Wie ticken die Kicker ganz oben?
Zur Mentalität von Infantino und anderen Aufsteigern im Fußballsport. Es gibt so einen Spruch, den man immer wieder mal hört: Ab zehntausend Euro Monatsgehalt hört der Mensch auf, anständig zu sein. An diese Aussage habe ich während der letzten Tage des öfteren denken müssen. Denn was sich da FIFA-Chef Infantino geleistet hat beim Verbot, dass die Fußballspieler bei der Weltmeisterschaft in Katar ein sehr bescheidenes Zeichen für die Menschenrechte setzen dürfen, das spottet nicht nur jeder Beschreibung. Das ist schäbigste Charakterlosigkeit, die mit keinem exzellenten Fußballspiel aus der Welt gekickt werden kann. Wer das Eintreten für Menschenrechte bei einer Weltmeisterschaft im Sport für illegal erklärt und mit Strafen bedroht, wer die große Weltverabredung der Vereinten Nationen vom Dezember 1948, jederzeit und überall eintreten zu wollen für Schutz und Wahrung der Menschenrechte, als unzulässige Politisierung von Sport deklariert, hat in einem solchen Führungsamt bei der FIFA nichts mehr zu suchen. Und er hatte vermutlich in diesem Amt niemals etwas zu suchen gehabt, zumindest legitimerweise nicht. Aber: Infantino ist nicht der einzige, und Infantino ist nicht der erste, der solche humanen Defizite an den Tag legt. An diese Tatsache habe ich während der letzten Tage ebenfalls denken müssen. Und ich bringe im folgenden Beitrag, der im Herbst des Jahres 2013 entstand, ein Beispiel aus unserer eigenen, aus der bundesdeutschen Fußballwelt ganz, ganz oben. Hier, auf HdS, erscheint dieser Beitrag zum ersten Mal. Und er dürfte ganz sicher nicht nur Hartz-Vierer interessieren, Armutsrentner und andere Menschen, die „unser“ Sozialstaat seit langem im Stich lässt. Er dürfte interessant sein für alle, denen ein bisschen noch an der Menschlichkeit und den Menschenrechten auf diesem Planeten liegt. Und jawohl: ich lege mich hier mit einem Fußball-Promi an, den so mancher auch heute noch als „Kaiser“ zu bezeichnen pflegt: mit Franz Beckenbauer, dem Ex-Libero auf dem Fußballrasen, der Liberalität seit langem schon auf ganz eigene Weise auszulegen pflegt. Man könnte sagen: wie ein „Kaiser“ halt, und diese höchstrangigen Adligen, diese Kaiser, fielen ja seit Jahrtausenden schon dadurch auf, dass sie zum Spitzenpersonal der weltweiten Kriminellen-Szene gezählt werden mussten. Um es auf die kürzeste Formel zu bringen: Edel war dieser Adel nie. Ganz im Gegenteil: Feudalismusgeschichte war immer auch Kriminalgeschichte. Und das scheint auch für den sogenannten „Geldadel“ gültig zu sein – selbst dann, wenn ihm der Ehrentitel „Kaiser“ ganz demokratisch von einem ganz braven demokratischen Volk verpasst worden ist. Aber lest selbst! Holdger Platta
Heute Morgen – am 11. November 2013 – in unserem Tageblatt: Beckenbauer, der ungekrönte Kaiser von Deutschland, hat die Steuerhinterziehungen von Uli Hoeneß, seinem Kicker-Kumpanen von einst, mit dem folgenden gnadenvollen Statement bedacht: „Ich denke, wir sollten niemanden verurteilen, der mal einen Fehler gemacht hat. Selbst die katholische Kirche gewährt eine zweite Chance.“
Donnerwetter: welch ein Edelmut! Aber der Reihe nach:
„Ich denke“? – Nun, nicht alles, was sich als „Denken“ ausgibt, ist auch „Denken“.
Zum zweiten: „Fehler“? – Nun, hier geht es nicht um einen „Fehler“, sondern mutmaßlich um ein Verbrechen, um Steuerhinterziehung, die gemäß der bundesdeutschen Abgabenordnung § 370 mit einer Haftstrafe bis zu 5 Jahren geahndet werden kann.
Zum dritten: „ein“ Fehler? – Nun, den Presseberichten zufolge hat Uli Hoeneß zehn Jahre lang, ergo bei insgesamt zehn Steuerklärungen, Geldeinnahmen in Millionenhöhe verschwiegen, von 2000 bis 2009. Was dann mehr als nur „ein“ Fehler ist. Oder kann ich nicht mehr zählen?
Doch selbst wenn es nur „ein“ Fehler gewesen wäre und auch nur ein „Fehler“: wieso kaiserlicher Gnadenerweis nur für einen Vereinskameraden und nur für einen Multimillionär?
Sollen hier Vergebungsimpulse im bundesdeutschen Seelenleben lediglich einem Superreichen zugutegekommen? Oder hat Beckenbauer solche Empfehlungen auch schon mal ausgesprochen zugunsten von Hartz-IV-Betroffenen, zugunsten von Hilfsbedürftigen, die bereits bei einem ersten Terminversäumnis 30 Prozent Kürzung an ihrer Mindestexistenzsicherung hinnehmen müssen, junge Erwerbslose bis zum 26. Lebensjahr sogar völlige Liquidation ihrer Bezüge? Strafmaßnahmen, von denen bis zum Jahresende 2013 rund eine Million deutscher Bundesbürger betroffen sein dürften. Für „Delikte“, die erstens keine sind, für „Delikte“, bei denen es zweitens nicht ums individuelle Beiseiteschaffen von Millionenbeträgen geht, für „Delikte“, zu denen es drittens kommt, weil die Hilfsbedürftigen oft keinen Sinn mehr sehen in höchst überflüssigen Terminen oder mittlerweile über die vielen Jahre hinweg psychisch kaputtreglementiert worden sind.
Wo bleibt da das edle Mitleid des edlen Beckenbauer mit diesen „Missetätern“?
Ich frage ganz ernsthaft: meldet sich in der Psyche des sogenannten Kaisers von Deutschland nur beim elitären Mitmillionär Hoeneß die Empathie zu Wort – das meinetwegen katholische Vergebenwollen nach Ablieferung von drei „Ave-Marias“ im Beichtstuhl? Das Mitgefühl unseres ewigen Liberos schweigt sich aber aus, wenn es nur um die armen Teufel in dieser Republik geht? Heißt: die Menschen ganz unten soll man ruhig weiter drangsalieren, Hauptsache, den Kumpanen ganz oben lässt man laufen?
Dem Vernehmen nach hat Uli Hoeneß seine Millionen vor allem mit der Herstellung von Würstchen gemacht. Da muss man sich um die „kleinen Würstchen“ in diesem Land nicht auch noch kümmern. Das scheint die „Denke“ des bundesdeutschen Massenidols Beckenbauer zu sein. Und ein „Fehler“ scheint zu sein, wenn man das für einen Fehler hält.
Republikanische Verteilungsgerechtigkeit also: Vergebung für Mehrfachmillionäre, Gnadenlosigkeit den Verzweifelten. Oder in Umkehr des berühmten Büchnerschen Satzes: Krieg den Hütten, Friede den Palästen!
Und ein derartiger Kaiser ist in Deutschland nach wie vor populär? – Mir scheint, ohne die Untertanengesinnung allzu vieler würde dieses nicht möglich sein.
Vielleicht wäre besser gewesen, ich hätte heute Morgen – an diesem Montag, den 11. November 2013 – unser Tageblatt nicht gelesen.