Gleichberechtigung von Mann und Frau, Herz und Verstand, Mensch und Erde
In dieser kleinen Geschichte der Frauenrechte zieht die Autorin Bilanz über das Erreichte und das, was noch vor uns liegt.
Aus der Archäologie, Wissenschaft und Matriarchatsforschung wissen wir heute, dass bis vor etwa fünftausend Jahren die Menschen gleichberechtigt in friedlicher Kooperation in matrilinearen Sippen zusammenlebten. Mütter standen als Leben-Schenkende im Zentrum, wurden geschützt und geehrt. Aber sie herrschten nicht. Alle hatten ihre gleichwertigen Aufgaben und unterstützen sich gegenseitig. Während 95 % der Menschheitsgeschichte lebten die Menschen in dieser Freiheit mit den Geschenken und Widrigkeiten der Natur, in Verbundenheit mit Mutter Erde.
Erst das Wissen, dass vor den diversen patriarchalen Gesellschaften eine ganz andere Gesellschaftsordnung allgemein war, öffnet die Augen für eine differenziertere Betrachtung der menschlichen Kulturentwicklung und ebenso für die kulturbegründete Rolle der Frauen.
Heide Göttner-Abendroth
Erst als immer mehr Sippen sesshaft und Tiere zu Nutzvieh domestiziert und gezüchtet wurden, wurde die Rolle des Mannes bei der Fortpflanzung erkannt. Man sah, dass die eigene Stellung durch Anhäufung von Besitz und Reichtum erhöht werden konnte. So begann der Paradigmenwechsel in den Köpfen der Menschen. Die Wohlhabenderen und Stärkeren begannen, die Schwächeren (Frauen und Sklaven) als Eigentum zu betrachten. Die Herrschaft von Mensch über Menschen nahm seinen Lauf. Die Herrschenden nahmen sich immer mehr Rechte heraus, bis hin zu kriegerischen Landnahmen und Kolonisation. Die Unterdrückten mussten immer mehr aufgeben, um für die Vermehrung der Reichtümer der Mächtigen zu arbeiten.
Diese patriarchalen Strukturen bestehen bis heute in fast allen Lebensbereichen. Heute will ich aber besonders die Rolle der Frau im Patriarchat betrachten – in einem groben Überblick.
Was in den Köpfen der starken Männer begann und sich in ihren Handlungen manifestierte, begannen im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende auch die Schwächeren – und damit auch die Frauen – als naturgegebene Strukturen hinzunehmen. Frauen galten als Besitz der Männer, nicht nur die Ehefrauen! Frauen hatten keinerlei Rechte, unterstützten aber in ihrem Sein und der Erziehung ihrer Kinder mit Macht diese patriarchalen Strukturen.
Erst nach der «Aufklärung», seit dem 18. Jhd. traten bekundetermassen die ersten Frauenrechtlerinnen auf: Eine der ersten Feministinnen, die 1791 in Paris ausdrücklich in einer Deklaration staatsbürgerliche Rechte für Frauen forderte, war Olympe de Gouges. 1793 wurden jedoch die politischen Frauenvereine in Frankreich verboten und Olympe de Gouges noch im selben Jahr durch die Guillotine hingerichtet. Die Forderung der Französischen Revolution für «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» galt nicht für Frauen!
Aber: Das Bewusstsein der Frauen war geweckt! Immer mehr Frauen traten aus ihrem Hintergrunddasein hervor. Auch wenn es noch keine Bildungsstätten für Mädchen gab, verschafften sich immer mehr Mädchen und Frauen durch Hausunterricht und Selbstlernen Zugang zu Bildung und Kultur. Schriftstellerinnen, Musikerinnen und andere Künstlerinnen erlangten einen Bekanntheitsgrad. Eine Frauenbewegung in West-Europa und den USA entstand, mit Bildung von Vereinen und anderen Initiativen.
In England: Mit zäher Energie und wütendem Protest gelingt es der Suffragettenbewegung im frühen 20. Jahrhundert, das Frauenwahlrecht in England durchzusetzen. Für ihre Überzeugung traten Suffragetten in den Hungerstreik und riskierten ihr Leben.
In Deutschland: 1949 trat in Westdeutschland das Grundgesetz in Kraft. In Artikel 3 wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau garantiert. Für diesen Artikel hatten die Mütter des Grundgesetzes wie u.a. Elisabeth Selbert jahrelang gekämpft.
Viele andere mutige Frauen (und auch Männer!) wären im 20. Jhd. für ihr Eintreten für die Einhaltung der menschlichen Grundrechte zu nennen. In den 70er Jahren flammte der Feminismus, auch als Form des Ökofeminismus stark auf. Eine seiner aktivsten Verfechterinnen der Gleichberechtigung war Alice Schwarzer. Auch wenn ich gestehen muss, dass sie mir als Person nie sehr sympathisch war, ziehe ich doch mit grösstem Respekt den Hut vor ihrem Engagement, ihrer Tatkraft und dem Mut, mit dem sie für die Frauenrechte gekämpft hat. Am 3. Dezember konnte sie ihren 80. Geburtstag feiern. Gratulation! (Hier ein Kurzvideo und der ganze ARD-Zweiteiler)
Selbst wenn bis heute z.B. der Abtreibungsparagraph 218, gegen den sie massivst gekämpft hat, noch nicht abgeschafft wurde, hat sie für uns Frauen viel in dieser Richtung erreicht, u.a. dass dieser Paragraph immerhin abgemildert wurde und die Abtreibung nicht mehr kriminalisiert wird. Nicht nur für die politischen Rechte der Frauen hat sie sich ihr Leben lang eingesetzt, sondern vor allem auch für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, ihre Sexualität, ihr Liebesleben und die Fragen, ob und von wem und wann sie wie viele Kinder gebären wollen — was eines der Kernelemente der matriarchalen Gesellschaften war.
Auch wenn wir heute sagen können, dass sich die Situation vor allem der weissen Frau im globalen Norden wesentlich gebessert hat, befinden wir uns weiterhin in der Hoch-Zeit des Patriarchats. Die Frau ist sozusagen aufgestiegen in diesen Strukturen. Herrschaft von Mensch über Menschen, der digital-finanzielle Machtkomplex und die damit verbundenen Kriege gehen ungehindert weiter und werden auch von Frauen unterstützt. Kopf, Verstand und Wissenschaft sind wichtiger geworden als das intuitive Wissen, das «Herzwissen».
Der Mensch als soziales Wesen braucht ein WIR.
Der Ausweg aus diesem Dilemma lässt sich nur durch ein Aufwachen, Erkennen des falsch eingeschlagenen Weges und der Änderung im Denken, im Selbstdenken finden. Und immer wieder darüber reden! Selbstermächtigung und Selbstverantwortung für das eigene Leben im Einklang mit der inneren menschlichen Ethik. Freies Leben in dem Bewusstsein, dass Freiheit immer auch die Freiheit des anderen ist! In Eigenliebe und Nächstenliebe. In Fürsorge für sich selbst und für die ganze Menschheitsfamilie. In voller Gleichberechtigung von Mann und Frau in einer egalitären Gesellschaft.
Gute neue Gedanken könnten zur Verstärkung von Nachbarschaften oder zur Gründung oder Anschluss an eine schon bestehende Gemeinschaft führen. Der Mensch als soziales Wesen braucht ein WIR. Gemeinsam sind wir stärker und können den Widrigkeiten des Lebens trotzen und eine neue Welt erschaffen.
Noch ein Hinweis: Ein sehr guter Artikel von Doris Wolf Vom Ur-Matriarchat zur Diktatur des Patriarchats