Vor Jahrzehnten: Zweimal Beifall voller Angst. Heute: nur noch Ängste ohne jeden Beifall

 In FEATURED, Holdger Platta, Politik (Inland)

Szenenfoto aus dem Film “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” von Volker Schlöndorff nach einem Buch von Heinrich Böll

Muss man in Deutschland Angst haben, seine Meinung öffentlich zu äußern? “Eigentlich” müsste diese Frage ja leicht zu beantworten sein. Das Grundgesetz gibt klare Auskunft darüber. Aber…  Es ist ja auch eine nachvollziehbare und legitime Meinung, zu sagen: “Das Verhalten momentan regierender Politiker erinnert (mich) an die Nazizeit. Zumindest könnte es in diese Richtung gehen, wenn sich die derzeit beobachtbare Entwicklung fortsetzt.” Aber so einfach ist das nicht (mehr). Stellt eine solche Aussage nicht eine “verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates” dar, eine Verächtlichmachung der Demokratie in Gestalt ihrer Repräsentanten oder gar eine Bagatellisierung der Verbrechen des “Dritten Reiches”? Man wird unsicher, und diese Unsicherheit ist so gewollt, stellt bereits eine subtile Form des Meinungsterrors dar. Gar nicht so subtil wurde ja beispielsweise Rudolph Bauer behandelt, der für einen künstlerisch ausgedrückten Vergleich zwischen lebenden deutschen Politikern und solchen der Naziära einen Strafbefehl und eine Hausdurchsuchung erntete. Die Älteren von uns erinnern sich aber vielleicht noch an eine andere Zeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, in der man mit bestimmten Meinungen im öffentlichen Raum sehr “aufpassen” musste: Es war die Zeit der 68er-Revolte und des sich daran anschließenden Kampfes gegen den RAF-Terrorismus. Schnell konnte man damals – selbst wenn man sich klar auf dem Boden des Grundgesetzes befand – zum “Sympathisantenumfeld” der Baader-Meinhof-Gruppe gerechnet werden. Keine Zeit gleicht genau der anderen, aber historische Echos sind eindeutig festzustellen. Und eine Schlussfolgerung ist aus all dem zu ziehen: Für die Meinungsfreiheit muss man auch in Zeiten der Bedrohung kämpfen – zunächst schlicht, indem man in Anspruch nimmt. Holdger Platta teilt hier politische Erinnerungen aus seinem eigenen Leben und denkt gleichzeitig über den heutigen Zustand unserer Demokratie nach.

 

1983 war das, in Bremen. In dem „Alten Pumpwerk“ dort, einem Veranstaltungsort für „Kultur“, der vorher tatsächlich was mit der Wasserversorgung der norddeutschen Hafenstadt zu tun gehabt hatte, trug ich mit Göttinger Schriftstellerkollegen politische Gedichte vor.

Die Lesung war gar nicht mal schlecht besucht – zumindest für meine reduzierten Erwartungen. Etwa dreißig Zuhörer und Zuhörerinnen also. Beifall gab’s zwischendurch für manche von uns, auch für mich. Aber ein Beifall sollte mich doch sehr erschrecken.

Ich hatte mein Gedicht „An die ehemaligen Genossen der RAF“ vorgetragen, mit der folgenden Quintessenz: „Sie haben Euch/ alles genommen//Eure Freiheit/Euer Vertrauen/Eure Menschlichkeit//Doch Eure Gründe ließen sie Euch“.

Was geschah nun unmittelbar danach? Ich glaube nicht, dass mich meine Erinnerung täuscht. Ein heftiger Beifall brach los. Offenbar hatte der Text vielen im Publikum aus dem Herzen gesprochen und die Ambivalenz zwischen menschlicher Distanzierung von der RAF und politischer Parteinahme für die RAF auf den Punkt gebracht. Aber:

Dieser überaus laute Beifall war überaus kurz! Plötzlich spürte ich die Angst im Saal. Bloß nicht erwischt werden beim richtigen, beim falschen Applaus! Keiner wusste in diesen Zeiten mehr, was alles in der Bundesrepublik von Verfassungsschutz-Organisationen überwacht wurde und was nicht. Das Bewusstsein, wirklich noch in einer Demokratie zu leben, in den Regionen uneingeschränkter Meinungsfreiheit, dieses Bewusstsein existierte nicht mehr!

Und genau das erinnerte mich an einen anderen Applaus. Jahre vorher war dieses passiert, im Frühjahr 1967. Ich hatte, damals noch als Student in meinen akademischen Anfangsjahren, selbstverständlich mit großem Engagement von den brutalen Verhältnissen in Persien gesprochen, in einer Vollversammlung der Göttinger Studentinnen und Studenten im Audimax. Im SDS, im Sozialistischen Deutschen Studentenbund, war ich erst wenige Wochen vorher Mitglied geworden (das Schlimmste, was man sich damals als politische Mitgliedschaft vorstellen konnte). Ich hatte, auf eine Frage aus dem Publikum, was wir denn bitteschön gegen den nahenden Staatsbesuch des Schahs von Persien einzuwenden hätten, aus dem Stegreif ein längeres Referat darüber gehalten. Ich hatte den Sturz des demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Mossadegh in Persien erwähnt, einen Sturz, den vor allem die CIA dort im Jahre 1953 durchgezogen hatte, weil der neue Staatspräsident Mossadegh die Erdölförderung vergesellschaften wollte. Ich hatte die terroristischen Gewalttaten des Schahs von Persien geschildert, das blutrünstige Regime der sogenannten „Weißen Revolution“,,Ich hatte den Satz formuliert, dass ein solcher Massenverbrecher nicht als „Staatsgast“ nach Westdeutschland kommen dürfe, und ich erhielt ebenfalls (was unwichtig ist) starken Beifall für meine Rede. Aber auch hier jenes irritierende Begleitsignal, jenes Symptom, das schlagartig schon damals, im Frühjahr 1967, Angst, große Angst, hörbar und sichtbar machte. Was meine ich?

Nun, einige Reihen hinter mir im alten Audimax, äußerlich durchaus erkennbar, saßen „Studenten mit Migrationshintergrund“ (ausschließlich Männer, ausschließlich wohl um einiges älter als ich, der gerade mal zweiundzwanzigjährige Student im vierten Semester), ganz offensichtlich Studenten aus Persien direkt. Und diese Studenten klatschten nun ebenfalls, klatschten ebenfalls überaus lautstark und heftig – und klatschten ebenfalls ungeheuer kurz nur, mit den Beifall klatschenden Händen unter den Schreibplatten, die für jeden Stuhl im Audimax existierten. Kein Foto hätte diese Beifall klatschenden persischen Studenten überführen können, kein Geheimagent aus Persien, kein Mitglied der berüchtigten SAVAK, hätte sicher registrieren können, dass da persische Studenten applaudiert hatten. Das Grauen, das mich in diesem Augenblick packte, war mindestens so groß wie meine Dankbarkeit für diesen Applaus und wie meine Freude sogar – ja: Freude! –, in diesen Minuten für tödlich bedrohte Studenten aus Persien gesprochen zu haben.

Für diese Studenten war bereits 1967 das Ausland Bundesrepublik nur ein sehr ungewisses Obdach noch. Für die Zuhörer des Jahres 1983 war selbst der eigene Staat dieses demokratische Obdach nicht mehr! Ein Fortschritt, schon damals, der zugleich ein entsetzenerregender Rückschritt war: ein Verlustempfinden von Freiheit und Demokratie und Rechtssaat auch bei den deutschen Zuhörern ohne ausländischen Pass. Und heute?

Wenn ich die Staatsaktivitäten betrachte, die seit einigen Wochen Rudolph Bauer, den Professor und Künstler aus Bremen, aufs negativste in Bedrängnis gebracht haben, allein dieses nur, bleibt für mich nur eine Schlussfolgerung noch: Deutschland, diese Demokratie und dieser Rechtsstaat, ist im Begriff, die eigenen Menschenrechte aus dem Weg zu räumen! Deutschland steht vollends in Gefahr, abzuschaffen, wofür es einstmals zu stehen schien: Hort der Menschenrechte zu sein. Freilich:

Damals wie heute, weder im Jahr 1967 noch im Jahre 1983, weder zu APO-Zeiten noch heute, im Jahr 2023, habe ich für mich selber Angst. Mit dieser Heldenbekundung kann ich nicht dienen, zitternd eigene Furcht überwunden zu haben! Zeilen wie diese verlangen mir keinerlei Angstbewältigung oder Tapferkeit ab. Noch empfinde ich mich im Zustand völliger Arglosigkeit und fühle mich gefeit vor allen politischen Angriffen durch mein Grundgefühl und meine Grundüberzeugung: Ich bin es, der einschränkungslos auf dem Boden eines uneingeschränkten Grundgesetzes steht. Die Staatsanwälte und Richter und Polizisten und gegebenenfalls Denunzianten sowie Geheimagenten, alle die, welche Rudolph Bauer womöglich in diesen Tagen ausnahmslos zusetzen, stehen meiner Auffassung nach auf dem Boden des Grundgesetzs nicht! Sie agieren verfassungsfeindlich, nicht ich. Und gerne stelle ich mich – man möge nur kommen und entsprechende Einladungen flattern lassen in meinen Briefkasten am weinroten Gartentor! – noch jeder öffentlichen Diskussion, was diese Themen betrifft.

Die Würde des Menschen zu wahren und zu schützen (Artikel 1 Grundgesetz, Absätze 1 und 2): das sehe ich als meine Aufgabe an, und ich sehe nichts, was dem in meinem Empfinden und Denken, in meinem Handeln, Sprechen und Schreiben widersprechen würde.

Die anderen Damen und Herren, das Personal in zig bundesdeutschen Behörden, die mögen erst einmal selber das gleiche Engagement für unsere Freiheiten, für unsere Demokratie und für unseren Rechtsstaat unter Beweis stellen! Alle Massenmedien und MitstreiterInnen mit eingeschlossen!

Noch sehe ich diese Beweise nicht! Und ich scheue mich nicht, dieses auch mitzuteilen, heute, in aller Öffentlichkeit. Der Buckel, den mir all diese angeblichen Verfassungsschützer herunterrutschen können, gegebenenfalls, ist wohl trainiert. Mit Rückenschmerzen, die man sich bei allzu viel Kriecherei zuzuziehen pflegt, kann ich nicht dienen. Für mich ist aufrechter Gang nach wie vor eine Sportdisziplin, die meinem Gesamtbefinden sehr guttut! Immer noch. Und so wird es auch bleiben!

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Reich mir die Spenglerschraube
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    Ja, ja …  man könnte möglicherweise  an einen alten Song denken, der Titel lautete “Grüss mir die Genossen”, der Sänger ist heute best buddie mit unserem Bundespräsidenten und weilt vornhehliuch in Südafrika, soweit ich das verfogt habe,  selbstverständlich hat er sich in der Pandemie vorbildlich verhalten und stramm seine Maske getragen. Aufrechter Gang als Sportdisziplin? Ja, das  hätte auch seinem Gesamtbefinden evtl. besser getan, aber wer bin, ich dass ich hier Empfehlungen auspreche,  das muss schon jeder mit sich selber ausmachen, bis zu welchem Grad er an der Verlogenheit und Lüge dieser Welt  teilnimmt, für so’n bisschen Jetset-Chichi. Gute Nacht, Theo oder Marius, oder wie  auch immer, von echter Freiheit, haste leider keeene Ahnung, soviel steht fest, das haste gezeigt.Immerhin.
  • Freiherr
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    KLASSE und BRAVO !!

    …das ist jenes * stand your ground * das so schmerzlich vermisst wird hier und es ist diese deutliche Aussprache, höchst-notwendigsterweise auch.

    Ja wer will uns alten Kämpfern denn noch Angst machen  und uns das Maul verbieten ?

    Mit * uns * meine ich dass wir schon zu dritt sind… grins.

    Nicht nur, der DW vor allem auch  und dessen unerschrockene Anhängerschaft, der nicht zu unterschätzende Rest derer die noch auf diesem Boden stehen, unerschütterlich.

    Höchst respektvoll, lieber Holdger !

    daFreiherr

     

     

     

     

  • Herold Binsack
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    Bekennen ist gut, Handeln besser. Fangen wir damit an. Jetzt. Die Herrschenden schlafen nicht. Und deren Lakaien gibt es genug. Sodass stets genug in Habachtstellung sind. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, verbreiten sie. Noch vorsichtig tastend. Und schon wieder testen sie die Stimmung. Den Herbst schon ankündigend. Den kalten Und “Corona”. Sie suchen damit abzulenken von ihren Verbrechen. Den Untersuchungen. Gebt ihnen keinen Raum dafür! Keinen Fussbreit!

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