Ein Vorschlag zur Güte

 In FEATURED, Philosophie

Den 1.1. zu feiern, ist eigentlich absurd. An dem Tag ist nichts Besonderes. Es gibt nichts zu feiern. Viele hängen – bei einer Jahres- und Wetterstimmung, die ohnehin eher deprimierend ist – auch noch verkatert herum. “No more champagne, and the fireworks are through. Here we are, me and you, feeling lost and feeling blue” sang es die legendäre Gruppe “ABBA” sehr treffend. Der 1.1. ist eine Massensuggestion, die deshalb so lange Bestand hatte, weil so gut wie alle mitgemacht und den Anlass nicht in Frage gestellt haben. Es wird Zeit für kreative Vorschläge, was man anders machen könnte. Der Autor stellt selbst das scheinbar sakrosankte Datum in Frage… Bobby Langer

 

Immer wieder falle ich auf den 1.1. herein, eine kalendarische Mausefalle. Während das Monatsende wenigstens bedeutet, dass ein neues Gehalt, ein neuer Lohn, eine neue Renten- oder Sozialhilfezahlung auf mein Konto eingeht, so bedeutet der erste Januar nichts. Er ist einfach der Tag nach dem 31.12. Fertig.

Trotzdem verleihen wir diesem Datum ein unangemessenes Gewicht. Genauso gut könnte ich die 50 Meter bis zur Straße in Fünf-Meter-Abschnitte einteilen und dann, wenn ich die Straße erreicht habe, ein Fest feiern, Raketen in die Luft schießen und Sekt trinken. Okay, stimmt, der Unterschied besteht in der Seltenheit des Ereignisses. Gäbe es Silvester ähnlich häufig wie meinen Weg zur Straße, wäre der 1.1. bald so belanglos, wie jeder Montag belanglos ist.

Tatsächlich feiern wir Deutschen gern und häufig seltene Ereignisse: ein erstes Kind, den 1. Hochzeitstag nach dem verflixten siebenten Jahr, eine goldene Hochzeit, ein Firmenjubiläum, die Befreiung Deutschlands von den Nazis; letzteres allerdings mehr pflichtgemäß. Ansonsten feiern wir nicht das Ende eines Krieges, sondern seinen Anfang – nicht im Nachhinein, da schweigen wir lieber vornehm, sondern im Augenblick des Geschehens. Wir alle haben Massen im Gedächtnis, die Hurra schreiend in den 1. Weltkrieg zogen (auf die defätistisch weinenden Mütter war und ist gepfiffen) und die „Heil“ schreienden Massen bei der Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Der Deutsche feiert eben gerne.

Wie auch immer, in solchen Fällen gibt es einen echten Anlass. Der 1.1. ist kein Anlass, vielmehr machen wir ihn dazu. Damit könnte ich letztlich leben, weil wir ja auch „feiern“ gehen, wenn es nichts zu feiern gibt – eine bei jungen Leuten beliebte Form des Konsumismus. Nach dieser verdrehten Logik feiern wir auch Ostern, den Valentinstag, Halloween oder Weihnachten – alles Feste, an denen es längst nichts mehr zu feiern gibt. In meiner Kindheit waren Kindergeburtstage Tage, an denen die Eltern mit dem Kind Kerzen auf dem Kuchen ausbliesen und das Kind zwei, drei kleine Geschenke bekam – und sich tatsächlich freute. Was heute ein Kindergeburtstag bedeutet, muss ich nicht ausführen, die ausbleibende Freude inklusive, die in der Frage gipfelt: „Warum habe ich X nicht bekommen?“ und den schuldbewussten Ausreden der konsumgebeutelten Eltern.

Bin ich jetzt von meinem Thema abgekommen? Jein. Das können Sie selbst beurteilen, ebenso wie meinen Vorschlag zur Güte, jeden 10. des Monats zum europäischen Konjunkturfest auszurufen, an dem man aus völkerverbindenden Motiven heraus dem jeweils zur rechten (alternativ unten oder oben) wohnenden Nachbarn ein Geschenk zu machen hat, sogar Ausländern. Nicht Beschenkte können ihr Geschenk beim lokalen europäischen Konjunkturamt zum doppelten Satz einklagen. Wohl dem, der Singles zu Nachbarn hat. Familien, die sich das monatliche Geschenk nicht leisten können, können gegen Offenbarung ihrer Einkommensverhältnisse vom Konjunkturamt eine vorübergehende Geschenk-Befreiung beantragen; dies allerdings nur, wenn alle Möglichkeiten eines nahezu zinslosen Konjunkturgeschenk-Darlehens vom Bundesamt für Wirtschaftsförderung ausgeschöpft sind. Einwände bezüglich der Komplexität der auszufüllenden Formulare sind nichtig, da im Rahmen der europäischen Konjunkturfestförderung auch die Ausbildung zum amtlichen Konjunkturfestberater (auch für Quereinsteiger) fest vorgesehen ist.

Den 1.1. könnte man dann insofern entlasten, als die Feiern zum Jahresbeginn durch Feiern zugunsten des Konjunkturförderungsjahresbeginns am 15.1. gestrichen würden. Die bisherige Sinnlosigkeit der Feiern zum 1.1. bekäme eine ungeahnte Substanzanreicherung durch Förderung des Wohlstands im Allgemeinen und von Banken, Industrie und Handel im Besonderen. Mit großzügiger Unterstützung des Bundesverbands der Deutschen Industrie sowie des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft ist zu rechnen.

Kommentare
  • Swantje R.
    Antworten
    So viele gute Ideen, man weiss gar nicht wo beginnen, es ist fast wie bei einem Abba Album, ein Song besser als der andere! Wir feiern  so gerne, und es lebe die Konjunktur?! Eine großartige Satire. Die Niederländer, die haben bekanntlich auch Sinn für Konjunktur.  Aber was war da bloss los? Irgendjemand hatte Einwände!  Warum bloss? War das mit der Europäischen Konjunkturbehörde abgesprochen? Und was würde Abba dazu sagen?

    https://youtu.be/BsMdJS4YwEg

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