Im Flow sein
Ein Modewort? “Flow” ist ein schöner Begriff für einen wünschenswerten Seelenzustand, den die meisten von uns zum Glück immer wieder mal erleben. Er ist nicht identisch mit “Entspannung” oder “Meditation”, weil man gerade auch während gelungener Arbeitsphasen im “Flow” sein kann. Beim Schreiben ist der Zustand sogar typisch. Kinder, so schreibt Wolf Schneider hier, sind öfter im “Flow”, also selbstvergessen und ganz im Augenblick. Daran knüpft der Autor, wie so oft in diesem Blog, Betrachtungen zu vermischten Themen, hier z.B. über den Krieg. Wolf Schneider, connection
Meine Eltern haben mich Wolf genannt. Wenn ich diesen Namen rückwärts lese, bedeutet er Flow. Das hatten meine Eltern wohl kaum im Sinn, als sie mir diesen Namen gaben. Heute muss ich schmunzeln bei dem Gedanken, dass sie das, was sie zu Lebzeiten an mir so erschreckte – das Mystisch-Ekstatische – mit meinem Namen damals unfreiwillig schon irgendwie mitmeinten.
Ich bin also im Flow, haha, ungefähr so wie Mihály Csíkszentmihályi das meinte: eingetaucht in mein Tun und Sein, selbstvergessen dem Objekt meiner Zuwendung hingegeben. Was den Flow-Zustand von dem der Meditation unterscheidet, das soll diesmal Thema meines Blogeintrags sein.
Außen im Flow, innen ekstatisch
Mein 13-jähriger Sohn, mit dem ich jetzt in Greven zusammenlebe, kann völlig in seinem Tun aufgehen. Still nach innen lauschen? Das eher nicht. Sein ganzes Sein und Tun geht nach außen. Wenn da draußen ’nix los ist’, langweilt er sich. So sind Kinder eben, ihre Energie geht nach draußen, hin zur Entdeckung der Welt. Innerlich noch nicht auf eine Identität festgelegt, wollen sie sich mit etwas da draußen identifizieren, dann ist das Leben spannend. Im besten Falle sind sie bei dieser Hinwendung im Flow.
Da draußen aber kann man nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren. So richtig sich die Suche dann irgendwann auch nach einem Ruhepol aus. Da es den draußen nicht gibt, sucht man den dann innen. Im Alter von 23 fand ich auf diesem Weg in einem Vipassana-Kloster in Thailand die innere Ekstase. So mächtig war dieser Sog nach innen, dass ich daraufhin buddhistischer Mönch wurde.
Heute schätze ich beides: die Hingabe an ein Projekt oder einen Menschen außerhalb von mir; ebenso wie das ekstatische Einfach-so-Sein bei der Einkehr nach innen.
Wachheit
Was nicht heißen soll, dass ich immer im Flow oder ekstatisch wäre. Ich bin auch manchmal unentschieden, orientierungslos, wütend, ängstlich, traurig oder verwirrt. Und beobachte mich dabei: Aha, so ist das jetzt! Mein Fokus ist so wunderbar flexibel. Ich kann mich so vielem zuwenden, innen wie außen, und darin aufgehen. Und die Grenze zwischen innen und außen ist so schön durchlässig: Wenn ich wach genug bin, kann ich entscheiden, was ich von außen nach innen reinlasse und von innen nach außen ausdrücke. Und was, wenn ich nicht wach genug bin? Dann kann ich dieser Unfähigkeit zuschauen, auch das ist eine Art von Wachheit.
Verbunden sein
Um mich herum sind nicht nur meine Familie, mein Freundes- und Bekannntenkreis, mein Haus und Garten und meine lokale Umgebung im Ort, an dem ich lebe, mit den dortigen Menschen. Drumrum die ganze Gesellschaft. Zunächst die Welt, die ich mit meinen Sinnen erfahre. Weiterhin auch die Welt, über die ich aus verschiedenen Quellen höre (per gesprochener Worte) oder sehe (lesend, Filme anschauend); also auch das sinnlich, aber indirekt, über bedeutsame Zeichen. So bin ich verbunden mit allem, bis hin zu … ja, zur flowmäßigen Auflösung darin. Und dann zur Rückkehr zum Ich, zu mir selbst, der das alles wahrnimmt. Der es selektiv wahrnimmt. So wie jedes Tier die Welt anders wahrnimmt, wegen so anderer Sinnesorgane und ebenso jedes menschliche Individuum, wegen so verschiedener Charaktere. Und doch sind wir alle in diesem Ganzen miteinander verbunden.
Antenne sein
Nach den mehr als vierzig Jahren, die ich mich nun mit Selbsterkenntnis befasse und kathartisch lösend mich heile, ist die Bedeutung meiner individuellen Biografie für mein emotionales Glück und das Gelingen meines persönlichen Lebens immer weniger wichtig geworden. Zugenommen hat meine Rezeption kollektiver Prozesse, für die ich Antenne bin. Von meinem Gegenüber nehme ich empathisch auf, was da ist, damit fängt es an. Aber auch das Drumrum nehme ich in mich auf, die ganze Gesellschaft, die ganze Welt; das »erweiterte Selbst«, wie Joanna Macy es nennt. Das bringt Glück, und es bringt Schmerz. Seit der Pandemie, dem Ukrainekrieg und dem nicht nachlassenden Katastrophenkurs der Weltzivilisation bringt diese Erweiterung tendenziell mehr Schmerz.
Aber auch hierbei ist meine Wahrnehmung selektiv. Falls ich dazu wach genug bin, kann ich den Filter einstellen und wählen. Kann mich mehr auf Dankbarkeit fokussieren – kann dankbar sein für das Glück der erfahrenden Schönheit und Verbundenheit. Und kann, gestützt auf die Dankbarkeit, dann auch den empfundenen Schmerz wertschätzen als Zeichen meiner Sensibilität für die Zerstörung, die ich fähig bin wahrzunehmen und auszuhalten ohne dabei zu kollabieren.
»Mein Name ist Krieg«
Bei Spaziergängen im Wald und am Wasser tanke ich auf, ebenso beim Anblick glücklicher Menschen und empfinde Dankbarkeit. Andererseits ist Krieg inzwischen wieder ein ganz normales Thema unserer Tagesnachrichten geworden, und das sind nicht mehr nur die Kriege in fernen Ländern. Beim Ukrainekrieg sind wir Deutschen sogar noch mehr daran beteiligt als im Afghanistan-Krieg, der »unsere Demokratie am Hindukusch zu verteidigen« beanspruchte.
Aus Verzweiflung über die Rückkehr des Krieges hat mein Journalistenkollege Bobby Langer ein Gedicht geschrieben, voll bitteren Spottes, in dem er auf seine Weise diesen Schock verarbeitet.
Aber auch weiter weg von uns bekriegen sich Weltanschauungen, Ethnien und Religionen. Aktuell ist der Angriff Aserbaidschans auf armenisches Territorium hinzugekommen; die Armenier in Nagorny-Karabach haben diese Enklave daraufhin fluchtartig verlassen. Und ich denke: Was für ein Pech, in den vergangenen 200 Jahren in Kurdistan oder Armenien geboren zu sein! Auch die Polen haben in dieser Zeit Vergleichbares erlitten. Wäre es da nicht besser, diesen ganzen Länderscheiß zu lassen und sich gemeinsam als Weltbürger zu erklären? Einerseits ja. Andererseits brauchen wir acht Milliarden Bewohner dieses Raumschiffs jedoch kleinere Verwaltungseinheiten. Die gut zu designen wäre die Aufgabe.
Emilia Fester und das Bismark-Gebrüll
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (rnd) hat emilia Fester getroffen, die jüngste Bundestagsabgeordnete. Sie ist für die Grünen im Bundestag und befasst sich in diesem Interview mit den Zukunftsängsten von uns Deutschen und speziell der jungen Generation, die auch mir im Bachelor of Being am Herzen liegt.
Was mir hier besonders auffiel, ist das Quiz, dem sie sich da ausgesetzt hat. Auf die Frage, wann Bismarck zum Reichskanzler ernannt wurde, wusste sie die Antwort nicht und erntete dann von politisch rechts Stehenden ein höhnisches »Bismark-Gebrüll«, wie sie es nannte.
Das hat mich zu der Frage geführt, was Quiz-Sendungen (z.B. »Wer wird Millionär«) von uns verlangen. Was genau wird da eigentlich abgefragt? Mein Eindruck: Wer kulturell optimal vom Mainstream gebrainwashed wurde – Konformisten nennen es »gebildet« – der punktet dort am besten. Das ist nicht die Art von Bildung, die ich schätze.
»Unwertes Leben«
Nun kommt wieder der Winter, mit den neuen Covid- und Impfdebatten und was ‚wir tun müssen, um Leben zu retten‘. Habt ihr die Särge auf den LKWs bei Bergamo noch in Erinnerung? Ja, das meine ich. Die Angst, die Alten sterben zu lassen, weil sie nicht geimpft sind und Covid umgeht, so wie einst die Pest. Und die Angst, dass Triage drohen würde – die Entscheidung, wer im Falle begrenzter Ressourcen am Leben erhalten werden kann. Triage drohe, heißt es, wenn wir nicht genug tun, um dieser Gefahr Einhalt zu bieten.
Triage gibt es jedoch längst. Für die Kosten von drei Monaten Verlängerung eines nicht mehr würdevollen Lebens auf der Intensivstation oder im Koma könnte hunderten, wenn nicht tausenden von Kindern in der Sahelzone eine medizinische Grundversorgung ermöglicht werden + Schulbesuch + Ernährung. Diese Triage gibt es längst, ohne die Ethik dieser Entscheidung auch nur in Frage zu stellen. Wenn jemand dann doch mal wagt, das anzusprechen, kommt die Keule »Pfui, das ist ja Euthanasie! So wie bei den Nazis!« Dabei ist die Entscheidung, dass die Kinder in der Sahelzone »unwertes Leben« sind, längst getroffen. Unser Wirtschaftssystem hat diese Entscheidung getroffen.
Grenzüberschreitend schreiben
Grenzüberschreitend denken und grenzüberschreitend schreiben, das ist mein Anspruch. Es gibt ein Publikation, für die ich lange geschrieben habe und dafür viel Anerkennung bekam, bis sie mich bat, das Wort »Mainstream« in meinen Texten nicht mehr zu verwenden. Ich habe es dann umschrieben. Das hat mich jedoch nicht vor der Ausweisung aus der Autorenschaft bewahrt, denn meine Texte zeigten, dass ich abtrünning war. Übrigens hatte die Redaktion nie den Mut, den Grund meiner Ausweisung zu nennen, obwohl ich mehrfach danach fragte; mir aber war es aus dem Kontext klar. Vielen Journalistenkollegen ist es ebenso ergangen, mit oder ohne Nennung des Grundes. Auch einigen, die wie ich sich bemühten transnarrativ zu schreiben: Du hast deine Geschichte, dein Narrativ, deine Bubble, in der du beheimatet bist; ich habe die meine. Frieden gibt es nur jenseits unserer Echokammern, im Raum hinter den Erzählungen. Im Ami-Land nennen sie die Überbrückung der das Land spaltenden Kluft etwas enger gefasst ‚bipartisan‘.