SPD: Vom Hoffnungsträger zum kleineren Übel

 In HdS-Klassiker

Trojanisches Pferd des Kapitalismus

Keine Partei ist älter als die SPD. Keine ist so eng mit den Höhenflügen und Brüchen deutscher Geschichte verbunden, keine wurde so geliebt, und keine hat so bitter enttäuscht. Es führte ein weiter Weg von Ferdinand Lassalle über Willy Brandt bis zu Thorsten Schäfer-Gümbel – von den Wurzeln in der Arbeiterbewegung über den Widerstand im Nationalsozialismus bis zu Kosovo-Krieg und Bankenrettung. Allerdings täuscht der Eindruck, die Sozialdemokraten seien sich in der Ära Schröder „plötzlich“ selber untreu geworden. Schon sehr lange agieren sie im Grunde systemstabilisierend. 2013 feierte sich die SPD kräftig selbst – und sackte in den folgenden Jahren immer noch weiter ab, bis zu Umfragewerten von heute um 12 Prozent. Doch es bleibt die bange Frage, welche Zukunft eine Partei hat, die sich dem neoliberalen Geist fast bis zur Unkenntlichkeit angepasst hat und schon vielfach zuvor in ihrer Geschichte die eigenen Anhänger und Ziele verriet. Roland Rottenfußer, unter Mitarbeit von Holdger Platta

Irgendwann in der Zukunft: Die Gesellschaft ist drastisch in arm und reich gespalten. Die Arbeiter leben „in der Tiefe“, in unterirdischen Städten, um sich bis zur Erschöpfung in einer inhumanen Maschinenwelt abzurackern. Die reiche Oberkaste, Nutznießerin des Fleißes von unzähligen Arbeitssklaven, sonnt sich derweil, der gesellschaftlichen Zusammenhänge unbewusst, in Lustgärten und auf Fitness-Parcours. Nur eine Hoffnung scheint es für die Versklavten zu geben: Arbeiterführerin Maria entzündet die Herzen derer in der Tiefe durch aufrührerische Reden. Dem kann Konzernchef Fredersen nicht tatenlos zusehen. Kurzerhand ersetzt er Maria durch eine synthetische Roboter-Doppelgängerin. „Ich will, dass du zu denen in der Tiefe gehst, um das Werk deines Vorbilds zu vernichten.“ Eine beklemmende Vision aus Fritz Langs berühmtem Film „Metropolis“ von 1927 – und eine brillante Spiegelung der Sozialdemokratie. Ähnlich der SPD von heute wird in „Metropolis“ eine Idealistin durch eine Idealisten-Darstellerin ersetzt, die in Wahrheit die Interessen des Kapitals vertritt.

In kaum einem Sozialdemokraten vereinten sich diese Darsteller-Qualitäten deutlicher als in Gerhard Schröder. Kaum an der Macht, sorgte der dritte Bundeskanzler der SPD für eine massive Einkommensumverteilung von unten nach oben. Der Wirtschaftswissenschaftler Conrad Schuhler benannte diese Tendenz (die ja global zu beobachten ist) als ursächlich für die Finanzkrise. „Je höher die Einkommen, desto höher die Massenkaufkraft. Je höher der Anteil der Unternehmer und Großverdiener, desto mächtiger die Finanzströme, die sich aus dem Realsektor in die Finanzwirtschaft ergießen und dort Fantasieprofite erzielen sollen, die nicht durch die realwirtschaftliche Entwicklung gedeckt sind.“ Und Schuhler an späterer Stelle: „Gleichzeitig mit dem Senken der Masseneinkommen hat man eine Steuerreform zugunsten der Konzerne und der Reichen durchgeführt. Jährlich 30 Milliarden mehr für die hohen Einkommen und Vermögensbezieher.“

„New SPD“ auf Reformkurs

Schröders „New SPD“ (wie wir sie in Anlehnung an Blairs New Labor nennen wollen) brach das Nachkriegstabu, nie wieder Krieg auf fremdem Boden zu führen, deregulierte die Finanzströme, schuf mit der Agenda 2010 ein Drohkulisse, mit deren Hilfe Arbeitnehmer folgsamer wurden und Arbeitsuchende zu Billigarbeitskräften – und ein Gesetzeswerk, das zig Millionen Menschen in tiefstes Elend herunterreglementierte. Von Anfang an mit im Boot: Peer Steinbrück. Die Hoffnung vieler Deutscher auf einen politischen Wechsel konzentriert sich derzeit auf einen Mann mit sehr eigentümlichen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. 18.000 Euro pro Monat, so Steinbrück, seien unterbezahlt für den Posten, den er für sich selber anstrebt: den des Kanzlers. Uns würden auf Anhieb unzählige Berufe einfallen, die wirklich unterbezahlt sind – zu schweigen von den sklavenähnlichen Verhältnissen, für die ebendieser Steinbrück aufgrund seiner Beteiligung an der Agenda 2010 mitverantwortlich ist. Ein Pinot Grigio-Sozialist wie Steinbrück redet entweder ehrlich oder sozial – nie beides. Wir müssen uns der bitteren Wahrheit stellen: Von der „New SPD“ kann nicht mehr verlangt werden, tatsächlich einen Sozialdemokraten zum Kanzler zu nominieren.

Eine dynamische Enkelriege um Lafontaine, Engholm und Scharping – das schien in den späten 80ern noch eine ernstzunehmende politische Hoffnung zu sein – zumal in Kombination mit einer noch weniger glatt geschliffenen grünen Partei. Eine solche Jungpolitiker-Riege ist heute nicht annähernd in Sicht. Nachdem Müntefering, Platzeck und Beck als Vorsitzende verschlissen waren, schien Gabriel der einzige zu sein, der für den Posten übrig blieb. Doch auch die Gabriel-Mission war nichts anderes als der Versuch, die SPD wieder zur Regierungspartei zu machen, ohne im Geringsten vom neoliberalen Kurs abzuweichen. Das Schlimme an der „modernen“ SPD ist nicht, dass sie sich schwer gegen eine übermächtige CDU durchsetzen kann – dies könnte noch den Charakter einer ehrenvollen Niederlage haben – das Schlimme ist, dass man auf ihren Sieg nicht mehr zu hoffen vermag.

„Brecht die Not der Sklaverei!“

Vor 150 Jahren war das noch anders. Die soziale Frage hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Formen angenommen, die nach einer organisierten Antwort geradezu schrien. Durch die Industrialisierung und die Vertreibung der armen Landbevölkerung in die Städte waren Zustände heraufbeschworen worden, die man nur als Hölle für Arbeitnehmer bezeichnen kann – und als Paradies für gewissenlose Unternehmer. Sinkende Löhne, Verelendung, Arbeitstage von 12 Stunden oder mehr, Nacht- und Sonntagsarbeit, hygienische und geistige Verwahrlosung, Rechtlosigkeit und fehlender Kündigungsschutz prägten das Leben der Arbeitenden. Als Startschuss der sozialdemokratischen Bewegung benennt die SPD meist dem 23. Mai 1863 (Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Ferdinand Lassalle). Die Stimmung des jungen Vereins war noch (klassen-)kämpferisch, wie das damals entstandene „Bundeslied“ zeigt: „Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!“

1869 entstand daraus die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) unter August Bebel. 1875 kam es zum Zusammenschluss beider Gruppierungen zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Bismarck verfolgte die Bewegung damals mit seinem „Sozialistengesetz“. Den Name „SPD“ trägt die Partei seit 1890. Es gab sie also: die aufrichtigen Wurzeln der SPD in der Arbeiterbewegung, die „echte“ Sozialdemokratie. Ihr „Erfurter Programm“ von 1891 zeigte: Das war eine Partei des freiheitlich gesonnenen Antikapitalismus, des konsequenten Internationalismus, des engagierten Antimilitarismus. Doch spätestens seit dem August 1914 bestimmte der Verrat an diesen eigenen Zielen das Bild. Manches davon erzeugt bei heutigen Lesern ein Déjà-vu-Erlebnis und erinnert an die Gruppe neoliberaler Umstürzler unter Schröder seit den neunziger Jahren.

„Burgfriedenpolitik“ und ein „Bluthund“

1912 war die SPD mit 34,8 Prozent Stimmen zur stärksten Fraktion im Reichstag geworden. 1913 wurde nach dem Tod August Bebels ein neuer Vorsitzender gewählt: Friedrich Ebert – ein Vertreter des „Realo-Flügels“, wie man heute sagen würde. Nach dem 1. August 1914 organisierte die SPD zunächst noch Großdemonstrationen gegen das beginnende Weltkriegsgemetzel. Doch unter dem Druck des hurra-patriotischen und militaristischen Zeitgeists stimmte die Fraktion schließlich bis 1918 neunmal der Gewährung von Kriegsanleihen zu. „Burgfriedenpolitik“ hieß diese Pro-Krieg-Haltung, die verdächtig an moderne SPD-Positionen erinnert. Von Internationalismus, Antimilitarismus und Antikapitalismus war keine Rede mehr bei der Mehrheitssozialdemokratie. Karl Liebknecht, 1914 SPD-Abgeordneter, stimmte als einziger gegen die Kredite. 1916 wurde er nach einer Friedensdemonstration verhaftet und blieb bis Kriegsende im Gefängnis. Es kam zu einer Spaltung der Partei. Abweichler gründeten die USPD und den Spartakusbund, dem auch Liebknecht und Rosa Luxemburg angehörten.

Die Mehrheits-SPD gab sich indes staatstragend. 1918 stellte sie sich mit dem „Ebert-Groener-Pakt“ eindeutig gegen „linksradikale“ Gruppierungen. Sie paktierte mit den antidemokratischen, feudalistischen und reaktionären Gegnern von einst: mit der alten Bürokratie und Richterschaft, mit Militärs, Großagrariern und Wirtschaftsführern. Der bekannte Spruch „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten“ stammt nicht etwa aus den späten 90er Jahren, sondern aus der Phase der Novemberrevolution nach dem 1. Weltkrieg. Nach dem Spartakusaufstand im Januar 1919 wurden Liebknecht und Luxemburg von Offizieren eines „Freikorps“ unter Hauptmann Waldemar Pabst ermordet, der mit Billigung des SPD-Ministers Gustav Noske handelte – und vermutlich auch unter Mitwisserschaft Eberts. Pabst trug erst 1969 in einem Privatbrief zur Aufklärung der damaligen Vorfälle bei: „Dass ich die Aktion ohne Noskes Zustimmung gar nicht durchführen konnte (mit Ebert im Hintergrund) und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar.“ Noske äußerte zur blutigen Niederschlagung des Spartakusaufstands: „Einer muss den Bluthund machen! Ich scheue die Verantwortung nicht!“ Friedrich Ebert wird von der SPD noch heute in Ehren gehalten („Friedrich Ebert Stiftung“).

Die SPD im Dritten Reich

Im Februar 1920 verabschiedete die SPD ein „Betriebsrätegesetz“, das für Betriebe ab 20 Beschäftigten die Verpflichtung einführte, Betriebsräte zuzulassen. Aus Arbeitnehmersicht war das Gesetz jedoch zwiespältig. Es reduzierte die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer auf „Soziales“, während die ökonomischen Entscheidungen weiterhin den Unternehmern vorbehalten blieben. Eine von USPD und KPD organisierte Demonstration gegen das Gesetz wurde von preußischen Sicherheitskräften im Januar blutig niedergeschlagen (42 Tote, 105 Verletzte). Reichspräsident Friedrich Ebert verhängte den Ausnahmezustand und ein Versammlungsverbot. Im März 1920 scheiterte der reaktionäre Kapp-Putsch unter anderem am hartnäckigen Widerstand der Arbeiter, die in Generalstreik traten. Viele von ihnen wollten danach die unterbrochene Revolution von 1919 vollenden. Soldaten marschierten jedoch im Ruhrgebiet ein und schossen etwa 1000 Aufständische nieder – auch dies mit Billigung der SPD.

Als Ruhmesblatt der SPD-Geschichte gelten allgemein die Ereignisse im Zusammenhang mit Hitlers Ermächtigungsgesetz. Als einzige Partei stimmte die SPD am 23. März 1933 gegen das Gesetz. Berühmt ist mit Recht bis heute die Rede des tapferen Sozialdemokraten Otto Wels (eines im übrigen konservativen SPD-Mitglieds, das unter anderem für die Erschießung zahlreicher Spartakisten im Dezember 1918 verantwortlich war). In der Folge wurden viele Parteimitglieder in Konzentrationslagern inhaftiert oder mussten emigrieren. Andererseits weigerten sich die stets „gemäßigten“ Genossen, der Aufforderung der KPD zu folgen, in Generalstreik zu treten. Sie wollten den Nazis keinen Vorwand für weitere Gewalttaten liefern, hieß es. Damit verpasste die SPD aber vielleicht eine Chance, schlimmere, millionenfache Gewalt zu verhindern.

„Volkspartei“ oder „Genossen der Bosse“?

Nach dem Krieg orientierte sich die SPD unter Kurt Schumacher durchaus noch an sozialistischen Grundforderungen (Verstaatlichung von Schlüsselindustrien) und stimmte unter anderem 1952 gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Mit solch „fundamentalistischen“ Positionen war seit dem Godesberger Programm 1959 allerdings Schluss. Die einstige Arbeiterpartei mutierte endgültig zur „Volkspartei“ und kehrte ihren marxistischen Ursprüngen den Rücken. Zu den gängigen Klischees gehört, dass Willy Brandt ein guter Mann, ein „echter“ Sozialdemokrat gewesen sei. Erst Helmut Schmidt habe die reine Lehre mehr und mehr verwässert. Nun, das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. So groß die Verdienste Willy Brandt um die neue Ostpolitik auch waren, Fakt ist auch: zwischen 1966 und 1969 begab sich die SPD unter seiner Führung in eine große Koalition mit der CDU unter dem Ex-NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger.

Gegenüber der aufkeimenden Achtundsechziger-Revolte verhielten sich die Genossen stets unsolidarisch und „staatstragend“: unkritisch u.a. gegenüber den Völkermordaktionen der USA in Vietnam und dem blutigen Schah-Regime im Iran. Schon seit 1961 durften Mitglieder des SDS, des vormaligen Studentenverbandes der SPD, nicht mehr gleichzeitig SPD-Mitglieder sein: zu marxistisch, zu kritisch, zu links. Am 30. Mai 1968 verabschiedete die Bundesregierung dann gemeinsam mit Brandts SPD die Notstandsgesetze. Sie führten Einschränkungen bei Brief- und Telefongeheimnis und der Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das ausdrückliche Verbot politischer Streiks in unser Grundgesetz ein. Für den Zeitraum 1972 bis 1976 verabschiedete die SPD/FDP-Regierung unter der Kanzlerschaft Willy Brandts dann auch noch den sogenannte „Radikalenerlass“, verhängte also Gesinnungsprüfung und Berufsverbot im Öffentlichen Dienst für Zigtausende von zumeist jungen Menschen mit angeblich „verfassungsfeindlicher“ Weltanschauung. Ein weiteres Mal wurden MitbürgerInnen links von der SPD Opfer angeblich „sozialdemokratischer“ Politik. Auch dies steht in einer fatalen Tradition, die spätestens mit dem Rauswurf Karl Liebknechts aus der Partei 1916 eingeleitet worden war.

Trojanisches Pferd des Kapitalismus

1982, unter der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, entstand das so genannte Asylverfahrensgesetz, mit dem die Rechte von Asylbewerbern beschnitten wurden. Unter anderem verordnete es die Einweisung der Hilfesuchenden in Sammellager, Beschränkung der Mobilität, Arbeitsverbot und Sachleistungen statt Geld. Dahinter steckte – wie später bei Hartz IV – klar eine Abschreckungsstrategie: Eher quälte und schikanierte man die wirklich Bedürftigen, bevor man einen einzigen Wirtschaftsflüchtling „zu Unrecht“ aufnahm. Diese für Sozialdemokraten beschämende Entwicklungslinie mündete dann 1992 im „Asylkompromiss“. Die Gesetzesreform beschränkte das Asylrecht faktisch auf Personen, die nach Deutschland gelangt waren, ohne zuvor einen anderen demokratischen Staat zu durchqueren. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass dies im Kern auf die Abschaffung der Asylmöglichkeit in der Bundesrepublik zielte. Während der NS-Diktatur waren politisch oder rassistisch diffamierte BürgerInnen, darunter zahlreiche SozialdemokratInnen, noch selbst auf Asyl in anderen Ländern angewiesen. Nun machte das sozialdemokratisch regierte Deutschland seine Grenzen gegenüber den Flüchtlingen der Gegenwart dicht. Ein weiteres Mal verriet die SPD ihre ursprünglichen Ziele: die Maxime der internationalen Solidarität mit den Verfolgten und Bedrängten dieser Erde.

In vielerlei Hinsicht ist sich die Partei damit seit 100 Jahren treu geblieben. Sie stabilisiert das System, indem sie die Fratze des Kapitalismus hinter der Johannes-Rau-Maske eines gutmütigen Onkels versteckt. Natürlich muss man vorsichtig damit sein, die Alternative – also den möglichen „Sieg“ der Kräfte links von der SPD – zu idealisieren. Was eine gelungene „proletarische Revolution“ in Deutschland zwischen 1918 und 1920 bedeutet hätte, ist schwer einzuschätzen. Der Leninismus in Russland brach sich schon sehr früh mit massiven Menschenrechtsverletzungen Bahn. Wir können aber davon ausgehen, dass eine Linksdiktatur nicht im Sinne Liebknechts und Luxemburgs gewesen wäre. Gerade die Ermordung der besten Köpfe mit Hilfe der SPD leistete damit der Entwicklung einer KPD Vorschub, die sich später mit dem Stalinismus solidarisierte. Die Selbstaufspaltung der Sozialdemokratie nahm damals ihren Anfang und wiederholt sich heute mit der Spaltung in eine gemäßigt kapitalistische SPD und Lafontaines Linke. Hilfreich ist das ausschließlich für den politischen Gegner.

Die SPD als „Hoffnung“ bedeutet Verzweiflung

Und die Zukunft? Nach den Erfahrungen mit Schröder stellt eine mögliche neue SPD-Kanzlerschaft – aus heutiger Sicht ohnehin extrem unwahrscheinlich – eher eine Drohung dar. Weitere neoliberale Angriffe auf Lebenssicherheit und Wohlfahrt der Menschen nach dem Vorbild der „Agenda 2010“ wären möglich, zumal von der Union hiergegen keine „Opposition“ zu erwarten wäre. Neoliberale Seelen im Körper einer früheren Arbeiterpartei sind ein geradezu genialer Schachzug der neofeudalistischen Kräfte. Da ist es ein schwacher Trost, dass die blasse Truppe um die „Übergangsvorsitzenden“ Schäfer-Gümbel, Schwesig und Dreyer den Eindruck macht, als strebe sie die Regierungsmehrheit gar nicht mehr ernstlich an. Hat die SPD also aufgegeben? Jedenfalls hat sie sich selbst aufgegeben, und das schon seit langer Zeit. Ein Grund zur Freude ist das nicht. Und ein Grund, das fortgeschrittene Alter der SPD zu feiern, schon gar nicht.

Maria, die echte Arbeiterführerin in „Metropolis“, vermag am Ende von Fritz Langs Film die Menschenmenge von der Maschinen-Maria abzubringen und die Dinge zum Guten zu wenden. Bei der SPD allerdings ist eine echte Maria nicht in Sicht. Wäre sie das, würde sie, wenn nicht kaltgemacht wie Rosa Luxemburg, so doch mit Sicherheit kaltgestellt.

Bitte lesen Sie zu diesem Thema auch den Artikel von Holdger Platta: „Vom Verschwinden der SPD“

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Peter Boettel
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    Ich finde es hervorragend, dass Sie sich so eingehend mit der SPD beschäftigt haben.  Sobald ich die beiden Beiträge ausführlich gelesen habe, werde ich mich äußern.

    Selbst bin ich im April 1972, als ein Misstrauensvotum gegen Willy Brandt eingebracht wurde, in die SPD eingetreten, und trotz allem und wiederholter Austrittsgedanken, immer noch Mitglied. Warum?

    Weil sich in 47 Jahren viele Freundschaften auf dieser Basis entwickelt haben, weil ich immer wieder die Hoffnung hatte, sie werde zu ihren Grundsätzen zurückkehren, weil ich zurzeit keine Alternative sehe (die Flügelkämpfe bei den Linken halten mich ab, obwohl ich die Haltung von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Fabio de Masi oder Sevom Dagdelen für gut finde), weil ich davon ausgehe, dass eine fortschrittliche Politik nur mit zumindest einem, wenn auch leider kleinen Teil der SPD, natürlich mit der Linken, (vielleicht einem Teil der Grünen?) möglich ist.

  • Peter Boettel
    Antworten
    Beide Artikel finde ich gelungen. Leider ist es tatsächlich so, dass sich in den letzten zwei Jahren, aber auch schon länger, nichts geändert hat.

    Zum Gedicht von Tucholsky könnte man den viertletzten Vers, wie folgt, aktualisieren:

    „Nahles, Scholz und Klingbeil, wie sie alle hießen“

    blühn so harmlos…

    Ein anderer Spruch von Tucholsky lautet:

    „Die SPD glaubt, sie sei an der Macht, dabei sitzt sie nur in der Regierung“

    Wie im Beitrag „Vom Hoffnungsträger zum kleineren Übel“ angeführt, feierte sich die SPD im Frühjahr 2013 für die Gründung des ADAV, wobei die Lassalleaner bekanntlich die Gründung der SDAP in Eisenach verhindern wollten und bereits die Vereinigung beider Parteien mit dem Gothaer Programm auf scharfe Kritik von Karl Marx stieß.

    Es würde mich nun interessieren, ob und ggf. inwieweit die SPD des 150sten Jubiläums der Verabschiedung des Eisenacher Programms gedenkt. Zum Jubiläum des Erfurter Programms, das ich für das beste der SPD halte, gab es immerhin eine Feier im Erfurter Kaisersaal, wo es 1891 beschlossen wurde, allerdings war der Festredner, Franz Müntefering, m. E. eine Fehlbesetzung. War dieser es doch, der im vorauseilendem Gehorsam gegenüber Merkel die Rente ab 67 eingeführt hat.

    Weiterhin kann ich die Passagen des mehrfachen Selbstverrates unterstreichen, wobei ich neben der Zustimmung zu den Kriegskrediten, dem Ausschluss der Gegner sowie der Burgfriedenspolitik die Phase nach dem ersten Weltkrieg als weiteren Selbstverrat betrachte. Ob Ebert-Groener-Pakt, das Vorgehen von Noske, die einseitige Parteinahme gegen die Linken bei gleichzeitiger Übernahme der alten antirepublikanischen Militärs und Beamtenschaft, vieles davon schien mir oft als Vorbild für das Verhalten der SPD nach dem 2. Weltkrieg zu dienen. Hierzu sei auch hingewiesen, dass August Bebel stets die Wahl Friedrich Eberts in den engeren Vorstand verhindert hat, weil dieser ihm zu rechts war.

    Während die Rückschritte durch Godesberg, Wiederbewaffnung, erste GroKo, Notstandsgesetze noch nicht zu Wähler- und Mitgliederverlusten führten, stellte der  nächste Selbstverrat unter Schröder einen Wählerbetrug dar wie jüngst die Europawahl. Nach der abgewirtschafteten Kohl-Regierung setzten die Wähler*innen ihre Hoffnung auf eine Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit und erlebten, wie im Beitrag mit einigen Beispielen, die noch erweitert werden können, das exakte Gegenteil. Reichte es zwar im Jahre 2002 noch zu einer Fortsetzung von rot-grün, weil die Wähler*innen den Unionskandidaten Stoiber verhindern wollten, wurde auch diese Warnung missachtet und die neoliberale Agenda 2010 eingeführt.

    Alles Spätere, ob Mehrwertsteuererhöhungen, Kriegsbeteiligungen, Abnicken aller Merkel-Seehofer-Schnapsideen, Gabriels Zick-Zack-Kurs, führte neben Wähler- und Mitgliederverlusten dann immer mehr zu dem, was am Schluss des Beitrags zutreffend geschrieben wurde, „das Verschwinden des Sozialdemokratischen aus der SPD“, was dann, wie zu befürchten ist, zwangsläufig zum „Verschwinden  der SPD“ führen wird.

    Seltsamerweise scheinen jedoch weder die Parteiführung noch die Mehrheit der Bundestagsfraktion, noch viele andere Funktionäre dies im Gegensatz zu doch vielen Stimmen und Warnungen aus der Mitgliedschaft, die aber nicht ernst genommen werden, gemerkt zu haben, was natürlich irgendwann auch bei diesen verbliebenen „Noch-Sozialdemokraten“ zum Frust führt. Aber wie im Beitrag beschrieben, scheint dies die Vertreter des Trojanischen Pferdes des Kapitalismus nicht zu kümmern: Sie ignorieren die Wahlergebnisse (Wahlanalysen, die zu einer Politikänderung führen müssten, und Erneuerungspapiere verschwinden schnell in den Schubladen), sie versuchen die Austritte mit kurzzeitigen Eintrittswellen (z.B. beim „Schulz-Eröffnungsspiel“) zu kaschieren, allzu kritische Mitglieder werden wie schon bei der Ablehnung der Kriegskredite oder der Mitgliedschaft im SDS, ausgeschlossen und beim Rest (etwa bei mir) erwartet man das Ableben und glaubt nicht, dass einige die Partei sogar überleben könnten.

    August Bebel konnte froh sein, diesen mehrfachen Selbstverrat nicht mehr erleben zu müssen.

     

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