Heinz Ratz: Der Bus nach Nirgendwo
Der Liedermacher und Schriftsteller Heinz Ratz (Strom & Wasser), der vor allem auch durch einen besonderen Form des Aktivismus hervorgetreten ist, hat viele schöne Gedichte geschrieben, von denen etliche nicht vertont wurden. Dieses Gedicht ist ein Statement gegen Stagnation und Resignation, in das viel mehrdeutige und auch eindeutige Alltagsbeobachtungen eingewoben sind.
Ich kriege von den täglichen Dingen
sehr wenig mit, muß ich gestehen.
Wenn überhaupt muß ich mich zwingen,
mal in den Stern oder Spiegel zu sehn.
Ist deprimierend, was man so liest:
bestenfalls sei der Mensch ein Idiot!
Meist sei er abwechselnd Bestie und Biest
und quält sich sehr erfinderisch tot.
Doch sah ich ‘ne Werbung – sogar für mich
unübersehbar und wirksam. Man warb
nicht mit dem üblichen „Wir brauchen Dich!“,
man warb den Sterbenden, bevor er starb.
„An alle diejenigen, die nicht mehr können,
nicht lieben und sich nicht lieben lassen,
die nur noch glühen, die nicht mehr brennen,
ihr solltet den letzten Bus nicht verpassen!“
Steigt in den Bus nach Nirgendwo!
Mit Ledersitzen und beheiztem Klo!
Vergeßt dort alles! Werdet dort froh!
Steigt in den Bus nach Nirgendwo!
Steigt in den Bus nach Kommtnichtan!
Hier sitzen friedlich Frau und Mann.
Sie fühlen nichts, sehn sie sich an.
Steigt in den Bus nach Kommtnichtan!
Steigt in den Bus nach Sinnlossein!
Das Herz legt ab und nehmt den Stein,
Er tut nicht weh, ist man allein.
Steigt in den Bus nach Sinnlossein!
Steigt in den Bus nach Kreisverkehr!
Vertrauen? Ne Insel! Verrat ist das Meer!
Ihr habt geblutet. Jetzt fühlt ihr euch leer.
Steigt in den Bus nach Kreisverkehr!
Wie kann man so werben, dachte ich blass,
mit Endhaltestellen und Resignation!
Nicht mal Verzweiflung, nicht einmal Hass,
nur Stillstand und Müdigkeit. Wer will das schon?
Ich lief in Gedanken durch meine Stadt Kiel,
sie füllte sich stetig, tja, Einkaufszeit!
Doch merkte ich plötzlich: es war‘n viel zu viel
Menschen – und alle schienen reisebereit.
Sie standen Schlange. Geduldig. Wie Vieh.
An den Bushaltestellen. Standen und schwiegen.
Ein Mann nickte müde: „Wollen auch Sie?
Es ist nicht ganz einfach, noch Plätze zu kriegen!“
Wo kommen die alle her? Und warum?
Schmeckt euch das Leben nicht? Mischt es doch neu!
Sie sehen mich mitleidig an. Und stumm
zeigt ein Mann auf den Plan. Der Bus kommt um drei!
Seit Tagen das gleiche Bild auf den Straßen.
Allmählich leer‘n sich die Viertel der Stadt.
Verlassene Kinder bevölkern den Rasen
des Schrevenparks und der Mond ist schachmatt.
Auch Du hast versagt, lieber Mond, sie haben
nicht mitgeträumt im Glanz Deines Lichts.
Die Sehnsucht, die Lieder – sie liegen begraben
in den müden Falten ihres Gesichts.
So viele Freunde sind eingestiegen.
Halt mir, Geliebte, die Augen zu.
Als ich geflucht hab, hast Du geschwiegen.
Nun hab ich Angst: zweifelst auch Du?
Was tat euch das Leben? Es hat nichts versprochen.
Es ist niemals leicht, aber immer ist‘s bunt.
Ihr seid nur geschwächt. Ihr seid nicht gebrochen.
Steigt nicht in die Busse. Ihr habt keinen Grund!
Steigt nicht in den Bus nach Nirgendwo!
Mit Ledersitzen und beheiztem Klo.
Nur zu vergessen, macht euch nicht froh!
Steigt nicht in den Bus nach Nirgendwo!
Steigt nicht in den Bus nach Kommtnichtan!
Zwar sitzen hier friedlich Frau und Mann.
Doch für immer getrennt. Und ums kommt dann?
Steigt nicht in den Bus nach Kommtnichtan!
Steigt nicht in den Bus nach Sinnlossein!
Tauscht nicht euer Herz mit einem Stein.
Ein Stein schließt euer Leid nur ein!
Steigt nicht in den Bus nach Sinnlossein!
Steigt nicht in den Bus nach Kreisverkehr.
Auch ein verletztes Herz kann sehr
schöne Blüten tragen, nichts leuchtet mehr
als das trotzige Feuer eurer …
lebenslustigen,
lebensdurstigen,
schillernd scheinenden,
Trübsal verneinenden,
wolkenverjagenden,
Ja zu euch sagenden
… Wiederkehr