Widerstand als Lebensform
Es reicht nicht aus, wenn man aus Protest gegen die neoliberal dominierte Weltordnung einmal zu einer Demo geht und sich dann darüber beklagt, dass die Mächtigen nicht sofort ehrfürchtig zusammenzucken. Wir brauchen Widerstandsformen, die längerfristig durchzuhalten und in das Alltagsleben des Einzelnen integrierbar sind. Politisch aktive „Gemeinden“, die den ganzen Menschen in all seinen Lebensaspekten sozial unterstützen, könnten ein Lösungsansatz sein. (Roland Rottenfußer)
Unter den Organisationsformen eines möglichen Widerstand und den alternativen Gesellschaftsmodellen ragen einige hervor, die einer näheren Betrachtung wert sind. Neben dem zielgerichteten politischen Aktionsbündnis sind dies vor allem Gemeinschaften (Kommunen), Netzwerke und Gemeinden.
Kommunen – von Liebe und Schatten
Die Gemeinschaft (Kommune) ist im Wesentlichen eine Lebensgemeinschaft Gleichgesinnter, die in räumlicher Nähe zueinander wohnen und oft auch arbeiten. Je nach Größe kann es sich um eine einzelne Wohnung, ein Haus oder um dörfliche Strukturen handeln. Gemeinschaften sind Praxiswerkstätten zur Erprobung alternativer Modelle bezüglich gelebter Spiritualität, ökologischen Wirtschaftens, des Zusammenlebens, der Entscheidungsfindung, der Liebe, Freundschaft und Kindererziehung. Manche mögen dabei an die von Rainer Langhans mitbegründete „Kommune 1“ denken, manche an die Bhagwan-Großkommune in Oregon, an Damanhur, Auroville oder das „Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung“ (ZEGG) mit seinen frei liebenden und zugleich politisch ambitionierten Bewohnern.
Die Bezeichnung „Experimentelle Gesellschaftsgestaltung“ ist für die ganze Kommunenbewegung bezeichnend und verweist auf ein gewissen Mut, sich als ganzer Mensch in die Kreation neuer Modelle des Zusammenlebens einzubringen. Wie ausgefeilt auch immer die Ideologie der betreffenden Gemeinschaft sich anhören mag, es menschelt allenthalben beträchtlich. Die durch die Vordertür verjagte „Spießigkeit“ schleicht sich oft durch die Hintertür wieder herein. Man streitet sich über die (männlichen) Urintröpfchen auf der Klobrille, über den Grad notwendigen commitments und einzufordernder Prinzipientreue. Die nicht vegetarische Brühe wird ebenso zum Stein des Anstoßes wie das nicht energetisierte Wasser oder Drückebergertum bei der Müllentsorgung. „Rücksichtslose Chaoten“ beschweren sich über „Kontrollfreaks“ – und umgekehrt. Die Gemeinschaft wird so im schlimmsten Fall zu einem Forum zur Lösung von Problemen, die ohne die betreffende Gemeinschaft gar nicht erst entstanden wären. Die Dichte des Zusammenlebens verstärkt alle Gruppenprozesse wie unter einem Brennglas: Das gilt für die Herausbildung von Schattenträgern (Sündenböcken) ebenso wie für Dominanzstreitigkeiten darüber, wer von zwei Führungspersönlichkeiten die Überwindung des Egos nun mit größerer Reinheit repräsentiert.
Die Könige von Lummerland
Zwischen „zu viel Führung“ und „zu wenig Führung“ taumelt das Kommunenschiff wie einst Odysseus zwischen Skylla und Charybdis. Zu viel „Laissez-faire“ entfesselt Fliehkräfte, führt zu Beliebigkeit und Substanzlosigkeit, die Kommunenideale diffundieren in das sie umgebenden Normalomilieu. Zu viel zentralistische Führung dagegen führt – wie im gescheiterten Experiment der Bhagwan-Großkommune in Oregon – zu faschistoiden Tendenzen. Egomanen und Westentaschen-Tyrannen wüten als Böcke im Garten einer meist freiheitlich-emanzipatorischen Ideologie. Das „König-von-Lummerland“-Syndrom geht um, das Bedürfnis, innerhalb seines eigenen Kreises der Wichtigste zu sein – mag dieser Kreis auch noch so überschaubar sein.
Was nun den formensprengenden Umgang mit gesellschaftlichen und sexuellen Normen betrifft, so gilt der Satz: In der bürgerlichen Familie werden Menschen durch Menschen verletzt, in der Freie-Liebe-Kommune ist dies umgekehrt. Statt dem Zwang zur Konformität herrscht dort manchmal Zwang zum Nonkonformismus. In Ehe und Familie wollen menschliche Beziehungsverstrickungen nicht mehr aufhören; in Kommunen dagegen bekommen Beziehungen oft gar nicht erst den Raum, um richtig anzufangen. Kurz gesagt: Kommunen-Modelle haben das Glück nicht für sich gepachtet, Stärken und Schwächen, Freude und Leid sind nur auf eine andere Art miteinander vermischt als bei „spießigen“ Gesellschaftsmodellen. Es verwundert nicht, dass Kommunen mit dem Ende der Hippie-Ära ein bisschen aus der Mode gekommen sind und dass ein anderes, etwas abstrakteres Modell heute in aller Munde ist, in dem menschliche Unzulänglichkeit schon deshalb weniger zum Tragen kommen, weil man Menschen dabei gar nicht richtig begegnet: das Netzwerk.
Netzwerke – gute Absichten und viele Löcher
Das Netzwerk ist ein durch moderne Kommunikationsmittel zusammengehaltenes Forum zum Austausch von Ideen, Informationen und Unterstützung unter Gleichgesinnten. Das Netzwerk ist im Gegensatz zur Kommune nicht-lokal, d.h. nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Netzwerk-Zugehörige können in der benachbarten Großstadt wohnen, in der Toskana oder in New York. Durch Internet und Email können diese Menschen unterschiedlichster Herkunft in Sekundenschnelle zusammengeschaltet werden. “Anarchische” Kommunikationswege wie Internetforum und Serienmail sind hervorragende Werkzeuge einer “sanften Verschwörung”, die sich der Kontrolle und dem Zugriff durch wie immer geartete Gegenkräfte entziehen. Netzwerke sind lockere, frei lassende und zugleich integrative, das Bewusstsein weitende Organisationsformen. Sie sind demokratisch und dezentral, insofern als jeder „Netzknotenpunkt“ aus seiner Sicht Teil des Ganzen ist. Netzwerke sind mit funktionierenden, authentischen Formen der Kommune, aber auch der biologischen Familie grundsätzlich vereinbar. Sie bilden ein Gegengewicht zum “Um-sich-selbst-Kreisen” und “Im-eigenen-Saft-Schwimmen”, das in Kleinfamilien und lokalen Gemeinschaften oft zu beobachten ist.
Kritiker merken allerdings an, dass Netzwerke hauptsächlich aus Löchern bestehen. Häufig bleiben sie blutleer und abstrakt, Geist ohne Fleisch und somit sozusagen das Gegenteil von Swingerclubs, die man als „Fleisch ohne Geist“ definieren könnte. Während in der Paarbeziehung zwei Menschen (fast) alles übereinander wissen, wissen Netzwerker (fast) nichts über eine potenziell unbegrenzte Menge von Menschen. Ähnlich wie das wolkige Gebiet der Kommunikationswissenschaft stellt das Netzwerk nicht Inhalt und Substanz in den Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie die Beteiligten untereinander verbunden sind. Konkret sind Netzwerke oft schon bald nach ihrer Gründung davon bedroht, „einzuschlafen“, weil niemand so richtig weiß, worum es eigentlich geht. Man soll sich Menschen zugehörig fühlen, die man im besten Fall per Email oder durch kurze Telefonkontakte kennt. Man hat sich nie in die Augen geschaut, sich nie die Hände geschüttelt. Man bekommt Email-Rundbriefe, an denen man nach ein paar Ausgaben das Interesse verliert, kann sich in Listen eintragen und andere Teilnehmer auf der Liste ansprechen, was man aber in der Praxis nur selten tut. Netzwerke machen meistens keinen Spaß, es sei denn, sie entwickeln „sinnliche“ Begegnungsformen und Rituale.
Gemeinden – persönlich, aber nicht zu eng
Nachdem ich nun Gemeinschaft und Netzwerk – vielleicht auch etwas zugespitzt und verallgemeinernd – einer kritischen Betrachtung unterzogen habe, wird deutlicher, warum ich in der Gemeinde die Organisationsform mit dem größten Potenzial sehe. Sie liegt, was den geografischen Raum betrifft, in dem sie sich entfaltet, zwischen Gemeinschaft und Netzwerk, irgendwo zwischen einem renovierten Bauernhof auf dem Land und der weltumspannenden „Global Community“. Gemeinden werden in der Regel das Einzugsgebiet einer mittelgroßen bis großen Stadt oder eines Landkreises umfassen. Vom Netzwerk unterscheidet sich die Gemeinde also im Wesentlichen dadurch, dass sie persönlichen Kontakt in geografischer Nähe ermöglicht. Von der Kommune unterscheidet sie sich dadurch, dass die Gemeindemitglieder in verschiedenen Haushalten, verstreut über das ganze Einzugsgebiet und auch – das ist wichtig! – vermischt mit Nicht-Mitgliedern wohnen. Sektiererische Tendenzen, die Dämonisierung von „Ungläubigen“ und mangelnde geistige Frischluftzufuhr werden dadurch schon von vornherein ausgeschlossen.
Man könnte die Existenzform einer politisch (z.B. durch Kapitalismuskritik oder Umweltschutzanliegen) motivierten „Gemeinde“ in einem mehrheitlich neoliberal geprägten Umfeld vielleicht mit evangelischen Kirchengemeinden im überwiegend katholischen Bayern vergleichen. In den liberaleren und fortschrittlicheren Regionen (wie im Münchner Umland) werden sich die Angehörigen verschiedener Konfessionen nicht beargwöhnen, bekriegen oder gegenseitige zu Unpersonen erklären. Man wird in selbstverständlicher Nachbarschaft nebeneinander und miteinander leben.
„Reformation“ statt Pseudo-Reformen
Das Beispiel „katholisch-evangelisch“ ist interessant, weil es als Vorbild für einen Aufbruch dienen könnte, der im Umfeld einer neoliberalen Meinungsmonokultur heute dringend notwendig wäre. Im Mittelalter gab es nur eine einzige Kirche – die katholische. Die Mitgliedschaft in dieser Kirche war in einem bestimmten geografischen Raum quasi unumgänglich, weil sie ein Individuum sozial schützte und trug. Dann kam Martin Luther und „erfand“ eine zweite Kirche, eine Parallelkirche mit ähnlichen Funktionen und Institutionen wie die katholische, jedoch mit anderen Werten. Heute gibt es neben diesen beiden großen Kirchen noch viele weitere spirituelle Wege, die in der Regel unbehelligt mit den christlichen koexistieren können. Das Monopol der einen Kirche auf religiöse Sinnstiftung und religiöse Dienstleistung ist aufgehoben. Mit Luther gab es einen Riss in der Decke der scheinbar allumfassenden Gültigkeit des katholischen Prinzips.
Wenn man weiterdenkt, könnte man sagen: Dem dominierenden (säkularen) Glaubenssystem unserer Zeit – dem Glaubem an die unfehlbare Gestaltungsmacht des Marktes – sollte, da seine mangelnde Integrität auf vielen Feldern erkennbar wird – via „Reformation“ eine Alternative gegenüber gestellt werden. Diese Alternative sollte sich in Form ideeller Gemeinden organisieren – ergänzt durch überregionale Netzwerke. Alternative Formen des Wirtschaftens – etwa die Regionalwährungen – stellen schon funktionierende Gegenentwürfe auf Gemeindeebene dar (vergleiche etwa die Parallelwährung „Chiemgauer“ in Südostbayern). Von solchen Geld-Experimenten kann man nur nicht erwarten, dass sie die Gesamtheit der systembedingten Mängel in einem von marktradikaler Ideologie dominierten Staat in Angriff nimmt. Eine politisch aktive Gemeinde, wie sie mir vorschwebt, sollte stets einen größeren Entwurf im Auge behalten. Andererseits ist in unserer vernetzten Welt alles dermaßen von allem abhängig, dass die Schaffung einer funktionierenden, nicht-kapitalistischen „Parallelwelt“ auf deutschem Boden nicht wirklich vorstellbar erscheint. Alternative Lebensentwürfe sollten daher immer auch die Veränderung des Ganzen zum Ziel haben und dies kreativ-experimentell vorwegnehmen.
Kraft-Tankstellen für Aktivisten
Umso wichtiger ist es, dass die Alternative nicht inselartig isoliert vom Mainstream existiert, sondern sich mit ihm vermischt und ihn im lebendigen Austausch mit ihrem Geist infiziert. Das gefährdet gewiss die „Reinheit der Lehre“, ist aber unvermeidlich, wenn man nicht bei der „folie à trois“ oder „… à dix“ landen will, beim sich beständig selbst bestätigenden Wahnsystem einer kleinen Menschengruppe. Neue Ideen müssen sich bewähren und stärker werden – auch durch den Widerstand, den der „alte Geist“ mit seinem Beharrungsvermögen ihnen unvermeidlich entgegensetzen wird. Auch wenn’s schwer fällt, es sich einzugestehen: Auch ich, auch Sie, der Leser/die Leserin, können sich mal irren. Gegenmeinungen helfen Ihnen und mir, Schwachstellen in der eigenen Argumentation aufzuspüren und zu korrigieren.
Gemeinden sollen Kraft-Tankstellen sein, keine Fluchträume vor der harten Wirklichkeit. Man erholt sich im Austausch mit Ähnlichgesinnten, um nicht ständig dem Kraftverlust durch Reibung an völlig andersartigen, „absurden“ Meinungen ausgesetzt zu sein. Dann geht man aber mit der gesammelten Kraft und dem gefüllten Köcher voll argumentativer Pfeile nach draußen und tritt für seine Überzeugung ein. Inselartige Gemeinschaften sind dazu weniger geeignet. Sie laufen Gefahr, sich zu verschließen – nach dem Motto: „Bei Leuten mit einem derartig niedrigen Erkenntnisniveau erübrigt sich jedes Gespräch.“
„Spießig“, aber integrativ – die Gemeinde
Der Begriff „Gemeinde“ steht noch immer im Geruch einer gewissen Spießigkeit, weil viele damit vielleicht anödende Kindheitserinnerungen verbinden: Kirchenkaffee mit zopfigen älteren Damen, leiernde „Herr-erbarme-Dich“-Gesänge, der Geruch von altem Holz und Staub, dudelnde, temperamentlose Orgelmusik … All das gibt es noch immer, aber es gibt selbst in diesen traditionellen Gemeinden Vorzüge, die in manchen „cooleren“ Organisationsformen komplett fehlen. Da besuchen jüngere Gemeindemitglieder Ältere in den Seniorenheimen, für verschiedene Altersgruppen gibt es „Kreise“, in denen man sich regelmäßig trifft, es gibt (wenn auch weltanschaulich festgelegte) Seelsorge durch einen „spirituellen Lehrer“, den Pfarrer, dem es ja keineswegs immer an Integrität mangelt.
Personen, die auf dem freien Markt der Eitelkeiten als zu unattraktiv, zu langsam, zu problembehaftet völlig chancenlos wären – Alte, Schrullige, Schüchterne, Einsame, Starrsinnige, Bedrückte und mit sich Hadernde –, werden in intakten Gemeinden mit großer Selbstverständlichkeit integriert. Sie gehören einfach dazu, so sehr sie den „Normaleren“ unter den Gemeindemitgliedern manchmal auch auf die Nerven gehen mögen. Der Film „Wie im Himmel“ zeichnet das Bild einer solchen, die verschiedensten Persönlichkeitstypen integrierenden Gemeinde mit einzigartiger, humorvoller Menschlichkeit. Im Vergleich dazu erscheinen mir viele spirituelle Gemeinschaften an der menschlichen Natur vorbeizugehen, weil die Voraussetzung für den Verbleib in der Gruppe darin besteht, dass der Einzelne auf dem ehrgeizigen Stufenweg zum Übermenschentum Schritt halten kann.
Ewige Wiederkehr des Gleichen
Natürlich hat auch die traditionelle Kirchengemeinde ihre Grenzen – einmal abgesehen davon, dass nicht jeder ihre weltanschauliche Grundlage akzeptieren kann. Die Aktivitäten einer Kirchengemeinde sind einem Zyklus sich wiederholender Events unterworfen und nicht zielgerichtet. Der Jahreskreis (das „Kirchenjahr“) mit seinen wiederkehrenden Festen, den Jubiläen und Heiligen-Gedenktagen prägt das Gemeindeleben und kann für Menschen, die an längerfristigen Projekten interessiert sind, als Einschränkung seiner Kreativität empfunden werden. Die bayerische Volksmusik-Gruppe „Biermösl Blas’n“ hat die Monotonie dieses beharrlich rekapitulierten Jahreslaufes einmal aufs Korn genommen: „Dann kimmt wieder die staade Zeit, in der man sich auf des Christkind’l g’freut. Und wenn dann kimmt der Januar, dann is’ nimmer weit bis zum Februar …“. Bei neoheidnisch und populärschamanisch geprägten Jahreszeitenfesten ist der Ablauf – mit kleinen Akzentverschiebungen – nicht viel anders: Man feiert Belthane, Johannisnacht, Halloween, Wintersonnwende usw.
Man kann diese Rhythmisierung des Lebenslaufs auch als archetypisch weibliches Phänomen betrachten. Sie schenkt Geborgenheit und Sicherheit im Gewohnten, was wichtig ist. Als Ergänzung sind aber dringend (archetypisch männliche) Elemente nötig, die auf zielgerichtete Entwicklung abzielen und nicht von Mondphasen und Wetterzyklen abhängen. Da ich von der Notwendigkeit eines organisierten Widerstands gegen den Neoliberalismus ausgegangen bin, wird klar, was gemeint ist. Es nicht gut, wenn die Menschen vom monotonen Rotieren des zyklischen Rades eingeschläfert werden. Die Zukunft sollte als prinzipiell offen, gestaltbar und nicht zu stark vorgeprägt durch sich wiederholende Events wahrgenommen werden. “Wenn der Lauf uns nicht gefällt, dann verändern wir den Lauf.” (Konstantin Wecker) Nahe liegende, aber auch ferne, „utopische“ Ziele (etwa die Ablösung des Welt-Kapitalismus durch eine gerechtere Weltordnung) könnten die Beteiligten motivieren. Ihre Persönlichkeiten könnten mit den gestellten Aufgaben wachsen, ein Sog aus der Zukunft könnte sie erfassen und vorwärts tragen. „Seht doch, dass ihr, die Welt verlassend, nicht nur gut wart, sondern verlasst eine gute Welt“. Der Satz von Bertolt Brecht ist ein herausragender Weckruf für alle, die meinen, dass es genügt, einfach “da zu sein”. Andererseits kann man mit Menschen, die sich freudlos ins Gut-sein-Wollen verbissen haben, auch keine gute Welt schaffen.
Widerstand als Lebensform
Wie in allen Lebensbereichen ist auch im Bereich der menschlichen Organisationsformen die Synthese des „Männlichen“ mit dem „Weiblichen“, von Yang und Yin, die gesündeste und langfristig tragfähigste Lösung. Einfach zu „sein“, Mensch zu bleiben, zu genießen und mit den Rhythmen der Natur zu schwingen ist eher in einer Gemeindestruktur möglich; sich zu entwickeln, zu wachsen, Ziele zu erreichen wird dagegen in entwicklungsorientierten Gemeinschaften und in politischen Aktionsbündnissen gefordert. Ohne Gemeindestrukturen führt der Widerstand leicht zu Überforderung und menschlicher Ausdörrung; ohne den Drive eines Aktionsbündnisses wird er dagegen zahnlos und stagniert auf einem niedrigen Niveau der Selbstzufriedenheit. Was ich vorschlage, ist also die Gründung von „Aktionsgemeinden“ im regionalen Rahmen – ergänzt durch überregionale Netzwerkstrukturen, deren vergleichsweise unpersönlicher Charakter nicht so stark als Defizit wahrgenommen wird, wenn man auch in persönlichere Gemeinschaften eingebunden ist.
Was ich anregen möchte, ist Widerstand als langfristige Lebensform. Gleichzeitig möchte ich vermeiden, dass der Mensch auf seine Funktion als „Widerständler“ reduziert wird. Erfahrungsgemäß haben Menschen nur eine begrenzte Kapazität an Zeit und Energie frei, um für ihre politischen Ziele einzutreten. Wird ihr Idealismus überstrapaziert, kommt es zu einem Pendelausschlag in die Gegenrichtung, zu einer Rückkehr in unpolitische Lethargie. Es kommt also darauf an, diese begrenzte Kapazität optimal zu nutzen und zu organisieren, den Widerstand beharrlich und nachhaltig zu machen und dabei den Menschen als das einzubinden, was er ist: kein wandelndes Gefäß linientreuer Meinungen und korrekter Verhaltensmuster, sondern ein Wesen, das Schwächen hat, manchmal den Mut verliert und „einknickt“, aber doch mit einer nicht klein zu kriegenden Grunddisposition zur Hoffnung und zur Lebensfreude.