Roland Rottenfußer: Wie könnt ihr es wagen?

 In FEATURED, Poesie, Roland Rottenfußer

Foto: Tobias Möritz, Lizenz Creative Commons

Das Thema Klima und Umwelt ist keine skurrile Modeerscheinung des Jahres 2019, um das wir uns nun – wichtigerer Themen wegen – nicht mehr kümmern müssen. Dies ist ein lyrischer Aufschrei aus der Perspektive jüngerer Menschen (denen der Autor nur noch bedingt angehört).

Wie könnt ihr es wagen?

 

Ihr ehrbaren Herren, wie könnt ihr es wagen,

So unsere Zukunft zu Grabe zu tragen.

Wie könnt ihr es wagen, ihr schützt eure Pfründe,

Wollt endlos vertagen, was dringend anstünde

 

Ihr ehrbaren Herren und manchmal auch Damen,

Ihr schändet die Erde in unserem Namen.

Ihr spottet der Erben, um euer Versagen,

Jetzt rosig zu färben – wie könnt ihr es wagen?

 

Wie könnt ihr es wagen, über Ängste zu lachen,

Nach Beute zu jagen auf den Schultern der Schwachen.

Euch stets auf die Seite der Blender zu schlagen

Und uns zu vertrösten – wie könnt ihr es wagen?

 

Entfesselte Händler, die wie biblische Plagen,

Die Auen zerfressen mit feistem Behagen,

Die Kloaken schaffen, wo Fische verrecken,

Und ihr wollte euch weiter hinter Phrasen verstecken.

 

Und Bulldozer nagen an uralten Wäldern

Es legt sich erstickend gelber Tod auf die Felder.

Wo ist noch das Türkis der kristallenen Küsten?

Es weicht alles Wilde, und es wachsen die Wüsten.

 

Weint ihr nicht um die Flüsse, die unrettbar verseuchten?

Aus den Blicken der Kinder verschwand schon jedes Leuchten.

Warum bleibt ihr im Vagen, wo wir Klartext jetzt bräuchten?

Ihr müsst es uns jetzt sagen: wie könnt ihr es wagen?

 

Während Brunnen vertrocknen, erigieren Raketen.

So wird dieser Saphir bald zum grauen Planeten.

Ihr fahrt feixend gen Abgrund, statt die Habgier zu zügeln,

Statt Kritik zu bedenken, lasst ihr Kritiker prügeln.

 

Ihr erstickt jeden Aufruhr und hätschelt die Braven

Was ihr wollt, ist ein Kirchhof, ein Planet voller Sklaven.

Die, was ihr tut und lasst, achselzuckend abnicken

Die es dulden und schlucken, bis sie dran ersticken.

 

Ihr habt nicht mehr viel Zeit, euer Dasein zu würzen.

Warum müsst ihr dann unseres mutwillig verkürzen?

Ja, ihr dient längst dem Toten, seid Verwalter des Sterbens,

Nur blinde Vollstrecker des aufhaltsamen Verderbens.

 

Seht ihr denn nicht die Blüten, seht ihr denn nicht die Farben?

Seht das Weinen der Mutter, ihre Haut voller Narben?

Sehr ihr nicht wie die Liebe sich in alles verströmt?

Könnt ihr wiedererschaffen, was der Erde ihr nehmt?

 

Seht, das funkelnde Wasser fällt in blauen Kaskaden

Und auffliegende Möwen, die im Sonnenlicht baden

Und am Waldrand das Reh, lauschend, still vor dem Sprung.

Sagt, ist all das bald nur noch – Erinnerung?

 

Ist das nicht eure Welt, lebt ihr hier denn nicht gern?

Sagt, habt ihr schon ein Ticket für einen schöneren Stern?

Und selbst wenn es so wäre, ich würde darauf schwören,

Ihr würdet auch den schon bald wieder zerstören.

 

Sagt, seid ihr des Wahnsinns, schon ganz ausgehöhlt?

Warum habt ihr so gründlich euer Menschsein verfehlt?

Und schließlich: wer sind wir, dass wir euch belehren?

Ließen wir, die jetzt klagen, euch nicht zu lang gewähren?

 

Wollen wir, dass die von morgen voller Hass auf uns zeigen –

Auf die Ära der Blinden, auf die Generation der Feigen,

Die, die alles verspielten, die, die immer vertagten,

Nur weil sie ein paar Irre nicht zu bändigen wagten?

 

Ja, jetzt muss etwas gären, es muss etwas aufbrechen

Ihr könnt uns nicht mehr knebeln, uns nicht länger bestechen.

Wir wollen Zukunft gestalten und sie nicht nur ertragen.

Uns dem Zeitgeist nicht beugen, nein, ihn überragen.

 

Das, was festgefügt scheint, jetzt beherzt hinterfragen,

Unsere Ängste umarmen, dabei niemals verzagen,

Und den anderen helfen, ihre Päckchen zu tragen.

Das wollen wir wagen.

 

Kommt, lasst es uns wagen!

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