Sein oder Bewusstsein

 In FEATURED, Peter Fahr, Philosophie, Spiritualität

Die seelische Entwicklung des Menschen umfasst einmaliges Erleben und geistiges Wagnis. Im Wahrnehmen der Möglichkeiten, die das sinnlose, aber wertvolle Leben bietet, begeben wir uns auf den Weg zur Wahrheit. Um schließlich zu erkennen, dass unser Scheitern wesentlich und die Suche nach der Wahrheit die Wahrheit selbst ist. Peter Fahr

Was not tut, sind Persönlichkeiten, Subjekte. Ausgeglichene „Objekte“ gibt es mehr als genug.

Objektivität macht klug, Subjektivität glücklich.

Die anderen sind das verdrängte Ich.

Jedes Bild, das man sich von anderen macht, ist immer auch ein Selbstbildnis.

Selbstbewusstsein ist nichts anderes als Selbstgenügsamkeit.

Selbstsicherheit bedeutet, sich selbst privat und öffentlich zu lieben.

Chancen wahrnehmen

Leben ist nicht Sehnsucht, denn Sehnsucht ist das Unmögliche. Leben ist das Nahe, das Erreichbare, die Möglichkeit.

Der Aufmerksamkeit wohnt nicht nur ein reizvoller Zauber inne, sondern auch eine heilende Kraft. In der Aufmerksamkeit verdichten sich Möglichkeiten zu einer Chance, der Entdeckung von Leben.

Die Chance ermöglicht den Weg. Dieser ist das Ziel. Dieses ist das Leben. Die wahrgenommene Chance ist alles.

Dasein ist Tiefe, Werden und Vergehen sind Oberfläche. Dasein heißt leben, was man ist.

Leben ist Innen, Tod Außen. Der Mensch wird von Innen nach Außen. Existenz war Innen und Außen.

Einmaliges erleben

Ohne das seelische Wachstum wäre das Leben belanglos. Darum kann ich nie froh genug sein, mich erst am Anfang von Entwicklungen der verschiedensten Art zu wissen.

Das Leben gleicht einem Baum, den es zu erklettern gilt. Der dicke Stamm weist keine Äste auf, nur winzige Stümpfe, an denen wir uns hochangeln müssen. Hängen wir unser ganzes Gewicht an die Stümpfe, rutschen wir ab. Der Trick besteht darin, den ganzen Baumstamm zu umarmen, das Körpergewicht ständig von einem Stumpf auf den anderen zu verlagern und so – flink und scheinbar ziellos – in Spiralform in die Höhe zu steigen.

Wenn es zu regnen beginnt, schlagen einzelne Wassertropfen ans Fenster. Es gibt Tropfen, die über das Glas ziehen, ohne eine Spur zu hinterlassen, und andere, die sich in ihrer Spur erschöpfen und auflösen. Jene werden und vergehen, diese bestehen.

Wenn man sich erst einmal eingebildet hat, es gebe Millionen von Menschen, Milliarden, die gleich oder ganz ähnlich fühlen, gibt man sich auf. In der Einmaligkeit des persönlichen Erlebens steckt die Hoffnung für die globalisierte Gesellschaft.

Geistiges wagen

Uns, die wir von Bildern überflutet werden, fehlen Vorbilder. Keine Gurus, Propheten oder Führer, sondern Menschen, deren kompromissloser Glaube ans Leben das Wertvollste zu schaffen vermag: Utopien.

Ohne Vorbilder gibt es keine eigenen Anschauungen. Vorbilder sind wie Vorurteile: Der Weg zum Urteil führt über sie hinweg, aber nicht an ihnen vorbei.

Jedes geistige Wagnis beruht auf einem Vorurteil. Das Bild, das wir uns vom Unbekannten machen, ermutigt zur Tat, die über die Erfahrung zum Urteil führt. Vorurteile sind Schritte auf dem Weg zur Wahrheit.

Werte entdecken

Ein Leben in Zurückgezogenheit kann die Selbstfindung sicher vorantreiben, aber niemals zur Vollendung bringen. Eine in der Einsamkeit erworbene Selbsterkenntnis bewährt sich im menschlichen Umgang nicht. Wahre Selbsterkenntnis wird durch die Auseinandersetzung mit den anderen erreicht und führt zu einer umfassenden Sicht der Wirklichkeit, zum Wissen um die Relativität allen Seins.

Den Lebenssinn allein in der Tatsache der eigenen Existenz zu suchen, ist töricht. Ihn in dem zu wittern, was aus dieser „Absurdität“ (Albert Camus) an humanistischen Funken herausgeschlagen werden kann, ist ebenso unfruchtbar. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Erkenntnis entsteht da, wo Andersdenkende Auffassungen und Perspektiven desselben Problems vertreten und untereinander austauschen. Erkenntnis ist ein sozialer Prozess. Die Sinnfrage muss im Zusammenhang und geistigen Austausch mit anderen angegangen werden. Und obwohl dies die vielleicht erträglichste Methode zur Beantwortung der wichtigsten aller Fragen ist, wird sie uns wahrscheinlich immer wieder nur auf den existenziellen Zweifel zurückwerfen. Dies anzunehmen und dennoch weiterzufragen, heißt Mensch sein.

Das Wesentliche am Scheitern ist nicht die „Stunde der Wahrheit“, sondern der Augenblick danach.

Die Suche nach der Wahrheit ist die Wahrheit.

Das Leben ist wertvoll, obwohl es sinnlos ist. Die Werte machen das Leben aus, nicht sein Sinn oder Unsinn. Um dem Leben gerecht zu werden, um es voll und ganz auszukosten, genügt es, die lebendigen Werte zu entdecken und Denken, Fühlen und Handeln nach ihnen auszurichten.

Anzeigen von 5 Kommentaren
  • Volker
    Antworten
    Innen wie außen Baum
    Stolz deutscher Waldschrate. Weicher Kern, harte Rinde, Altersringe, Runzeln, unten Wurzeln, oben Krone, Nadeln, Blätter, hoch gewachsen, eichenstark – Powerfood für Borkenkäfer.

    Oh je und ach
    Wer zupft an meinem Haar, rüttelt, schüttelt mich? Verbiege mich, mein Haupt gebeugt, bis Krone fällt zu Boden. Es geht der Kettensägemann herum, fidibum.

    Autobahn
    Uhu, Meise und der Specht, widerständeln für ihr Recht, ketten sich an Bäumen, Bullen sollten überschäumen. (Man könnte Dramatik um Einiges steigern noch, mit einer mahnenden Kirchenglocke beispielsweise, oder dem Grollen eines herannahenden Orkantiefs namens Angela).

    Kollateralschäden nach Kahlschlag
    Rotkäppchen, ihre Oma, der böse Wolf, Wanderwege, Jogger, sieben Zwerge, Waldhexen, Förster, Hügelgräber, Fliegenpilze, Traumgespinste, reine Luft mit Tannenduft …

    Wir pflanzen ein Bäumchen …
    … denken, fühlen und handeln wie ein Baum. Da lacht der Kettensägemann, macht Kleinholz draus, für Zahnstocher und Klopapier.

    ++ glucks ++

  • Bernhard Schlegel
    Antworten

    Der Aphorismus ist so etwas wie ein Edelstein, der durch Seltenheit an Wert gewinnt und nur in winzigen Dosen ein Genuß ist.

    Unbekannt

    1. Lesen wir Zeile um Zeile und lassen uns Zeit…
  • Bernhard Schlegel
    Antworten
    “Die anderen sind das verdrängte Ich.”

    Peter Fahr

    Was aber, wenn ich der andere bin? Wer verdrängt dann wen?

    • Peter+Fahr
      Antworten
      Lieber Herr Schlegel

      Darf ich Ihnen mit einem Haiku antworten?

       

      bin ich du

      bist du wir

      sind wir ich

       

      Herzlich

      Peter Fahr

       

       

  • Bernhard Schlegel
    Antworten
    Lieber Herr Fahr

    Lieber Volker, der Du Dir zwar Mühe gibst, aber nur Hanebüchenes findest in Deiner Mühe. Geht es auch anders? Bist Du interessiert an einem Austausch?

    Herr Fahr, Ihr Haiku ist wundervoll. Ich möchte darüber sinnieren. Allein der Titel: ICH – EIN ANDERER von Imre Kertész liess mich schon lange sehr aufhorchen. Und nun Ihr Aphorismus, der sehr in die Tiefe geht. Am Montag traf ich auf eine ältere Arbeitskollegin, die völlig übernächtigt alles was sich bei ihr punkto Corona über das Wochenende angestaut hatte, mir, der nur eine Zigarette rauchen und dem morgendlichen Dröhnen des Schnees zuhören wollte an den armen Kopf warf. Die europäischen Staaten seien Impfmörder. Über dreissig Leute seien nach der Impfung verstorben. Sie habe geweint um die. Jetzt komme der Aufstand! Und jeder Feigling, der da nicht aufschreie, sie scannte mich dabei richtiggehend mit ihren grossen, schwarzen Augen, sei ein Feind des Volkes, ein Mittäter, ein Mörder!!! Ihre mit Gebein bemalten schwarzen Handschuhe ballten sich zur Faust. Mein Ich? Wo war es? Ich stand da und rauchte. Mein Ich war vielleicht in der Rauchwolke und verschwand zusehends im Licht der aufgehenden Sonne. Mein Ich? Es dachte: Halt die Fresse Du Idiotin! Aber mein Mund zog lieber am Filter. Ich könnte das so weiterführen. Das könnte ICH. Als Schreibender. Als Erlebender waren da gleichzeitig nun schon soviele Ich’s, dass ich mir sagte: Geh rein, verlass diesen Ort. ICH drückte die Ziggi aus. Und ging zur Arbeit.

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