Kettensägen und Magnolien

 In FEATURED, Philosophie, Politik, Spiritualität, Umwelt/Natur

Vieles im Alltag gleicht dem Lärm ohrenbetäubender Kettensägen, doch jeder kann den Blick für das Hoffnungsvolle stärken. Teil 1. Sehr viele Menschen glauben an unser gegenwärtiges System. Doch dadurch geben sie sich auch mit allen „Werten“ desselben zufrieden. Wir ackern, schuften und schaufeln uns unser eigenes Grab, statt Blumen zu säen und uns an ihren Blüten zu erfreuen. Dass immer mehr Menschen aufwachen, weil sie die systematische Unterdrückung durch das herrschende System spüren, macht Hoffnung. Darin liegt die Keimzelle für ein künftiges Erwachen. Wir werden den nackten Kaiser unter seinen vermeintlich schönen Kleidern erkennen. Shabi Alonso

Das Wort Kettensägen-Massaker begegnete mir erstmalig als Wortschöpfung im Englischen. Rund um die Jahrtausendwende kam ein Film mit dem Namen „The Texas Chainsaw Massacre“ in die Lichtspielhäuser. Ich sah den Film damals sogar in einem Filmtheater. An dem Abend lief der Film in der sogenannten „Sneak Preview“. Allein diese englische Wortkonstellation lässt bei einigen Filmfans das Adrenalin in die Höhe schnellen. Denn das bedeutete einen Abend, an denen man sich überraschen ließ. Abende, an denen vergeudete, gute oder sogar grandiose Zeit herauskäme.

Die schönste Version bei einer solchen Sneak Preview war — und dürfte es auch noch sein —, wenn Moral und Anspruch mit einer kleinen Brise aus Feuer, Haut und Tanz zusammen kamen. All das traf auf den genannten Film leider gar nicht zu.

Medien und Gesundheit

Für mich hatten Medien jeglicher Art schon immer ihren ganz eigenen Reiz. Gegenüber den Gymnasien bin ich bis heute verdrossen. Denn um die Jahrtausendwende erachteten Lehrer das Thema „Medien — die vierte Gewalt?“ als wertlos. Keine zwei Doppelstunden im Leistungsfach der Politik und Wirtschaft, damals Gemeinschaftskunde, war es ihnen wert. Aus meinen letzten drei Schuljahren ist dies eine meiner stärksten Erinnerungen.

Ich glaube, es geht vielen von uns so. Noch wissen wir wenig darüber, wie weit mediales Leben reichen und uns dabei „aufsaugen“ kann. Währenddessen wird unseren Kindern schon sogenannte Medienkompetenz abverlangt, somit erscheint die Richtung unumstößlich. Dazu aber später. Dennoch fragen wir uns gemeinsam oder meist doch mehr im Stillen: Kann es denn immer so weitergehen oder erkennen wir rettende Hintertüren?

Ich möchte nicht missverstanden werden, denn ich bewerte die verschiedenen zur Verfügung stehenden Medien nicht gleich. Natürlich schaue auch ich mal gerne in die Glitzerwelt rein und amüsiere mich oft über die Showmänner und -frauen.

Aber die Dosis macht das Gift, sagt meine Hausärztin immer, und so werde ich — nach ehrlicher Selbsteinschätzung — noch nicht Teil der großen wilden, umherirrenden und doch brav vor dem großen „smarten“ Monitor sitzenden, medial versklavten Herde. Aber sind wir nicht alle eins? Bin ich nicht dennoch genauso versklavt oder werde es sogar noch viel stärker? Nun, jedenfalls kann ich nicht tatenlos zusehen. Schlussendlich verändern wir uns jeden Moment und somit liegt darin auch unser Potenzial, dass wir alle in der Theorie selbst bestimmt sind und dies in der Praxis lediglich anwenden müssen.

Einen Klassiker aus der Mottenkiste der Bücher alter Tage empfinde ich heute als ein nicht zu übertreffendes Geschenk aller Menschen und ihrer Kreativität. So viele haben indirekt oder direkt dazu beigetragen, durch Schriften gewisse Bilder im Kopf zu erzeugen. Lediglich durch Schriften auf Papier, also dem Übertragen eines Gedanken auf ein Dokument mit Grafit und Ton (also Bleistiften) entstand ein Klassiker menschlicher Geschichtsschreibung.

Dank des Buchdrucks konnten Menschen schneller denn je anderen Menschen ihre Ideen mitteilen. Von da an erfreuten die Fantasie und die Gedanken weniger viele Menschen rund um die Erde. Mein kurzes Plädoyer für gute Bücher möchte ich damit schließen, dass ich — wie ich finde glücklicherweise — während der letzten Dekade neben Romanen nun auch meine Leidenschaft für Sachbücher entdeckte. Dabei denke ich beispielsweise an einen Klassiker von Jean Ziegler mit dem Titel „Imperium der Schande“. Vor allem möchte ich dem Autor meine Würdigung aussprechen, denn sein Buch ist für mich ein sehr Besonderes. Mein Lieblingsbuch desselben Mannes aus der Schweiz ist dennoch ein anderes: „Ändere die Welt“

Wenn der Vorhang fällt

Kommen wir zurück zu dem Film über das Kettensägen-Massaker. Dieser steht für mich sinnbildlich für das politische und wirtschaftliche Jetzt. Worin besteht für mich die Verbindung zur jetzigen Politik? Nach meiner Erinnerung handelt der Film von einer Gruppe heranwachsender Teenager, die sich irgendwo in den USA mit dem Auto auf den Weg in oder aus dem Urlaub machen. Sie fahren in den Wald und an entlegene Stellen, bis ein Vorfall ihnen den weiteren Weg erschwert. Die Spannung entlädt sich dann wenig später durch äußerst bösartige Menschen, die gerade an diesem Ort, zu dieser Zeit Ausschau nach Fremden halten, die sie massakrieren können — am liebsten mit der Kettensäge.

Der Film reiht sich vom Genre her ein in ein sogenanntes „Splatter-Movie“. Zielgruppe waren in erster Linie Millionen heranwachsender Teenager, die sich von dem Film berieseln ließen, statt für die nächste Klausur zu lernen.

Heute und unter Einbezug des Wandels der Zeiten setze ich den Film über das Kettensägen-Massaker mit zahlreichen Darbietungen sogenannter Wirtschaftsweisen aus Deutschland gleich, die uns eine kurze, aber klare Sicht auf die Dinge in diesem Land geben. Wieso? Meine direkteste Antwort ist: Mir tut es im Herzen weh, wenn Personen sich in den Medien so darstellen, als seien sie Freund des Menschen (also ein Philanthrop), dabei aber mitnichten authentisch sind. In diesem Kontext kann die Kettensäge für jeden etwas anderes sein. Doch gerade wenn Interviewte so massiv grundlegende, humanistische Leitideen ignorieren, fühlt es sich für mich wie viele, ohrenbetäubende und zugleich doch perfide, geräuschlose Kettensägen an.

Wehe dem, der mit den Fingern auf andere zeigt

Wir sollten uns scheuen, kleinlaut oder großkotzig auf den Anderen, beispielsweise den „dummen Amerikaner“ zu zeigen, der Trump gewählt hat. Und wir sollten uns nicht davor fürchten, Nazi genannt zu werden, wenn wir es nicht sind. Oder Antiamerikaner, Judenhasser oder gar ein Schaf. Nach „ihrer Meinung“ bin ich alles das, und dann? Ich sitze nicht am Hebel der Meinungsdrucker und implementiere Tag für Tag für Tag für Tag mehrere tausend Ideen über Feindbilder.

Wenn eine Zeitung beziehungsweise ein Privat- oder Staatssender auf Jagd geht, dann ist der verlängerte Arm eines totalitären Staates auf Beutezug. Trump ist ebenso eine Marionette wie jede andere Person auf diesem Stuhl vorher. Sie meinen, sie hätten keine seidenen Fäden hinter ihm gesehen?

Nun, Obama hat nicht nur unserer jungen Generation die Sicht ein wenig getrübt. Seine Schwingungen und jazzigen Bewegungen haben ein Überraschungsmoment mitgebracht, wodurch es wieder „en vogue“ geworden ist, einen noch exzentrischeren Mann an das Fußpedal des US-Imperiums zu lassen. Trump unterhält. Das Für und Wider im täglichen Klatsch muss doch schon eine Lebenskultur geworden sein. Gleicht es nicht schon einer fantasierten Fernsehshow, bei der wir für die Lacher genauso wenig sorgen wie in anderen Fernsehshows auch?

Ich erinnere mich noch an den Morgen nach Donald Trumps Wahl. Ich war mit anderen Kollegen zum Basketball verabredet. Eine mir nahe Kollegin prüfte während der Spiele mit ihrem Smartphone mindesten ein Dutzend Mal die Nachrichten und sagte immer wieder, sie könne nicht glauben, dass Trump gewählt worden war. Damals schon bewegte mich ihre Aufregung nicht und ich war sehr erstaunt darüber, dass Trump in dem Kopf meiner Kollegin mietfrei mitleben durfte. Zukünftig werden wir bei den Politikern in Deutschland wohl auch auf genau solche Charaktere stoßen.

Seit etlichen Jahren beobachte ich, wie sich in unserer Gesellschaft amerikanische Entwicklungen breit machen, meist mit etwa einer Dekade Verzögerung. Ohne Gewalt, ohne großes Getrommel, einfach als Nachahmung unseres großen Bruders.

Deshalb sähe ich mich auch als Amerikaner, wenn es um meine Kultur ginge. Ich treibe einen dort erfundenen Sport gerne, höre US-amerikanische Musik, mein Essen und auch viele meiner Wörter und Denkweisen kommen von jenseits des Atlantik. Dafür bin ich dankbar und bestimmt auch mal stolz. Dennoch kann ich verstehen, wenn mich irgendwann einmal jemand einen Antiamerikaner nennen würde. Das ist noch nie passiert, aber man weiß nie. Vermutlich bin ich sogar ein Antiamerikaner im Selbsthass, da ich nur ein Kolonie-Amerikaner bin.

Aber das sind nur Bilder, die ich benötige, um mir selbst bewusst zu machen, dass ich mehr bin als ein Haufen Genmaterial. Letztlich müssen wir alle selbst entscheiden, wer wir sein wollen. Ganz unabhängig davon, ob mein Traum von einer steilen Karriere als Sozialisten-Anführer zerplatzte und ich zum Gegenteil mutierte, dazu noch nicht einmal das Wort Anarchie im Sinne der politischen Philosophie richtig gebrauchen kann. Oder dass ich der Idee von Gleichsinn und Gleichwohl folgte und nicht aufhörte zu suchen, um am Ende meiner Enkelin zu erklären, was denn am Kapitalismus so schlimm sei: Wir werden am Ende „nur“ das sein, was wir alle geworden sind, und alle werden das sein, was jeder Einzelne ist.

Wir sind nicht besser als irgendjemand, nur weil wir meinen, etwas verstanden zu haben. Dennoch vergleichen wir uns in den tagtäglichen Begegnungen mit jedem Gegenüber. So vergleichen wir den eigenen Standpunkt mit dem unseres Gegenübers und hinterfragen ihn. Dann geben wir oft ganz konkret dem anderen einen Ratschlag, den dieser persönlich nimmt, sich angegriffen fühlt und sich nie wieder meldet. Oder wir selbst ziehen uns lieber zurück. Genau in diesem Moment fragen wir uns sicherlich, ob wir mitschuldig sind an diesem Zerwürfnis, egal auf welcher Seite wir stehen. Nun, natürlich sind wir das. Aber wir können nicht erahnen, wie groß die Wunde ist, in die wir unsere Hand legten oder die wir jahrelang offen gehalten haben.

Sollen wir also wirklich allen Ernstes ein Leben lang gehorchen und nicht provozieren, Konflikte vermeiden und funktionieren? Manchmal sind Situationen genau dafür da, um uns etwas nicht Erledigtes ins Bewusstsein zu holen.

Wir ärgern uns über uns selbst — und schaffen es trotzdem nicht, den Sack voll unausgesprochener Wörter über die Schulter zu packen und zu tragen, um sie statt teurer Weihnachtsgeschenke an die Geliebten zu verteilen.

Wenn wir uns als Gesellschaft hinterfragen und neu aufstellen wollen, dann wäre es zunächst — im Politischen und später Poetischen — relevant zu erfahren, ob wir in Europa so friedlich weiterleben würden, wenn eine halbe Milliarde Asiaten das Leben führt, das wir zur Zeit führen und unsere Zeit als Wanderarbeiter gekommen ist. Können dann die „digital natives“ einen Weg der friedlichen Innovation finden, einen Weg, den wir einst als Dichter und Denkerinnen als den Königsweg des edlen Menschen gefunden zu haben schienen?

„Dort, wo der stille Garten liegt,
Hat meine Mutter mich gewiegt;
Vielleicht — es ist so lange her —
Steht Garten, Haus und Baum nicht mehr.

Vielleicht geht jetzt ein Wiesenweg
Und Pflug und Egge drüber weg,
Von Heimat, Garten, Haus und Baum
Ist nichts geblieben als mein Traum.

(aus dem Gedicht „Traum“ von Hermann Hesse)
Am Ende bleibt die Hoffnung

Wenn am Ende nur noch die Hoffnung bleibt, dann ist das keine so schlechte Aussicht. Denn das bedeutet, dass ein Umdenken und damit auch ein Wandel stattfinden. So kann jeder Einzelne also nur noch hoffen, dass er einigermaßen wohlauf bleibt, den Humor und die Gutmütigkeit behält. Hoffnung zu verbreiten, sollte auch Ziel einer jeden Debatte sein. Ob sie im Rahmen der Politik geführt wird oder als Gespräch unter Freunden. Wann immer wir einem Makel begegnen, ob an uns oder unserem Gegenüber, wir haben immer die Wahl, so zu handeln, dass unsere Position etwas gerade rückt, statt weiter zu gehorchen und zu schweigen.

Die Kettensäge erinnert mich an die Tage brotloser Kunst auf Leinwänden, vor die ich mich gelegentlich immer noch setze, um mir ein Bild von der Welt zu machen — und um zu flüchten. Jedes Flüchten kann einen Frost, eine Eiseskälte bedeuten, sodass alle Blüten erfrieren. Die Frage nach dem nächsten Frühling und Sommer stellt sich noch gar nicht. Dennoch: Ich weiß nicht einmal, ob ich je wieder einen Frühling erleben darf. „Pflücken“ wir also schon mal jeden uns zur Verfügung stehenden Tag.

Den zweiten Teil dieses Artikels lesen Sie am Montag auf dieser Seite

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