Empathie in Zeiten der Corona Krise

 In FEATURED, Jens Fischer Rodrian, Politik

Die Welt ist im Ausnahmezustand – und das schon seit langem. Wir in Westeuropa und Nordamerika sind es jetzt. Menschen aus Krisengebieten, egal ob diese Krisen durch Hunger, ökologische Unvernunft, geostrategische Stellvertreterkriege oder die Ausbeutung rohstoffhungriger Industrienationen verursacht wurden, sind es schon lange. Trotzdem scheinen die Bundesregierung und ein Großteil der Medienlandschaft bereit zu sein, sich fast monothematisch mit einem aggressiven Grippevirus zu beschäftigen und alle anderen dringenden Fragen hinten an zu stellen. Jens Fischer-Rodrian

In Afrika, Südostasien und anderen Teilen der Welt kämpft die Bevölkerung seit Jahren mit Naturkatastrophen, die u.a. durch unseren rücksichtslosen Konsum und Energieverbrauch verursacht worden sind. Die Menschen dort leben seit Jahren im Ausnahmezustand. Aktuell sind ungefähr 1.000.000 syrische Menschen auf der Flucht, um nur einen, immer noch sehr aktuellen, Stellvertreterkrieg zu nennen. Mindestens 2.000 traumatisierte, minderjährige, unbegleitete Kinder sitzen dem zu Folge auf griechischen Inseln fest, die Deutschland nicht bereit war aufzunehmen. Der Antrag der Grünen wurde mit großer Mehrheit, inklusive der Stimmen der SPD, abgelehnt. Man arbeite an einer europäischen Lösung, hieß es.

Nur kommt die für viele dieser Kinder zu spät. Seenotretter werden aufgefordert, zum Schutz der eigenen Bevölkerung nicht mehr mit Ihren Booten auszufahren. Wenn sie es doch tun, wird ihnen immer wieder die Einfahrt in europäische Häfen verwehrt. Die Angst vor dem Gebrüll der Rechten und vor den Wählern, die sich abwenden könnten, ist so groß geworden, dass Mitgefühl und Humanität bedenkenlos über Bord geworfen werden. Die Gesundheit und das vermeintliche Wohlergehen der europäischen Bevölkerung haben einen höheren Stellenwert als die Unversehrtheit geflohener Menschen. Der Krieg im Jemen, in dem sich Saudi-Arabien und der Iran seit 2015, auf Kosten der leidenden Bevölkerung, ihre Vormacht in der Region sichern wollen, findet medial kaum noch statt.

Fridays for Future und Scientists for Future machen seit über einem Jahr auf die Dringlichkeit der Rettung unser Ressourcen aufmerksam. Um alle mitzunehmen, brauche man Zeit, heißt es von Regierungsseite. Wenn man sich ansieht, was die Regierung wegen Corona in kürzester Zeit, ohne parlamentarische Zustimmung und ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen, umzusetzen in der Lage war, scheint einem das Zeitargument in der Umweltdebatte fast zynisch.

Jetzt spukt eine „unsichtbare Gefahr“ durch die Welt. Macron spricht von Krieg, Merkel von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Angst wird durch viele Medien, auch durch die Öffentlich-Rechtlichen, weiter angeheizt. Panik fördert nur selten das Miteinander oder die Empathiefähigkeit. Sie offenbart häufig unsere häßlichen Seiten. Denunziantentum wird nicht nur gebilligt, sondern staatlich gefördert, um die getroffenen Maßnahmen durchzusetzen. Politiker raten dazu, Menschen zu melden, die sich nicht an die Corona-Regeln halten.

Ein Polizist, der unsere Versammlung vor dem Schöneberger Rathaus am 30.4.20 begleitet hat, erzählte von den täglichen Anrufen „besorgter“ Bürger, die Ihre Nachbarn anzeigen, weil sie in Ihrem Hausgang in einer Gruppe von drei Leuten zusammen stehen. Ich selbst wurde mit meiner Tochter von einem leeren Basketballplatz vertrieben, weil ein, in großem Abstand, vorbei gehender Passant die Polizei gerufen hat. Diese Krise hat viele Gesichter. Die Regierung ließ sich über fast zwei Monate nicht beirren, griff massiv in die Bürgerechte ein, schaffte im Eiltempo neue Corona-Gesetze und hat ein ganzes Land „geschlossen“.

Unzählige Menschen leiden unter ihrem Existenz-und Identitätsverlust. Ein Teil des Kulturbetriebs wird sich nicht mehr erholen. Freiberufler, Künstler, kleinere Unternehmer und viele andere sind pleite und verlieren dauerhaft ihre Jobs. Depressionen, Suizide, häusliche Gewalt steigen an. All das nimmt man in Kauf, um Covid-19 in den Griff zu bekommen.

Alle anderen Themen unterliegen einem anderen Zeitmaß. Kein „übereilter“ Ausstieg aus der Kohlekraft, heißt es, kein kompromissloser Ausbau alternativer Energien, kein Tempolimit, kein Besteuerung von Kerosin, kein Verbot von Inlandsflügen. In der Flüchtlingsdebatte ringt man nach europäischen Lösungen, wissend, das es ewig dauern kann, bis man hier zu einem Ergebnis kommt, und überlässt tausende Geflohene ihrem Schicksal. Was die internationalen Kriegsgebiete angeht, scheint die Zeit fast still zu stehen. Der deutsche Außenminister ist mehr damit beschäftigt, Reisewarnungen auszusprechen oder die Menschen aufzufordern, keine Auslandsurlaube zu planen, anstatt sich als deutscher Chefdiplomat um genau diese Themen zu kümmern. Vieles wäre mit wenig Anstrengung schnell umsetzbar, anderes erfordert einen größeren Kraftaufwand, aber nichts ist mit dem zu vergleichen, was man jetzt aufzugeben bereit ist.

Die Frage, ob wir es als mündige Bürger schaffen, in Zukunft empathisch und solidarisch zu handeln, auch wenn das eigene Leben und das unserer Liebsten nicht unmittelbar gefährdet ist, kann nur jeder für sich selbst beantworten. Aber genau das müssen wir von unseren Regierungen und Ihren Vertretern einfordern, wenn es um die großen Fragen unserer Zeit geht, die vor allem die nächsten Generationen betreffen. Wenn es sein muss, durch eine starke, lebendige außerparlamentarische Opposition und in letzter Konsequenz auch durch zivilen Ungehorsam.

 

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Volker
    Antworten

    Trotzdem scheinen die Bundesregierung und ein Großteil der Medienlandschaft bereit zu sein, sich fast monothematisch mit einem aggressiven Grippevirus zu beschäftigen.

    Jo, das supergeile Virus kommt doch gerade richtig, um die Weltherrschaft zu übernehmen, vermehrt sich hopplahopp, weswegen Menschenschinder sich gar nicht mehr einkriegen – vor Freude.
    Jedes Jahr eine neue, supergeile Welle, dann funzt auch Freilandhaltung für’s Menschenvieh, erprobt 2020 im Großversuch. Einmeterfünfzig im Quadrat sollte genügen, immerhin mehr, als einem Schwein zugestanden wird.

    Schon mal Eier gelegt? Nein, natürlich nicht, warum auch. Falsch gedacht. Solltet ihr morgen Post bekommen, mit der Aufforderung, gackernd Eier zu legen, ist dies kein blöder Witz aus Berlin, sondern Staatsbürgerpflicht für alle.
    Gut, merkwürdiger Vergleich, läuft allerdings darauf hinaus, uns als Säugetiere im Digitalismus zu verabschieden.

    Der deutsche Außenminister ist mehr damit beschäftigt, Reisewarnungen auszusprechen oder die Menschen aufzufordern, keine Auslandsurlaube zu planen, anstatt sich als deutscher Chefdiplomat um genau diese Themen zu kümmern

    Heiko weiß wohl auch nicht so genau, weswegen er Minister wurde, möglicherweise wegen cooler RundBrille (Durchblick mit Weitsicht gebündelt), freut sich über Donald Trump Donald Duck und lustige Panzerknacker.

    Wenn es sein muss, durch eine starke, lebendige außerparlamentarische Opposition und in letzter Konsequenz auch durch zivilen Ungehorsam.

    Wieso wenn es sein muß? Was sollte noch geschehen, damit es wieder mal sein muß? Ziviler Ungehorsam ist wie Schnute ziehen und Wirkung abwarten, sonst wäre er schon längst verboten. Mehr Schmackes bitte.

    • Anja
      Antworten
      Ihr Zynismus hilft aber auch niemandem weiter. Ganz im Gegenteil. Er kippt noch mehr Gift in die Debatte und die Gesellschaft. Die doch schon so vergiftet genug ist.

      Mehr Sachlichkeit bitte! Das könnte uns allen sehr nützen und weiter helfen.

  • Stefan
    Antworten

    Herr Fischer-Rodrian – auf den Punkt! Mit dem Geld hätte man wirklich etwas Großes bewegen können und einen lockdown, um unseren Planeten nicht weiter zu schinden, hätte ich glatt akzeptiert. Jetzt ist das Geld weg und schon werden von den ganz Großen die ersten Ausnahmen von Umweltschutzmaßnahmen gefordert, um die Wirtschaft zu retten.

  • ert_ertrus
    Antworten

    Mehr Sachlichkeit bitte! Das könnte uns allen sehr nützen und weiter helfen.

    Unterm Galgen der Demokratie hilft nur Galgenhumor. Sachlichkeit lässt Henker unberührt.

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