Erfolgreich sein

 In Gesundheit/Psyche, Roland Rottenfußer, Wirtschaft
Der Autor, erfolglos, auf Rucksacktour mit Blumenbestimmungsbuch

Der Autor, erfolglos, auf Rucksacktour mit Blumenbestimmungsbuch

Der humanistische Psychotherapeut Erich Fromm ist dafür bekannt, dass er zwischen der Daseinsform des »Habens« und des »Seins« unterschied. Auch wir tun gut daran, zwischen »Erfolg haben« und »erfolgreich sein« zu unterscheiden. Legen wir die Betonung auf das »Sein«, dann bedeutet Erfolg auch, dass es uns gelingt, ein erfülltes Leben zu leben und dabei unsere wirkliche Identität treu zu sein. Die Anerkennung anderer Menschen kommt dann oft wie von selbst hinzu, ohne dass wir von ihr abhängig sind. Wenn wir dagegen versuchen, einem Erfolgsmodell nachzulaufen, das sich an der Ausstrahlung von Herrn Kaiser (dem Versicherungsvertreter von der Hamburg Mannheimer) orientiert, verlieren wir unsere innere Mitte und agieren unbeholfen wie schlechte Schauspieler. Roland Rottenfußer vertritt ein »Erfolgsmodell«, das auch Niederlagen und Schattenseiten mit einbezieht. (Roland Rottenfußer)

Wir beten an, was uns am meisten fehlt, nicht was wir haben. Um festzustellen, welche Bedürfnisse die Menschen haben, beobachte man, mit welchen Schlagworten die Werbung um unsere Aufmerksamkeit buhlt. Der »Power-Drink« oder das »Vitalizing Shower Gel« deuten darauf hin, dass wir uns oft müde und kraftlos fühlen und uns danach sehnen, von Vitalität durchpulst zu werden. Ein anderer Produkttyp setzt auf »Relax«, »Harmony« und »Silence« – untrügliches Zeichen dafür, dass wir uns in unserem Alltag von schnellen, lauten Reizen überfordert fühlen. Das dritte Lockmittel – neben Power und Entspannung – ist Erfolg. Erfolg bewundern wir vor allem an Menschen, die uns aus Illustrierten und von Fernsehschirmen entgegen grinsen. Die Penetranz, mit der Prominente und Pseudoprominente in den Medien mit dem Beiwort »erfolgreich« geschmückt werden, deutet darauf hin, dass Schreiber und Leser etwas kompensieren wollen, was ihnen fehlt.

Erfolg gegen jede Regel

Was aber ist Erfolg? Die herkömmliche Verwendung des Begriffs besagt, dass wir die Vorgaben von einflussreichen Personen so gut erfüllen, dass diese uns auf immer höhere und besser bezahlte gesellschaftliche Positionen hieven. Schon Ratgeber für Bewerber trichtern ihren – oft noch jungen und »formbaren« – Lesern diese eine Botschaft ein: Du musst dich an die Regeln halten und tun, was die Entscheidungsträger verlangen. Mehr noch. Du musst sein, wie diese Mächtigen wollen, dass du bist, sonst hast du keine Chance auf einen Platz an der Sonne.

Könnte es nicht auch eine andere Definition von Erfolg geben? Im Film »Der Club der toten Dichter« steigt ein schüchterner Internatsschüler auf seine Schulbank, um seinem geliebten, zu Unrecht entlassenen Lehrer (gespielt von Robin Williams) Solidarität zu bekunden. Die übrigen Schüler folgen seinem Beispiel. Die Aktion ist nach herkömmlichen Erfolgskriterien nicht sinnvoll, nicht opportun. Die Schüler sind wegen ihrer Aufsässigkeit von Entlassung aus dem Elite-Internat bedroht, was ihrer Karriere im späteren Leben abträglich sein könnte. Trotzdem: Das Publikum liebt diese Szene als geniale visuelle Umsetzung von Zivilcourage. Könnte nicht das Verhalten dieses Schülers für uns ein Beispiel von Erfolg sein? Vielleicht lieben uns die Götter, die Engel oder wer auch immer dem Schauspiel unseres Lebens zusieht, gerade für solche Szenen, in denen wir gegen die Vorgaben der Regelmacher verstoßen anstatt ihnen brav zu folgen. Ein solches Erfolgskonzept wirst du natürlich in keinem herkömmlichen Bewerbungstraining finden.

Die Seifenblase platzt

Im Jahr 2000 hatte ein junger Mann namens Christian Erfolg, weil er als einer der ersten aus der Reality-Show »Big Brother« herausgewählt wurde. Noch ein paar Monate danach war er in den Schlagzeilen und in den Fernsehshows präsent, bevor er von der Bühne einer kurzlebigen Popularität wieder verschwand. Bevor er ging, hatte er seinem Millionenpublikum, das seiner ansonsten unspektakulären Existenz für eine kurze Zeitspanne durch erhöhte Aufmerksamkeit Energie gab, eine einzige Botschaft zu übermitteln: »Es ist geil, ein Arschloch zu sein!« Ein lachhaftes Lied, ein nach Marketinggesichtspunkten konstruierter Seifenblasen-Erfolg.

Was also ist das Erfolgskriterium »Bekanntheit« wirklich wert, wenn ihm – einem nicht gedeckten Scheck ähnlich – kein entsprechender tatsächlicher Wert gegenüber steht? Laotse sagt: »Je weniger Menschen den Weisen kennen, desto höher ist sein Wert«. Ein Seitenhieb gegen so manchen modernen Marktschreier der spirituellen Innerlichkeit. Natürlich stimmt selbst dieser Satz des großen chinesischen Weisen nicht ohne Einschränkung. Jemand kann gut sein und zugleich bekannt. Wenn sich aber wirklich große Meister ihrer Kunst wie der Operntenor Placido Domingo über Jahrzehnte völlig zu Recht im Rampenlicht halten, dann stecken meist zwei Tugenden dahinter: die eine ist Fleiß und Selbstdisziplin, die andere ein hohes Maß an Übereinstimmung von Sein und Schein. Domingo spielt zwar den Don José in »Carmen«, aber er ist Operntenor mit Leib und Seele. Manche anderen, wie der unlängst verstorbene Modeschöpfer Rudolf Moshammer verwechselten Sein und Schein permanent und spielten im »richtigen Leben« eine Rolle, obwohl sie niemand für eine Opernaufführung engagiert hatte.

... oder doch eher diese Art von Erfolg? Michael Douglas in "Wall Street"

… oder doch eher diese Art von Erfolg? Michael Douglas in “Wall Street”

Erfolg auf Kosten anderer

Ein weiteres »Erfolgsrezept«, das derzeit rasant auf dem Vormarsch ist, besteht im Erfolg auf Kosten anderer. Am Aktienhandel sagen Profiteure gern, sie ließen »Geld für sich arbeiten«. In Wahrheit sind es Menschen, die sie für sich arbeiten lassen. Denn Erträge aus Zinsen und Renditen fliegen nicht wie der Goldregen des Sterntalermärchens auf uns herab. Dieses Geld muss von anderen Menschen – oft am anderen Ende des Globus unter unwürdigen Arbeitsbedingungen – erwirtschaftet werden. Ein »Nullsummenspiel«, ein Spiel, bei dem der Gewinn auf der einen Seite mit Verlust auf der anderen Seite aufgewogen wird. Hinter der Einstellung vieler Aktiengewinnler steckt der kindliche Wunsch, ohne eigene Anstrengung und Energieeinsatz vom Leben versorgt zu werden.

Zynischerweise sprechen gerade spirituell angehauchte Erfolgstrainer und Vertreter des sogenannten Positiven Denkens gerne von Reichtums- und Armutsbewusstsein. »Armut ist eine Störung des Bewusstseins«, schrieb etwa der Bestsellerautor Dr. Joseph Murphy, einer der Gründerväter des Positiven Denkens. Natürlich haben unser Denken, unsere Erwartungen und unser Selbstbild einen Einfluss darauf, was uns in unserem Leben widerfährt. Wer mit der Einstellung »Mich liebt sowieso niemand« auf Menschen zugeht, hat gute Chancen, dass ihm genau diese negative Selbstwahrnehmung in Form von Ablehnung gespiegelt wird. Trotzdem bin ich misstrauisch gegenüber Denkrichtungen, die Erfolg und Misserfolg pauschal individualisieren, das heißt dem Einzelnen in die Schuhe schieben.

Erfolg ist relativ

In einer Zeit, in der aufgrund einer ungerechten Verteilung des Reichtums im Land ein Abwärtstrend einsetzt, in der die Gesellschaft wegen Zinsansprüchen weniger Reicher ausblutet und immer weniger Geld »im Topf« bleibt, werden die Erfolgsstorys im herkömmlichen Sinn natürlich rarer. Positivdenker, die gegen das »Armutsbewusstsein« wettern, liefern so gesehen einen geistigen Überbau für die neoliberale Wirtschaftsordnung. »Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier«, erkannte Mahatma Gandhi. Im Sinne der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse und der Entfaltung innerer Anlagen könnte also potenziell jeder Erdenbürger erfolgreich sein; im Sinne der maßlosen Gier nach Macht und Luxus kann es immer nur wenige Erfolgstypen geben – und der Rest der Welt zahlt für sie die Zeche.

Man muss sehen, wieviele Plätze an der Sonne es gibt und wie viele Menschen sich im »Rennen« um diese Plätze befinden, bevor man jemandem vorwirft, dass es ihm nicht gelungen ist, aus dem Schatten zu treten. Man muss die persönlichen Voraussetzungen jedes Einzelnen bedenken und zwischen persönlichem und absolutem Erfolg unterscheiden. Ein Sprint-Erfolg bei den Paralympics, dem Sportwettkampf für Behinderte, mag in absoluten Zahlen ausgedrückt geringfügig sein gegenüber den Geschwindigkeiten, die gesunde Sportler bei den Olympischen Spielen erreichen; für einen Rollstuhlfahrer, der diese Leistung mit großer Selbstdisziplin erzielt hat, bleibt es trotzdem ein enormer persönlicher Erfolg.

Ganz werden statt gut

Einen echten Erfolgstrainer durfte ich einmal bei einem Vortrag erleben. Er betonte stets seinen unbedingten Glauben an seine Ziele und unterstützte seine Worte mit energetischer Gestik und Mimik. Man solle sich Ziele setzen, sagte er, und brachte das Beispiel einer Lokomotive, die man auf Schienen setzt, damit sie bis zum Schluss nicht von ihrem einmal gewählten Kurs abweicht. Mich beängstigt dieses Beispiel eher. Ich möchte lieber am Steuer eines Autos sitzen. Gewiss habe ich meistens ein verheißungsvolles Reiseziel vor Augen. Aber ich möchte meinen Wagen auch anhalten können, wenn ich am Wegrand ein schönes Fleckchen Erde sehe, wo ich gerne raste. Und ich möchte die Möglichkeit haben, einen neuen Bestimmungsort anzusteuern, wenn ich spüre, dass mein Ziel sich auf dem Weg verändert hat.

Fast jeder kennt das Scheitern, kennt Phasen des Abstiegs, auch und gerade im Anschluss an große Pläne und Vorhaben, in die wir uns hineingesteigert haben. Selbst scheinbar notorische Gewinner-Typen wie Franz Beckenbauer kennen das Scheitern (z.B. in der Ehe) und die Niederlage (in zahlreichen Bundesligaspielen) und mussten die Fähigkeit erlernen, sich aus den Tälern der Mutlosigkeit wieder heraus zu arbeiten. Es scheint, als wolle sich unser Ego immer nur auf die Lichtseite des Lebens stellen, während unsere Seele das Ganze in all seinen Facetten erfahren möchte: als Sieg und Niederlage, als Liebesglück und Liebeskummer, als Aufstieg und Niedergang. Nur so erkennen wir das ganze Panorama in einer Welt der Dualität und der Wellenbewegungen des Lebens. Dabei werden wir – wie in Wechselduschen – in gewisser Weise an das Auf und Nieder gewöhnt und entwickeln Gelassenheit, die uns hilft vom Drama unserer Existenz Abstand zu nehmen und Weisheit zu erlangen. Insofern besteht Erfolg also nicht zuletzt in der erfolgreichen Integration von Misserfolg.

Handeln ohne Erwartung

Oder ist es bereits ein Zeichen mangelnder Weisheit überhaupt nach dem Erfolg zu fragen? Viele große Weisheitslehrer der Geschichte haben das interessenlose Handeln als Ideal hervorgehoben. In der »Bhagavad Gita«, der heiligen Schrift der Hindus, fordert Krishna das Handeln im Geiste des Karma-Yoga, selbstloses Tun, das nicht nach Gewinn fragt und stets im im Krishna-Bewusstsein, dem Bewusstsein der höchsten Präsenz Gottes geschieht. »Ein selbstverwirklichter Mensch verfolgt bei der Erfüllung seiner vorgeschriebenen Pflichten keine Absicht«, heißt es dort. »Daher soll man aus Pflichtgefühl handeln, ohne an den Früchten der Tätigkeit zu haften.« Genau dieses Haften an den Früchten, das Schielen nach dem materiellen Ertrag einer Arbeit ist es aber, was oberflächliche Erfolgsratgeber in der Regel ausmacht.

Laotse, der Verfasser des Tao Te King, argumentiert ähnlich: »Erzeuge, aber nimm nicht in Besitz; handle ohne Erwartung«. Einer seiner bekanntesten Begriffe ist »Wu Wei – Nicht-Tun«. Ein gelassenes, unangestrengtes, absichtsloses Fließen mit dem Auf und Ab des Lebens ist damit gemeint. Und das ist keine »Loser-Philosophie«, wie man meinen könnte. »Der Weg (das Tao) bleibt immer im Zustand des Nicht-Tuns, und doch gibt es nichts, was ungetan bliebe«, sagt der Meister. In der Philosophie des Taoismus steckt viel Vertrauen und Hingabe an die Prozesse der Natur, die von einem namenlosen geistigen Prinzip gelenkt werden. Das-was-geschehen-will sträubt sich dagegen, dass wir unsere Zukunft in die engen Bahnen unseres gegenwärtigen Vorstellungsvermögens pressen. Wenn unser Leben eine mechanische Aufeinanderfolge von Wünschen und deren Erfüllung wäre, dann bliebe kein Raum mehr für das Ungeahnte, für das, was wir gar nicht zu wünschen vermögen, weil wir noch nicht wissen, dass es uns zugedacht ist. Oft bekommen wir eben nicht, was wir uns wünschen, sondern was wir brauchen, und das ist gut so.

Gott finden heißt sein Selbst finden

Der bekannteste Yogi des 20. Jahrhunderts, Paramahansa Yogananda, sagte: »Erfolgreich ist, wer Gott gefunden hat«. Aber wie kann jemand Gott finden, wenn er nicht zugleich sich selbst, sein Selbst gefunden hat? Zu werden, der man ist, ist nicht nur die beste Möglichkeit, Erfolg zu haben, es ist die einzige. Denn wer ist es denn, der Erfolg hat, wenn wir nicht einmal wir selbst sind? Wenn wir aufgrund einer Maske, einer Rolle Erfolg haben, werden wir nie erfahren, welchen Zuspruch wir ohne diese Maske, diese Rolle erfahren hätten. Ich kenne kein Foto von Rudolf Moshammer ohne Schminke, Perücke und Pose. Dieser Mann verschmolz so sehr mit seiner Maske, dass ich mir sicher bin, er hatte Angst, ohne sie nicht liebenswert zu sein. Moshammer, der bei jedem seiner Auftritte mit halb bewundernden, halb spöttischen »Mosi«-Rufen begrüßt wurde, hatte Erfolg, wie man einen Gegenstand hat, den man jederzeit wieder verlieren kann. Wie aber stand es mit seinem innersten Sein?

Wie viele andere vermeintlich selbstbewusste, aufgesetzt dynamische und aufdringlich sympathische Menschen wollen vielleicht nur etwas kompensieren, das ihnen eigentlich fehlt? Sie scheitern vor der Anforderung, ohne Tusch, Scheinwerfer und die Energiezufuhr ständiger öffentlicher Bewunderung einfach in ihrer wundervoll-unvollkommenen Menschlichkeit dazustehen und zu sagen: So bin ich! Wenn wir anbeten, was uns am meisten fehlt, dann ist unser Erfolg nichts als ein Götze. Erst wenn wir beginnen zu würdigen, was wir im Innersten sind, kommen wir dem Geheimnis wahren Erfolgs auf die Spur.

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