Lückenhaftes Theoriegebäude (3/3)

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Was Karl Marx übersehen hat. Entweder man hasst ihn oder man vertraut seiner Lehre blind wie viele Christen ihrer Bibel. Dazwischen gibt es fast nichts, wenn sich die Diskussion um Karl Marx, den Schöpfer des Ökonomie-Klassikers „Das Kapital“ dreht. Dabei würde der große Theoretiker aus Trier eine differenzierte Betrachtungsweise verdienen. 30 Jahre nach dem Scheitern des realsozialistischen Experiments ist es an der Zeit für eine Wiederentdeckung von Karl Marx. Diese sollte jedoch nicht kritiklos sein. Mohssen Massarat plädiert für ein erneuertes Marx-Bild ohne Bart. Dabei zielt er aber nicht so sehr darauf ab, was in den Ländern, die sich auf seine Lehre beriefen, schief gelaufen ist. In der marxistischen Theorie selbst spürt er blinde Flecken und Unstimmigkeiten auf. In diesem Teil geht es vor allem um die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit.  Mohssen Massarrat

Werttheoretische Neubegründung von Tätigkeiten und Einkommensgruppen

Marxsche Überlegungen zu produktiver und unproduktiver Arbeit und meine kritischen Ausführungen dazu machen es an dieser Stelle zwingend notwendig, sämtliche Haupttätigkeiten und Einkommensgruppen im Kapitalismus in ihrer historischen Entwicklung werttheoretisch neu zu definieren. Dies soll im Folgenden im Einzelnen und in gebotener Kürze erfolgen. Dabei geht es insgesamt um Haupttätigkeitsgruppen: Landwirte, Handwerker, Familien- und mittelständische Unternehmer, Arbeiter und Angestellte, selbständig Tätige, Händler, Banker, Manager, Aktionäre, Grundstücks- und Rohstoffeigentümer, Verwaltungsangestellte und Staatsbedienstete.

Landwirte

Selbstversorgende Bauern in vorkapitalistischen Gesellschaften schaffen zunächst einmal Gebrauchswerte für den Eigenbedarf. Solange die bäuerliche Tätigkeit auf Selbstversorgung beschränkt und der Hauptzweck der Produktion ausschließlich die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ist, bleiben auch Begriffe wie Wert, Preis, Geld und Einkommen außerhalb der Vorstellungskraft der Produzenten. Auf dieser historischen Entwicklungsstufe findet auch kein Austausch statt, entsteht also auch keine Notwendigkeit, die Produkte mit Hilfe von Zahlungsmitteln zu bewerten.

Bauern entwickeln jedoch erst dann eine Vorstellung von Wert oder Preis ihrer Erzeugnisse, wenn sie Überschüsse produzieren und erkennen, dass sie durch den Austausch ihrer Überschüsse mit Produkten, die sie selbst nicht produzieren, ihren Wohlstand vermehren können. Damit hat die Stunde der Entstehung von Warenproduktion, Märkten und gesellschaftlicher Arbeitsteilung geschlagen.

Die bäuerliche Arbeit teilt sich fortan in zwei Teile, in einen Teil für die Selbstversorgung und einen anderen Teil für den Austausch. Durch den Verkauf ihres Überschusses erhalten Bauern überhaupt erst ein Einkommen in Form eines historisch gegebenen Zahlungsmittels, das sie gegen andere Waren austauschen. Sie erhöhen im Zuge der Produktivitätssteigerung ihren Überschuss und damit auch ihr Geldeinkommen, das ausschließlich aus der eigenen Arbeit resultiert.

Gelingt es den Bauern jedoch, durch Einstellung von bäuerlichen Tagelöhnern ihre Produktion für den Markt zu erweitern, so entsteht neben dem Einkommen aus eigener Arbeit noch ein zusätzliches Einkommen durch die Aneignung des Mehrwerts der Tagelöhner. Die Mehrwertproduktion in der Landwirtschaft ist jedoch der Ausdruck des Übergangs der vorkapitalistischen Produktionsweise in den Kapitalismus beziehungsweise der Übergang zur industriellen Revolution.

Handwerker, Familien- und mittelständische Unternehmer

Handwerker entstehen im Zuge der Fortentwicklung von gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Es versteht sich von selbst, dass diese neue Gruppe ihre Produkte im Wesentlichen für den Markt produziert. Ihre Tätigkeit ist insofern von vornherein eine Wert und Waren produzierende Tätigkeit. Ihr Einkommen entspricht dem für die Warenproduktion erforderlichen Arbeitsaufwand. Auch hier gelingt es in der weiteren Entwicklung einem Teil der Handwerker, ihre Produktion durch Einstellung fremder Arbeitskräfte auszubauen. Dementsprechend haben sie dann, wie bei den bäuerlich kapitalistischen Betrieben, zwei verschiedene Einkommensarten, ein Einkommen, das dem Wert ihrer eigenen im Betrieb aufgewandten Arbeitsmenge entspricht, und ein Einkommen durch den Mehrwert der zusätzlich beschäftigten Arbeitskräfte.

Dies gilt auch für die großen kapitalistischen Familien- und mittelständischen Betriebe, in denen bei einer werttheoretisch differenzierten Betrachtung für die Eigentümer ein Einkommen entsteht, das auf eigener Tätigkeit beispielsweise in der Geschäftsleitung beruht, und ein weiteres Einkommen, dessen Quelle der durch die abhängig Beschäftigten produzierte Mehrwert ist.

Arbeiter und Arbeitslohn

Arbeiter produzieren im Kapitalismus — wo auch immer sie tätig sind in kleinen wie in großen Betrieben, in privaten oder öffentlichen Betrieben — Wert und Mehrwert. Dies wissenschaftlich zu begründen, war die große Leistung von Marx. Seine Wert- und Mehrwerttheorie hat trotz vielfach vorgetragenen Zweifels ihre Gültigkeit bis heute beibehalten. Mehr noch: Ohne diese großartige Leistung bliebe die Grundlage der kapitalistischen Ökonomie im Dunklen.

Die Marxsche Mehrwerttheorie lüftet das Geheimnis des kapitalistischen Profits ebenso wie das Geheimnis des Lohns als Reproduktionskosten der Arbeitskraft, der sich auf den Märkten herausbildet. Die Mehrwerttheorie verwirft auch den Mythos vom „gerechten Lohn“. Gerade wegen der ausbeuterischen Kapital-Arbeitsbeziehung kann es im Kapitalismus keinen „gerechten Lohn“ geben.

Sehr wohl gibt es jedoch einen gleichgewichtigen Lohn, der dem Wert der Ware Arbeitskraft entsprechen könnte, sofern Arbeiter als Kollektiv und ohne politische Beeinträchtigung ihren Lohn gegenüber den Arbeitgebern frei aushandeln können.

Dies ist allerdings nur unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung überhaupt möglich. Unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit geht die marktmäßige Gleichgewichtigkeit verloren, Arbeitnehmervertretungen verlieren an Verhandlungsmacht und das Lohnniveau sinkt unter den gleichgewichtigen Lohn (Dumpinglohn).

Selbständig Tätige

Außer selbständigen Handwerkern gibt es in jeder Gesellschaft unzählige Menschen, die in diversen Bereichen als Selbständige tätig sind und ihre Leistungen anbieten. Dazu gehören Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, freischaffende Künstler et cetera, die durch ihre Arbeit als Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsmasse mit allen anderen tätigen Menschen in einer Austauschbeziehung stehen.

Die Arbeit dieser Gruppe von Tätigen ist wie jede andere Arbeit — wie in Teil I/1 ausführlich begründet — produktiv, und sie erzeugt auch Wert und ein darauf beruhendes Geldeinkommen, das dem für die Tätigkeit eingesetzten Arbeitsaufwand entspricht. Sofern es sich bei dieser Gruppe um Einzelpersonen handelt, die ohne die Beschäftigung von Hilfskräften nicht auskommen, besteht durchaus die praktische Möglichkeit, dass sie auch am Mehrwert ihrer Hilfskräfte mit partizipieren, obgleich der Hauptzweck der Beschäftigung dieser Hilfskräfte nicht die Mehrwertproduktion ist. Aus werttheoretischer Perspektive ändert sich dieser Sachverhalt nicht, wenn die Einzelpersonen sich — um effizienter zu arbeiten und Kosten zu sparen — in Gruppen wie Arztgemeinschaften, Anwaltskanzleien et cetera zusammenschließen.

Händler und Händlereinkommen

Etwas komplizierter steht es jedoch mit der Bestimmung der Tätigkeit dieser vor Jahrtausenden mit der Entstehung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entstandenen Gruppe und deren Einkommen. Ist ihre Tätigkeit Wert produzierend, oder produzieren Kaufleute selbst keinen Wert und leben von der Arbeit und dem Einkommen anderer gesellschaftlicher Gruppen? Für Marx ist die Antwort ganz klar die letztere.

Eine andere Schlussfolgerung zur Tätigkeit der Kaufleute als eine nicht Wert produzierende Tätigkeit wäre auch nicht darstellbar, nachdem Marx die gesamte Zirkulation als eine Sphäre erklärt hat, in der überhaupt keine Werte entstehen. Ich habe diese Marxsche Annahme oben als eine logisch wie historisch nicht begründete Annahme und als voluntaristisch kritisiert. Hier soll diese Marxsche Annahme am Beispiel der Tätigkeit von Kaufleuten in ihrer Metamorphose und damit gründlicher als bisher untersucht werden.

In allen drei Bänden des Kapitals findet man zahlreiche Hinweise, dass Marx in der Konsequenz seiner Zirkulationsannahme die Tätigkeit der Händler als nicht Wert bildend einstuft. Im Abschnitt „Die Verwandlung von Geld in Kapital“ im ersten Band schreibt er:

„Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G — W — G’, kaufen, um teurer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Zirkulation vor. Da es aber unmöglich ist, aus der Zirkulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von Mehrwert zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Äquivalente ausgetauscht werden, daher nur ableitbar aus der doppelseitigen Übervorteilung der kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann“ (1).

Da also Wert- und Mehrwert unmöglich in der Zirkulation entstehen, muss der Handelsgewinn und auch das Handelskapital auf doppelseitige Übervorteilung der Marktteilnehmer zurückgeführt werden. So wundert es auch nicht, dass Marx die Tätigkeit der Händler sogar abschätzig als „parasitär“ abqualifiziert. An einer anderen Stelle im ersten Band geht Marx einen Schritt weiter und bezeichnet den Kaufmann und den Wucherer beide im gleichen Atemzug als Marktakteure, die „die Handwerker und Ackerbauern (…) parasitenmäßig aussaugen“ (2).

Im zweiten Band des Kapitals zählt Marx bei der Analyse des kaufmännischen Kapitals diverse Fälle auf, wie der Kaufmann seine Tätigkeit ausübt, indem er beispielsweise ganz allein das Geschäft abwickelt oder aber wegen des größeren Handelsumfangs andere Händler einstellt, um schließlich zu konstatieren, dass „seine Einnahmen nur aus dem merkantilen Profit“ resultiert, weil „seine Arbeit nicht wertschaffende Arbeit ist“ (3).

Selbst bei der Analyse von detaillierten Vorgängen des Handels unter Einbeziehung der Kauf- und Verkaufszeit sowie der Arbeitsteilung zwischen Produktion und Handel, schließlich auch bei der Analyse der „Funktionsweise des Kaufmannkapitals“ bleibt Marx hartnäckig dabei, dass im Handel keine Werte entstehen:

„Nach wie vor schafft Kauf- und Verkaufszeit keinen Wert. Eine Illusion kommt herein durch die Funktion des Kaufmannskapitals. (…) Wenn durch Teilung der Arbeit eine Funktion, die an und für sich unproduktiv, aber ein notwendiges Moment der Reproduktion ist, aus einer Nebenverrichtung vieler in die ausschließliche Verrichtung weniger verwandelt wird, in ihr besondres Geschäft, so verwandelt sich nicht der Charakter der Funktion selbst. Ein Kaufmann (…) mag durch seine Operation die Kauf- und Verkaufszeit für viele Produzenten abkürzen. Er ist dann als eine Maschine zu betrachten, die nutzlosen Kraftaufwand vermindert oder Produktionszeit freisetzen hilft“ (4).

Hier und bei genauerer Betrachtung der Funktionsweise des Handels und durch die Feststellung, dass der Kaufmann ein Produkt der Arbeitsteilung ist und dass dessen Tätigkeit die Kauf- und Verkaufszeit der Produzenten abkürzt, hätte Marx von seiner Fiktion der Handelstätigkeit als nicht Wert schaffend abrücken müssen. Denn seine Feststellung, dass der Kaufmann „durch seine Operation die Kauf- und Verkaufszeit vieler Produzenten abkürze“ werttheoretisch zu Ende gedacht, beweist im Grunde doch etwas ganz anderes, als Marx schlussfolgert.

Die Abkürzung der Kauf- und Verkaufszeit vieler Produzenten durch den Kaufmann bedeutet keineswegs, dass sich die eingesparte Zeit, eigentlich der eingesparte Arbeitsaufwand, in Luft auflöst. Vielmehr findet durch die Funktion des Kaufmanns eine Verlagerung des Arbeitsaufwands von der Seite vieler Produzenten auf die Seite derjenigen statt, die das Geschäft des Handels betreiben. Und diese verlagerte Arbeit bedeutet auch mitnichten eine „Verminderung des nutzlosen Kraftaufwandes“, wie Marx unterstellt. Stattdessen bemüht er sich, durch sprachliche Verrenkung und indirekte Beweisführung, auf seiner Fiktion zu beharren, dass die Arbeit des Kaufmanns eben keine selbständige Arbeit, sondern die Verminderung des „nutzlosen Aufwandes“ der Produzenten darstellt und der Kaufmann im Grunde eine „Maschine“ sei.

Kurioserweise bezieht sich Marx bei dieser seiner Aussage an dieser Stelle ausgerechnet auf Quesnay, dem Theoretiker der Physiokraten, dessen Theoriegebäude bekanntlich auf der Annahme fußt, dass nicht die Arbeit im Handel und der Manufaktur, sondern die Arbeit in der Landwirtschaft beziehungsweise die bäuerliche Tätigkeit als Quelle des Wertes und des Reichtums anzusehen ist (5).

Historisch gesehen, um hier auch entlang der Metamorphose des Handels zu argumentieren, findet mit der fortschreitenden Arbeitsteilung außer der Arbeitsteilung zwischen den Ackerbauern und Handwerkern — übrigens nach denselben ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die eigene Arbeit möglichst effizient einzusetzen — eine weitere Arbeitsteilung statt, die sich in der Entstehung von Kaufleuten manifestiert.

Haben die Ackerbauern ursprünglich ihre Produkte selbst auf die Märkte transportiert und auch selbst ihre Produkte verkauft — wie man es sowohl in den wenig entwickelten Regionen der Dritten Welt als auch in der biologischen Landwirtschaft entwickelter Industriestaaten auch heute noch beobachten kann — so stellte sich heraus, dass es für die Produzenten effektiver ist, sich die Zeit des Verkaufens auf den Märkten einzusparen und die gewonnene Zeit für die Produktionssteigerung einzusetzen.

In der Tat war der Effizienzeffekt, der sich auch im steigenden Wohlstand für alle Beteiligten niederschlug, die eigentliche Antriebskraft der Arbeitsteilung.

Ist es werttheoretisch unumstritten, dass die Arbeit des Ackerbauers, die er für die Produktion, den Transport und die Veräußerung seiner Waren aufgewendet hat, in ihrer Gesamtheit eine Wert bildende ist — eine andere Annahme wäre auch voluntaristisch —, dann ist es selbstverständlich, dass der nunmehr durch die Arbeitsteilung an den Kaufmann übertragene Teil der Arbeit ebenso Wert bildend ist.

Der Ackerbauer spezialisiert sich durch die Konzentration auf das, was er am besten kann, nämlich auf die Landwirtschaft, und verkauft seinen Überschuss an den Kaufmann, indem er den von ihm geschaffenen Wert unmittelbar durch den Akt des Verkaufens (von der Möglichkeit des Betruges abgesehen) voll umfänglich zurückerhält. Und der Kaufmann setzt dem erworbenen Wert durch eigene Tätigkeit auf dem Markt, indem er seine eigene Arbeit aufwendet, einen neuen Wert hinzu. Die Arbeit des Kaufmanns ist zwar keine körperliche, dennoch eine Arbeit und eine Verausgabung von Energie — meinetwegen eine Kopfarbeit.

Man kann diese Tätigkeitsform kurzerhand und willkürlich als rein notwendige, aber nicht Wert bildende Arbeit definieren. Gemäß dem wahren Kern und der Substanz Marxscher Werttheorie stellt die Arbeit des Kaufmanns jedoch selbstverständlich Wert dar. Und sein Gewinn G’-G= g ist demnach kein Abzug von dem bei den Produzenten erzeugten Wert, sondern Ausdruck seiner selbständigen Arbeit. Für den Handel gilt, was ich mit Bezug auf die Zirkulation in ihrer Gesamtheit in Teil I/2 kritisch vorgetragen habe.

Der Umstand, dass es eine kleine Schicht von Kaufleuten zu erkennbar deutlich höherem Reichtum gebracht hat und diese schon in vorkapitalistischen Gesellschaften teilweise zur tragenden Säule der ursprünglichen Kapitalakkumulation geworden ist, mag zu der irrigen Annahme Anlass gegeben haben, den Handelsgewinn in seiner Gesamtheit werttheoretisch aus der Ausbeutung durch Unterbewertung der Waren beim Kauf und/oder Überbewertung derselben beim Verkauf abzuleiten und die Arbeit des Kaufmanns daher als unproduktiv zu definieren.

Doch ist ein überdurchschnittlicher Gewinn stets das Resultat der monopolistischen Position einer kleinen Schicht von Kaufleuten und deren hohes Einkommen Ausdruck einer Wertübertragung, die zum Einkommen aus der eigenen Arbeit und der Wertproduktion hinzukommt. Und das Monopol verursacht in allen gesellschaftlichen Perioden und Wirtschaftsbereichen immer eine Wertübertragung.

Betreibt der Kaufmann einen umfangreicheren Handel, den er allein nicht bewältigen kann und für dessen Bewältigung er weitere Mitarbeiter beschäftigen muss, dann handelt es sich bei dem Tauschakt zwischen dem Ackerbauer und dem Händler nicht mehr um einen einfachen, sondern um einen schon kapitalistischen Vorgang. Die Angestellten des Kaufmanns produzieren durch ihre Tätigkeit nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert, den sich der Kaufmann neben dem Lohn für seine eigene Arbeit aneignet.

Genau dieser Fall stellt den Ursprung und den Keim des historischen Handelskapitals und der heutigen Handelskonzerne dar, die global in ihren zahlreichen Supermarktketten Millionen von Arbeitskräften beschäftigen und durch den in diesen Supermärkten produzierten Mehrwert ihr Kapital akkumulieren. Im Handel schuften, im wahrsten Sinne des Wortes, die Beschäftigten und verausgaben ihre Arbeitskraft genauso wie im Produktionsprozess. Und sie schaffen daher auch genauso Wert und Mehrwert. Somit gibt es auch werttheoretisch keinen plausiblen Grund dafür, dass die Beschäftigten im Handel keine Wertschöpfung betreiben, wie Marx angenommen hat.

Banker

Genau genommen verhält es sich mit dem Geldverleiher und Banker ähnlich wie mit dem Kaufmann. Der Geldverleiher erbringt durch seine Tätigkeit eine von den Marktbeteiligten nachgefragte Dienstleistung. Denn er sammelt Einkommensüberschüsse der Marktbeteiligten in Geldform, zahlt dafür Zinsen und verleiht diese Gelder an Dritte gegen noch höhere Zinsen. Durch seine Tätigkeit wendet der Geldverleiher zwar keine Muskelkraft auf und produziert auch keine Güter, er liefert jedoch eine Dienstleistung, für die er selbstverständlich Energie und Organisationsarbeit aufwendet.

Die Tätigkeit des Geldverleihers ist historisch gesehen der Ausdruck einer weiteren Stufe der Arbeitsteilung und der Produktivitätssteigerung, da sie durch Kreditbeschaffung den Landwirten, den Handwerkern, den Kaufleuten et cetera hilft, ihren Wohlstand zu erhöhen.

Seine Arbeit ist also nicht nur eine notwendige Arbeit, sondern als Bestandteil des gesamten Arbeitsquantums einer Gemeinschaft, in der Marktbeziehungen vorherrschen, auch eine Wert produzierende Arbeit.

Dies gilt allerdings lediglich für konkurrenz-kapitalistische Perioden in der Geschichte des Kapitalismus. In den finanzmarkt-kapitalistischen Epochen, wie um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert und in der Gegenwart seit den 1980er Jahren, dominiert ein Finanzsektor, dessen Funktion vor allem darin besteht, die in der Realwirtschaft produzierten Werte in den Finanzsektor zu kanalisieren und einen dauerhaften Umverteilungsprozess zu Gunsten der reichen Eliten zu etablieren. Dadurch wird eine echte Kreditversorgung sogar blockiert.

Die historisch unbestreitbare Realität, dass gerade die Geldverleiher relativ rasch einen vergleichsweise deutlich höheren Wohlstand als die Landwirte und Handwerker erlangten, letztere sogar ausbeuteten und zu ihren Sklaven machten, mag aus moralischer Perspektive der These widersprechen, dass die eigene Arbeit dieser Schicht überhaupt eine Wertsubstanz besitzt.

Tatsächlich entwickelten sich Geldverleiher vor allem in vorkapitalistischen Gesellschaften durch ihre starke Monopolposition ziemlich rasch zu Wucherern und konnten sich zu Lasten ihrer Kunden einen unvergleichbar hohen Wohlstand ergattern. Wucherei hörte erst dann auf, wenn Geldverleiher ihre Monopolstellung einbüßten. Im Sinne der hier begründeten werttheoretischen Analyse haben Wucherer somit ein aus mindestens zwei Elementen bestehendes Einkommen, also ein Einkommen entsprechend dem Wert ihrer Arbeit, dessen Höhe dem Einkommen der Landwirte und Handwerker entspricht, und ein deutlich höheres Einkommen, das aus der Wertübertragung durch Ausbeutung der übrigen Gemeinschaftsmitglieder resultiert.

Haben Geldverleiher auf Grund des wachsenden Umfangs ihres Geschäftes Mitarbeiter eingestellt, so schufen sie eine kleine Bank, in der sie sich neben ihrem eigenen Lohn analog zu den Handelsgesellschaften auch den Mehrwert ihrer Mitarbeiter aneigneten. Damit entstand schon in der Antike die Keimzelle entwickelten kapitalistischen Bankwesens. Es ist völlig klar, die Tätigkeit sämtlicher im Bankwesen arbeitenden Menschen, eingeschlossen jene in Leitungsfunktion, ist analog zu der Tätigkeit der im Handel arbeitenden Bevölkerung selbstverständlich Wert schaffende und in kapitalistischen Betrieben auch Mehrwert produzierende Tätigkeit.

Manager

Das Leitungspersonal bei den Banken, Handelskonzernen und allen anderen kapitalistischen Betrieben ist im Unterschied zu den Betriebseigentümern rein funktional und soziologisch zunächst einmal abhängig beschäftigt und gehört daher auch ökonomisch zu den Wert erzeugenden Beschäftigten. Werttheoretisch unterscheiden sich diese nicht vom übrigen Personal. Manager produzieren — bei Entlohnungen, die ihrer höheren Qualifikation entsprechen — sogar auch Mehrwert. Die astronomisch hohen Gehälter, die dem Leitungspersonal in allen kapitalistischen Betrieben inzwischen gezahlt werden, sind allerdings keineswegs Ausdruck der entsprechend höheren Qualifikation und Leistung dieser Personengruppe (6).

Vielmehr resultieren ihre horrenden Einkommen und Tantiemen aus politischen Erwägungen und Anreizen, Kosten zu Lasten der Beschäftigten einzusparen und mit aller Macht Umsatz, Aktienkurse und Profite zu steigern. Schließlich wird durch sehr hoch angesetzte Gehälter für Manager auch die Konkurrenz um den Aufstieg an die Spitze und um rücksichtsloseres Verhalten gegenüber den Belangen der Beschäftigten unter dem Leitungspersonal massiv erhöht.

Aktionäre

Die allermeisten kapitalistischen Betriebe sind Aktiengesellschaften. Aktionärstantiemen bestehen ganz klar aus dem in den Betrieben geschaffenen Mehrwert. Die Aktionäre sind funktional mit Privateigentümern gleichzusetzen, obgleich sie im Unterschied zu den Privateigentümern von Betrieben nur indirekt und zwar über Aktionärsversammlungen an den Entscheidungen über sämtliche Betriebsangelegenheiten mitwirken. Ihre Aktientantiemen sind jedenfalls Bestandteil des von den Arbeitern und Angestellten produzierten Mehrwerts.

Grundstücks- und Rohstoffeigentümer

Diese aus Privatpersonen und Staaten bestehende Einkommensgruppe eignet sich schätzungsweise circa ein Drittel des globalen Wertprodukts an. Deshalb muss die Frage untersucht werden, worin die Quellen der gigantischen Einnahmen dieser mächtigen Einkommensgruppe bestehen und wie man diese Einnahmen werttheoretisch einzuordnen hat. Marx widmet diesem Themenkomplex den exakt zweihundert Seiten umfassenden sechsten Abschnitt des Dritten Bandes des Kapitals und analysiert die hier gestellten Fragen präzise und umfassend (7).

Damit beendet er auch die bis dato unter klassischen Ökonomen wie William Petty, Adam Smith und David Ricardo herrschenden Verwirrungen und Unklarheiten. Nach Marx und dem wissenschaftlichen Verständnis der Werttheorie sind Grund und Boden genauso wie die Weltmeere, Flüsse, Wasserfälle, Wälder und sämtliche Rohstoffe in der Erde zwar nützliche Dinge und auch die stoffliche Grundlage der Reichtumsproduktion. In ihrer rohen, also nicht bearbeiteten Substanz stellen sie jedoch keinen Wert dar, da sie ohne menschliches Zutun und menschliche Arbeitskraft entstanden sind.

Und weil die Naturressourcen knapp und nicht reproduzierbar sind, sind sie auch leicht monopolisierbar. Ihre Monopolisierung erfolgte historisch durch Gewalt, den Kauf oder rein zufällig, indem Individuen oder Staaten die Naturressourcen zu ihrem Privat- beziehungsweise zum Gemeinschaftseigentum gemacht haben.

Die Knappheit und die Monopolisierbarkeit der Naturressourcen führt im Kapitalismus dazu, dass die Eigentümer sie (also Grund und Boden, Wasserquellen, Wälder, Ölquellen, Kohle, Gold etc.) als Ware vermarkten können, sobald für ihre Nutzung eine Nachfrage entsteht. Wären nämlich die Naturressourcen wie die Luft oder Sonnenenergie unbegrenzt verfügbar, wären sie weder monopolisierbar gewesen noch hätten sie den Charakter von Waren angenommen. Somit wurden Naturressourcen auch im unbearbeiteten Zustand, im Unterschied zu allen anderen Produkten, zu Waren und Kapital, bevor für deren Herstellung menschliche Arbeitskraft aufgewandt worden ist.

Die klassischen Ökonomen und Arbeitswerttheoretiker, am genausten jedoch Marx, haben diese Paradoxie und den scheinbaren Widerspruch zur Werttheorie durch ihre Grundrenten-Theorien aufgelöst. Demnach verwandeln sich die Naturkräfte in allen ihren Erscheinungsformen unter den Bedingungen der Warenproduktion in Kapital der Eigentümer, bevor sie überhaupt genutzt werden. Die Eigentümer stellen sie — den Pächtern in der Landwirtschaft, den Konzernen im Bergbau et cetera — zur Nutzung nur gegen eine Gebühr zur Verfügung, deren Höhe durch den marktüblichen Kapitalzins bestimmt wird. Hinter diesem Kapitalzins und den Einnahmen der Grundstücks- beziehungsweise Rohstoffeigentümer verbirgt sich die Grundrente (8).

Um nachvollziehen zu können, wie die Grundrenten in der ökonomischen Realität entstehen und wie sie werttheoretisch zu erklären sind, operiert Marx mit zwei vollständig verschiedenen Formen von Grundrenten: die absolute Grundrente (9) und die Differentialrente (10). Die absolute Grundrente entsteht auf Grund der Monopolisierbarkeit der Ressourcen. Sie wird von allen Eigentümern auf dem Erdball, völlig unabhängig von der Qualität der Ressource — Fruchtbarkeit des Ackerlandes, Standort der Baugrundstücke, Naturproduktivität der Rohstoffquellen et cetera — erhoben, damit Produzenten die Nutzung der Ressourcen überhaupt in Angriff nehmen dürfen.

Für die Produzenten von Waren aus Ressourcen stellt die absolute Grundrente Kosten dar, die der Produzent dem Warenpreis zuschlägt. Demnach ist ganz klar, dass die absolute Grundrente keinen Wertbestandteil, sondern lediglich einen Preisbestandteil der produzierten Waren — landwirtschaftliche Produkte, fossile Energieträger wie Kohle oder Öl — darstellt. Sie entsteht, wie bei jeder anderen Form von Monopolprofit, durch Wertübertragung von Seiten der Konsumenten zu den Grundeigentümern. Mit anderen Worten stellt die Kaufkraft der Konsumenten ein wichtiges Element der Einnahmen der Immobilieneigentümer, der Grundeigentümer in der Landwirtschaft, der Waldbesitzer und der Rohstoffeigentümer dar, die diese in Form eines Preisaufschlags beim Erwerb der aus Naturressourcen produzierten Waren entrichten.

Die Differentialrente, also das zweite Element der Einnahmen der Grundeigentümer, entsteht nur bei den Besitzern von Ressourcen mit besonders von der Natur vorgegebener Produktivität beziehungsweise Kostenvorteilen. Wenn also Grundstückspreise in Ballungszentren exorbitant steigen, wie dies gegenwärtig in den meisten Metropolen Europas der Fall ist, dann liegt es daran, dass die Grundstückseigentümer außer einer absoluten Grundrente wegen der Verknappung von Bauland mit Standortsvorteilen auch eine Differentialrente auf den Bodenpreis draufschlagen. Auch die Öleigentümerstaaten im Mittleren Osten, um ein anderes Beispiel zu nennen, erzielen hohe Einnahmen durch die Ölproduktion, weil die Produktionskosten für Öl besonders niedrig sind, während der Weltmarktpreis für Energieträger durch Marktpreise von Energieträgern mit deutlich höheren Produktionskosten reguliert werden.

Es ist klar, dass die eigentliche Quelle des hier entstandenen Surplusprofits nicht die höhere Arbeits-, sondern die höhere Naturproduktivität ist. Daher ist die Differentialrente gemäß der Werttheorie nicht ein Wert-, sondern ein Preisbestandteil der Waren, der genauso wie die absolute Grundrente durch die Übertragung der Konsumentenkaufkraft in die Hände der Grundeigentümer gelangt.

So gesehen resultieren die exorbitanten Einkommen der Eigentümer natürlicher Ressourcen aus einer gigantischen Umverteilung der erzeugten Wertmasse. Während die Konsumenten einen Teil ihrer Kaufkraft abgeben müssen und dadurch ärmer werden, steigt das Vermögen der Eigentümer in das beinahe Unermessliche. Eine solche Differenzierung ist durchaus nicht nur wissenschaftlich, sondern auch moralisch von Bedeutung. Denn die Vorteile der Naturproduktivität müssten in einer Welt ohne Eigentum an Naturressourcen der gesamten Menschheit zugutekommen und nicht nur jenem Teil der Menschheit, in deren Verfügungsgewalt sich diese besonders produktiven Naturressourcen nur zufällig befinden (11).

Die Grundrenten entstehen nach obiger Darstellung allein auf Grund des Eigentumstitels an den Naturressourcen und ohne dass der Eigentümer selbst überhaupt in irgendeiner Form Arbeit dazu aufgewandt hätte. Deshalb sollte man sie, das heißt diese Art der gigantischen Einnahmen, als „Leistungslose Einkommen“ bezeichnen (12), die letztlich durch Wertübertragung eines beträchtlichen Teils der Kaufkraft von Seiten der globalen Konsumenten an die Eigentümer entstehen.

Verwaltungsangestellte

Würde man sämtliche Tätigkeiten in den Verwaltungen einer Gesellschaft, also in den Verwaltungen von Produktionsbetrieben, im öffentlichen Sektor und im privaten Dienstleistungssektor zusammenzählen, ergäbe sich ein beachtlicher Anteil an der Zahl aller Beschäftigten. Die in der Verwaltung verausgabte Energie ist in aller Regel keine in Muskelkraft verwandelte Energie, die dort geleistete Arbeit in der Regel nicht Handarbeit, sondern Kopfarbeit. Das in der Verwaltung aufgewandte Arbeitsquantum beruht — abgesehen von der durch bürokratisch überflüssige Tätigkeiten verursachte Fehlallokation — auf nützlichen Tätigkeiten und ist wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft ein organischer Bestandteil des gesamtgesellschaftlichen Arbeitsquantums. In diesem Sinne sind Verwaltungsarbeiten werttheoretisch Wert produzierende Tätigkeiten, also Teil der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungskette, und steigern die Wertschöpfung.

Staatsbedienstete

Nach Marxscher Interpretation sind sämtliche Staatstätigkeiten im Kapitalismus zwar für die Systemerhaltung und -fortentwicklung notwendige, jedoch nicht Wert produzierende Tätigkeiten. Diese Annahme ergibt sich schon daraus, dass Marx allein die Tätigkeiten im Produktionsprozess als Wert bildend betrachtet. Meine grundsätzliche Aussage, dass die Unterscheidung zwischen Produktion und Zirkulation, zwischen diversen Tätigkeiten als Wert bildende versus nicht Wert bildende, aber notwendige Tätigkeiten werttheoretisch nicht begründet werden kann, gilt selbstverständlich auch für Staatstätigkeiten. Warum sollten die Tätigkeiten des Lehrers, Richters, Parlamentsabgeordneten, Polizisten et cetera, die allesamt andere Formen der Verausgabung der Arbeitskraft darstellen, keinen Wert produzieren und als Kosten, das heißt als Abzug vom produzierten Wert definiert werden?

Die im Staatssektor arbeitenden Menschen produzieren zwar keine Waren für die Märkte, sie stellen jedoch Dienstleistungen bereit, die sie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit Menschen austauschen, die in allen anderen nichtstaatlichen Sektoren arbeiten und die staatlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Dies ist im Übrigen nicht nur im Kapitalismus so. Auch in der nachkapitalistischen Gesellschaft wird es so bleiben. Im Kapitalismus können die Dienstleistungen sowohl in Form einfacher Waren bereitgestellt und angeboten, aber auch unter den Bedingungen der kapitalistischen Mehrwertproduktion hergestellt und den Märkten zugeführt werden, so wie dies durch die Privatisierung öffentlicher Güter inzwischen weit verbreitet ist.

Aus der Perspektive des gesamten Reproduktionskreislaufs gesehen tauschen Sektoren, die materielle Produkte produzieren, Waren gegen Bildung, die die Schulen und Universitäten liefern, sowie gegen Gesundheit, die die Gesundheitseinrichtungen anbieten. Sie tauschen auch ihre Waren gegen die Dienstleistung der Justiz, gegen Sicherheit, die die Polizei garantiert, et cetera. Dabei übertragen die Waren produzierenden Sektoren einen Teil der dort erzeugten Wertmasse in Form von Steuern an den Staat, der diese in Form von Lohn und Gehalt an die Staatsbediensteten weitergibt. Tritt der Staat gar als Eigentümer von Staatsbetrieben, also als Kapitalist, in Erscheinung, so wird in derartigen Betrieben selbstverständlich auch genauso Mehrwert produziert wie in privatisierten Unternehmern, die öffentliche Güter wie Gesundheit, Bildung oder gar Sicherheit bereitstellen.

Resümee

Aus der in diesem und den vorausgehenden beiden Abschnitten I/1 und I/2 dargelegten Analyse der produktiven und unproduktiven Arbeit gibt es also keine werttheoretische Begründung für eine solche Aufteilung von Tätigkeiten als Wert produzierende (produktive) und notwendige, aber nicht Wert produzierende (unproduktive) Tätigkeiten, wie sie Marx im Kapital unterstellt hat. Tatsächlich sind sämtliche Tätigkeiten in jeder modernen arbeitsteiligen Gesellschaft Wert produzierende Tätigkeiten. Die Höhe des Wertes hängt von der Qualität der geleisteten Arbeit, also davon ab, ob es sich um einfache oder um komplexe Arbeit handelt (13).

Nicht Wert bildend sind freilich nutzlose Tätigkeiten, deren Wert sich auch nicht realisieren kann, weil das Ergebnis dieser Tätigkeiten von der Gesellschaft nicht anerkannt wird. Diese Nichtanerkennung drückt sich darin aus, dass Unternehmen, die im ökonomischen Sinne nutzlose Waren oder Dienstleistungen anbieten, über kurz oder lang vom Markt verschwinden (14).

Die Wertschöpfung eines Landes bildet sich — nach der hier in Abweichung der von Marx vorgelegten werttheoretischen Analyse vereinfacht dargestellt — als die Summe aller in einer bestimmten Periode produzierten Waren und Dienstleistungen zu konstanten Preisen in der Nationalstatistik ab. Man könnte die Wertschöpfung statistisch auch als die Summe der in allen Sektoren geleisteten und auf einfache Arbeit reduzierten Arbeitsstunden darstellen.

Würde man jedoch bei der statistischen Erfassung der Wertschöpfung das Marxsche Verständnis von produktiver und unproduktiver Arbeit zugrunde legen, kämen dann schwer nachvollziehbare, ja sogar weltfremde Ergebnisse heraus. Denn bei steigendem Anteil von Dienstleistungen und Staatstätigkeiten — unproduktiver Arbeit — einer Gesellschaft müsste der Umfang der Wertschöpfung entsprechend sinken, da Tätigkeiten im Dienstleistungssektor und in der staatlichen Verwaltung nach Marx unproduktiv sind und daher auch keinen Wert produzieren, sondern Kosten verursachen und von der Wertschöpfung im Grunde auch in Abzug gebracht werden müssten.

Wäre der Anteil solcher Tätigkeiten gleich groß wie der Anteil der Tätigkeiten im Produktionsprozess, dann wäre die Wertschöpfung gleich Null. Es ergäbe sich sogar eine negative Wertschöpfung, wenn der Anteil der „unproduktiven“ Arbeit höher wäre als der Anteil der „produktiven“ Arbeit.

Die Marxsche Klassifizierung der „produktiven“ und „unproduktiven“ Arbeit und die werttheoretisch nicht begründbare Unterscheidung zwischen dem Produktions- und Zirkulationssektor würde auch eine ökonomische Begründung für die Spaltung zwischen den Beschäftigten im Produktionssektor und jenen in den übrigen gesellschaftlichen Sektoren liefern, weil demnach die erstere Gruppe der Beschäftigten als jene erscheint, die Werte produziert, und die zweite Gruppe als diejenigen Beschäftigten fungieren, die vom Wert der anderen leben.

Erst recht gerieten gewerkschaftliche Verteilungskämpfe in den „unproduktiven“ Sektoren in ein moralisches Legitimationsdilemma. Im realen Leben haben sich die internen Beziehungen innerhalb der abhängig Beschäftigten jedoch nach objektivem Umstand so gestaltet, dass die Arbeit aller Beschäftigten, egal in welcher Branche sie auch tätig sind, sämtlich Wert produzierende Arbeit ist.

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) Karl Marx, 1969: Das Kapital, Erster Band, Berlin, S.178
(2) Ebenda, S.533
(3) Karl Marx, 1969: Das Kapital Dritter Band, Berlin, S. 302
(4) Karl Marx, 1966: Das Kapital. Zweiter Band, Berlin, S. 133
(5) Ebenda, Fußnote 11
(6) Der in 2017 am höchsten bezahlte Manager in Deutschland, Stefan Heidenreich, verdiente mit 23.45 Millionen Euro Jahresgehalt das 1304-fache des Jahresmindestlohns, der 17.976 Euro betrug, s. Frankfurter Rundschau vom 20. März 2019.
(7) Karl Marx, 1969: Das Kapital, Dritter Band, Berlin, S.622-821
(8) Ausführlicher dazu vgl. Mohssen Massarrat,2007: Ölpreis und Demokratie, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 155
(9) Karl Marx, 1969: Das Kapital, Dritter Band, Berlin, S. 756ff.
(10) Ebenda, S. 653 ff.
(11) Die zusammengefasste Darlegung dieses Abschnitts fußt in erster Linie auf Marxscher Wert- und Rententheorie und in zweiter Linie basiert sie auf meiner eigenen langjährigen Forschung und den Versuchen, die Rententheorie auf den Weltenergiesektor und zur Formulierung einer Preistheorie für natürliche Ressourcen anzuwenden. Vgl. dazu Mohssen Massarrat, 1980: Weltenergieproduktion und Neuordnung der Weltwirtschaft, Frankfurt a. M.; Derselbe, 2000: Das Dilemma der ökologischen Steuerreform, Marburg; Derselbe, 2006: Kapitalismus-Machtungleichheit-Nachhaltigkeit, Hamburg.
(12) Mohssen Massarrat, 2017: Braucht die Welt den Finanzsektor? Postkapitalistische Perspektiven, Hamburg, S. 201f.
(13) Es geht hier also um die Verausgabung der Arbeit für Waren und Dienstleistungen, die den Märkten zugeführt werden. Die Klassifizierung der unbezahlten Haus- und Care-Arbeiten, deren Resultate zwar der Gesellschaft zugutekommen, jedoch nicht in die Märkte gelangen, bedarf einer gesonderten Analyse.
(14) Im Umkehrschluss bedeutet es nicht, dass sämtliche Waren und Dienstleistungen, die ökonomisch Werte darstellen, auch moralisch oder ökologisch nützliche Waren und Dienstleistungen darstellen. Ganz im Gegenteil. Mit steigendem Anteil ökologisch schädlicher Produkte, sinkt der Wohlstand, obwohl auch die ökologisch schädliche Waren und Dienstleistungen rein ökonomisch Werte darstellen.

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  • Volker
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    Keine Ahnung. Sollte ich mich mit Karl herumschlagen, zu allen sonstigen Knoten noch, die sich nur mühsam aufdröseln lassen, und am Ende gibt’s eh nur lose Fäden zu bestaunen. Für Karl ist Bildung angesagt, die regnet nicht einfach mal so vom Himmel herab, nein, Durchblick und Geburtsurkunde sind eng miteinander verflochten, da muß sich Arbeiterkind schon richtig anstrengen und strampeln.

    Gut, habe all dies nicht wirklich so verstanden, aber irgendwann blick ich durch.

  • Ruth
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    In den Siebzigern gab es unter den Sozialdemokraten und der studentischen Linke Anhänger des Stamokap – Staatsmonopolistischer Kapitalismus.

    Uwe Benneter wurde aus der SPD geschmissen und Sahra Wagenknecht kann auch nicht überzeugen.

    Der VW Konzern – Grosseigner  ist der Staat – also: eine Machtkonzentration und gegenseitige Einflussnahme auf Wertschöpfung und Verteilung in die Gesellschaft.

    Eine Demokratie gefährdende Allianz, auch wenn das vehement bestritten wird!

    Alle Macht geht vom Volke aus, sicherlich nicht!

    Und unsere Wahlen? Erfolgreiche Placebos, um zu vertuschen und ruhig zu stellen?!

    Nur, es hat bisher in keiner Gesellschaftsordnung eine gerechte Verteilung gegeben, weder im Sozialismus noch sonst wo!

    Ein niederschmetterndes Resümee!

     

     

  • Karl-Heinz Goll
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    Zitat Mohssen Massarrat:

    Die Wertschöpfung eines Landes bildet sich — nach der hier in Abweichung der von Marx vorgelegten werttheoretischen Analyse vereinfacht dargestellt — als die Summe aller in einer bestimmten Periode produzierten Waren und Dienstleistungen zu konstanten Preisen in der Nationalstatistik ab. Man könnte die Wertschöpfung statistisch auch als die Summe der in allen Sektoren geleisteten und auf einfache Arbeit reduzierten Arbeitsstunden darstellen.

    Würde man jedoch bei der statistischen Erfassung der Wertschöpfung das Marxsche Verständnis von produktiver und unproduktiver Arbeit zugrunde legen, kämen dann schwer nachvollziehbare, ja sogar weltfremde Ergebnisse heraus. Denn bei steigendem Anteil von Dienstleistungen und Staatstätigkeiten — unproduktiver Arbeit — einer Gesellschaft müsste der Umfang der Wertschöpfung entsprechend sinken, da Tätigkeiten im Dienstleistungssektor und in der staatlichen Verwaltung nach Marx unproduktiv sind und daher auch keinen Wert produzieren, sondern Kosten verursachen und von der Wertschöpfung im Grunde auch in Abzug gebracht werden müssten.

    Wäre der Anteil solcher Tätigkeiten gleich groß wie der Anteil der Tätigkeiten im Produktionsprozess, dann wäre die Wertschöpfung gleich Null. Es ergäbe sich sogar eine negative Wertschöpfung, wenn der Anteil der „unproduktiven“ Arbeit höher wäre als der Anteil der „produktiven“ Arbeit.“

    ————————-  Dazu:

    Das MM.´sche Unverständnis des Marxschen Verständnisses von produktiver und unproduktiver Arbeit besteht in der „bürgerliche(n) Borniertheit, die die kapitalistischen Formen der Produktion für die absoluten Formen derselben hält – daher für ewige Naturformen der Produktion…“ So kann MM. „…die Frage, was produktive Arbeit vom Standpunkt des Kapitals aus ist, mit der Frage, welche Arbeit überhaupt produktiv ist oder was produktive Arbeit überhaupt ist, verwechseln und daher sich sehr weise dünken in der Antwort, dass jede Arbeit, die überhaupt etwas produziert, in irgendetwas resultiert, eo ipso produktive Arbeit ist. … Nur die Arbeit, die sich direkt in Kapital verwandelt, ist produktiv; also nur die Arbeit, die das variable Kapital als variables ersetzt … Arbeit, die Mehrwert setzt oder dem Kapital als agency (treibende Kraft) dient, Mehrwert zu setzen und daher sich als Kapital, als sich verwertenden Wert zu setzen.“ (Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1, S.368-369).

    Um den „Umfang der Wertschöpfung“ – präziser, die Schöpfung von Mehrwert und Profit zu sichern, sieht sich der „ideelle Gesamtkapitalist“ gezwungen, durch Privatisierungen die Beschäftigten in den privatisierten Betrieben „zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals“ zu stempeln.(Marx, Kapital I, MEW 23, S. 532.).

    Insofern sind die neoliberalen „Reformen“, zu denen umfassende Privatisierungen zählen, nicht etwa ein willkürliches politisches Konzept oder eine bösartige Verschwörung des Finanzkapitals und seiner Denkfabriken, die man einfach durch einen „Politikwechsel“ ändern könnte. Sie sind eine objektive Überlebensnotwendigkeit des Kapitalismus. Ohne Privatisierungen, Lohnsenkungen, Sozialabbau etc. würde die kapitalistische Akkumulation mit fallenden Profitraten an ihre Schranke stoßen. (Oder wie MM. in seiner “bürgerlichen Borniertheit” glaubt, zu “negativer Wertschöpfung“.)

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