Protestsong und Minnelied

 In FEATURED, Kultur, Roland Rottenfußer

Walther von der Vogelweide

Mittelalterliche Barden und ihre Zeit. Entertainer, Höfling, gesellschaftskritischer Satiriker, Guru und Liebender – die Figur des Barden ist schillernd und wird durch allerlei Klischees überlagert. Barden, Troubadoure und Minnesänger hatten eine klar umrissene gesellschaftliche Funktion. Immer wieder erhoben sich aus ihren Reihen jedoch Genies, die die Moralvorstellungen ihres Zeitalters herausforderten, deren Leidenschaft und Scharfsinn die Jahrhunderte überdauerten. Roland Rottenfußer

 

Lange Zeit hat man Bob Dylan den Literaturnobelpreis vorenthalten. Obwohl er mehrmals für diese Ehrung vorgeschlagen wurde. Jemand, der Lieder zur Gitarre singt, konnte bisher nur „fast“ in die Heiligen Hallen der Hochkultur vordringen. Schließlich findet sich Dylans Werk in der CD-Abteilung in der schnöden Sparte „Rock und Pop international“. Gerecht war eine solche Diskriminierung schon vor der Verleihung des Nobelpreises an Dylan nicht. Dichter, die ihre literarischen Texte singend auf einem Saiteninstrument begleiteten, gibt es schon sehr lange und auf hohem Niveau. In Deutschland begründeten „Singer-Songwriters“ die erste literarische Hochblüte und schufen – noch vor Martin Luther – die erste einheitliche Literatursprache in einem Land, das in unzählige Volksdialekte zerfiel.

Lange bevor Walther von der Vogelweide und seine Kollegen im 13. Jahrhundert Erfolg hatten, war jedoch die Gestalt des Barden im keltischen Kulturraum bekannt. Griechische Geschichtsschreiber wie Diodorus erwähnten die Barden (von altkeltisch: bardos) schon im 1. Jahrhundert v. Chr. Sie wurden als Höflinge irischer und keltischer Könige beschrieben, ihre Tätigkeit hatte unterhaltende, aber auch System stabilisierende Funktion. Barden mussten die Erinnerung an die Großtaten der Vorfahren aufrecht erhalten und setzten so auch deren Nachfahren, die aktuellen Herrscher, ins rechte Licht. Gestalten wie der Barde „Troubadix“ aus den Asterix-Comics, der durch seinen hässlichen Gesang den Spott und die Verachtung der Gemeinschaft auf sich zieht, sind kaum realistisch. Ein Barde hatte eine festgelegte soziale Stellung und musste gefallen.

Keltische Barden: Magier und Höflinge

Alternativ zu „Barde“ war in Irland auch die Bezeichnung fili, Mehrzahl: filidh, gebräuchlich. Beide Berufe sind teilweise schwer voneinander abzugrenzen. Die filidh scheinen aber höheres Ansehen genossen zu haben, stellten eine Art Adel dar und ähnelten in manchen ihrer Funktionen auch den Druiden. In ihrer Glanzzeit konnte ein fili ein Stammesmitglied gesellschaftlich vernichten, indem er ihm ein kritisches Lied auf den Leib schrieb. Der „Poetenfluch“ stand in dem Ruf, einen Menschen sogar körperlich schädigen oder töten zu können. Dies verlieh den Forderungen der filidh nach Geld und Privilegien besonderen Nachdruck, so dass die Bardenzunft teilweise verhasst war. Organisiert waren sie als Orden mit einer strengen Hierarchie. Ähnlich wie bei den Freimaurern gab es Einweihungsgrade mit blumigen Namen wie „Königlicher Barde“ und „Meister des Bardentums“. Die Anwärter hatten ein strenges Ausbildungsprogramm zu absolvieren, das vor allem auf Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit abzielte. In einer Kultur der mündlichen Überlieferung mussten Barden hunderte von epischen Gedichten mit jeweils hunderten von Versen auswendig lernen.

Im Hochmittelalter erlebten die Barden in England, Wales und Irland eine Hochblüte. Grundlegend für die Dichter-Sänger auf dem Gebiet des heutigen Deutschland war jedoch eine andere Tradition: die der französischen Troubadoure. Da diese ihre Werke in der südfranzösischen okzitanischen Sprache (langue d’oc) abfassten, werden sie besser als „Trobadore“ bezeichnet. „Trobador“ geht auf das okzitanische Verb „trobar“ (finden) zurück. Das suggeriert, dass Trobadore ihre Lieder nicht selbst erschaffen, sondern etwas (er)finden, was schon vorhanden war – in Gottes Geist. Als „erster Trobador“ gilt ein Adeliger, Wilhelm IX. von Aquitanien (1071-1127). Es ist anzunehmen, dass Wilhelm Vorläufer hatte, er machte die Bardenkunst jedoch durch seine gesellschaftliche Stellung hoffähig. Er war wesentlich an der Schaffung einer literarischen Hochsprache beteiligt, die er aus dem Rohdiamanten der okzitanischen Volkssprache formte. Es gibt von Wilhelm von Aquitanien kunstvolle höfische Liebeslieder, die eine gebändigte Leidenschaft preisen (fin’amors). Andere Werke sind jedoch erstaunlich freizügig, ja derb in der Darstellung der Sexualität.

Troubadoure: das Licht aus dem Westen

Mit Hilfe der nordfranzösischen „Trouvères“ wanderte die Kunst der Dichter-Sänger weiter nach Nordosten, wo man seit etwa 1155 deutsche Trobadore nachweisen kann: Minnesänger, wie den Kürenberger. Der Einfluss der Franzosen lässt sich anhand von Neuvertextungen französischer Melodien nachweisen. Auch Strophenformen und Metrik knüpfen teilweise an die Kunst der westlichen Nachbarn an. Die Vorbildfunktion Frankreichs kann man nicht nur in der Lyrik, sondern auch beim Versepos beobachten, wenn etwa Chrétien de Troyes Dichtung „Perceval“ von Wolfram von Eschenbach als „Parzival“ neu interpretiert wurde. Wichtig war dabei auch die Übernahme literarischer Klischees, vor allem der „Hohen Minne“.

„Hoch“ ist an dieser Form der Liebe vor allem die Tatsache, dass sie nicht körperlich vollzogen wird. Dahinter steht die christliche Forderung nach Triebverzicht, der z.B. von Paulus konstruierte Gegensatz von „Geist“ und „Fleisch“. Das idealisierte Bild der „Hohen Frau“ (frouwe = Herrin) als Adressatin von Minneliedern steht im Kontrast zur Abwertung der Frau in der patriarchalischen Kirche. Die frouwe nimmt in der Fantasie teilweise Züge der unbefleckten Mutter Gottes an, während Frauen in der Realität ihrem Ehemann untergeordnet bleiben. Eine unerfüllte Liebe hatte auch im Mittelalter zunächst soziale Gründe. Man kann zwei soziologische „Typen“ des Minnesängers unterscheiden: Adelige, die sich als Hobbysänger betätigten und Berufsbarden, die zu ihrem Fürsten in einem Dienstverhältnis standen. Der singend Adelige mochte aufgrund der üblichen Heiratspolitik von seiner Liebsten ferngehalten worden sein; für den Berufsbarden spielte die frouwe gesellschaftlich schlicht in einer anderen Liga. Ihm blieb der „Minnedienst“, der Versuch, sich eine Hohen Frau durch ritterliche Taten und Preislieder gewogen zu machen – ohne jede Hoffnung auf körperliche Erfüllung.

Reinmar, der keusche Klassiker

Unerfüllte Liebe wird es immer geben. Besonders am Konzept der Hohen Minne war allerdings ein besonderer Kult des Leidens, eine literarische Überhöhung des Verzichts, die mit teilweise schikanösen Begründungen ausgeschmückt wurde. Der klassische Barde der Hohen Minne ist Reinmar von Hagenau (gest. um 1210) über dessen Leben man praktisch nichts weiß. Er wurde von Gottfried von Straßburg („Tristan“) als größter Lyriker seiner Zeit gelobt. Im berühmten „Preislied“ Reinmars heißt es (in neuhochdeutscher Übersetzung):

„Zwei Dinge habe ich mir vor Augen gebracht,
die widerstreiten in meinem Herzen:
Ob ich ihr hohes Ansehen
durch mein Willen mindern wollte,
oder es vergrößert wünschte,
und sie, Glückliche, frei von mir und allen Männern sei.
Beide Optionen schmerzen,
und ich würde durch ihre Schmach nie mehr froh.
hingegen vergäße sie mich, klagte ich noch mehr.“

Das Minnelied zeigt seinen Sänger in einer unlösbaren Zwickmühle. Würde sich ihm die Dame hingeben, so zerrisse ihm die damit verbundene Schande das Herz. Wäre sie berührbar, würde ihr dies ja alles rauben, was er an ihr verehrungswürdig fand. Ein klarer Fall von „Anleitung zum Unglücklichsein“, frei nach Paul Watzlawick: „Ich könne niemals eine Frau achten, die sich so weit erniedrigte, mit jemandem wie mir zu schlafen.“ Richard Wagner hat das Konzept der Hohen Minne in seinem „Tannhäuser“ überspitzt dargestellt. Er legt der Figur Wolfram von Eschenbach folgende Verse in den Mund: „Und nimmer möcht ich diesen Bronnen trüben,/ berühren nicht den Quell mit frevlem Mut./ In Anbetung möcht ich mich opfernd üben,/ vergießen froh mein letztes Herzensblut.“

Deutschlands bester Barde

Das rigide Konzept der Hohen Minne provoziert natürlich eine Gegenströmung, die „Niedere Minne“ genannt wurde. Was das bedeutete, kann man sich denken. In der Realität wandten sich die schmachtenden Barden unverheirateten Frauen von geringerem sozialem Rang zu, die zum sexuellen Vollzug bereit waren. Als größter Sänger der Niederen Minne gilt Walther von der Vogelweide, bis heute der bekannteste Vertreter der mittelhochdeutschen Dichtung. Auch bei Walther zeigen sich die extremen Schwierigkeiten der Forschung, den Menschen hinter seinen Werken zu identifizieren. Man ist dabei ganz auf Selbstaussagen in den Liederdichtungen angewiesen sowie auf Erwähnungen Walthers in den Werken anderer Künstler. Hier darf dann spekuliert werden, ob die Aussagen der Wahrheit entsprechen oder eher literarische Idealisierungen sind.

Von Walther von der Vogelweide (ca. 1170 bis 1230) sind 90 Minnelieder und 150 Sangsprüche überliefert, die in Sammlungen wie der „Kleinen Heidelberger Liederhandschrift“ (13. Jh.) überliefert sind. Die Namensbezeichnung „von der Vogelweide“ deutet nicht auf eine adelige Herkunft hin. Als relativ gesichert gilt eine Fehde zwischen Walther und Reinmar, bei der sowohl das Konzept der Hohen Minne als auch persönliche Animositäten eine Rolle spielten. Walther hatte nach einer Phase traditioneller Minnelieder die so genannten „Mädchenlieder“ gedichtet. Es sind Darstellungen einer erfüllten, auf Gegenseitigkeit beruhenden Liebe, interessanterweise aus der Perspektive der Frau gesehen.

„Tandaradei“ – Walthers freizügige Lovesongs

Das bekannteste, „Unter der linden“, zeigt, dass die Niedere Minne keineswegs mit plumpen Darstellungen des Geschlechtsverkehrs verwechselt werden dürfen. Das reizende Lied entwirft das anschauliche Bild eines Liebeslagers auf der Blumenwiese. An den Abdrücken der Körper der Liebenden könnte ein Wanderer noch immer Rückschlüsse darauf ziehen, was hier geschehen ist. Was der friedel (Liebste) dort mit dem Mädchen tat, das wird niemand erfahren – außer einem Vöglein im Baum, das Zeuge war. „Kuster mich? Wol tûsentstunt: tandaradei, seht, wie rôt mir ist der munt.“ – das war ein neuer Tonfall, eine fröhliche und unverkrampfte Schilderung der Liebe.

Walthers Minnelieder sind wegen ihrer zeitlosen Thematik nicht präzise zu datieren. Anders bei seinen politischen Liedern. Sie sind nah am Puls der Zeit, und einige von ihnen könnte man geradezu als „Protestsongs“ bezeichnen. Walther stand dem staufischen Thronanwärter Philipp von Schwaben nahe, der sich in einem Machtkampf mit dem Welfen Otto befand. Walther ergriff in mehreren Gedichten vehement die Partei Philipps und begab sich so in Frontstellung zum Papst. Auch Verbindungen zu Landgraf Hermann von Thüringen, dem Schwiegervater der Heiligen Elisabeth, sind historisch verbürgt. In Selbstaussagen Walthers spiegelt sich die soziale Stellung des Barden. Auf der einen Seite ist da der freie, wandernde Künstler, Angehöriger eines mittelalterlichen Kulturprekariats; andererseits die Sehnsucht nach einer „Festanstellung“ bei Hofe, deren Schattenseite der Verlust von Freiheit ist. „Ich hab mein Lehen, alle Welt, ich hab mein Lehen! Nun fürcht ich nicht den Hornung an die Zehen und brauche geizige Herren nicht mehr anzuflehen.“

Papstkritik und Ökologie

Geradezu prägend für Walthers Werk sind beständige Animositäten gegenüber dem Papsttum, gegen dessen Machtanspruch und Geldgier (etwa unter Innozenz III.) er agitierte: „Swelh herze sich bî disen zîten niht verkêret, sît daz der bâbest selbe dort den unglouben mêret.“ (Ungefähre Bedeutung: „Wem diese Zeiten nicht den Sinn verwirren, dem muss klar sein, dass das Papst selbst den Unglauben vermehrt“) Walther von der Vogelweide war ein vehementer Verteidiger der Trennung von Staat und Kirche im Sinne des Jesusworts: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gottes, was Gottes ist.“ Auch geradezu ökologisch anmutende Verse gibt es von ihm: „Bereitet ist daz velt, verhouwen ist der walt“. (Das Feld ist bestellt, also nicht mehr im natürlichen Urzustand; der Wald ist abgeholzt)

Das Wirken Walthers als dichtender und singender kritischer Zeitzeuge machte ihn auch zu einem Vorbild moderner Liedermacher. Was war der mittelalterliche Barde denn anderes als ein „Singer-Songwriter“? In den 70er-Jahren wurden Musikgruppen wie „Ougenweide“ und „Liederjahn“ mit Neukompositionen zu historischen Texten bekannt. Im Musikstil versuchten sie zu rekonstruieren, wie mittelalterliche Lieder geklungen haben mussten. Auch Solisten wie Hannes Wader und Reinhard Mey orientierten sich an den Vorbildern aus dem 13. Jahrhundert und wurden von den Medien oft „Barden“ genannt. Als „Blödelbarden“ bezeichnete man einen Sänger, der wie Mike Krüger zu humorvollen Couplets die Gitarre zupfte.

Projektionsfläche der Sehnsucht

Wie die Musik der Minnesänger und Barden geklungen haben muss, kann man übrigens nur unzureichend rekonstruieren. Funde von Musikinstrumente, etwa die Flöte (Buinne), die Harfe (Chrot), der Dudelsack (Finne) und eine Art Lyra (Timpan) vermitteln eine Ahnung davon. Die Instrumente verfügen meist über ein beschränktes Repertoire von Tönen, so dass moderne Tonleitern (dur und moll) darauf nicht spielbar sind. Schriftlich sind allenfalls die „nackten“ Melodien aufgezeichnet. Aus ihnen kann man kaum Rückschlüsse auf Rhythmisierung, Betonung und Instrumentierung ziehen. Was wir also heute auf Mittelaltermärkten hören können, sind im besten Fall Versuche einer einfühlsamen Rekonstruktion.

Das Mittelalter wurde seit der Romantik zur Projektionsfläche für die Sehnsucht vieler. Noch heute verbinden wir mit dieser Zeit die Vorstellung von einem wohl geordneten Gesellschaftssystem, das auf Werten wie Ehre und Treue basiert – künstlerisch widergespiegelt durch eine kraftvolle, emotionale Sprache und einfache musikalische Mittel. Es sind Vorzüge, die in einer kommerzialisierten modernen Musikwelt verloren gegangen scheinen. Man ist heute weit davon entfernt, das Mittelalter zu idealisieren. Unvermindert ist allerdings der zeitlose Zauber, der die Gestalt des Barden bis heute umweht.

Kommentare
  • dirk kloeffer
    Antworten
    Zu der Musik der Barden möchte ich anmerken daß man heute schon ziemlich weit mit der Rekonstruktion gekommen ist, denn es gibt seit Jahrzehten nicht nur viele Musiker und Wissenschaftler die sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert haben sondern auch Instrumentenbauer die Instrumente ziemlich überzeugend nachbauen und (wo Quellen fehlen) auch rekonstruieren.Dazu gab es im Hochmittelalter schon die Notenschrift die nach und nach präziser wurde d.h.Kompositionen z.B. von Hildegard von Bingen geben einen guten Eindruck über die Melodieneuschöpfungen in dieser Zeit.Das verwendete Tonsystem waren nicht DUR oder moll-Tonleitern sondern sogenannte siebenstufige Modi,die Melodien konnten durchaus einen großen Ambitus über zwei Oktaven erreichen,die verwendeten Instrumente waren deshalb ebenfalls nicht ganz so primitiv wie sie auf den ersten Blick auf mittelalterlichen Abbildungen aussehen.Zur oft verwendeten(und oft abgebildeten) Schalmei kann ich sagen daß das ein durchdacht konstruiertes Holzblasinstrument war,mit einem kurzen Grifflochteil und einem sehr langen Resonanzabschnitt,das war Mittelalter- Higthech!,diese Instrumente hatten nicht nur einen speziellen Ton sondern sie haben mit Sicherheit auch über einen großen Tonumfang verfügt.Im Hochmittelalter war die komponierte geistliche Musik übrigens noch in einem sehr lebendigen Austausch mit der weltlichen Musik,beide beeinflußten sich  gegenseitig.

    Viele Grüße

    Dirk Klöffer

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