«Erzeugen Sie eine Volksstimmung und behaupten Sie dann, diese nur widerzuspiegeln».

 In Allgemein, FEATURED, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

Unser Informant schanzte uns ein Foto des Hauptverschwörers Trutz Eichner zu.

Die Wahrheit über den deutschen Kampagnenjournalismus am Beispiel der Niedersachsenwahl. Wir ahnten ja schon längst, dass es bei den Mainstream-Medien nicht mit rechten Dingen zugeht. (Das heißt: mit rechten mitunter schon, aber keinesfalls mit linken Dingen.) Da wird manipuliert, werden Kampagnen ausgetüftelt und fast flächendeckend im Volk verbreitet, werden Fakten verdreht oder verschwiegen, wird auch auf interne Diskussionsprozesse in den politischen Parteien Einfluss genommen, da man zu Recht annimmt, dass Politiker die großen Magazine und Fernsehsendungen beobachten. Was bisher nur ein Gerücht war, konnte nun endlich bewiesen werden. Whistleblower schanzten „Hinter den Schlagzeilen“ ein geheimes Papier zu. Der Inhalt: Dienstanweisungen des neoliberalen Thinktanks „Initiative Neue Soziale Eigenverantwortung“ (INSE) an alle eingebetteten Print-, Rundfunk-, Fernseh- und Onlinemedien aus Anlass der Niedersachsenwahl vom vergangenen Sonntag. Ein erschütterndes Dokument, das manches erklärt, was in Deutschland so abläuft. (Roland Rottenfußer)

 

„Sagt ein Schwein zu anderen: ‚Weißt du, was ich gehört habe: Der Bauer füttert uns nur, damit wir fett werden und er uns schlachten und verspeisen kann.’ Sagt das andere Schwein: ‚Du immer mit deinen Verschwörungstheorien!‘“ (Nadja Uhl im TV-Film „Tod im Internat“)

 

Strategiepapier der Initiative Neue Soziale Eigenverantwortung (INSE), nur zum internen Gebrauch

Liebe eingebettete Medienvertreterinnen und Medienvertreter, die Niedersachsenwahl verlief im Sinne unseres gemeinsamen Projekts durchaus erfolgreich, auch wenn unverbesserlich Naive noch immer so tun, als sei ein Sieg der SPD ein Problem – wir wissen natürlich alle, dass die SPD spätestens seit der Ära Schröder Teil der Lösung ist. Deshalb köpfen Sie bitte in den Redaktionen gern eine Flasche Schampus, trinken Sie ein Gläschen auf unseren erfolgreichen Mitstreiter Stephan Weil und ruhig noch ein zweites auf mich. Es ist alles auf einem guten Weg. Ich sage nur: FDP und AfD drin, Linke draußen – so weit sind wir im Bund noch nicht. Ein Hoch auf den untrüglichen politischen Instinkt der niedersächsischen WählerInnen. Wenn es überall so aussähe wie an der Nordseeküste, könnten wir zufrieden sein.

Obwohl ein Dreiparteiensystem nach Art von Österreich natürlich auch für uns einen beträchtlichen Reiz hätte. Wir arbeiten dran. Haben Sie noch ein paar Jährchen Geduld, dann wird das einzig Spannende bei künftigen Wahlen die Frage sein: „Schwarz-Rot“ oder „Schwarz-Braun“? Vorerst leisten auch FDP und Grüne bei uns gute Dienste, und die Linke schmutzt nicht allzusehr.

Zu Niedersachsen: Die Medienverwertung dieses Ereignisses scheint für Sie ein Heimspiel zu sein; es gibt aber dennoch einige Risiken, mit denen wir alle umzugehen haben.  Denken wir nur an das Schreckensszenario einer wiedererstarkten SPD, in der sich ein wirklicher Linksruck nach dem Vorbild Jeremy Corbyns in Großbritannien vollziehen würde. Ich weiß, eine derartige Entwicklung erscheint für Deutschland unter den heutigen Umständen höchst unwahrscheinlich, denn ein Linksruck würde ja voraussetzen, dass  in der SPD überhaupt noch Linke vorhanden sind. Dennoch gilt es, vorsichtig zu sein, langfristig zu denken und durch sorgfältige Medienarbeit Ansätze zu einer Fehlentwicklung schon im Keim zu ersticken.

Dies kann gelingen, wenn Sie die folgenden Grundregeln beachten, die ich für Sie zusammengetragen habe:

– Erklären Sie, dass sich Martin Schulz jetzt stabilisiert habe und SPD-Chef bleiben könne. Arbeiten Sie an der Legende vom Schmerzensmann, der durch persönliche Tapferkeit und den Zusammenhalt der Gemeinschaft aus Ruinen auferstanden ist. Schreiben Sie nicht: „Schulz will nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl die Macht peinlicherweise nicht loslassen“, sondern: „Schulz stand auch in schwieriger Zeit zu seiner Verantwortung.“ Martin Schulz kann so bis auf weiteres als Bollwerk gegen einen wirklichen Linksruck in der SPD verbleiben. Wer weiß, ob nach ihm jemand kommt, der die Interessen unserer gemeinsamen Sache so getreulich erfüllt.

– Reden Sie Ihren Lesern ein, die SPD bräuchte jetzt eine neue „Erzählung“. Ihre LeserInnen und ZuschauerInnen haben sich ja schon daran gewöhnt, dass Identität und Überzeugung im politischen Handeln keine Rolle mehr spielen. Warum also nicht zugeben, dass Parteiprogramme Fiktion sind und nach strategischen bzw. Marktgesichtspunkten zusammengestellt werden? Auch Marktkritik bedient eben einen Markt. Die SPD ist dafür prädestiniert, gemäßigt antineoliberale Impulse im Wählervolk in einen neoliberalen Gesamtkontext einzubetten und damit zu neutralisieren.

– Weisen Sie darauf hin, dass nur inszenierte dramatische Gegensätze zwischen den beiden großen Volksparteien die AfD klein halten können. Ermutigen Sie SPD wie Union, ihre in Wahrheit ja kaum vorhandenen Differenzen aufzubauschen und Scharmützel über Nebensächlichkeiten zu inszenieren, um dem Volk zu suggerieren, dass hier ein Schicksalskampf zwischen erbitterten Kontrahenten um die Seele Deutschlands im Gange sei. Demokratie wird so für die Deutschen wieder spannend (gemacht), ohne dass sich ernstlich etwas ändern müsste.

– Bauen Sie Stephan Weil zum neuen Star der SPD auf. Seine Ausstrahlung ist ungefähr so spektakulär wie die von Hans Eichel, insofern ist er nicht leicht zu vermarkten. Aber Sie haben es ja sogar schon geschafft, dass eine Angela Merkel Leuchtkraft entwickelt hat, da ist Weil noch die leichtere Übung. Inszenieren Sie gegen Ende der Legislaturperiode die Personaldiskussionen innerhalb der SPD als erregenden Diadochenkampf zwischen zweien unserer neoliberalen Glaubensbrüder und Schwestern, z.B. zwischen Stephan Weil und Manuela Schlesig. Auch dadurch verhindern Sie, dass ein Linksruck in der SPD jemals ernstlich in Betracht kommt. Weisen Sie darauf hin, dass mit Stephan Weil eben kein linker Wirrkopf die Wahl gewonnen habe, sondern ein besonnener Mann der Mitte und empfehlen Sie diese Strategie auch für den Bund.

– Stützen Sie bis auf weiteres Andrea Nahles und betonen Sie immer wieder, dass diese dem „linken“ Flügel“ der SPD angehöre. Belegen müssen Sie das nicht, die andauernde Wiederholung der Behauptung wird ihre Wirkung tun. Bürgerliche Wähler werden die SPD dann erst recht verschmähen. Gleichzeitig wird die SPD von der Linken einige Stimmen abziehen können, was ja in unser aller Interesse ist. Ein Nullsummenspiel zwischen SPD, Linken und den Grünen hält die marktradikal-konservative Mehrheit stabil. Im günstigsten Fall könnte das lockende Augenzwinkern von Frau Nahles in Richtung der Linkspartei diese in Bedrängnis bringen. Schwelende Konflikte zwischen „Fundis“ und „Realos“ um die Frage einer Regierungsbeteiligung könnten offen ausbrechen und die lästige Partei zerreißen, ohne dass eine Regierungsbeteiligung der Linken selbstverständlich ernsthaft zu befürchten wäre.

– Es wird nach der Wahl 2021 dann darauf hinauslaufen, dass nur Große Koalition, Jamaica oder Ampel möglich sind, niedersächsische Verhältnisse also. Alle drei können uns im Prinzip recht sein. Große Koalition hat den Vorteil, dass jeder Wechsel – auch wenn dieser nur die Frage des Zweitplatzierten hinter der Union betrifft – im Volk die Illusion schürt, mit ihrer Stimme etwas bewirken zu können. Außerdem können wir mit einer starken SPD leichter die Agenda 2030 in Angriff nehmen, die in der Tradition der Agenda 2010 einige für Besitzstandswahrer und Sozialromantiker schmerzliche Einschnitte bringen wird. Lassen Sie die SPD links blinken; das erspart ihr, wirklich links zu handeln.

– Stellen Sie die soziale Frage als eine Angelegenheit „von gestern“ dar, mit der die SPD keine Zukunftspolitik mehr betreiben könne. Die sozialen Bewegungen hätten im 19. Jahrhundert ihre Berechtigung gehabt, seinen nun aber überholt, und zwar gerade weil sie so erfolgreich gewesen seien. Heute sei jedoch alles gut, da wirke die Jammerattitüde der „alten Tante SPD“ wie aus der Zeit gefallen. Ermutigen Sie die SPD-Führung, auf moderne Themen zu setzen: etwa Digitalisierung, bessere Bildung (ist schwammig, kommt aber immer gut) oder ein starkes Europa (womit die übernationalen, vom Wählerwillen nicht so stark abhängigen europäischen Instanzen gestärkt werden). Betonen Sie, dass es eben nicht Schröders Agenda-Politik gewesen sei, die der SPD gut die Hälfte ihrer Wählerschaft gekostet hat, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich die Leistungsträger des Mittelstandes von ihr nicht mehr vertreten fühlen. SPD-Mitglieder kommen so gar nicht erst auf den dummen Gedanken, hinter die Agenda 2010 zurück zu wollen.

– Werden Sie nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die soziale Frage das Volk ohnehin nicht so stark interessiert. Vielmehr solle die SPD auf die Themen Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und die Bewältigung der Ausländerflut setzen. Stellen Sie diese Themen so lange und hartnäckig in den Vordergrund, bis die meisten glauben, dies seien wirklich die entscheidenden Fragen unserer Epoche – und argumentieren Sie im zweiten Schritt, sie müssten sich ja als Medien nach den Interessen Ihrer Leser richten. Erzeugen Sie eine Volksstimmung und behaupten Sie dann, diese nur widerzuspiegeln. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Leser und Zuschauer nach mehr Überwachungskameras und Auffanglagern für Flüchtlinge gieren, während sie an unbezahlbare Mieten und Hungerrenten keinen Gedanken verschwenden. Sollte es doch einmal unvermeidlich sein, ein soziales Thema aufzugreifen, appellieren Sie stets an die Eigenverantwortlichkeit der Systemverlierer.

– Lenken Sie das aggressive Potenzial des rechten Teils Ihrer Leserschaft auf Ausländer und jenes des linken Teils auf die Rechten. Beide sind dann beschäftigt, und wir können ungestört weiter unsere Geschäfte machen. Füttern Sie die AfD vorerst weiter an, indem Sie rechtsnationale und fremdenfeindliche Anschauungen als höchst beachtenswert präsentieren – nicht ohne sich im gleichen Atemzug halbherzig von ihnen zu distanzieren. Lassen Sie die AfD groß werden, auch weil das linke Mehrheiten im Bund zu verhindern hilft; aber lassen Sie sie nicht zu groß werden, damit unsere geliebten Verbündeten nicht durch europakritische Töne verstört werden. Es gibt immer noch Empfindlichkeiten im Ausland wegen der leidigen Sache vor 75 Jahren; aber in einem gewissen Rahmen ist es nützlich, den xenophoben Teil der Wählerschaft mithilfe einer rechtspopulistischen Partei in den Schoß des neoliberalen Projekts zurückzuführen. Dies scheint zu gelingen.

Machen wir weiter so. Alles ist auf einem guten Weg.

Mfg. Trutz Eichner, „Initiative Neue Soziale Eigenverantwortung“ (INSE)

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