnte es nicht gelingen, dass sich die Unmoralischsten eines Geschlechts mit den Unmoralischsten des anderen zusammentun und eine dritte Gattung, eine Zukunftsgattung der Menschheit, formen? Der Gedanke, das muss ich zugeben, lässt mich versöhnlicher in die Zukunft schauen, als ich dies zu Beginn dieses Textes vermutet habe.

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