Heimaterde, Vaterland – eine kritische Betrachtung
Es ist schon traurig, dass „Patriotismus“, dieser Ladenhüter der Geschichte, uns heute wieder beschäftigen muss. Eine Ausländerfeindlichkeit (fast) ohne Ausländer kann in Dresden und anderswo wieder Massen mobilisieren, Massen, die sich durch TIPP, Überwachungsstaat und Kriegshetze nicht hinter dem Ofen hervorlocken lassen. Und bei so viel falsch verstandener Liebe zum „Abendland“ versinkt auch die Sonne der Vernunft schnell hinter dem Horizont. Allerdings gibt es auch ein Heimatgefühl, das nicht verwerflich ist: ein liebevolles und aufgeklärtes Festhalten an Dingen, Orten und Menschen, denen wir – gewollt oder ungewollt – „zugehören“. (Roland Rottenfußer)
Keine Frage: Heimat gehört zu den Megatrends der letzten Jahre. Heimatkrimis boomen und ersetzen die sterilen Großstadt-Verbrecherjagden durch schöne Aufnahmen von Wald , Feld und Fachwerkhaus. Spreewaldkrimi, Bodenseekrimi, Taunuskrimi. Ich hoffe, meine Gegend kommt auch mal an die Reihe: Pfaffenwinkelkrimi. Ich gestehe, obwohl strenger sozialistischer Internationalist dem Trend teilweise erlegen zu sein. Die Naturfilmserien „Wildes Deutschland“ sowie „Wilde Heimat“ habe ich mit großem Vergnügen gesehen. Herrliche Naturaufnahmen von Wildschweinen, Bienenfressern und Murmeltieren nebst alten Burgen, Wasserfällen, Volkstänzen und – nun ja – Fachwerkhäusern.
Manchmal erwischt mich meine Frau auch mit einem peinlichen Heft unter der Bettdecke. Nein, kein Porno, eine Landzeitschrift: Liebes Land, Mein schönes Land, Landliebe. Dort gibt es jetzt um diese Jahreszeit die schönen Krokus-Titelthemen. Alternativ: Das Schneeglöckchen-, Winterling- oder Märzenbecher-Titelthema. Nebst Bärlauchrezepten und „Wie häkle ich mir hübsche Ostereier-Häubchen.“ Keine Autos, Maschinen und Computer, statt dessen Bauerngärten vor – Fachwerkhäusern. Ehrlich, ich mag das. Ich mag die Atmosphäre des „Konservativen“, wenn damit das Bewahren des Zeitlosen und Schönen verbunden ist, abseits jeden profitgetriebenen Innovationszwangs. Vor allem mag ich Natur. Ich sehe nicht ein, mich als Linker danach sehnen müssen, in Hamburg Altona zu wohnen, zwischen Beton, Graffiti, Fastfoodläden und von den letzten Straßenschlachten der „autonomen Szene“ vermüllten Hochbahn-Unterführungen. Freilich hat auch die Großstadt ihren Reiz – ich bin Münchner – aber der Seele tut sie, trotz politisch meist aufgeklärterer Bewohner, nicht ausschließlich gut.
Fachwerkhäuser, ja – Hurra-Patriotismus, nein
Ich bitte, mich deshalb nicht miss zu verstehen. Ich bin strikt gegen Nationalismus und dummstolzes Fahnenschwenken zu Fußball-WM-Zeiten. Wenn Mainstreammedien, etablierte Politik und Werbeindustrie ein Event bis zum Überdruss hypen und das gesunde Volksempfinden beschwören, das sich nun endlich wieder traut, sich zu den eigenen nationalen Symbolen zu bekennen, habe ich das unwiderstehliche Bedürfnis, mich der Teilnahme zu verweigern. Ich verbarrikadiere mich dann vor den trötenden Fans in meinem Büro und verfasse finster grummelnd einen Anti-Fußball-Artikel. Oder einen gegen Patriotismus. Was bedeutet schon „Normalität“, wenn es um den grassierenden Wahn eines übertriebenen Nationalstolzes geht? Wie sollen wir Deutschen denn (wieder) werden, nachdem so viel Zeit seit dem bedauerlichen Zwischenfall namens Hitler vergangen ist? Etwa so wie die „gesünderen“, von Selbstzweifeln weniger angekränkelten Völker: die US-Amerikaner etwa, die ihre Fahne mit ergriffenem Blick, die Rechte zur Brust genommen, ansingen?
Ich habe Selbstzweifel schon immer für das Gesündere und Ehrlichere gehalten, nicht nur wegen der Nazi-Vergangenheit, sondern auch wegen der Fehler und Verbrechen deutscher Regierungen heute – unterstützt von der Mehrzahl der Wähler. Ja, wenn ich überhaupt auf etwas stolz gewesen bin als Deutscher, dann vor allem auf unseren Mangel an Nationalstolz, auf unsere Gebrochenheit in Folge der schrecklichen Schuld unserer Vorfahren, die viele von uns – endlich einmal – zur Einkehr zwang, zur Bescheidenheit, zum Versuch einer realistischen Selbsteinschätzung. Bei aller Selbstkritik muss man einräumen, dass es in anderen Länder – etwa Japan, Russland oder die USA bezüglich der Aufarbeitung der eigenen Kriegsverbrechen noch stärker hapert. Aber auch in Deutschland neigt sich die Ära des berechtigten Selbstzweifels bereits ihrem Ende zu. Nicht nur dass „Fußballballdeutschland“ grölend der schwarz-rot-goldenen Normalität frönt; Deutsche zerbomben auch schon mal in Afghanistan Zivilisten, Frauen und Kinder oder diktieren zuvor freien Völkern wie den Griechen ihre Bedingungen: Geld für die Banken, Verelendung für die Bevölkerung.
Pauschale Selbstbeschimpfung macht keinen Sinn
Freilich macht undifferenziertes deutsches Selbst-Bashing ebenso wenig Sinn. Wir leben ja nicht auf einer Insel des Schreckens in einem Meer von Vernunft und Menschlichkeit. Es kann auch negativer Nationalstolz und verdrehte Eitelkeit sein, darauf zu bestehen, dass das eigene Land für alle Zeiten das schlimmste der Welt sei. 1933-1945 ja, aber gilt das heute auch noch? Der verbrecherischen Kumpanei mit dem neuen Herrenvolk der USA und den Profitinteressen der Industrie stehen auch positive Ansätze gegenüber: ein relatives Umweltbewusstsein, weitgehende Meinungsfreiheit, kein gottesstaatlicher Fanatismus… Ein gemischtes Bild bietet sich. Und nicht weil Deutschland so großartig ist, sondern weil sich ringsumher fast überall empörende Menschenrechtsverletzungen und gefährlicher Wahn zeigen, macht es nicht viel Sinn, „deutsch“ quasi wie ein Schimpfwort zu benutzen (wie es speziell bei linken “68ern” noch teilweise reflexartig geschieht). Warum genau sollte der Begriff „Antideutscher“ im Kern weniger schäbig und diskriminierend sein als „Antisemit“ oder „Antiamerikaner“? Aufgeklärtheit und Menschlichkeit zeigen sich nicht, indem man statt anderer Völker nun das eigene pauschal diffamiert; vielmehr sollte pauschale Diffamierung komplett aus dem Verhaltensrepertoire verschwinden.
Die richtige Mischung zwischen einer auf- und abgeklärten, kritischen Haltung dem eigenen Land gegenüber und der Liebe zu gewohnten Dingen, die einem unweigerlich ans Herz wachsen, hat – wie so oft – der geniale Reinhard Mey gefunden. In seinem Lied „Mein Land“ schreibt er:
Ich bin, wie ich bin, eines deiner Kinder,
Wir beide haben uns nicht ausgesucht.
Du hast mich oft geschulmeistert, nicht minder
Oft habe ich deine Heuchelei verflucht.
Ich kann dich nicht, die Hand auf‘s Herz, ansingen,
Den Blick zur Fahne, und ein Wort wie stolz
Kann ich mir auch mit Mühe nicht abringen –
Dummheit und Stolz sind aus demselben Holz!
Schön gesagt. Reinhard Mey bedient sich in seinem Lied der Metaphorik „Vater/Mutter“ und „Kind“. Ist nicht dies schon irreführend? Ist es nicht besser, jeglichem Kollektivismus, eine Absage zu erteilen? Damit sowohl der Kollektivschuld – also der Annahme, dass ein 50-jähriger deutscher Antifaschist und ein zweijähriges deutsches Mädchen für die Verbrechen der Nazis haftbar gemacht werden sollten – als auch dem Kollektivverdienst: Wir sind Papst. Wir sind Schweinsteiger. Wir sind Beethoven. Das ist Unsinn. Wir „sind“ entweder ganz tapfer auch Hitler, oder wir enthalten uns völlig derartiger Verallgemeinerungen. Es ist ja schon immer „hohlköpfige Zweckpropaganda“ (Bertolt Brecht) gewesen, wenn die wirklich relevanten Gegensätze, etwa die zwischen Arm und Reich, vertuscht wurden durch das Hochspielen irrelevanter und konstruierter Gegensätze. Jeder Schuss ein Russ‘, jeder Stoß ein Franzos‘, hieß es während des Ersten Weltkriegs, und arme Schweine, Arbeiter und Unterdrückte aus Deutschland, Russland und Frankreich rammten einander im Namen des Vaterlands das Bajonett zwischen die Rippen.
Am Vertrauten hängen ist menschlich
Ich bin gegen Dummheit, Grausamkeit, gegen Militarismus und ich bin gegen Nazis. Ich bin nicht gegen den Rothirsch und den Eichenbaum, nicht gegen ein Gedicht von Eichendorff oder eine alte Mühle am Wildbach. Gerade wer das Glück hat, in einer schönen Landschaft zu leben, weiß, dass eine gewisse Liebe zu den schönen Dingen der nahen Welt nicht nur erlaubt, sondern geradezu unvermeidlich ist. Wäre es anders, müsste man sein Herz künstlich verschließen. Reinhard Mey hat das auch zugestanden:
Ich hänge an den Menschen, die hier leben,
An Orten, an mancher Begebenheit,
Um die meine Erinn‘rungen sich weben,
An deiner Schwermut, deiner Sprödigkeit.
In der Regel sind es Landschafts- und Architekturformen, sind es Gerüche, bestimmte Essgewohnheiten, sind es vor allem liebe Menschen, die für uns Heimat bedeuten. Das kann der in jedem Wirtshaus erhältliche Apfelstrudel oder die Halbe Helles sein, die man am Markt in Marrakesch nun mal nicht kriegt. Die kleine Schlucht direkt beim Industriegebiet, die im März mit blauen Leberblümchen übersät ist. Oder einfach die Sprache der Region mit ihren Klängen und witzigen Ausdrucksformen. Und gerade wenn das eigene Umfeld politisch betrachtet „feindlich“ scheint (ich weiß als Bayer, wovon ich rede), ist es die Widerstandskultur dagegen, die einem Halt, Kraft und ein Gefühl von Heimat geben. Man liebt „seinen“ Bioladen, das kleines Alternativcafé, in dem kritische Vorträge über Geldordnung und Umweltschutz veranstaltet werden. Man liebt die großen und kleinen Helden seiner Heimatregion: von der Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ über Konstantin Wecker und Gerhard Polt bis zum knorrigen Alt-Anarchisten von nebenan, der seit Jahrzehnten mit tapferer Vergeblichkeit gegen CSU und Kirche wettert. „Meine Heimat seid auch ihr“, rief Konstantin Wecker seinem Konzertpublikum im Lied „Das deutsche Phänomen“ zu.
„Ein ganzes Land als Vater“?
Heimat kann auch außerhalb Deutschlands sein, entweder weil die Landschafts- und Sprachformen dort sehr ähnlich sind (für mich ist Österreich erweiterte Heimat), oder weil man sehr oft dort war und beglückende Erlebnisse gesammelt hat. Für mich lösen die Toscana und La Palma heimatliche Gefühle aus. Teilweise kommt dies schlicht durch Wiederholung von Eindrücken zustande, durch Gewöhnung daran. An bestimmten Orten kennt man „jeden Stein“ und jeden Geruch, auch wenn man nicht dort aufgewachsen ist. Aufgeklärte Heimatliebe respektiert nicht nur „andere Heimaten“, sie ist auch offen für Geborgenheiten an ganz anderen, oftmals vielleicht für einen selbst überraschenden Orten. Immer ist „Liebe“, was Heimat betrifft, das bessere Wort im Vergleich zu „Stolz“. Weil Liebe in ihrer Reinform Hingabe ist, Stolz aber Selbstüberhöhung mit der Gefahr, Nicht-Zugehöriges abzuwerten. Immer ist die Liebe zum unmittelbar Gesehenen und Erlebten ungefährlicher als die Anhaftung an das kulturelle Konstrukt „Vaterland“.
Auch von Konstantin Wecker gibt es ja mehrere Lieder zum Thema. In einem davon heißt es: „Ein ganzes Land als Vater war schon immer eine Lüge“. Man erhebt ein Staatsgebiet zum Fetisch, von dem man die meisten Teile noch nicht einmal mit eigenen Augen gesehen hat. Man erklärt den semmelblonden Kontrollfreak von nebenan mit dem deutschen Pass zum Teil der „eigenen“ Gruppe, während der schwarzbärtige, sehr herzliche Gemüsehändler türkischer Herkunft nicht „zu uns“ gehört. Freilich ist die Sprache, sind Bräuche und gemeinsam gelebte Geschichte unweigerlich verbindend. Sie verbinden mich mit Neonazis und Nahrungsmittelspekulanten deutscher Nationalität. Sie trennen mich von Menschen anderer Herkunft und Sprache, egal wie sehr ich sie liebe: Jaques Brel, Marc Chagall oder der Sufi-Meisterin Rabia von Basra, auch von meinen Brieffreunden anderer Nationalitäten. Und doch sind die genannten für mich mehr „Heimat“ als beliebige, mir im Grunde sehr fremde Deutsche. Heimat, das ist etwas, das uns als Objekt von Liebe, aber durchaus auch als Quelle von Leid, unmittelbar berührt; Vaterland ist das Ergebnis von Grenzziehungen aufgrund von oft gewalttätigen politischen Prozessen in der Vergangenheit. Vaterland, das bedeutet oft nur, dass eine Gruppe von Menschen über Jahrzehnte von denselben Politikern verarscht und unterdrückt wurde, während dies jenseits der Grenze – z.B. in Österreich – andere Politiker tun.
Zugehörigkeit – das Eigene lieben, ohne Fremdes zu hassen
Besser noch als „Heimatliebe“ gefällt mir ein Wort, das der italienische Liedermacher Pippo Pollina – übrigens auch Teil meiner geistigen und seelischen Heimat – gefunden hat: „Appartenenza“ – Zugehörigkeit. Ich gehöre ohne Zweifel zu meiner Frau. Ich gehöre ins „linke Lager“ und zu den spirituellen Menschen. Ich gehöre zu den Liedern, die mich bewegt haben, zu meinen Lieblingstieren und zur vegetarischen Ernährungsweise. Ich gehöre zu meinem Ursprungsort Gräfelfing mit meinem Elternhaus und zu meiner jetzigen Heimatregion, dem Pfaffenwinkel. Ich gehöre in gewisser Weise auch zu Deutschland (wie der Islam übrigens auch). Aber indem ich sage: „ich gehöre“, vermeide ich jedes auftrumpfende „Ich bin besser als du“, jeden Versuch, meiner Zugehörigkeit den Anschein des objektiv Überlegenen zu verleihen. Freilich kann ich der Meinung sein, die linke Weltanschauung sei die beste von allen. Dies untermauere ich aber mit Argumenten, ich behaupte nicht einfach, die betreffende Gruppe sei überlegen, weil es meine Gruppe ist. Gerade der Fetisch „Vaterland“ wurde oft mit der Stigmatisierung dessen, der ihm nicht huldigt, zum „Verräter“ verbunden.
Die falsche Heimat- und Vaterlandsliebe hat Erich Fromm auch als „gesellschaftlichen Narzissmus“ bezeichnet. Fromm führt in seinem Buch „Die Seele des Menschen“ auch ökonomische Gründe für diese kollektive Eigenliebe, diesen Narzissmus an: „Eine Gesellschaft, die nicht die Mittel besitzt, für die meisten ihrer Mitglieder oder doch für einen großen Teil derselben ausreichend zu sorgen, muss diesen Menschen zu einer narzisstischen Befriedigung von der bösartigen Art verhelfen, wenn sie keine Unzufriedenheit bei ihnen aufkommen lassen will. Für die wirtschaftlich und kulturell Armen ist der narzisstische Stolz, der Gruppe anzugehören, die einzige – und sehr wirkungsvolle – Quelle der Befriedigung.“ Dies lässt aufhorchen, wenn man erlebt, wie Fahne schwenkender Brüll-Nationalismus derzeit nicht nur wieder „im Volk“ aufbrandet, sondern auch explizit von Politikern und Medien gefördert wird.
Nationalstolz ist kollektiver Narzissmus
Als negatives Beispiel für nationale Größenfantasien, die aus dem Gefühl der Kleinheit erwachsen, nennt Fromm auch die amerikanischen Südstaaten: „Diese rückständige, in Deutschland wie in den Südstaaten wirtschaftlich und kulturell benachteiligte Klasse ohne begründete Hoffnung auf eine Änderung ihrer Situation (…) kennt nur eine Befriedigung: das aufgeblähte Bild ihrer selbst als der wunderbarsten Gruppe der Welt, die sich einer anderen rassischen Gruppe, welche als minderwertig hingestellt wird, überlegen fühlt.“ Hierbei denkt man unwillkürliche an die neudeutsche Islamfeindlichkeit, wie sie europaweit und mittlerweile auch bei uns von „Abendlandverteidigern“ auf die Straßen getragen wird. Statt der „Rasse“, die im Mund zu führen sich nach den Erfahrungen vor 1945 kaum noch jemand traut, ist nun die Religion Hauptangriffspunkt. Diese Art von „Stolz“ auf das Eigene tritt fast nie auf, ohne dass gleichzeitig etwas anderes, nicht-eigenes gehasst und herabgesetzt wird.
„Mangel an Objektivität und vernünftigem Urteilsvermögen“ sieht Erich Fromm als Hauptmerkmal der Pathologie des gesellschaftlichen Narzissmus an. „Wenn man die Beurteilung der Neger durch die weiße Bevölkerung oder die der Juden durch die Nazis überprüft, erkennt man ohne weiteres die Verzerrung dieser Urteile. Ein paar Körnchen Wahrheit werden zusammengefügt, aber es entsteht ein Mosaik von Fälschungen und Lügen“. Besonders interessant ist dieser Abschnitt, weil er zugesteht, dass negative Geschichten über „Ausländer“ ja durchaus im Einzelfall auf Wahrheit beruhen können. Es macht keinen Sinn, wenn die internationalistische Linke jeden Migranten zum Heiligen hochstilisiert und Kritik am Fehlverhalten einzelner Einwanderer grundsätzlich in die Nähe von Neofaschismus rücken. Die Art, wie solche Migrantengeschichten gesammelt, mit anderem Material zusammengefügt und bewertet werden, wie gleichzeitig nicht ins Bild Passendes geleugnet wird, ergibt jedoch ein „Mosaik von Lügen“, beruhend vielleicht durchaus auf ein paar wahren Einzelbeobachtungen. Es ist beschämend, dass eine derart durchsichtige Psychodynamik im Deutschland der Sarrazin- und Pegida-Ära nochmals auf breiter Front Fuß fassen konnte.
Im Widerstand Heimat finden
Ich verstehe daher gut, dass die Liedermacherin Anna Depenbusch in ihrem schönen „Heimat“-Lied grüblerische Einschränkungen vornimmt, wenn sie ihr Zuhause lobt:
Ich hab sie so oft verflucht,
zu leugnen versucht,
gemieden immer mehr –
jedes Mal fehlt sie mir.
Weil ich hier her gehör,
ob ich will oder nicht.
Es ist immer dieses „ob ich will oder nicht“, das man sich vor Augen halten sollte. Zugehörigkeit ist keine Schande, Liebe zu vertrauten Landschaftsformen, Kulturerzeugnissen und Menschen auch nicht. Nur zu Dummstolz und Hurra-Patriotismus besteht heute wie vor 80 und vor 100 Jahren kein Anlass. Wer seinem Land – wie es wohl für denkende Menschen unvermeidlich ist – kritisch begegnet, sollte aber gerade wegen dieser erkennbaren Schattenseiten nie vergessen, diejenigen zu würdigen, die sich, anstatt wegzulaufen, in ihrer Heimat dem Unrecht widersetzen. Heimat können wir auch im Widerstand finden gegen die gefährlichen Verdummungsversuche der „Vaterländer“. Reinhard Mey geißelt in seinem Lied an einer Stelle die Heuchelei der Politiker. Dann fährt er fort:
Und die, für die zu sprechen sie vorgeben,
Steh‘n ungefragt und überseh‘n am Rand
Und halten dich mit ihrem Mut am Leben,
Mein Mutterland, mein Vaterland, mein stummes Land.
(Am Montag lesen Sie an dieser Stelle von Roland Rottenfußer: “Auslaufmodell Toleranz”, ein Beitrag zur Sarrazin-Debatte, dem es auch heute nicht an Aktualität mangelt.)